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Die Irak Erfahrung: Lehrstunde für Völkerrechtler

Scheich Imad

Von Fritz W. Peter, März 2004

Scheich Imad al-Din al-Awadi bewohnt ein mehrstöckiges Haus im Norden Bagdads, das zur Anlaufstelle für viele Iraker geworden ist, die Aufklärung suchen über den Verbleib von Angehörigen, die in der Zeit Saddams verschwunden waren. Das Haus quillt über mit Akten über damals Inhaftierte. Der Scheich hatte das Material retten können, als Baathisten gezielt ein Gebäude nieder brannten, in dem unzählige solcher Akten eingelagert waren. Plünderung und Zerstörung waren auch in diesem Fall das gezielte Werk von Regimevertretern – im Versuch, selbst-dokumentierte Regimekriminalität gleichsam "weg­zuschwärzen".

Scheich al-Din al-Awadi, der schiitischen Glaubensrichtung fest verbunden, befand sich fast zehn Jahre in Saddams Gefängnissen. Außer den zahlreichen Anfragen hat er, im Gegenzug, auch viele Zuträger von Informationen über Schicksale und Vorkommnisse im Gefängnisstaat Saddams. Ein Arzt, der Nachforschungen zum Verbleib des Bruders anstellte und dazu auch das Archiv des Scheichs nutzte, wandte sich seinerseits mit einem Bekenntnis an den Scheich. Als Hals-Nasen-Ohren-Arzt sei er eines Nachts, 1995, von örtlichen Funktionären der Baath-Partei angewiesen worden, einem jungen Armee-Deserteur das Ohr abzuschneiden. "Als ich sagte, dass man das nicht in der Nacht tun sollte und ich psychologisch nicht dazu fähig sei, sagten sie, 'Du musst es abschneiden, und wenn du es mit den Zähnen tust – oder wir werden DEIN Ohr abschneiden'." Die Bestrafungsart für Deserteure hatte sich Saddams Sohn Uday ausgedacht. Bevor Uday nach einigen Monaten zu anderen Maßnahmen überging, trennte der Arzt 47 Ohren ab. "Ich hatte ein Gefühl, nicht mehr zu existieren, ein Gefühl der Schuld. Ich versuche, mich damit zu beruhigen, dass ich keine Wahl hatte." [s. Quellennachweis am Ende dieses Abschnitts; das hier Referierte beschränkt sich auf eine sehr gekürzte, auszugsweise Wiedergabe von Vorort-Schilderungen]

In den Nachrichten des Ersten deutschen Fernsehens wurde nach dem Regimesturz und der Öffnung der Gefängnisse der Fall eines Irakers gezeigt, der durch eine der üblichen willkürlichen Entscheidungen in das Gefängnislabyrinth Saddams bzw. Baath-Regimes geraten war. Eines Tages fand sich der Mann in einer Art Krankenhausbett wieder, angeschlossen an Infusionsflaschen, wie nach einer Operation. Man hatte ihm eine gesunde Niere entfernt. Im Interview deutete er auf die zurückbehaltene Narbe.

UN-Report A/50/734 von 1995 zur Menschenrechtssituation in Irak vermerkt: "Medienberichte liefern Hinweise auf einen blühenden Handel mit menschlichen Organen. Verzweifelte stehen an, eine Niere zu verkaufen, im Versuch, ihren Familien das Überleben zu sichern." Wie das oben angesprochene Beispiel zeigt, bemächtigte man sich der Organe außer durch Ausnutzen auswegloser Situationen ebenso auf direktem Weg durch gewaltsamen Zugriff.

Berichte von Menschenrechtsorganisationen geben (und gaben damals schon) Einblick in die Praktiken des Saddam-Regimes und seiner Schergen. Die Berichte sind von Lesern, die des Mitgefühls fähig sind, seelisch nur schwer zu verarbeiten. Ein resümierender Textauszug – der stellvertretend zitiert wird – ist hier nachfolgend bewusst nicht im fortlaufenden Text, sondern im Anhang eines späteren Kapitels (6) aufgeführt, um bei der Lektüre die Freiheit zu lassen, daran vorbei zu lesen. Zitiert werden soll hier nur ein trotz diplomatischer Rücksichtnahme deutlicher Ergebnisbefund der Commission on Human Rights der Vereinten Nationen. Die "Commission on Human Rights resolution 2003/84"  "wiederholt und bekräftigt ihre starke Verurteilung der systematischen, ausgedehnten und extrem schweren Verletzungen der Menschenrechte und internationalen humanitären Rechtsgrundsätze, die von der irakischen Regierung seit vielen Jahren begangen werden  –  mit der Folge einer alles durchdringende Repression und Unterdrückung, aufrecht erhalten durch eine auf breiter Basis erfolgende Diskriminierung und weit verbreiteten Terror ...". Die Feststellungen der Kommission wurden mit 31 zu 3 Stimmen, bei 12 Enthaltun­gen, am 25.4.03 angenommen.

[Die Schilderungen im Zusammenhang mit Scheich al-Din al-Awadi und – nachfolgend – Dr. Butti sind den Aufzeichnungen von George Packer – "Letter from Baghdad. War after the War. What Washington doesn't see in Iraq" – in: The New Yorker (24.11.03), entnommen. Georg Packer berichtet aus erster Hand, d.h. aus persönlicher Begegnung mit den Personen. Seine ausführlichen und aufschlussreichen Schilderungen beleuchten ebenso die Situation vor Ort wie den größeren politischen Entscheidungs­zusammenhang.]

Dr. Butti

Dr. Baher Butti – ein Mittvierziger, christlichen Glaubens, säkular eingestellt – versorgt traumatisierte Patienten in einem Bagdader psychiatrischen Krankenhaus. Mit alten Klassenkameraden der Bagdader Jesuit High School gründete er die Bagdad Rehabilitation and Development Group, die auch den Aufbau des Gilgamesh Center for Creative Thinking betreibt, das sich zum Ziel setzt, Selbsttätigkeit anzuregen und das Gefühl des Abgeschnittenseins von den kommunikativen und Entwicklungsprozessen der Außenwelt zu überwinden. In der konzeptionellen Begründung heißt es: "Eine große Zahl irakischer Menschen leiden durch den Verlust der Kommunikation mit der zivilisierten Welt, sie leiden an ihrem Unvermögen, sich mit anderen auszutauschen, sie haben die Hoffnung auf die Zukunft aufgegeben, sie verdächtigen alles Fremde, (...) es fehlt ihnen die Kraft, um Freiheit erfahren zu können." Das bittere Resümee lautet: "Die Kriegsschäden zu reparieren ist eine leichte Aufgabe verglichen mit dem Wiederaufbau der verformten menschlichen Person." [zit. n. George Packer]

Die Aussage, es fehle die Kraft, Freiheit zu erfahren, erklärt nach Ansicht von George Packer auch zum großen Teil, "warum der Moment der guten Gefühle nach der Befreiung Bagdads so kurz war. Den Irakern wurde gesagt, sie seien frei, sie erwarteten ja auch, frei zu sein, sie hatten Jahre gewartet – aber das Gefühl, frei zu sein, stellte sich nicht ein. Und so trat gleich wieder ein Zustand der Depression ein." "'They lack the power to experience freedom': the phrase helps explain why the moment of good feeling was so short after the liberation of Baghdad. Iraqis were told they were free, they had been waiting for years to be free  –  but they still didn't feel free. And so a depression set in almost at once.”

Apathie ...

ist vielleicht der am schwersten greifbare Feind der Kehrtwende und Rekonstruktion des Landes. In Jahrzehnten einer bizarren Selbstvergötterung des Regimes (siehe z.B. Palastbauten und Saddam-Statuen), eines Regimes, für das Menschenrechte nie ein Gesichtspunkt waren und das gegenüber der Bevölkerung stets bewusste, aktive Terrorbereitschaft einsetzte (es gab in diesem Sinn kein Völkerrecht, kein Recht des Volkes gegenüber Herrschaft und Willkür), war ein Grundzustand erreicht, der jeder selbständigen Regung – jeder persönlichen Initiative – schon psychologisch im Ansatz vorbaute, nämlich durch die lähmende Wirkung eines systematisch geschürten, ständigen Angstzustands. Stehen der Aufbauarbeit und der Stabilisierung zwar auch jetzt größte Schwierigkeiten im Weg, so besteht doch immerhin die Chance zu einer allmählichen Entwicklung. Eine solche Chance bestand bis zum März 03 nicht! Das Wort Solschenyzins – bezogen auf sein Land unter kommunistischer Herrschaft – kommt dabei in Erinnerung: Die Menschen haben in vielen Jahrzehnten gelernt zu schweigen, sie werden ebenso lange brauchen, um das Sprechen wieder zu erlernen.

Es ist keine legitime Option, den Völkern die Entwicklung zu verweigern. Die schwersten Demütigungen erfahren sie oft nicht von außen durch fremde Mächte – symbolisch steht dafür das Wort von den 'Kreuzrittern' – , sondern durch die Unterdrückung ihrer Lebens­kräfte und Entwicklungspotentiale infolge der Usurpierung und Pervertierung von Macht innerhalb der Länder, wie u.a. die Beispiele des Saddam- bzw. Baath-Regimes sowie des Taliban-Regimes in Afghanistan zeigen.

Nicht nur war dort der Status der Bevölkerungen in ihrer jeweiligen Gesamtheit auf einen Zustand der Rechtlosigkeit herabgesetzt. Speziell traten weitere Demütigungen von Teilen der Bevölkerung hinzu. So waren unter Saddam z.B. die Schiiten, obgleich Bevölkerungsmehrheit, durch die Zumutungen des Regimes sozial und psychologisch in eine Situation von Menschen 2. Klasse gebracht worden. In Afghanistan war z.B. die Gruppe der Frauen durch die Taliban einer geradezu grenzenlosen Demütigung und Entrechtung ausgesetzt. Die Verteufelung westlicher Aspekte und Mächte diente eher der Ablenkung. Die Teufel saßen im Land selber. Durchschaut wird dieser Projektionsmechanismus nicht nur nicht von vielen Menschen im arabischen und islamischen Raum, sondern auch in beachtlichen Teilen unserer Öffentlichkeit.

Die Jerusalem Post beschrieb die zynische Realität durchaus zutreffend, indem sie als die eigentliche Massenvernichtungswaffe gewissermaßen Saddam selbst  –  und Diktatoren wie ihn  –  bezeichnete: "It wasn't WMD themselves, but their possession by a man without conscience, which justfied war. In other words, Saddam himself  –  and dictators like him  –  was the real weapon of mass destruction ..."  In: "Kerry on Israel", 11.3.04.

Madeleine Albright, Clintons Außenministerin, nannte nach ihrem Besuch in einem afghanischen Flüchtlingslager im Norden Pakistans die Art der Behandlung der Frauen durch die Taliban "despicable" (verachtenswert). Ein militärisches Vorgehen gegen die Taliban, um die afghanische Basis der Al Qaida zu zerschlagen, lehnte sie zugleich entschieden ab: "For us to get involved in a civil war on behalf of the Northern Alliance would have been insane." Nur wenige Jahre später – auf Basis eines UN-Mandats – wurde der Militärschlag geführt. Der 11. September, eine neue US-Administration und eine (erst mit dem 11.9. einsetzende) neue Entschlossenheit hatten die Situation verändert. Seither bietet sich wieder eine entwicklungspolitische Chance für Afghanistan. [Aufgrund vieler Aussagen und faktischer Anhaltspunkte ist belegt, dass kaum Veränderungen im Handling des Themas der terroristischen Bedrohungen während der acht Monate nach Bushs Amtsantritt bis zum 11.9. erfolgten. Vgl. u.a. Barton Gellman, "A Strategy's Cautious Evolution", Washington Post, 20.1.02, sowie die Berichterstattung aus den laufenden Hearings der National Commission on Terrorist Attacks Upon the United States, z. Bsp. Robin Wright, "Top Focus Before 9/11 Wasn't on Terrorism", Washington Post, 1.4.04.]

Einstimmig ...

beschloss die UN-Vollversammlung die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords (Genozids) am 9.12.1948. Tags darauf verabschiedete die Weltgemein­schaft die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Der Ächtung des Völkermords als Extremtatbestand der Verletzung von Menschenrechten ging die Erfahrung (in der Mitte Europas!) des Holocaust, aber auch anderer entsetzlicher Vernichtungshandlungen voraus. Die zeitliche Nähe zur systematischen Verfolgung und Ermordung jüdischer Bürger durch das Nazi-Regime und dessen Kollaborateure war ein Beweggrund, warum die Aufmerksamkeit der Staatengemeinschaft dem spezielleren Anliegen (Genozid-Konvention) noch vor dem Menschenrechtsthema als Gesamtkomplex galt.

Weltweit gibt es zunehmend einen Konsens darüber, dass die internationale Gemeinschaft schwersten Menschenrechtsverletzungen nicht untätig zusehen darf. 1999 stoppten Nato-Streitkräfte die serbische Politik der "ethnischen Säuberungen". Ein Beschluss des UNO-Sicherheitsrats lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor. In den neunziger Jahren stellten die Flugverbotszonen im Irak einen teilweisen Schutz für die Schiiten im Süden und die Kurden im Norden sicher, diesmal aufgrund von UN-Beschlüssen. In einigen schwarzafrikanischen Ländern, aber auch in anderen Kontinenten wie  z. B. auf Haiti oder in Ost-Timor, kamen Interventionstruppen zum Einsatz, um humanitären Katastrophen Einhalt zu gebieten. Oft wurde allerdings dem Mord an Bevölkerungsgruppen  nicht entgegen getreten. Im Konflikt zwischen Tutsi und Hutu wurden innerhalb weniger Wochen 800.000 Menschen umgebracht, weil vorhandene UN-Truppen trotz der Notrufe des örtlichen Kommandeurs nicht die Erlaubnis zu einem durchgreifenden Einsatz von­seiten der Führungsstellen am Sitz der UN in New York erhielten. Auch im ostbosnischen Srbrenica kam es in Anwesenheit von UN-Truppen zum Genozid (s. Berufungskammerspruch im UN-Kriegsverbrecher­tribunal, 4/04). Den Tatbestand des Genozids erfüllt auch Saddams Vorgehen  z. B. gegen die kurdische Bevölkerung.

Ausmaße eines Genozids nehmen derzeit die Entwicklungen im Sudan an. Rupert Neudeck (auf den sich Gegner der militärischen Interventionen in Irak und Afghanistan vor einem – bzw. zwei – Jahren gern bezogen) appelliert: "Folter, Mord, Vergewaltigung, Tausende von Toten und eine Million Men­schen auf der Flucht – und ein Waffenstillstand zwischen Regierung und Rebellen, über dessen Ak­zeptanz und Haltbarkeit sich zurzeit noch nichts sagen lässt. Was also ist im Sudan zu tun?  Wichtig sind vor allem glasklare Vorgaben für die Politik. Mit der Regierung in Khartum muss Tacheles geredet werden. Das tun aber die Mächte der Welt nicht. Weder in New York noch in Genf, noch vor Ort. (...) Die Europäer stehen in einer besonderen Verantwortung (...). Es darf nicht (dazu kommen), den Sudan sich selbst zu überlassen und die Menschen der Grausamkeit der Regierungsmilizen."  Neudeck: "Teilt den Sudan! Wie das afrikanische Land gerettet werden kann", in: Die Zeit, 29.4.04. Zwar wird nicht offen zur militärischen Intervention geraten, sie zu umgehen – wenn das Land gegen den Willen der Regierung geteilt werden soll – wird jedoch realiter kaum möglich sein. Wo also steht der Ratgeber, allgemeiner gesprochen, welchen Stellenwert haben Menschenrechte im Kontext völkerrechtlichen Souveränitätsverständnisses?

Innerstaatlich organisierter Völkermord kann oft nicht anders als durch äußere Intervention, also durch Verletzung der Souveränität, gestoppt werden. Beim Gipfeltreffen des UN-Sicherheitsrats im Jan. 1992 haben die Staats- u. Regierungschefs daher erklärt, zur Durchsetzung der Menschenrechte Einschrän­kungen der staatlichen Souveränität zu dulden. Schon in der KSZE-Schlussakte von Helsinki – 1975 – wird anerkannt, dass die Menschenrechtssituation nicht ausschließlich als innere Angelegenheit eines Staates gelten kann. Am 20.4.1994 hat das Europäische Parlament die Mitgliedsländer aufgerufen, am rechtsbildenden Prozess zur Anerkennung eines Rechts auf humanitäre Intervention aktiv mitzuwirken. Anhaltspunkte für eine Rechtsfortbildung in dieser Richtung finden sich also sowohl in Normen internationaler Verträge (sowie Normierungsempfehlungen) als auch in der Staatenpraxis, also "gewohnheitsrechtlich" (vgl. vorherige Absätze).

Menschenrechtsaspekte sind auch tangiert, wenn die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Landes oder einer Region verhindert wird und so die Grundversorgung und das Überleben der Bevölkerung oder von Teilen der Bevölkerung infrage gestellt sind. Saddam war zur eigenen Machtentfaltung zu jeder Form von Drangsalierung – einschließlich jeder nur denkbaren Form ökonomischer Depravierung – bereit und darin sehr erfinderisch (vgl. nachfolgende Absätze). Die Verknüpfung von Menschenrechtsanliegen und Entwicklungserfordernissen ist u.a. in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (v. 10.12.48) etabliert. Denn "verkündet", wie es dort heißt, wird die UN-Menschenrechtserklärung auch im Rückgriff auf den Entwicklungsauftrag (!) der Vereinten Nationen, "den sozialen Fortschritt und bessere Lebens­bedingungen bei größerer Freiheit zu fördern". [Präambel der UN-Menschenrechtserklärung, vgl. auch UN-Charta (s. Kasten)].

Charta der Vereinten Nationen, v. 26.6.1945

   [Auszug der Präambel:]

Wir, die Völker der Vereinten Nationen, fest entschlossen,

  • (...)

  • Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können,

  • den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern,

und für diese Zwecke

  • (...)

  • internationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern  –

haben beschlossen, in unserem Bemühen um die Erreichung dieser Ziele zusammenzuwirken.

Dass Saddam auch in Bezug auf die Versorgungssituation der Bevölkerung ein Terrorregime geführt hat, wird hier anhand der Berichte, die der UN-Vollversammlung regelmäßig durch ihren Generalsekretär vor­gelegt werden, veranschaulicht. Gerafft sollen einige beispielhafte Hinweise wiedergegeben werden. Die Berichte unter der Federführung Max van der Stoels – Special Rapporteur of the Commission on Human Rights – beziehen sich auf die Menschenrechtssituation einschließlich der ökonomisch-sozialen Aspekte. Herangezogen werden die Berichte der Jahre 1995 und 1999.

UN-Report A/50/734

Gemäß dem Bericht v.1995 war seit Beginn der Berichterstattung 1991 "eine ständige Verschlechterung der Bevölkerungssituation festzustellen. Dies ging einher mit der beständigen Weigerung der irakischen Regierung, Ressourcen zu nutzen, die verfügbar waren, um die Leiden der Bevölkerung zu mildern (...). Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Politik der irakischen Regierung direkt verantwortlich ist für das körperliche und mentale Leiden – einschließl. langfristiger Gesundheitsschäden – von Millionen Menschen und für den Tod vieler weiterer tausend. (...)  Das "food-for-oil"-Angebot in der Folge der UN-Resolutionen 706 und 712 (aus 1991) wurde von der irakischen Regierung ebenso zurückgewiesen, wie dasjenige aus Resolution 986 (1995) über einen Betrag von 4 Milliarden US-Dollar, entsprechend einem Viertel der irakischen Gesamtexporte vor der Kuwait-Invasion. (...)  Nach Bekanntwerden der Resolution fielen zunächst die Lebensmittelpreise auf den irakischen Märkten, was den Bedürftigen entsprechenden Zugang verschafft hätte. Nachdem jedoch von Regierungsverantwortlichen immer wieder Ablehnung geäußert wurde, (verlor sich der Preiseffekt). Begründung der Verantwortlichen war, dass die neue Initiative die Sanktionen verlängern würde – eine wahrheitswidrige Behauptung, da es allein beim Irak lag, die UN-Sicherheitsratsauflagen zu erfüllen und dadurch die Sanktionen zu beenden." (...)  Durch das System der Verteilung besonders zugunsten von Baath-Partei-Funktionären und höheren Offizieren waren diese vom Mangel nicht betroffen. "Der innere Führungszirkel scheint nicht von irgendwelchen Engpässen bezüglich Ernährung und medizinischer Versorgung betroffen zu sein." (...)  Bestimmte Gegenden werden ebenfalls bevorteilt: "besonders Tikrit, Samara und Teile Bagdads". Mittel, die von UNICEF geliefert wurden, um die Wasserqualität zu verbessern, wurden "in örtlich bedruckten Paketen und Dosen auf dem Schwarzmarkt vertrieben – zum Nachteil derer, für die es gedacht war." Wer sich ins Ausland begeben will, z.B. um sich medizinisch zu versorgen, muss eine Gebühr entrichten, die "von ID 40.000 auf ID 100.000 erhöht wurde (was 2 Jahresgehältern eines irakischen Regierungsangestellten entspricht). Qualifiziertes Personal, z.B. Ingenieure, Architekten und Mediziner müssen eine Kaution von ID 1 Million hinterlegen." (...)  Zusätzlich zu diesen Repressalien "liegen glaubwürdige Berichte vor, dass bei regelmäßigen Angriffen auf ländliche Gegenden und Gemeinden sowohl nach Norden längs der internen Grenze (gegenüber dem kurdischen Sektor) wie auch nach Süden Getreide- und Viehbestände gezielt vernichtet werden, um die Angebots­mengen zu verknappen ..."

UN-Report A/54/466

Gemäß dem Bericht v.1999 verweigerte der Irak weiter beharrlich die Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen (aus: International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), wonach er gehalten ist, von den Ressourcen zur Versorgung der Bevölkerung Gebrauch zu machen. Als bezeichnendes Beispiel referiert Berichterstatter Max von der Stoel folgendes Vorkommnis: "In eigenen Gewässern griff die kuwaitische Küstenwache ein aus Irak kommendes Boot  –  unter der Flagge der Vereinigten Arabischen Emirate  –  auf. Der Schiffsführer verfügte über ein Ausfuhrzertifikat von Basra und führte Baumwollsaat, viele Kartons Kinderpuder und Babyfläschchen mit sich. Er gab sechs ähnliche Verstöße zu." UNICEF's Irak-Programm sah seinerzeit einen Schwerpunkt im Bereich Kinderernährung vor. "Der Exekutivdirektor des Programms äußerte sein Befremden über die sehr lange Zeit, die die irakische Regierung benötigte, um die erforderlichen Vereinbarungen zu treffen, nachdem ein Vorgängerprogramm bereits neun Monate zuvor geendet hatte. Es sollten u.a. größere Mengen therapeutischer Milch und Protein-Zwieback ausgeteilt werden." Generell erreichten nur Bruchteile der Bestände an medizinischen Versorgungsgütern ihren Bestimmungsort, während gleichzeitig "Warenläger der Regierung geradezu überfließen". Im kurdischen Norden (autonomer Status und Schutz durch Flugverbotszone) wurden demgegenüber "die UNICEF und World Food Programme in all den Jahren voll erfüllt ..." Im Bericht ist hier auch vermerkt, dass "trotz des (weltmarktbedingt) stark gestiegenen Öl-Preises die Versorgung von Frauen und Kindern im übrigen Irak sich weiter verschlechtert hat ".

Zusammenfassend spricht der UN-Berichterstatter von der bedrückenden Situation und der Schwere der Menschenrechtsverletzungen im Irak, für die es "wenig Vergleichbares in der Welt seit dem 2. Weltkrieg gibt ". Unter Berücksichtigung des Regimeverhaltens und der uneingeschränkten Machtstellung Saddams "gelangt der Berichterstatter zu der Schlussfolgerung, dass es für das irakische Volk eine Respektierung der Menschenrechte weder gibt – noch in absehbarer Zukunft geben wird." Es folgt die Feststellung, dass die Repression der Bevölkerung durch die irakische Regierung Sicherheitsrats-Resolution 688 (von 1991) verletzt, die dem Regime vorschreibt, "als Beitrag zum Ausräumen der Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit der Region, unverzüglich diese Repression zu beenden." In der Bilanz van der Stoels heißt es auch: "Seit 1992 wurde keine Frage des Berichterstatters beantwortet, geschweige denn eine Empfehlung oder Auflage befolgt. Die Einreise wurde ihm wie auch seinen Mitarbeitern verweigert." Dies führt ihn zu seiner Schlussfolgerung, die allein konsequent erscheint: "Ohne festen Willen aufseiten der internationalen Gemeinschaft, mit Nachdruck und klarer Zielvorstellung auf die äußerst ernsten, hier referierten Verstöße zu antworten, wird die Tradition der Straflosigkeit bzw. Folgenlosigkeit, die bezogen auf den Irak vorherrscht, mit größter Wahrscheinlichkeit fortleben. Die unseligen Konsequenzen werden sein, unter anderem, die Fortdauer der Menschenrechtsverstöße zu ermutigen, Hoffnungen auf Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit zu enttäuschen – einschließlich entsprechender Regierungspraxis – and Bemühungen zur Friedenssicherung und Herstellung von Stabilität in der Region infrage zu stellen." [Angemerkt wird hier nochmals, dass nur eine kleine Auswahl beispielhaft erwähnter Angaben referiert wurde.]

Folgerungen

Die Terrorisierung der Bevölkerung durch das herrschende Regime wurde nicht erst im Verlauf der neunziger Jahren zu einem Hauptmerkmal des Umgangs des Machtapparats mit dem Land, auch in den achtziger Jahren offenbarte sich der Charakter des Regimes durch einen außen- wie innenpolitisch rücksichtslosen Machtmissbrauch, der in beiden Jahrzehnten (durch Krieg, Verfolgung, ökonomische Repressalien etc.) jeweils mehrere hunderttausend Menschenleben forderte und das Land und die Bevölkerung auszehrte. Die Zerstörung oder der Entzug der Lebensgrundlagen, eine verfallende wirtschaftliche Infrastruktur, skrupelloser Umgang mit den Ressourcen des Landes und schrankenlose Unterdrückung des Potenzials seiner Menschen (durch willkürliche Übergriffe jeder Art und Schwere) waren die Kennzeichen und Zumutungen des eingespielten Regimes. Es widerspricht den Absichten der Menschenrechtserklärung und der Genozidkonvention, diese Variante der Aushöhlung von Lebensrecht und Menschenrechten von einer Sanktionierung auszunehmen, da es bei der Ächtung von Verstößen gegen Menschenrechte im Allgemeinen und des Genozids im Besonderen nicht auf die jeweilige Form sondern den verwerflichen Inhalt ankommt. Verlangt aber das Souveränitätskonzept des Völkerrechts die unbefristete Hinnahme der inneren Zerstörung eines Landes? Schlüssig und substanziell wird eine völkerrechtliche Argumentation letztlich erst unter Einbeziehung des Aspekts der Bevölkerungssituation, da die Wahrung der souveränen Rechte eines Staates ihren Sinn verliert, wenn nicht die Bevölkerung und – als Lebensgrundlage der Bevölkerung – die innere Substanz des Staates, sondern dessen ungehemmte Auszeh­rung und Zerstörung durch Völkerrechtsmaßgaben geschützt wird – als Ergebnis eines pau­schalen Souveränitätsbegriff, der das Kriterium der inneren Legitimität von Staaten unberücksichtigt lässt. Der Aspekt eines schleichenden Völkermords als Auswirkung der Auszehrung und Zerstörung innerer staatlicher Substanz darf nicht – und in keiner Formausblendet werden.

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hagalil.com 18-05-2004

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