Ken Joseph
Von Fritz W. Peter, März 2004
Pfarrer der
Narimasu Christ Church in Tokio, war einer derer, die mit zweifellos
lauteren Motiven – auch unter Inkaufnahme persönlicher Opfer – sich
einzumischen entschlossen,
als der Einmarsch alliierter Truppen Anfang 2003 in den Irak immer
wahrscheinlicher wurde. Er war gewillt, als "human shield", als
menschliche Geisel für den Frieden, im Herkunftsland seiner
Vorfahren bereit zu stehen und sich so gegen den drohenden Angriff
zu stemmen.
Seine Großeltern waren 1917 den Verfolgungen und der teilweisen
Vernichtung, die ihrer großen Volksgruppe und Religionsgemeinschaft
der assyrischen Christen im Gebiet des heutigen Irak widerfuhr,
entronnen und nach Amerika emigriert. Seine Eltern waren nach Japan
gelangt, weil sie einem Aufruf von General Douglas McArthur, dem
amerikanischen Statthalter im Nachkriegsjapan, gefolgt waren, seinem
Aufruf, am Wiederaufbau des darnieder liegenden, zu öffnenden Landes
mitzuwirken. In Japan hatten sich die Eltern kennen gelernt. Sie
heirateten und blieben. Sohn Ken absolvierte ein Theologiestudium
und den Studiengang Massenkommunikation. Seit 1987 betreut Ken
Joseph die Narimasu Gemeinde, ist Begründer und Direktor der Japan
Helpline, einer weltweiten Hilfsorganisation, und Gründer eines
Instituts zum Studium der historischen Wurzeln des Christentums in
Asien. Journalistische Beiträge z.B. in der Japan Times sowie
eine Anzahl Buchveröffentlichungen haben ihm einen größeren
Bekanntheitsgrad verschafft.
Ken Joseph
traf Anfang März 2003 im Irak ein. Es war der erste Besuch im Land
seiner Vorfahren. Aufgenommen war er bei Glaubensangehörigen der
Gemeinde assyrischer Christen (es leben noch 2,5 Mio. Assyrer im
Irak, ein größerer Teil lebt in Syrien – und in der Welt verstreut).
Der Zuspruch, den er geben wollte, wurde jäh unterlaufen. Schon bei
der ersten Zusammenkunft im Kreis der Gemeindeglieder musste er sich
anhören: "Wir wollen keinen Frieden. Wir wollen, dass der Krieg
kommt." [zitiert aus seinem Bericht, Quellenangabe am Ende
dieses Abschnitts]
Man kann
leicht nachvollziehen, dass es Ken Joseph nur allmählich und nach
inneren Kämpfen gelang, diese Sichtweise als Faktum aufzunehmen,
sich einzugestehen und in ihren Begründungen zu erfassen. "Die
Menschen im Irak, die einfachen, normalen Leute befinden sich in
einem lebenden Alptraum. (...) Beim Anblick des Terrors in den
Gesichtern – wenn ein unbekannter Besucher erschien, das
Telefon klingelte oder jemand an die Tür klopfte – begann ich zu
begreifen: den Horror, mit dem sie täglich lebten.“ Josephs
irritierte Gegenfrage – „Warum könntet ihr Krieg wollen?" –
wird mit Verzweifelung quittiert: "Sieh dir unser Leben an! Wir
leben wie Tiere." Sprach er in seiner Gastfamilie von
Fortschritten der UNO beim Ringen um Kompromisse, so stand "nicht
Freude, sondern Ärger" in den Gesichtern. "Nein, da ist kein
anderer Weg! Wir wollen den Krieg! Es ist die einzige Möglichkeit,
dass er (!) aus unserem Leben verschwindet." Er, Saddam,
verwehrte den Menschen Gegenwart und Zukunft. Den Luxus einer
Illusion in Bezug auf Saddam und seinen Willen, das eingespielte
Terrorregime fortzuführen, konnten sie – als Betroffene – sich nicht
leisten.
Um sicher zu
gehen, dass er nicht nur Auffassungen einer Minderheit in Erfahrung
brachte, wandte sich Joseph an zahlreiche Personen: "Worauf ich
nicht gefasst war, war der schiere Terror, der sie beim Sprechen
erfasste. (Aber wenn sie – im engsten vertrauten Kreis – doch etwas
äußerten), war die Botschaft immer gleich: Lasst den Krieg endlich
kommen. Wir haben lange genug gelitten. Vielleicht verlieren wir
unser Leben, aber einige von uns werden überleben, und für das Wohl
unserer Kinder, bitte, beendet unser Elend!"
Ken Joseph
änderte seine Einstellung zu Krieg und Frieden: sie wurde
situationsbezogener – bezogen auf das, was er sah und nicht
ausblenden wollte. Auf Kassetten hatte er viele Szenen und
Schilderungen aus dem Kreis der Angehörigen seiner
Glaubensgemeinschaft festgehalten. Bei Kriegsausbruch baten sie ihn,
dies außer Landes zu bringen. An der Grenze, bis zu der er dank
üblicher Bestechungsgelder gelangt war, wurden die Bänder jedoch
entdeckt. Die Worte "Angst" und "Entsetzen" werden den Zustand, der
ihn erfasst haben muss, kaum ausreichend beschreiben können. Einer
seltsamen Regung des Grenzkontrolleurs verdankt er es, dass sein
Irak-Aufenthalt für ihn und besonders jene, deren Gesichter und
Worte aufgezeichnet waren, nicht in Saddams Kellern – oder bei
anderen Optionen polizeistaatlicher Willkür – endeten. "Mit einem
Mienenspiel aus Traurigkeit, Ärger und schließlich dem Ausdruck
stillen Einverständnisses schüttelte der Grenzwächter den Kopf und
schob dann all die wertvollen Bänder wortlos zu mir rüber. In seiner
langsamen Handbewegung drückte er aus, was sinngemäß auch die vielen
anderen Menschen vorher zum Ausdruck gebracht hatten: Bitte nimm die
Bänder und zeige sie der Welt. Bitte hilf uns ... und bitte beeil’
dich!"
[Die Welt
widmete den Schilderungen Ken Josephs hinsichtlich seiner
Irak-Erfahrung am 4.4.03 einen Beitrag, verfasst von Thomas
Kielinger. Über die
Website der Gemeinde assyrischer Christen war ein
zusammengefasster Erfahrungsbericht über den Irak-Aufenthalt
erhältlich. Daraus wird im weiteren Text zitiert. Inzwischen liegt
eine Buchfassung vor. Eine Bestellung ist auch über genannte
Internet-Adresse möglich.]
Zurück
Fortsetzung
hagalil.com
18-05-2004 |