Die Irak-Erfahrung:
Lehrstunde für Völkerrechtler
Von Fritz W. Peter, März 2004
Völkerrecht ist das Ergebnis kollektiver historischer Erfahrungen –
daraus gewonnener gemeinsamer Einsichten – und wird auch weiterhin
der Empirie Rechnung tragen müssen, nicht nur bei Anwendungsfragen,
sondern ebenso hinsichtlich seiner Axiome, seiner Tragkonstruktion.
Auch Völkerrecht muss sich legitimieren: Erfüllt es seine Schutz-,
Ordnungs-, Friedensfunktion? Allein aus sich heraus – als Korpus von
Grundsätzen, Rechtsauffassungen, Vertragswerken – kann es nicht
begründet werden.
Gibt das Völkerrecht der Politik einerseits einen Rahmen vor, ist es
andererseits Ergebnis von Politik, ein Werk der Politik, die somit
den übergeordneten Rahmen darstellt. Verabsolutierungen
völkerrechtlicher Maßgaben gegenüber der Politik, die immer auch
Machtausübung ist und sein will, mit anderen Worten, gestaltend
sein will und sein muss, sind daher ab einem bestimmten Punkt
problematisch – können verfehlt und wirkungslos sein. Haben
sich manche Völkerrechtler in ihrer Beurteilung des Einmarsches
alliierter Truppen im Irak "verhoben"? Gab es einen unangebrachten
"Völkerrechts"-Fundamentalismus? War der immer wieder
vorgebrachte Völkerrechtseinwand eher Reflex
oder wirkliches Argument? Liegen mancher engagiert vorgetragenen
völkerrechtlichen Kritik z.T. fehlerhafte Prämissen zugrunde?
Den Fragen
soll nicht exegetisch nachgegangen werden; denn die weit
wichtigere Frage ist, ob viele der aufgeregten und apodiktischen
Stellungnahmen den Gegenstand der Auseinandersetzung in seiner
politischen und humanitären Dimension nicht sachlich verfehlten,
da nicht nur das von Einmarschgegnern reklamierte Völkerrecht
Entscheidungsgrundlage sein durfte. Auch Menschenrechte
und Entwicklung (als Anrecht der Menschen und
Länder auf eine Zukunft), dazu der an Politik gestellte Anspruch,
hochkomplexe Steuerungen vorzunehmen, d. h.
Zweckrationalität sowie Durchsetzbarkeit
des politischen Handelns, waren Maßstäbe – zu berücksichtigende
Kriterien – für die Entscheidungsträger. Auf diesen
mehrdimensionalen Komplex von Fragen im Zusammenhang der
Völkerrechtsthematik soll (anders als bei
einer nur immanenten Betrachtung) reflektiert werden.
Durch
Hinweise auf Ereignisverläufe und Politikinhalte (mit
Einzelbeispielen als "Schlaglichtern") soll in dieser Arbeit
deutlich werden, dass völkerrechtliche Betrachtungen und
Beurteilungen ohne empirische Bezugnahme
ein
schlechter Ratgeber wären.
Normative
Argumente sollen im Folgenden im Kontext empirischer Betrachtungen
gewonnen bzw. überprüft
werden. Hierbei drängt sich die Irak-Erfahrung als Fallbeispiel auf.
Warum?
Normen können
zwar in einem Spannungsverhältnis zur Realität stehen, müssen aber
auf die Realität bezogen sein. Doch wie stand es mit diesem Bezug
bei der Frage des alliierten Einmarsches im Irak? Spricht es gegen
den Einmarsch, dass völkerrechtliche Einwände formuliert werden
können, oder aber spricht es gegen diese Einwände, dass sie nicht
überzeugten und sie daher wirkungslos blieben, mit anderen Worten,
dass die Normen, auf die sich die Einwände stützten, zu wenig
Bindungskraft infolge eines fraglichen Realitätsbezugs besaßen?
Nicht mehr zu verkennen sei, "dass die Beschwörung des UN-Rechts
(...) hilflosen Normativismus verrät“, hielt Ulrich Preuß die
realpolitische Erfahrung im Irak-Konflikt fest. [s. U. K. Preuß,
"Die UNeinigen Weltrichter", in: Die Zeit, 28.5.03]
Besonders mit
Blick auf die Rechtsordnung und Handlungsfähigkeit der UN wird
eingeräumt werden müssen, dass Antworten des Völkerrechts auf
gegenwärtige und künftige Szenarien, die ebenso bedrohlich wie
greifbar erscheinen, noch weitgehend ausstehen. Anpassungen und
Weiterentwicklungen des Völkerrechts verlangen empirischen
Rückbezug. Das 'Material' im Text und die vorgetragenen Argumente
zeigen auf, dass völkerrechtliche Beurteilungen ohne empirischen
Bezug verfehlt und fahrlässig sind und dem politischen Handeln
keine substanzielle Orientierung zu geben vermögen.
Fallbeispiel Ebert Stiftung
Noch einen weiteren einführenden Hinweis möchte ich an dieser Stelle
geben: Unmittelbar anschließend an die OSZE-Antisemitismus-Konferenz
am 29.4.04 in Berlin stellte sich Außenminister Joschka Fischer der
Presse. Gleich die erste Frage aus dem Journalisten-Kreis galt einer
von der Friedrich Ebert Stiftung in Beirut durchgeführten Konferenz,
zu der als nahöstliche Vertreter fast ausschließlich Islamisten
eingeladen
waren. Auf der Konferenz suchten die Veranstalter also gezielt,
bewusst und bevorzugt den Dialog mit bekennenden Islamisten. Fischer
erklärte unumwunden, dass das hier vertretene Konzept der Ebert
Stiftung "gescheitert" sei und dass er dieser Aussage nichts mehr
hinzufügen wolle – eine Antwort, die ohne die sonst
üblichen Verklausulierungen auskam!
Der nachfolgende Text enthält
u.a. eine
ausführliche Darstellung der Problematik der Beiruter Konferenz. Es
ist im Nachhinein nicht leicht feststellbar, auf dem Hintergrund
welcher Informationsquellen die Frage des Journalisten gestellt war.
Außer einer kritischen Darstellung der Journalisten Thomas von der
Osten und Thomas Uwer gab es in Bezug auf die Beiruter Konferenz
keine eingehenden Kommentierungen bis zum Zeitpunkt der
Pressekonferenz mit dem deutschen Außenminister. Allerdings lag
zusätzlich der hier nachfolgend präsentierte Text seit etwa einem
Monat mehreren Redaktionen der überregionalen Presse sowie einzelnen
Bundestagsabgeordneten (mit entsprechendem Arbeitsschwerpunkt) vor
und war überdies
in einer ersten Fassung im Internet veröffentlicht. Sollte also mit
dem Text der Informationsfluss gefördert und der Urteilsbildung ein
Dienst erwiesen worden sein, wäre der Arbeit damit der erhoffte
Effekt zuteil geworden.
hagalil.com
18-05-2004 |