Schröder in der Rolle Chiracs:
Europa wird sich erst im letzten Moment zum Einsatz melden
Eldad Beck, Jedioth achronoth
Dinge, die man von hier sieht, sieht man vom
weit entfernten Amerika nicht. Das ist das Gefühl der meisten
europäischen Führer im Zusammenhang mit der geplanten amerikanischen
Offensive im Irak, und das ist auch der Grund ihrer distanzierten
Reaktion auf den Kampfschrei von Präsident Bush, der von manchen
sogar völlig abgelehnt wird.
Mit Ausnahme der Briten und der Italiener zögern
die meisten Europäer, sich der amerikanischen Kriegskampagne
anzuschließen. In Europa hat man eine apokalyptische Vision von
Kriegen.
Man hat Angst vor den Reaktionen in der arabischen
Straße auf einen internationalen Angriff gegen den „irakischen
Bruder“, vor gefährlicher Gärung in den gemäßigten arabischen
Staaten, die bis nach Europa dringen könnte, wo ja heute Millionen
Moslems leben.
Und es gibt auch die noch frischen Lehren, die aus
den militärischen Aktionen in Afghanistan gezogen wurden, wo die
Arbeit der internationalen Koalition noch weit von einem Abschluss
entfernt ist.
Unter diesen Umständen ziehen es die Europäer vor,
keine zusätzliche problematische Front zu eröffnen. Überhaupt
begegnen die Europäer den diversen Versuchen, die Gestalt des Nahen
Ostens nach einer Entfernung Saddams zu verändern, mit Misstrauen.
Wie zum Beispiel dem Plan, den irakischen Thronfolger, Sharif Ali
Ben Hussein, in den Irak zurückzubringen. Die Wiederherstellung des
haschemitischen Imperiums, das den Irak, Jordanien und vielleicht
auch Palästina vereinen würde, erscheint den Europäern, die
eigentlich eine romantische Einstellung zum Orient haben, wie eine
Wahnvorstellung Onkel Sams.
Schröder in der Rolle Chiracs
Ein politischer Berater der deutschen Regierung
kam diese Woche überrascht von einer internationalen Konferenz
seiner Kollegen in London nach Berlin zurück. „Fast alle Anwesenden
teilten die Meinung, dass Saddam Hussein in drei Monaten schon
Geschichte sein wird. Und ohne auf die technischen Einzelheiten
einzugehen- die Möglichkeit scheint durchaus plausibel.“
Das Gespräch mit dem Berater fand wenige Stunden
vor dem Eintreffen der irakischen Erklärung bezüglich der
Waffenkontrolleure statt. Diese Erklärung wurde im Kanzleramt in
Berlin und in den anderen europäischen Hauptstädten mit einem
Aufatmen vernommen, wo der Countdown zu einer amerikanischen
Offensive bereits begonnen hatte. Kanzler Schröder, der sich in der
Endphase des Wahlkampfes befand, ist zunehmender Kritik im In- und
Ausland ausgesetzt, nachdem er seine Ablehnung der amerikanischen
Offensive in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gesetzt hatte.
Nach seiner Wiederwahl wird es sicherlich nicht
leicht werden, den pazifistischen Schuldschein einzulösen. Er hofft
also inbrünstig, dass die Waffenkontrolleure tatsächlich in den Irak
zurückkehren und dort ungestört arbeiten werden.
Viele werfen Schröder heute vor, er betreibe
„Friedenspopulismus“. Und zweifelsohne hat er seine Kollegen in der
EU mit seinen extremen Haltungen gegen die amerikanischen Absichten
sehr überrascht. Deutschland galt bisher als verlässlicher
Verbündeter der USA, und plötzlich übernimmt Schröder die Rolle des
„Trotzkopfes“, der bisher Jacques Chirac und Wladimir Putin
vorbehalten war.
Bei einem Gipfeltreffen zwischen Schröder und
Chirac, das im Juli in Schwerin stattfand, fragte ich die beiden,
für wie wahrscheinlich sie einen Angriff auf den Irak halten. Chirac
sagte, er habe gute Gründe zu der Annahme, dass die Iraker den Ernst
der Situation sehr wohl begreifen und sie sicherlich eine Rückkehr
der Kontrolleure ermöglichen werden. Schröder begnügte sich damit,
sich den Worten Chiracs anzuschließen, ohne auch nur anzudeuten,
dass er schon eine Woche später einen persönlichen Kampf gegen das
amerikanische „Abenteuer“ eröffnen wird. Schröder betonte jedoch,
Bush habe ihm versprochen, mit der Offensive bis nach den
Bundestagswahlen zu warten.
Jetzt stellt es sich daran, dass Bush gut daran
getan hat, als er versprochen hat zu warten, denn die Wahlergebnisse
in Deutschland am Sonntag könnten die Zukunft der Beziehungen
zwischen Berlin und Washington beeinflussen. Deutschland erhielt im
letzten Jahrzehnt zwar amerikanische Unterstützung für sein
zunehmendes Selbstbewusstsein auf der internationalen Ebene, aber
Schröder wird nun vielleicht einen hohen Preis für den öffentlichen
Konflikt zahlen müssen, den er in den letzten Wochen mit der
amerikanischen Regierung austrägt. „Bush wird Schröder nie wieder
ernsthaft zuhören“, sagen offizielle amerikanische Stellen.
Die konservative Opposition in Deutschland ist der
Überzeugung, dass Schröder den Beziehungen zwischen den zwei Staaten
großen Schaden zugefügt hat, vielleicht sogar der Zukunft des
atlantischen Bündnisses. Der mythologische Ex-Außenminister
Hans-Dietrich Genscher predigte dem Kanzler: „Deutschland kann
keinen separaten Weg gehen. Nur eine entschlossene Haltung der
internationalen Gemeinschaft kann Saddam Hussein zu Verzichten
zwingen.“
Wie auch immer, in Berlin ist jedem klar, dass,
sollten die Amerikaner angreifen, Deutschland ihnen zur Hilfe kommen
wird. Schon jetzt suchen politische Teams nach Auswegen aus dem
Veto, das Schröder gegen ein militärisches Engagement verhängt hat.
Eine der Ideen: Schröder sagte, Deutschland werde nicht an einer
militärischen Offensive teilnehmen, er sprach jedoch nicht von der
Teilnahme einer „Friedenstruppe“, die nach dem Angriff in den Irak
geschickt werden könnte. Der Sozialist Schröder hat sich darauf
spezialisiert, im Kosovo, in Mazedonien, in Afghanistan. In aller
Stille haben die Deutschen nach dem 11.September auch Truppen im
Persischen Golf stationiert und in den letzten Jahren wurde
Deutschland zum größten Soldatenlieferanten der EU für
internationale Friedensmissionen.
Die Ölpanik der Europäer
Und dann ist da natürlich auch noch die Ölpanik
der Europäer. Der gesamte Kontinent befindet sich in einer
anhaltenden Rezession, deren Ende nicht abzusehen ist. Die
Erwartungen auf einen amerikanischen Angriff könnten die Preise des
schwarzen Goldes in die Höhe treiben, und europäische Wirtschaftler
warnen sogar von einem Anstieg auf 40 Dollar pro Fass. Dies würde
die Aussichten auf Wirtschaftswachstum in Europa zunichte machen.
Die europäischen Führer haben das Gefühl, als
würden sie in eine persönliche Fehde der Familie Bush hineingezogen.
Sie sind nicht bereit, die Horrorszenarien zu akzeptieren, die in
den letzten Wochen aus Washington bezüglich des unkonventionellen
Waffenpotentials der Iraker aus Washington eintreffen. „Er hat uns
nicht überzeugt“, sagte diese Woche der deutsche Außenminister
Joschka Fischer nach der Rede Bush´ in der UNO.
All dies wird der amerikanischen Entschlossenheit
jedoch kaum etwas anhaben können. Die Europäer sind sich ihrer
Grenzen durchaus bewußt, auch der Macht der Amerikaner. Wenn die
Kolonne sich auf den Weg nach Bagdad machen wird, dann werden sich
die Hunde, die jetzt bellen, ihr höchstwahrscheinlich anschließen.
hagalil.com
24-09-02 |