Spenden für den Krieg
Pierre Heumann
Der getötete Scheich Ahmed Jassin war der
wichtigste Geldbeschaffer der Hamas. Er pflegte Beziehungen zu
Staatsoberhäuptern und Würdenträgern.
Schimschon Schmuel ist ein braver, unbescholtener israelischer
Bürger. Mit Terror hat er nichts am Hut. Und doch: Ohne sein Wissen
geriet er in die Finanzmaschine der Hamas und half der
Terrororganisation im vergangenen Jahr, Kapital aus Syrien in den
Gazastreifen zu transferieren, wo es für israelfeindliche Aktionen
eingesetzt wurde.
Recherchen des israelischen Geheimdienstes und der Polizei ergaben
Erstaunliches: Der unbescholtene Schmuel war ein Glied in einer
langen komplexen Kette von illegalen Geldtransfers. Zur Kette
gehörten westliche Strohfirmen, palästinensische Geldboten, eine
chinesische Bank – und der blauäugige Schmuel. Nach intensiven
Verhören kam die Polizei zum Schluss: Schmuel ist unschuldig.
Angeklagt aber wurde ein anderes Glied in der Kette, der
Palästinenser Muhammad Abaddin. Er habe Hamas-Gelder berufsmässig
aus dem Ausland in den Gazastreifen geschmuggelt, warfen ihm die
Richter vor. Abaddin, ein 30-jähriger Geldhändler aus Hebron, hatte
von einem Hamas-Mann aus Gaza den Auftrag erhalten, 200000 Dollar
aus Jordanien in den Gazastreifen zu bringen. Abaddin rekrutierte
seinen Bruder Fuad in Jordanien. Als das Geld schliesslich in Gaza
angekommen war, übergab er es Hamas-Aktivisten, die bereits darauf
warteten. Für die Dienstleistung wurde Abaddin mit 20000 Dollar
entschädigt – wovon er, seine Familie und sein ganzer Clan während
vieler Jahre leben können.
Doch Abaddin gönnte sich keine Ruhe. Er nahm ein
weiteres Angebot aus Damaskus an, als Geldbote auch künftig
ansehnliche Kommissionen abzusahnen und dafür zu sorgen, dass
Terrorgelder aus Syrien in den Gazastreifen gelangen. Schliesslich
wurde er erwischt. Doch zuvor hatte er laut israelischem Militär
insgesamt 1,6 Millionen Dollar an die Hamas in Gaza kanalisiert.
Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Kürzlich machten
Einheiten der israelischen Armee, des Grenzschutzes und der Polizei
eine Razzia auf palästinensische Banken in der Autonomiestadt
Ramallah. Sie besetzten dort die Arabische Bank und die Kairo Amman
Bank, um im Rahmen einer unkonventionellen Aktion Konten ausfindig
zu machen, über die Terroraktivitäten finanziert werden.
Dabei fanden sie zahlreiche Dokumente, die einen Geldfluss an
radikale Gruppen wie Hamas und Islamischer Dschihad belegen sollen.
Es seien mehrere Millionen Dollar beschlagnahmt worden, die aus
Iran, Libanon und Europa auf Konten Einzelner oder von Institutionen
eingezahlt worden seien. Vor allem nach Transfers aus dem Ausland an
palästinensische Terrorgruppen wurde gefahndet. In den Bankräumen
fanden sich zum Beispiel Unterlagen einer Organisation, die sich
offiziell der Wohlfahrt verschrieben hat. «Doch die Gelder gingen an
Terroristen», meinte ein Militärsprecher nach der Durchsuchung der
Banken.
Vorübergehend hat auch die palästinensische Regierung den Kampf
gegen Terrorgelder unterstützt. Sie ging mit rechtlichen Schritten
gegen die grösseren Finanzinstitutionen von Islamistengruppen vor.
Im letzten Sommer hatte der palästinensische Generalstaatsanwalt
allen Banken in den Palästinensergebieten die Anweisung gegeben,
mehr als dreissig Konten von neun islamischen wohltätigen
Vereinigungen zu blockieren. Nach dem Anschlag auf Hamas-Führer
Ahmed Jassin hat das palästinensische Gericht den Schritt jetzt
wieder rückgängig gemacht.
Wohlfahrt und Terror vereint
Die Hamas verfügt nicht nur über eine ausreichend
bestückte Armee von fanatischen Attentätern – sie hat auch genügend
Mittel für ihre Einsätze Der erfolgreichste Fundraiser war der von
Israel ermordete Ahmed Jassin. Nach seiner Freilassung aus dem
israelischen Gefängnis 1997 machte er sich auf eine viel beachtete
dreimonatige Werbe- und Spendentournee in den arabischen Ländern. Er
wurde von zahlreichen Würdenträgern wie ein Staatsgast empfangen,
vom saudischen König Fahd über den kuwaitischen Emir Jaber bis zum
jemenitischen Präsidenten Saleh.
Die Tournee scheint sich gelohnt zu haben. Jassin
soll die Hamas-Kassen mit rund 50 Millionen Dollar Spendengeldern
gefüllt haben. Das Vermögen dürfte heute an die 70 Millionen Dollar
betragen. Wer wann wie viel der Hamas überweist, bleibt zwar ein gut
gehütetes Geheimnis der Organisation. Aber verlässliche Quellen
schätzen das Jahresbudget von Hamas auf über 10 Millionen Dollar.
Davon stammt die Hälfte aus Saudi-Arabien. Die Geber sind von der
Regierung unterstützte Institutionen und vor allem vermögende
Saudis, deren Spenden an die Hamas von den Behörden geduldet werden.
Nur selten nutzt Saudi-Arabien seinen wirtschaftlichen Hebel
gegenüber der Hamas, um sie zu einem konzilianteren Kurs zu bewegen.
So traf sich zum Beispiel im Oktober 2002 Kronprinz Abdullah mit dem
Hamas-Führer Chaled Maschal während einer Konferenz der
Muslimjugend. Pikanterweise bedankte sich Maschal beim Kronprinzen
für die «grosszügige Hilfe», obwohl Abdullah doch kurz zuvor den
Terrorgeldern den Kampf angesagt hatte.
Die Spenden erhält die Hamas in der Regel als Bargeld, so dass der
Transfer kaum Spuren hinterlässt. Die Gelder stammen nicht nur aus
Saudi-Arabien, sondern auch aus Kuwait und aus den Emiraten am Golf
sowie von vermögenden Exilpalästinensern und den Ajatollahs in
Teheran. Hinzu kamen bis vor kurzem auch Spenden aus Europa und aus
den USA.
Diese beiden Quellen sind jetzt allerdings blockiert. Im letzten
September hat nach den USA auch die Europäische Union die Hamas als
Terrororganisation eingestuft. Seither können in EU-Ländern nicht
nur die Konten der Gruppe eingefroren werden. Hamas-Anhänger müssen
auch mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen.
In Gaza geht der Hamas das Geld aber nicht aus, behauptet der
palästinensische Ökonom Salah Abdel-Schafi. «Niemand hat hier das
Gefühl, dass die Hamas-Institutionen den Spargang eingelegt haben»,
meint er, «das Niveau der Hamas-Dienstleistungen ist unverändert.»
Die Terror-Organisation ist in den Palästinensergebieten nach wie
vor eine der potentesten Wirtschaftsfaktoren – Sanktionen hin oder
her. Sie ist nicht nur eine militärische Organisation und eine
politische Bewegung, sondern eben auch ein wirtschaftlicher Faktor.
Der Bevölkerung stellt die Hamas kostenlos Schulen, Spitäler oder
Nahrungsmittel zur Verfügung. Vor allem in den Flüchtlingslagern
verfügt die Hamas über eine treue Anhängerschaft, wo die Mittellosen
ohne Hamas-Gelder oft nicht überleben könnten. Zudem schreiten die
Selbstmordattentäter mit dem guten Gefühl zur Tat, dass ihre
Hinterbliebenen nach der Explosion von der Hamas bis ans Lebensende
finanziell unterstützt werden.
Insgesamt greift die Hamas nicht nur vielen tausend armengenössigen
Familien unter die Arme. Sie beschäftigt in ihren Institutionen rund
10000 Angestellte, die mit ihrem Einkommen an die 50000 Menschen
versorgen.Eine Statistik über Hamas-Organisationen existiert nicht.
«Niemand spricht offen über die Hamas als Arbeitgeber, aber jeder
weiss Bescheid», meint der Ökonom Salah Abdel-Schafi. So ist zum
Beispiel die Ost-Jerusalemer Schule «Imam» (Glauben) eng mit der
Hamas assoziiert. Mit der Hamas verbunden ist auch die «Islamic
Charity Association» (ICA) in Hebron, die zu den führenden sozialen
Wohlfahrtsorganisationen in Cisjordanien zählt. Die ICA erhält ihr
Geld aus Saudi-Arabien und ist einem militanten Hamas-Mitglied aus
Hebron unterstellt. Wohlfahrt und Terror bilden eine obszöne
Einheit. (c) 2004 by Die
Weltwoche, Zürich -
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14-03-2004 |