Kontrollierte Explosion
In den Plänen der USA geht es nicht nur um den Irak, sondern
auch um die Neuordnung des Nahen Ostens. Sie haben in der arabischen
Welt Debatten über die politische Zukunft ausgelöst.
von thomas von der osten-sacken
Angesichts einer tödlichen Bedrohung dürfen wir
nicht dem Wunschdenken oder willentlicher Blindheit verfallen,
erklärte US-Vizepräsident Dick Cheney am Montag vergangener Woche.
Denn jede Verzögerung eines Krieges werde das irakische Regime nur
stärken. Und sollten sich die USA gar von den Drohungen eines
Despoten erpressen lassen, Massenvernichtungswaffen gegen die eigene
Bevölkerung oder Israel einzusetzen, wäre dies die »Garantie für
eine Welt an der Schwelle zu noch größerem Terror«, warnte der
ehemalige Außenminister Alexander Haig.
Die so genannten Falken innerhalb des Weißen
Hauses und des Pentagon bestimmen derzeit das Tempo und die Form der
Nahostpolitik. Bei einer Anhörung in George W. Bushs Ranch in Texas
hatten am 21. August die militärischen Strategen ihre Pläne
vorgelegt. Dabei scheint General Ronald Kadish die Zustimmung des
Präsidenten gefunden zu haben. Kadish ist überzeugt, die USA
könnten, zusammen mit britischen Eliteeinheiten und gestützt nur auf
die Luftwaffe und Luftlandetruppen, ihre Kriegsziele erreichen.
Gemeinsam mit irakischen Oppositionskämpfern sei es möglich, die
Elitetruppen des Regimes und ihre Israel gefährdenden
Raketenabschussrampen auszuschalten. Kadish erwartet eine
massenhafte Desertion regulärer Armeesoldaten.
Solche Pläne stärken die Position des
Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, der seit Monaten die
Überzeugung vertritt, zum Sturz Saddam Husseins könne man getrost
auf Verbündete in Europa und der arabischen Welt verzichten, die
Unterstützung der Türkei und Kuwaits reiche völlig aus.
Außenminister Colin Powell, sekundiert unter anderem von seinen
Vorgängern James Baker und Henry Kissinger sowie von General Norman
Schwarzkopf, meint dagegen, dass ein Angriff ohne den Einsatz von
Bodentruppen und ohne genaue Absprachen mit dem UN-Sicherheitsrat
und verbündeten Staaten in einer Katastrophe enden könnte.
Derweil befindet sich die USS Lincoln auf dem Weg
zum Persischen Golf, um die dort stationierten fünf amerikanischen
und britischen Flugzeugträger zu verstärken. Die dann
zusammengezogenen Kräfte reichten dem Informationsdienst Debka
zufolge aus, um Kadishs Plan zu verwirklichen. Mitte September sei
der nötige Truppenaufmarsch beendet, ein Angriff wäre dann
militärisch möglich.
Offenbar schafft das Pentagon in rasanter
Geschwindigkeit und gegen den Willen des Außenministeriums Fakten.
Längst geht es dabei, wie Gerhard Schröder richtig feststellte,
nicht mehr um die Wiederzulassung von Waffeninspekteuren durch den
Irak, sondern um den Sturz Saddam Husseins und um eine Neuordnung
des Nahen Ostens, der, wie Jim Hoagland kürzlich in der Washington
Post meinte, »einem Wald fallender Bäume« gleiche.
Nach dem 11. September verbreitete sich in den USA
die Überzeugung, die meisten arabischen Regimes könnten in ihrer
jetzigen Form die nächsten fünf Jahre nicht überstehen. Es sei
deshalb besser, erklärte in der vergangenen Woche ein Militärexperte
dem Fernsehsender CNN, eine kontrollierte Explosion herbeizuführen,
als in wenigen Jahren eine unkontrollierte Implosion der Region zu
erleben mit einem rehabilitierten Saddam Hussein in der Mitte, der
dann möglicherweise über Nuklearwaffen verfügt. Die Drohungen
richten sich nicht nur gegen den Irak, schon sind auch Saudi Arabien
und Ägypten im Visier, die zwei engsten arabischen Verbündeten der
USA im Kalten Krieg.
Mit ihrer agressiven Politik haben die USA zwar
bisher vor allem erreicht, dass sich Saddam Hussein einmal mehr in
seiner Lieblingsrolle als Held der »arabischen Nation« aufspielen
kann. Aber in der arabischen Welt, in der man spürt, dass die
Amerikaner es ernst meinen, ist eine umfassende Debatte über die
eigene Zukunft ausgebrochen.
Ein Angriff auf den Irak wird dabei, mit wenigen
Ausnahmen, als Angriff auf das ganze »arabische Volk« betrachtet.
Die amerikanische Verschwörung schweißt dabei so verschiedene Länder
wie Ägypten und den Iran zusammen, schreibt der Kolumnist Adli Sadeq
in der Zeitung Al Quds al-Arabi. Die Frage sei, ob sie in einen den
USA unterworfenen Status als billige Öllieferanten gezwungen würden.
»Die arabischen Regimes sind sich der Bedrohung äußerst bewusst«,
meint der aus Syrien stammende Philosoph Muta Safadi. »Denn dem Irak
könnten Saudi Arabien, Kuwait, Ägypten und Syrien folgen. Wir
sprechen hier von einem diplomatischen, politischen und kulturellen
Krieg ums Überleben.«
Außer der Ablehnung eines Krieges haben die
arabischen Staaten wenig zu bieten. Und die entsprechenden
panarabischen Slogans stellen die Regierungen sogar selbst vor ein
Dilemma. Denn mobilisieren sie im Namen des »leidenden irakischen
Volkes« die Massen, wie der ägyptische Präsident Hosni Mubarak es in
Ansätzen bei einer Ansprache in der vergangenen Woche tat, könnte
sich der Unmut der Massen schnell gegen sie selbst richten, entweder
mit dem Vorwurf, de facto seien sie Alliierte des »großen Satans«,
oder sogar mit der Forderung nach mehr Demokratie im eigenen Land.
Darauf zumindest scheinen die Falken in den USA zu
hoffen, weshalb der bekannte Kolumnist Thomas Friedmann kürzlich
bemerkte, dass er angesichts der Stärke der Islamisten das Ergebnis
einer freien Wahl in Saudi-Arabien oder Ägypten derzeit eher
fürchte. Auch Dick Cheney betonte in seiner Ansprache, man wünsche
einen Irak, »dessen territoriale Integrität gewahrt ist, eine
Regierung, die demokratisch und pluralistisch ist, und eine Nation,
in der die Menschenrechte jeder ethnischen und religiösen Gruppe
geachtet werden«. Wer, fragte er drohend, wolle sich dieser
Vorstellung in einer Region widersetzen, in der die meisten Menschen
bislang nichts außer Tyrannei und Not erlebt hätten.
Nun wenden arabische Intellektuelle zu Recht ein,
die Politik der USA habe nicht unmaßgeblich zu dieser Lage
beigetragen. Die Verlautbarungen aus Washington werden reflexhaft
als propagandistisches Manöver abgetan, hinter dem sich
wirtschaftliche und strategische Interessen verbergen.
Doch unterschwellig scheint die US-Strategie
durchaus Erfolge zu zeitigen. Wieso solle ein saudischer Bürger, dem
alle Freiheiten vorenthalten werden, sich gegen einen Krieg
aussprechen, der im Namen dieser Freiheiten geführt wird, fragte
Abed al-Bari Atwan, der Herausgeber von Al Quds al-Arabi. »Die USA
werden, wie schon jetzt der Palästinensischen Autonomiebehörde und
dem Irak, bald auch den anderen Ländern Demokratie verordnen. Ist es
da nicht sinnvoll, wenn diese Länder Reformen durchführen, weil die
Bürger es verlangen, statt zu warten, bis die Vereinigten Staaten
sie zwingen?«
Seit die Falken einsehen mussten, dass ein
Militärputsch im Irak nicht durchführbar ist, bezeichnen sie ihre
Kriegsstrategie, wie kürzlich der stellvertretende
Verteidigungsminister Paul Wolfowitz in Fox News, als Unterstützung
des »Befreiungskampfes des irakischen Volkes«. Dabei rechnen sie
damit, dass die irakische Bevölkerung nach einem Sturz Saddam
Husseins die US-Truppen als Befreier begrüßen wird. Auch in Kairo
und Damaskus weiß man zu gut, das mit der Verbreitung solcher Bilder
das ganze ideologische Gebäude panarabischer Solidarität mit dem
»irakischen Volk« zusammenstürzen würde. Zudem hätten die Hardliner
in den USA eine Legitimation, ihr Programm von einem »neuen Nahen
Osten« auch in anderen Ländern fortzuführen.
jungle world 37/ 4.09.2002
hagalil.com
27-10-02 |