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Trotz des drohenden Krieges lehnt die Bundesrepublik Asylanträge von Irakern ab und sucht keinen Kontakt zur irakischen Opposition.

von thomas uwer

Tatmotiv. Die Aktion sei der erste "Schritt in Richtung Befreiung unseres geliebten Vaterlandes", hieß es im Bekennerschreiben der Besetzer der irakischen Botschaft. Man habe "dem deutschen Volk zu verstehen geben" wollen, "dass unser Volk den Willen zur Freiheit hat."

Den fünf Irakern, die am vergangenen Dienstag in Berlin die Botschaft ihres Landes besetzten und drei Angestellte als Geiseln nahmen, hätte klar sein müssen, dass ihnen nicht unbedingt die Sympathien der Massen zufliegen würden.
Dass sich aber gar niemand finden wollte, der wenigstens Verständnis für die Tat äußerte oder sich zum Fürsprecher aufschwang, verwundert angesichts des Bekennerschreibens. Nach Meinung der Geiselnehmer stand das "ganze irakische Volk" und die exilierte Opposition "geeint und geschlossen" hinter ihnen, als sie gegen 14 Uhr 30 die irakische Botschaft betraten. Zwei Stunden später hatten sich bereits so viele Organisationen von der Aktion distanziert, dass es einsam wurde um die Besetzer und ihre drei Geiseln.

Außerhalb der Botschaft begann derweil die fieberhafte Suche nach Informationen über die "Demokratische Irakische Opposition in Deutschland" (Diod), die selbst den meisten irakischen Gruppen bislang unbekannt war. Einzig Udo Steinbach, der Leiter des deutschen Orientinstitutes in Hamburg, behauptete, er kenne die erst vor vier Wochen ins Leben gerufene Diod "schon seit Jahren". Für weniger visionär Veranlagte stand lediglich fest, dass es sich nicht um eine jener Oppositionsparteien handelte, die im Irak selbst verankert sind.

Zugestehen musste man der Gruppe zumindest ein gewisses politisches Gespür. Denn mit ihrer Aktion platzte sie mitten in den Streit zwischen Deutschland und den USA über einen möglichen Krieg gegen den Irak. Wie angespannt das Verhältnis ist, zeigte nicht zuletzt die Tatsache, dass der Sprecher der US-Regierung, Ari Fleischer, sich zu einer Distanzierung von der Besetzung genötigt sah.

Spekulationen über die "geheimdienstlichen Hintergründe" der Aktion ließen dennoch nicht lange auf sich warten. Zwei Tage nach der Besetzung ließ die Berliner Zeitung den irakischen Geschäftsträger der Botschaft, der unter den Geiseln war, zu Wort kommen. "Zwischendurch bekamen sie ihre Befehle über Handys", erzählt Shamil Mohammed, "vielleicht aus Washington oder Tel Aviv (...) Diese Aktion richtete sich deshalb nicht nur gegen uns, sondern auch gegen Deutschland." Gegenfrage des Redakteurs: "Glauben Sie das wirklich?"

Er glaubt es, und damit dürfte er in Deutschland nicht ganz alleine stehen. Über die irakischen Oppositionsgruppen ist hierzulande kaum mehr bekannt, als dass einige von ihnen Geld von der US-Regierung bekommen sollen. Wenn überhaupt von einer irakischen Opposition die Rede ist, dann im Zusammenhang mit dem möglichen Krieg, den die Bundesregierung, und nach einer Forsa-Umfrage auch die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung, kategorisch ablehnt. Das wichtigste Argument, die Warnung vor einer Destabilisierung des Irak, geht einher mit dem Vertrauen darauf, dass die irakische Opposition Saddam Hussein selbst stürzen könne. Woraus die Bundesregierung dieses Vertrauen schöpft, ist ein Rätsel.

Erst kürzlich beschwerte sich Ahmed Chalabi, der dem Oppositionsbündnis Iraqi National Congress (INC) vorsteht, im Handelsblatt über die strikte Weigerung der deutschen Regierung, sich wenigstens die Vorschläge der oppositionellen Parteien anzuhören. "Sie wollen mit uns nicht reden." Die deutsche Diskussion über den Irak wird weitgehend ohne jene geführt, die von einem möglichen Militärschlag als Erste betroffen wären. Dabei stehen die meisten irakischen Gruppen den Ankündigungen der USA kritisch gegenüber, allen voran die kurdischen Parteien, die einen Vergeltungsschlag der irakischen Armee auf dem von ihnen kontrollierten Territorium befürchten.

Die außenpolitischen Argumente der Bundesregierung spielen innenpolitisch jedoch keine Rolle. Von der befürchteten Destabilisierung des Irak ist im aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes zur "asyl- und abschieberelevanten Lage" keine Rede. Konkrete politische Veränderungen und Machtverschiebungen im Irak, hieß es noch Ende März, seien nicht erkennbar. Dafür werden zumindest den oppositionellen kurdischen Parteien im Nordirak quasistaatliche Qualitäten bescheinigt. Und auch deren Sorge vor einem Angriff des Irak scheint unbegründet, machten doch gerade die Ereignisse des 11. September eine irakische Militäroffensive "in hohem Maße unwahrscheinlich".

So kommt es, dass trotz eines möglichen Krieges die Zahl der anerkannten irakischen Flüchtlinge einen historischen Tiefpunkt erreicht hat. Während noch im Jahr 2001 rund 55 Prozent der irakischen Antragsteller im Erstverfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zumindest das so genannte kleine Asyl erhielten und 30 Prozent vollständig abgelehnt wurden, hat sich das Verhältnis nunmehr umgekehrt. Nach den neuesten Zahlen des Bundesamtes wurden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 60 Prozent der Antragsteller abgelehnt, nur 26 Prozent erhielten eine Anerkennung. Im Juli lag das Verhältnis bereits bei 64 zu 18 Prozent.

Der Grund für den Umschwung ist nicht im Irak, sondern in der deutschen Interpretation der Situation zu suchen. Seit Jahren schon werden Asylbewerber aus den kurdischen Landesteilen des Irak auf eine "inländische Fluchtalternative" verwiesen, die sie "weitgehend sicher" mache vor staatlichen Übergriffen. Bislang galt diese Alternative allerdings nicht für Flüchtlinge aus anderen Teilen des Landes.
Seit einem Urteil des Magdeburger Oberverwaltungsgerichts vom Dezember 2001 ist auch diese Einschränkung gefallen. Damals hatten die Richter festgestellt, die Insassen von Flüchtlingslagern im Nordirak erhielten mit durchschnittlich 2 229 Kalorien am Tag ausreichend Nahrung, um auch ohne soziale Bindungen in der Region zu überleben (Jungle World, 6/02). Zwar wurde das Urteil zwischenzeitlich vom Bundesverwaltungsgericht kassiert, der Weg aber war gewiesen, auf dem sich auch irakische Asylbewerber aus den von Saddam Hussein kontrollierten Landesteilen ablehnen ließen. So zählt inzwischen auch das Auswärtige Amt Kalorien und weist darauf hin, dass die "Uno-Flüchtlingslager" im Nordirak Araber aus dem Zentralirak nicht abwiesen.

Dass die Uno derartige Lager gar nicht unterhält, ist nur ein Teil des Problems. Rund 200 000 Internal Displaced Persons halten sich nach Schätzungen in der Region auf, davon nur ein Teil in Lagern, die, von kurdischen Behörden eingerichtet, von internationalen Hilfsorganisationen versorgt werden. Dort plagt die Menschen nicht primär die Sorge um den Speiseplan, sondern die Angst vor Saddam Husseins Armee. Wie die gesamte Region wären die Lager einem Angriff irakischer Truppen schutzlos ausgeliefert.

Schon der Status quo ist gefährlich genug, etwa im Lager Bardaqaram, wo sich gleich drei irakische Armeestützpunkte in direkter Sicht- und Schussweite befinden. Erst Anfang Juli wurde dort ein siebenjähriger Junge von irakischen Soldaten beim Spielen erschossen, ohne dass die Schützen in kurdisches Gebiet vordringen mussten. Derartige Vorfälle sind keine Seltenheit.

Rund 80 000 Iraker leben als Asylsuchende in Deutschland. Viele von ihnen müssen wegen der neuen Entscheidungspraxis um ihre Zukunft bangen, denn per Widerrufverfahren wird selbst bereits anerkannten Flüchtlingen ihr Status streitig gemacht. Auch die fünf Botschaftsbesetzer waren Flüchtlinge, wie die Ermittlungsbehörden am vorigen Mittwoch bekannt gaben. Über den politischen Hintergrund der Diod sagt das nichts aus. Das Thema der irakischen Opposition wird dennoch erst einmal als erledigt betrachtet. Wahrscheinlich aber gewinnt es gerade erst an Bedeutung.

jungle world 36, 28.8.2002

hagalil.com 27-10-02

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