Eingeschlossen im Teufelskreis:
Ein Interview mit Thomas von der Osten-Sacken
Von Micha Odenheimer,
Ha’aretz, 04.10.2002
Übersetzung Daniela Marcus
Thomas von
der Osten-Sacken ist Journalist, Menschenrechtler und
Intellektueller. Was das Thema der Menschenrechte im Irak angeht,
wird er in Deutschland als eine der führenden Autoritäten
betrachtet. Im Jahr 1991 reiste er das erste Mal in den Irak. Damals
verbrachte er dort acht Monate, um im Süden des Landes, kurz nachdem
Saddam Hussein den dortigen Aufstand der Schiiten niedergeschlagen
hatte, humanitäre Hilfe zu leisten. Im Jahr 1992 war von der
Osten-Sacken Mitbegründer einer Hilfs- und
Wohltätigkeitsorganisation, die sich "Wadi" nennt. Sie arbeitet in
Irakisch-Kurdistan – dem autonomen kurdischen
Selbstverwaltungsgebiet, dass 1991 im Rahmen einer
Fluchtabwehrmaßnahme entstand -
und setzt sich für irakische Flüchtlinge in Deutschland ein. Jedes
Jahr verbringt er einige Zeit in Kurdistan, wo "Wadi" die erste
Anlaufstelle für Frauen in Not gegründet hat und außerdem der
lokalen Regierung hilft, das Gefängnissystem, das noch aus der
irakischen Herrschaft vorhanden ist, zu reformieren. In Deutschland
berät "Wadi" irakische
oppositionelle Gruppen und arbeitet eng zusammen mit der "Koalition
für einen demokratischen Irak".
Der 34jährige
von der Osten-Sacken veröffentlicht Artikel in deutschen
Zeitschriften wie "Jungle
World" und "Konkret"
und ist Mitherausgeber des kürzlich erschienenen Buches "Saddam
Husseins letztes Gefecht?", das im konkret Verlag erschienen ist. Er
ist einer der relativ wenigen linken Autoren und Denker im heutigen
Deutschland, die sich selbst als pro-israelisch bezeichnen und die
eine linksorientierte Kritik an die Antiglobalisierungs-Linke im
heutigen Europa gerichtet haben. Außerdem forscht er für seine
Doktorarbeit über deutschsprachige zionistische Zeitungen in den
1930er Jahren.
Wann haben
Sie bemerkt, dass das irakische Regime nicht einfach nur eine
weitere Diktatur im Mittleren Osten ist?
"Das war, als
ich das erste Mal in den Irak kam. Damals bemerkte ich sehr schnell,
dass ich die Situation dort nicht mit anderen Ländern im Nahen und
Mittleren Osten - wie z. B. Syrien, Jordanien oder Ägypten -, in
denen ich gewesen war, vergleichen konnte. Der Irak war die Hölle.
Wir waren die einzigen Europäer in einer Stadt namens Amara im
schiitischen Gebiet des Südirak, in der Nähe von Basra. Wir kamen
dort nur ein paar Wochen nach dem Niederschlagen des Aufstandes an.
Es gab einen Panzergürtel rund um die Stadt. Die Mehrheit der
Gebäude war ausgebrannt. Es gab kein Essen auf dem Markt. Es gab
auch einen hohen Prozentsatz an Unterernährten.
Die Menschen
im Irak sprechen nicht offen, weil sie Angst haben, ihre Freunde
könnten für einen von Saddams neun schrecklichen Geheimdiensten
arbeiten. Wegen dieser Atmosphäre benötigten wir drei oder vier
Monate, bis wir einige Details über den Aufstand erfuhren. Die
Iraker haben die Menschen gezwungen, sich auf die Straße zu legen
und haben sie dann lebend unter Asphalt begraben. Weil es ein
schiitisches Gebiet war, töteten sie jeden, der auch nur ein
bisschen religiös aussah. Es war verboten, die Leichen von der
Straße zu holen. Alles in allem wurden in diesem Gebiet im Jahr 1991
etwa 60.000 oder 70.000 Menschen getötet.
Das erste, was
nach dem Niederschlagen des Aufstandes getan wurde, war das Erneuren
der Bilder von Saddam Hussein. Menschen hatten sie mit Kugeln
durchsiebt. Wir waren schockiert, wie vernachlässigt der Süden war.
Es gab dort nur ein offenes Abwassersystem, obwohl das Gebiet reich
an Öl ist. Saddam sagte vor dem Niederschlagen des Aufstandes, dass
diese Schiiten schmutzige Menschen und keine richtigen Iraker seien.
Im Oktober 1991 haben wir das Gebiet schließlich verlassen, weil wir
das Gefühl hatten, wir unterstützten unfreiwillig die irakische
Regierung, wenn wir mit unserer Arbeit fortfahren."
Wie war
damals die Atmosphäre in Bagdad?
"Bagdad war
etwa 300 km entfernt. Wir waren ziemlich oft dort, etwa um eine gute
Mahlzeit zu haben, um uns mit anderen Organisationen zu treffen oder
um einen Anruf nach Deutschland zu tätigen. Wie ein BBC-Reporter
kürzlich sagte, ist die Angst im Irak so offensichtlich, dass man
sie förmlich essen kann. Es ist wirklich unbeschreiblich. Syrien ist
auch eine Diktatur, doch im Irak reichen die Angst und die Kontrolle
bis ins Wohnzimmer hinein. Wenn man kein Bild von Saddam Hussein im
Wohnzimmer hängen hat, muss man damit rechnen, verhaftet zu werden.
Es gibt keine Privatsphäre. Die irakische Regierung hält alles für
politisch. Solange man in Syrien kein Mitglied der Opposition ist,
kann man sich zurücklehnen. Man weiß, dass man nicht belästigt wird.
Doch wenn man im Irak zur falschen Zeit am falschen Ort ist, kann
man verhaftet, gefoltert und getötet werden.
Als wir 1991
im Süden Iraks waren, hatten wir viele Gespräche mit einem sehr
netten und gebildeten Arzt. Eines Tages sah er fern und die
irakische Armee wurde dafür gelobt, dass sie den zweiten Teil des
Golfkrieges gewonnen hatte (nach dem anfänglichen US-Angriff, der
darauf gezielt hatte, die Iraker aus Kuwait zu vertreiben). Der Arzt
sagte nur: ‚Nun, das ist ein seltsamer Sieg, wenn Kinder täglich an
Hunger sterben.‘ Das reichte aus. Jemand hörte ihn. Er wurde
verhaftet, drei Wochen lang gefoltert und kam als gebrochener Mann
zurück. Wenn ein Mensch einen Satz unbedacht von sich gibt, reicht
das aus, um in einem irakischen Gefängnis zu verschwinden und sogar,
um getötet zu werden."
Sie sagten,
laut Schätzungen hat Saddam seit 1979 annähernd 1 Million seiner
eigenen Landsleute umgebracht.
"Ja, diese
Zahl umfasst Kurden, Schiiten, Christen und Sunniten. Es gab zwei
große Massaker. Einmal die sogenannte "Anfal-Kampagne" gegen die
Kurden Ende der 1980er Jahre. Dabei wurden 4.000 Dörfer zerstört und
etwa 100.000 bis 150.000 Menschen getötet, manche mit Giftgas. Etwa
eine Million Menschen wurden in internes Exil geschickt. Das andere
große Massaker geschah in den 1990er Jahren im Süden, wo das Regime
in den letzten zehn Jahren etwa 300.000 Schiiten tötete. Außerdem
gab es in den letzten zwei Jahrzehnten große Massaker an
Kommunisten.
Die Schätzung
von einer Million Getöteten betrifft nur Zivilisten. Im
Iran-Irak-Krieg wurden eine Million irakische Soldaten getötet. Eine
halbe Million Iraker starben wegen der Iraksanktionen an Hunger und
Krankheiten, und weitere wurden im Golfkrieg getötet. Etwa 1,5 bis 2
Millionen Menschen wurden innerhalb des Landes vertrieben. Und auf
dem gesamten Globus sind 4,5 Millionen irakische Flüchtlinge
verstreut. Zehn Prozent der irakischen Bevölkerung wurden während
der Herrschaft Saddam Husseins getötet oder deportiert. Das ist das
Wesen dieses Regimes. Es geschieht nicht zufällig, sondern
systematisch."
Welche
Ideologie verbirgt sich hinter Saddam Husseins Regime?
"Die
Ba’ath-Ideologie vermischt Pan-Arabismus mit der Bewunderung von
Mussolini und Hitler, einigen Gedanken des staatlichen Sozialismus
und der Idee einer arabischen Vormachtstellung, die realisiert
werden soll, nachdem die Araber sich von ausländischem Einfluss
–womit hauptsächlich der jüdische gemeint ist- und britischem und
amerikanischem Imperialismus befreit haben. Die Ba’ath-Ideologie ist
sehr antikommunistisch und antiimperialistisch und von Anfang an
antisemitisch. Alles im Irak wird mit der Theorie einer gewaltigen
Verschwörung gegen die Araber im allgemeinen und gegen den Irak im
besonderen erklärt. Es herrscht der Gedanke vor, dass der Irak die
größte arabische Nation und der naturgegebene Führer der arabischen
Einheit ist."
Also sieht
sich der Irak als Zentrum der arabischen Welt?
"Ja, als
Führer der arabischen Einheit. Saddam Hussein träumt davon, eine
einheitliche arabische Nation zu regieren, die eine den Osten und
den Westen konfrontierende Supermacht ist. Irakischen Kindern wird
im Kindergarten beigebracht, dass sie starke arabische Kämpfer sein
müssen."
Ist der
irakische Ba’athismus islamistisch?
"Der
Pan-Arabismus hat immer gesagt, dass Mohammed der Ahnherr des
Pan-Arabismus ist und dass der Islam entwertet wurde, als dieser die
Grenzen der arabischen Welt überschritt und Einzug in den Iran und
in die Türkei gehalten hat. Die Aufgabe besteht nun darin, den
wahren Islam, der von Mohammed als eine arabische Ideologie gelehrt
worden war, zu "reanimieren". Besonders während des
iranisch-irakischen Krieges, als der Irak der iranischen Revolution
gegenüberstand, füllte er die eigene Ideologie mit islamischem
Inhalt. Man sagte, die Iraner und die Zionisten seien Teil einer
2.000 Jahre alten Verschwörung, den Irak zu zerstören und die Araber
zu entzweien. ‚Wir kämpfen für den wahren Islam‘, sagte das Regime,
‚nicht für die Art des verdorbenen Islam, den der Iran
repräsentiert.‘ Ich denke, die Amerikaner machten einen Fehler, als
sie glaubten, der Irak sei ein Bollwerk gegen den Islam."
Ist es
vorstellbar, dass Al Qaida und der Irak zusammen gearbeitet haben?
"Saddam
Hussein und Osama bin Laden haben die gleichen Feinde und die
gleichen Verschwörungstheorien. Sie teilen den Anspruch, im Namen
der arabischen Massen zu kämpfen. Beide Männer sind im gleichen
vergifteten Klima einer arabischen Diktatur aufgewachsen. Ihre
Ideologien liegen nahe beieinander, auch wenn Saddam kein Islamist
ist. Da er viele Terrororganisationen unterstützt, wäre ich nicht
überrascht, wenn es enge Verbindungen zwischen dem Irak und Al Qaida
gäbe.
Ich denke,
dass Osama bin Laden versucht, in den Fußspuren von Saddam Hussein
zu gehen. Gleichzeitig versuchte Saddam Hussein in den 1990er
Jahren, die Verbindungen zwischen irakischen und islamischen
Bewegungen zu festigen. Er nahm "Allah akhbar" (Allah ist groß) in
die irakische Flagge auf und finanzierte verschiedene islamische
Gruppen in Palästina und an anderen Orten der arabischen Welt. Es
gibt ein terroristisches Trainingszentrum in Bagdad namens
"Salmanpak". Laut der irakischen Opposition wurden Mitte der 1990er
Jahre Terroristen aus anderen Ländern in diesem Zentrum ausgebildet,
und zwar in "Fertigkeiten" wie Flugzeugentführungen und der
Benutzung von chemischen Waffen. Diese Terroristen könnten
zusammenarbeiten. Doch auch wenn sie es nicht tun, sind es doch zwei
Bäume, die in der gleichen Erde wachsen."
Also würden
Sie der Aussage, der Krieg gegen den Irak sei eine Ablenkung vom
Krieg gegen den Terror, den Präsident George Bush ausgerufen hat,
nicht zustimmen?
"Die
amerikanische Politik im Irak besteht aus einer Reihe von großen
Fehlern. Erstens war es ein Fehler, das mörderische irakische Regime
in den 1980er Jahren zu unterstützen, obwohl man damals z. B. von
den Massakern an den Kurden wusste. Zweitens war es ein großer
Fehler, im Jahr 1991 zu verhindern, dass das irakische Volk Saddam
stürzte. Die Amerikaner fürchteten die Demokratie im Mittleren
Osten, sie fürchteten den Zerfall des Irak, weil dies den Iran
gestärkt hätte, also erlaubten sie Saddam den Aufstand
niederzuschlagen.
Mit Regimes
wie dem irakischen wird es im Mittleren Osten keinen Frieden geben.
In einen Friedensprozess kann man kein Regime wie das von Saddam
Hussein einschließen. Diesbezüglich hat der Westen einen Fehler
gemacht. Also lautet die Frage nun: Ist Amerika bereit, sich den
Fehlern, die es 1991 und in den 80er Jahren gemacht hat, zu stellen?
Sind die Amerikaner bereit, die Demokratie zu unterstützen? Menschen
wie Saddam Hussein und Osama bin Laden entstammen dem Mittleren
Osten. Sie sind kein Produkt Afghanistans."
Welchen
Einfluss hat Saddam auf der arabischen Straße und was würde
passieren, wenn man ihn stürzen würde?
Die
rückläufigsten und gefährlichsten Elemente in der arabischen und
islamischen Welt hängen von Saddam Hussein ab. Ein wirklicher Sturz
Saddam Husseins bedeutet die Entwurzelung des Ba’ath-Regimes mit der
Hilfe des irakischen Volkes. Dies würde dem Pan-Arabismus im
Mittleren Osten den vernichtenden Schlag versetzen. Syrien und eine
Reihe von sehr radikalen Gruppen in Palästina, Libanon, Ägypten und
den Golfstaaten wären davon betroffen. Diese Gruppen sehen zu Saddam
Hussein als einem pan-arabischen, antiimperialistischen Helden auf,
obgleich er ein Antiimperialist im Sinne der Nazis und nicht der
Linken ist. Saddam finanziert übrigens auch Organisationen wie die
Arabische Befreiungsfront (Arab Liberation Front, ALF) in Palästina,
die eine Ba’ath-Organisation ist. Er bezahlt die Familien von
Selbstmordattentätern. Er ist direkt und indirekt für eine Menge
Terror im Nahen und Mittleren Osten verantwortlich."
Wie ist
seine Beziehung zu Yassir Arafat und der PLO?
"Teile des
palästinensischen Verwaltungsapparates haben seit 1991 sehr enge
Beziehungen zum Irak. Damals entschieden die Palästinenser, Saddam
zu unterstützen, was ein großer Fehler war. Auch einige besonders
einflussreiche Personen innerhalb des Sicherheitsapparates von
Yassir Arafat und der PLO sind unter denen, die sehr enge
Beziehungen haben. Innerhalb der palästinensischen Institutionen
gibt es gerade jetzt einen Kampf darum, ob diese Personen isoliert
werden sollten. Ich denke, dass bestimmte Leute wie Abu Mazen und
einige der Sicherheitskräfte, die vom CIA ausgebildet wurden, gegen
andere kämpfen, die sehr eng mit Bagdad verbunden sind und die im
nächsten Gefecht immer noch dem Irak beistehen wollen, und zwar
durch Terroranschläge oder durch schlimmeres, wie z. B. chemische
oder biologische Angriffe auf Israel oder auf sonstige Ziele in der
Welt. Dies wäre, wie ich meine, ein weiterer schrecklicher Fehler
für die Palästinenser."
Was muss
getan werden, um am Tag nach Saddams Abgang den richtigen
Unterschied zwischen einer bloßen Ausschaltung des irakischen
Regimes und einem völlig neuen und demokratischen Start zu machen?
"1991
fürchteten die Amerikaner die Auswirkungen eines öffentlichen
Aufstandes. Sie hofften, jemanden innerhalb des Militärs zu finden,
der Saddam Hussein stürzen und den Irak nach einigen kosmetischen
Änderungen, doch mit dem gleichen Sicherheitsapparat, regieren
könnte. Diese Hoffnung erwies sich als falsch, denn seit 25 Jahren
versucht Saddam, jeden loszuwerden, der eine Bedrohung für ihn und
seine Position darstellt. Jeder einflussreiche General wurde
getötet. Unter hochrangigen Mitgliedern der Ba’ath-Partei werden
alljährliche Säuberungsaktionen durchgeführt, so dass niemand die
Position von Saddams Familie, die mehr oder weniger den Irak
regiert, gefährden kann. Die Falken in den USA, also Leute wie
Donald Rumsfeld, Dick Cheney oder Richard Perle, analysierten die
Situation und realisierten, dass sie nicht einfach jemanden an der
Spitze austauschen können. Es ist nicht wie in einer
südamerikanischen Diktatur. Wenn man wirklich eine Veränderung
möchte, muss man einen neuen Irak schaffen.
Der Irak ist
so rücksichtslos und grausam gegenüber jeder Opposition, dass sich
das Volk nur mit Hilfe von außen widersetzen kann. In diesem Fall
wird das Volk die Ba’ath-Partei entmachten und sogar persönliche
Rache am regierenden Regime nehmen; es wird danach keine
Ba’ath-Partei mehr geben. Also muss man wirklich darüber nachdenken,
was hinterher getan werden muss. Die einzig tragbare Alternative
ist, eine Demokratie zu schaffen, was ein wirkliches Experiment
wäre, denn in dieser Region gibt es nichts, was einer Demokratie
auch nur annähernd gleicht. Der Irak betrachtet sich selbst als
arabisches Land. Tatsächlich leben dort all die unterschiedlichen
Minderheiten und ethnischen Gruppen des Nahen und Mittleren Ostens.
Wenn die Sache
also wirklich von Grund auf getan wird, ist es der erste Schritt zur
Schaffung eines neuen Mittleren Ostens. Eine Demokratie in dieser
Region wird die anderen Länder sehr stark beeinflussen. Sie ist eine
große Herausforderung und ein Experiment. Die Frage ist: Wissen die
Amerikaner, was sie dort tun sollen? Denn die Türkei, der Iran und
Europa werden alle versuchen, ihre eigenen politischen Vorstellungen
in diese Region einzubringen. Der Irak ist ein Land, das reich an Öl
ist, und niemand weiß, ob dieses große Vorhaben nicht in einer
Katastrophe enden wird."
Hat der
Irak eine nationale Identität, die eine Demokratie bilden könnte?
Oder sind die Ängste, dass die Schiiten und die Kurden sich
abspalten werden, berechtigt?
"Der Irak ist
in der arabischen Welt ziemlich einzigartig. Zunächst einmal hat man
bereits eine lange Tradition der Opposition gegenüber dem zentralen
Regime. Und man hat die Tradition einer nationalen Identität. Selbst
die Kurden im Irak wollten sich –im Gegensatz zu ihren kurdischen
Brüdern in der Türkei- niemals abspalten. Sie wollen einen
föderativen Irak mit starker kurdischer Autonomie. Ich denke auch
nicht, dass sich die Schiiten abspalten wollen. Die Schiiten stellen
die Mehrheit im Irak. Was sie möchten, ist ein größerer Einfluss in
Bagdad. Aufgrund meiner Erfahrung, die ich durch das Leben im Irak
habe, denke ich nicht, dass sich die Schiiten des Irak vom
Mullah-Regime des Irans angezogen fühlen. Man hat im Irak auch eine
starke linke Tradition, hauptsächlich an Orten wie Basra und Amara.
Und der Irak hat eine der ältesten und stärksten kommunistischen
Parteien des Mittleren Ostens. Diese Partei wurde zwar durch die
Ba’ath-Partei stark unterdrückt, existiert jedoch immer noch.
Ich denke,
dass die kurdische Autonomie ein positives Beispiel für den Irak
ist. In Kurdistan herrschen schreckliche Zustände. Es ist
international nicht anerkannt. Es befindet sich mehr oder weniger
unter einem doppelten Embargo: da sind zum einen die internationalen
Sanktionen gegen den Irak und zum anderen einige interne Sanktionen
der zentralen Regierung. Die Türkei, der Iran und Syrien versuchen,
Kurdistan zu destabilisieren. Doch selbst unter diesen furchtbaren
Umständen sind die Kurden fähig etwas aufzubauen, was zwar keine
wirkliche Demokratie ist. Doch es ist ein Ort, der –Israel
ausgenommen- der liberalste und freieste im Nahen und Mittleren
Osten ist. Es gibt dort eine Menge Zeitungen und bis zu einem
gewissen Grad Redefreiheit –es ist nicht erlaubt, kurdische
politische Führer zu beleidigen-. Im Vergleich zum Irak kann man
Kurdistan auf jeden Fall als "Paradies" bezeichnen. In gewissem Maße
gibt es dort eine Demokratie. Wenn die Kurden fähig sind so etwas zu
tun, warum sollten es –mit ausländischer Hilfe- nicht auch die
Iraker sein?"
Sind Sie
für einen Krieg gegen den Irak?
Ich bin so
lange nicht für einen Krieg, bis die Amerikaner bekannt geben, wie
sie diesen Krieg zu führen gedenken. Man muss vor allem auch in
Betracht ziehen, was der libanesische Intellektuelle Fouad Ajami
sagte, dass nämlich der Irak seit 30 Jahren einen Krieg gegen seine
eigene Gesellschaft führt. Saddam Hussein führt einen Krieg gegen
sein eigenes Volk und dieser muss gestoppt werden. Es ist schwer,
ein anderes Volk zu finden, das in den letzten zwanzig Jahren so
sehr gelitten hat wie das irakische unter den Händen Saddam Husseins
und unter der internationalen Politik und deren Ziel, Saddam zu
beherrschen. Wenn die Amerikaner wirklich bereit sind, ihn zu
stürzen, könnte das sehr gut für das irakische Volk und für die
Region sein. Doch wenn die Amerikaner nur einen anderen dummen Krieg
wie im Jahr 1991 beginnen, bin ich dagegen.
In diesem
Augenblick, in dem wir uns hier unterhalten, gibt es eine große
Arabisierungskampagne gegen die Kurden, die in Karkuk leben.
Menschen werden systematisch deportiert, weil das Regime eine
kurdische Stadt in eine arabische verwandeln möchte. Es gibt auch
gewaltige Kampagnen zur Säuberung von Gefängnissen. Jeden Mittwoch
kommen Sicherheitskräfte in die größten Gefängnisse Bagdads und
sagen: Du, du, du und du. Fünfhundert Menschen werden herausgenommen
und getötet, nur weil die Gefängnisse überfüllt sind. Der irakische
Nationalkongress sagt, dass es derzeit 600.000 bis 700.000
politische Gefangene in irakischen Straflagern gibt.
Also ist die
Frage: Sind sie wirklich bereit, die Demokratie im Mittleren Osten
zu unterstützen? In diesem Fall denke ich, dass ein Krieg notwendig
und richtig ist. Oder wollen sie anstelle von Saddam nur einen
schrecklichen General einsetzen? Wenn ja, bin ich gegen diesen
Krieg."
Während des
Golfkrieges im Jahr 1991 verzichtete Israel nach den
Raketenangriffen des Irak auf Vergeltungsschläge. Wie sollte Israel
dieses Mal reagieren, falls es angegriffen werden würde?
"Die
überwältigende Mehrheit der Iraker sind Verbündete der Amerikaner.
Wenn der Krieg korrekt geführt wird, wird er sich auf das Regime
konzentrieren, auf die Führer, auf den Sicherheitsapparat und auf
die schreckliche Ba’ath-Partei, jedoch nicht auf das irakische Volk.
Wenn also Israel angegriffen wird, sollte es diesen Punkt
berücksichtigen: Dies ist ein Krieg gegen das Regime, und das
irakische Volk ist ein Verbündeter im Kampf gegen Saddam Hussein.
Somit ist es äußerst wichtig, keinen Vergeltungsschlag gegen
Zivilisten zu richten. Es gab eine Diskussion darüber, ob Israel mit
Atombomben gegen den Irak vorgehen wird, falls es mit
Massenvernichtungswaffen angegriffen werden sollte. Dies wäre ein
Desaster – das Ende der Demokratisierung des Mittleren Ostens. Jeder
wäre gegen die irakische Opposition und gegen Israel. Wenn es für
Israel notwendig sein sollte, zurückzuschlagen, dann sollte dies nur
gegen militärische Ziele geschehen. Israel sollte öffentlich
erklären, dass es keinen Krieg gegen das irakische Volk führt und
dass es bereit ist, eine multi-ethnische Demokratie im Irak zu
unterstützen. Israel sollte erklären, dass es nur gegenüber der
irakischen Regierung feindlich gesinnt ist, gegenüber dem irakischen
Volk jedoch freundlich."
Wie ist die
Haltung des befreiten Kurdistan gegenüber Israel und den USA?
"Die USA
schufen das teil-autonome Gebiet im Jahr 1991 nicht für die Kurden,
sondern um den Iran und die Türkei vor dem Zustrom der Flüchtlinge
zu bewahren. Doch die Menschen wissen, dass sie von den USA
beschützt werden und sie haben ihr gegenüber eine positive Haltung.
Ich verbrachte den 11. September 2001 in Kurdistan vor dem
Fernsehen. Am nächsten Tag durchquerte ich Syrien und reiste nach
Jordanien. In Syrien erzählten mir die Menschen, dass die
Geschehnisse des 11.9. eine Verschwörung gegen die Araber sei. In
Kurdistan waren die Menschen tief schockiert und sie empfanden
Mitleid für die Opfer des Angriffs auf das World Trade Center.
Bezüglich
Israels ist es erstaunlich: Den Kurden wurde in irakischen Schulen
beigebracht, dass die Juden und Israel der Hauptfeind sind,
Blutsauger, Teil einer großen Verschwörung. Doch ich fand keine
einzigen wirklich antiisraelischen Gefühle und Meinungen vor. Es gab
Kritik an der Besatzung, an den Siedlungen; ja, diese Kritik gibt es
zum Teil, und ich denke, dass diese legitim ist. Doch es gibt keine
antisemitische Verschwörungstheorien. Tatsächlich beginnen die
Menschen in Kurdistan derzeit, die Massenauswanderung der kurdischen
Juden in den 1950er Jahren zu reflektieren. Damals verließen 99
Prozent der Juden das Land, die meisten in Richtung Israel. Oftmals
habe ich Kurden sagen hören, es sei traurig, dass dieses
Zusammenleben aufgehört hätte und dass das jüdische Erbe Kurdistans
bewahrt werden sollte.
Man muss bei
allem die Dynamik verstehen. Beinahe jede Woche verkündet Saddam
Hussein oder ein führendes Ba’ath-Mitglied, dass Irakisch-Kurdistan
das Israel des Irak sei. Oder die Kurden werden beschuldigt,
zionistische Agenten zu sein. Das gleiche wird über jede
Oppositionspartei gesagt, ob sie nun islamistisch, nationalistisch,
kommunistisch oder christlich ist. Menschen, die eigentlich
antizionistisch sind, wie z. B. die irakischen Kommunisten, kommen
als zionistische Spione ins Gefängnis, werden gefoltert und getötet.
Das zwingt die Menschen, eine andere Einstellung gegenüber der
ganzen Verschwörungstheorien, die im Mittleren Osten die Politik
bestimmen, zu bekommen. Ich denke dies ist auch einer der Gründe,
warum irakische Intellektuelle im Ausland weit weniger
antiisraelisch eingestellt sind als andere arabische Intellektuelle.
Die Iraker sind viel mehr gegen den Pan-Arabismus und gegen den
Ba’athismus als gegen Israel. Deshalb mag es für Israel eher möglich
sein, einen Weg zu finden, um mit einer zukünftigen irakischen
Regierung zusammenzuarbeiten als mit jeder anderen Regierung in
dieser Gegend. Wenn die Kurden in Bagdad stark werden, werden die
Juden keinen irrationalen antijüdischen Gefühlen und Meinungen
gegenüberstehen."
Was ist
Ihre Meinung, warum sich die deutsche Politik gegen die
amerikanische Intervention im Irak richtet?
"Deutschland
zieht einen großen materiellen Nutzen aus der Beziehung zum Irak.
Man sollte nicht vergessen, dass es die deutsche Technologie dem
Irak ermöglichte, die Reichweite der Skud-Raketen zu vergrößern, so
dass Raketen auf Israel abgefeuert werden konnten. Man sollte auch
nicht vergessen, dass es dem Irak ohne deutsche Hilfe nicht möglich
gewesen wäre, iranische Soldaten oder das eigene Volk in Kurdistan
mit Gas zu vergiften oder Israel mit diesem Gas zu bedrohen.
Infolgedessen sind die Beziehungen tief. Der Iran, Libyen und Syrien
haben auch diese Beziehungen zu Deutschland, doch besonders der
Irak. Die deutsche Politik hat immer ihre Eier in Saddams Korb
gelegt und aus dem Handel mit dem Irak Gewinn gezogen, besonders
nach 1991, als Amerika und England den Irak verlassen hatten.
Auch die
Ideologie ist wichtig, besonders in solchen Zeiten wie während der
letzten Wahlkampagne, als die Sozialdemokraten begannen, die
antiamerikanische Melodie auf dem Klavier zu spielen. Es gibt sehr
enge Verbindungen zwischen einer bestimmten deutschen Ideologie, die
ihren Beginn im 19. Jahrhundert hatte, den Ersten Weltkrieg
überlebte, im Zweiten Weltkrieg mit den Nazis eskalierte und auch
danach weiterging, und dem Pan-Arabismus. Eine Ideologie, die die
gleichen Feinde hat: Amerika, die Juden, Israel. Antiamerikanische
und antiisraelische Ressentiments sind in Deutschland sehr stark und
haben seit 1989 zugenommen.
Saddam Hussein
wird in Deutschland nicht unbedingt als mörderischer Diktator
angesehen, der sein eigenes Volk umbringt. Die Menschen tadeln die
Sanktionen und nicht ihn. Und die Menschen geben vornehmlich der
israelischen Besatzung die Schuld für die Lage im Nahen und
Mittleren Osten und nicht den palästinensischen Terroristen oder
Saddam, die die Region ständig destabilisieren. Außerdem haben viele
Deutsche seit 1945 sehr starke Antikriegsgefühle, besonders wenn
diese Kriege von den USA geführt werden. Die Mehrheit der Deutschen
war gegen den zweiten Teil des Golfkrieges. Es gab gewaltige
Demonstrationen dagegen. Nun ist diese Opposition noch stärker, weil
Deutschland stärker geworden ist.
Deutschland
hat nun seine eigene, unabhängige Außenpolitik, die in den letzten
zwei bis vier Jahren einfach stark von der Außenpolitik der USA
abhob. Wenn die USA eine Regierung unterstützt, unterstütze
Deutschland die Gegner dieser Regierung. Im Nahen und Mittleren
Osten versucht man, die Beziehungen zu Syrien, Libanon, den
Palästinensern und dem Irak zu verbessern. Außerdem haben die
Deutschen Angst vor den Archiven in Bagdad und was diese über das
Giftgas und weiteren Waffenhandel zwischen dem Irak und vielen
deutschen Unternehmen aussagen können."
Also haben
sowohl die Linke wie die Rechte in Deutschland starke
antiamerikanische Empfindungen?
"Antiamerikanische und antiisraelische, antisemitische. Zur Zeit
kann man kaum zwischen dem extrem rechten und dem extrem linken
Flügel unterscheiden. Der extrem rechte Flügel unterstützt Saddam
Hussein offen, indem er sagt, dieser kämpft gegen die Juden und die
Amerikaner und unterstützt somit den deutschen Kampf. Und gewisse
Leute des extrem linken Flügels, die aus einer orthodoxen linken
Tradition kommen, denken, dass Saddam Hussein antiimperialistisch
und ein Globalisierungsgegner ist, dass er für das Recht auf
Selbstbestimmung der Araber kämpft. Andere Leute des linken Flügels
sagen, dass Saddam zwar schrecklich sein mag, dass jedoch ein
weiterer amerikanischer Krieg keinerlei Probleme lösen wird. Der
Krieg wird nur Israels Interessen unterstützen, also muss man ihn
ablehnen. Dies ist derzeit auch die Politik der Regierung."
Die Linke
Europas und der Dritten Welt hat eine Ideologie entwickelt, die
Antiglobalisierung, Antiamerikanismus, antiisraelische Empfindungen
und bis zu einem gewissen Grad Antisemitismus vereint. Welche Logik
verbirgt sich hinter dieser Kombination?
"Dies ist kein
ganz neues Phänomen. In der deutschen Linken gab es diese
Einstellungen bereits in den 1920er Jahren in Form einer ‚verkürzten
Kapitalismuskritik‘, die sehr stark zwischen finanziellem und
produktivem Vermögen unterschied und das finanzielle Vermögen
dämonisierte. Dieser Gedanke wurde später von den Nazis übernommen.
Er ist in sich selbst antisemitisch, denn Juden werden mit Geld und
Vermögen und mit Banken gleichgesetzt. Wer immer Kapitalismus nicht
auf marxistische Art und Weise, sondern nur die oberflächlichen
Aspekte desselben kritisiert –also die großen Banken und das Monopol
der Kapitalisten-, benutzt automatisch eine antisemitische
Ausdrucksweise, selbst wenn dabei nicht über Juden oder über Israel
gesprochen wird. Dies findet sich auch in Teilen der
Antiglobalisierungsrhetorik wieder.
Derartige
Assoziationen sind in der europäischen und besonders in der
deutschen Geschichte so tief verwurzelt, dass man antisemitisch sein
kann ohne dabei Juden zu erwähnen. Diese Art zu denken wurde in
bestimmten leninistischen Gruppen lebendig erhalten, während der
1960er und 1970er Jahre auch im ganz rechten Flügel. Nun entwickeln
sich diese Gedanken mehr oder weniger in Bewegungen der politischen
Mitte. Es ist immer die Frage, ob diese Ressentiments, die ziemlich
verbreitet sind, als Tabu zu betrachten sind oder ob die Regierung
signalisiert, dass sie öffentlich geäußert werden können. Bis 1989
waren Antisemitismus und Antiamerikanismus ein Tabu in Deutschland.
Diese Ansichten fanden ihren Raum nur auf dem linken und auf dem
rechten Flügel. In der politischen Mitte der Gesellschaft waren sie
zwischen den Zeilen der Nachrichten und Ausdrucksweisen versteckt.
Durch eine neue internationale Konstellation gibt es dieses Tabu
nicht mehr, weshalb diese Gedanken auch in der politischen Mitte
gefunden werden können.
Also hat man
mehr oder weniger den gleichen Gedanken, der seit den 1920er Jahren
existiert: es gibt einen globalen Kampf, in dem die ‚guten‘ Völker,
die die Kolonisation bekämpfen, einer Verschwörung der
Amerikagläubigen, der Banken und der Juden gegenüber stehen, die die
Welt zwingen wollen, sich einem universellen Kapitalismus
anzupassen. Damals wurden die Juden außerdem beschuldigt, die
Lieferanten des globalen kommunistischen Prinzips zu sein. Doch seit
1989 ist das vergessen. Diese alten Gedanken wurden jetzt durch die
ethnischen Konflikte im Balkan, durch die Konflikte im Nahen und
Mittleren Osten und ganz besonders durch den 11. September
wiederbelebt, als man auf den Konflikt zwischen den Palästinensern
und Israel und auf den Konflikt zwischen dem Irak auf der einen
Seite und Amerika und Großbritannien auf der anderen Seite
fokussiert war."
Wenn man
den unverhohlenen Antisemitismus einmal beiseite lässt – welches ist
für Sie, als Marxist, der primäre Fehler dieser Ideologie, die die
USA als Lieferanten des globalen Kapitalismus angreift?
"In dem
Moment, in dem diese Antiglobalisierungsideologie Hamas, Saddam
Hussein, Osama bin Laden, nationalistische Bewegungen auf dem
Balkan, die Zapatisten in Mexiko und die rechten Neonazis, die sehr
aktiv in Antiglobalisierungsbewegungen sind, zusammenbringt,
bedeutet das, dass nicht für eine universelle Freiheit, für
Befreiung und Emanzipation gekämpft wird, sondern dass wieder
antiuniversalistische, antisemitische Stereotypen produziert werden,
die nur zu Barbarei führen. Rosa Luxemburg sagte einmal, die Frage
sei: Sozialismus oder Barbarei? Diese Frage ist immer noch
berechtigt. Doch ich denke, derzeit sollte der Kampf darin bestehen,
die westliche Welt gegen diejenigen zu verteidigen, die ihre
Nachfolger sein wollen. Diese Menschen sind –dialektisch betrachtet-
auch die Produkte der westlichen, kapitalistischen Welt. Saddam
Hussein und Osama bin Laden entstammen der schlechten amerikanischen
und europäischen Politik im Mittleren Osten. Sie fielen nicht vom
Himmel.
Trotzdem ist
meine Meinung, dass man derzeit den Westen -was in diesem Fall
Amerika, Großbritannien und Israel bedeutet- in seinem Kampf gegen
seine eigenen Geschöpfe unterstützen sollte. Dann kann man besser
darüber nachdenken, wie eine bessere Welt geschaffen werden kann.
Die Fragen, die die Antiglobalisierungsbewegung stellt, sind sehr
wichtig. Es sind Themen wie Umwelt, Welthunger und die Bereicherung
einer kleinen Minderheit auf Kosten einer großen Mehrheit, die ärmer
wird. Doch solange die Ba’ath-Partei und Hamas mit in diesem Boot
sind, wird man überhaupt nichts ändern. Denn diese sind nicht die
historischen Bewegungen, die den Gedanken der Emanzipation in sich
tragen.
Im Extremfall
hat man eine Konstellation, die an die 1930er Jahre erinnert. Auf
der einen Seite sind die Briten, die Amerikaner und Israel. Die
Juden sind immer im metaphysischen Zentrum dieses Konfliktes. Diese
Seite kämpft für eine kapitalistische westliche Ideologie. Daneben
hat man diese nationalsozialistischen Selbstbestimmungsgedanken, die
immer von den Deutschen getragen werden. Im Jahr 1939 sagten die
Deutschen, sie kämpften gegen den universellen Kapitalismus und für
die Selbstbestimmung der Dritten Welt. Sie hatten eine sehr
antikolonialistische Ausdrucksweise. Man kann die gleichen Worte und
die gleichen Ausdrücke, die heute benutzt werden, in den 1940er
Jahren finden, als die Deutschen die indischen und arabischen
Aufstände gegen die Briten unterstützt hatten. Selbst Frankreich ist
wieder in der gleichen Position – es unterstützt Großbritannien und
die USA nur halbherzig.
Vor zehn Jahren dachte jeder, Deutschland sei ein
enger Verbündeter der USA und würde deren Politik unterstützen. Doch
dem ist nicht so. In diesem Konflikt signalisiert Deutschland, dass
es auf der anderen Seite steht. Überall im Mittleren Osten, ob in
der syrischen Presse, in der Presse der Hisbollah oder in der Presse
in Bagdad, wird Deutschland dafür gepriesen, dass es die gleiche
Seite einnimmt wie vor gut 50 Jahren. Die Menschen verstehen, was
Deutschland tut. Und ich denke, das ist äußerst interessant – und
äußerst erschreckend."
hagalil.com
26-10-02 |