Scheich Imad
Von Fritz W. Peter, März 2004
Scheich Imad
al-Din al-Awadi bewohnt ein mehrstöckiges Haus im Norden Bagdads,
das zur Anlaufstelle für viele Iraker geworden ist, die Aufklärung
suchen über den Verbleib von Angehörigen, die in der Zeit Saddams
verschwunden waren. Das Haus quillt über mit Akten über damals
Inhaftierte. Der Scheich hatte das Material retten können, als
Baathisten gezielt ein Gebäude nieder brannten, in dem unzählige
solcher Akten eingelagert waren. Plünderung und Zerstörung waren
auch in diesem Fall das gezielte Werk von Regimevertretern – im
Versuch, selbst-dokumentierte Regimekriminalität gleichsam
"wegzuschwärzen".
Scheich al-Din
al-Awadi, der schiitischen Glaubensrichtung fest verbunden, befand
sich fast zehn Jahre in Saddams Gefängnissen. Außer den zahlreichen
Anfragen hat er, im Gegenzug, auch viele Zuträger von Informationen
über Schicksale und Vorkommnisse im Gefängnisstaat Saddams. Ein
Arzt, der Nachforschungen zum Verbleib des Bruders anstellte und
dazu auch das Archiv des Scheichs nutzte, wandte sich seinerseits
mit einem Bekenntnis an den Scheich. Als Hals-Nasen-Ohren-Arzt sei
er eines Nachts, 1995, von örtlichen Funktionären der Baath-Partei
angewiesen worden, einem jungen Armee-Deserteur das Ohr
abzuschneiden. "Als ich sagte, dass man das nicht in der Nacht
tun sollte und ich psychologisch nicht dazu fähig sei, sagten sie,
'Du musst es abschneiden, und wenn du es mit den Zähnen tust – oder
wir werden DEIN Ohr abschneiden'." Die Bestrafungsart für
Deserteure hatte sich Saddams Sohn Uday ausgedacht. Bevor Uday nach
einigen Monaten zu anderen Maßnahmen überging, trennte der Arzt 47
Ohren ab. "Ich hatte ein Gefühl, nicht mehr zu existieren, ein
Gefühl der Schuld. Ich versuche, mich damit zu beruhigen, dass ich
keine Wahl hatte." [s. Quellennachweis am Ende dieses
Abschnitts; das hier Referierte beschränkt sich auf eine sehr
gekürzte, auszugsweise Wiedergabe von Vorort-Schilderungen]
In den
Nachrichten des Ersten deutschen Fernsehens wurde nach dem
Regimesturz und der Öffnung der Gefängnisse der Fall eines Irakers
gezeigt, der durch eine der üblichen willkürlichen Entscheidungen in
das Gefängnislabyrinth Saddams bzw. Baath-Regimes geraten war. Eines
Tages fand sich der Mann in einer Art Krankenhausbett wieder,
angeschlossen an Infusionsflaschen, wie nach einer Operation. Man
hatte ihm eine gesunde Niere entfernt. Im Interview deutete er auf
die zurückbehaltene Narbe.
UN-Report
A/50/734 von 1995 zur Menschenrechtssituation in Irak vermerkt:
"Medienberichte liefern Hinweise auf einen blühenden Handel mit
menschlichen Organen. Verzweifelte stehen an, eine Niere zu
verkaufen, im Versuch, ihren Familien das Überleben zu sichern." Wie
das oben angesprochene Beispiel zeigt, bemächtigte man sich der
Organe außer durch Ausnutzen auswegloser Situationen ebenso auf
direktem Weg durch gewaltsamen Zugriff.
Berichte von
Menschenrechtsorganisationen geben (und gaben damals schon) Einblick
in die Praktiken des Saddam-Regimes und seiner Schergen. Die
Berichte sind von Lesern, die des Mitgefühls fähig sind, seelisch
nur schwer zu verarbeiten. Ein resümierender Textauszug – der
stellvertretend zitiert wird – ist hier nachfolgend bewusst nicht im
fortlaufenden Text, sondern im Anhang eines späteren Kapitels (6)
aufgeführt, um bei der Lektüre die Freiheit zu lassen, daran vorbei
zu lesen. Zitiert werden soll hier nur ein trotz diplomatischer
Rücksichtnahme deutlicher Ergebnisbefund der Commission on Human
Rights der Vereinten Nationen. Die "Commission on Human Rights
resolution 2003/84" "wiederholt und bekräftigt ihre starke
Verurteilung der systematischen, ausgedehnten und extrem schweren
Verletzungen der Menschenrechte und internationalen humanitären
Rechtsgrundsätze, die von der irakischen Regierung seit vielen
Jahren begangen werden – mit der Folge einer alles
durchdringende Repression und Unterdrückung, aufrecht erhalten durch
eine auf breiter Basis erfolgende Diskriminierung und weit
verbreiteten Terror ...". Die Feststellungen der Kommission
wurden mit 31 zu 3 Stimmen, bei 12 Enthaltungen, am 25.4.03
angenommen.
[Die
Schilderungen im Zusammenhang mit Scheich al-Din al-Awadi und –
nachfolgend – Dr. Butti sind den Aufzeichnungen von George Packer –
"Letter from Baghdad.
War after the War. What Washington doesn't see in Iraq"
–
in: The New Yorker (24.11.03), entnommen.
Georg Packer
berichtet aus erster Hand, d.h. aus persönlicher Begegnung mit den
Personen. Seine ausführlichen und aufschlussreichen Schilderungen
beleuchten ebenso die Situation vor Ort wie den größeren politischen
Entscheidungszusammenhang.]
Dr. Butti
Dr. Baher
Butti – ein Mittvierziger, christlichen Glaubens, säkular
eingestellt – versorgt traumatisierte Patienten in einem Bagdader
psychiatrischen Krankenhaus. Mit alten Klassenkameraden der Bagdader
Jesuit High School gründete er die Bagdad Rehabilitation and
Development Group, die auch den Aufbau des Gilgamesh Center for
Creative Thinking betreibt, das sich zum Ziel setzt, Selbsttätigkeit
anzuregen und das Gefühl des Abgeschnittenseins von den
kommunikativen und Entwicklungsprozessen der Außenwelt zu
überwinden. In der konzeptionellen Begründung heißt es: "Eine
große Zahl irakischer Menschen leiden durch den Verlust der
Kommunikation mit der zivilisierten Welt, sie leiden an ihrem
Unvermögen, sich mit anderen auszutauschen, sie haben die Hoffnung
auf die Zukunft aufgegeben, sie verdächtigen alles Fremde, (...) es
fehlt ihnen die Kraft, um Freiheit erfahren zu können." Das
bittere Resümee lautet: "Die Kriegsschäden zu reparieren ist eine
leichte Aufgabe verglichen mit dem Wiederaufbau der verformten
menschlichen Person." [zit. n. George Packer]
Die Aussage,
es fehle die Kraft, Freiheit zu erfahren, erklärt nach Ansicht von
George Packer auch zum großen Teil, "warum der Moment der guten
Gefühle nach der Befreiung Bagdads so kurz war. Den Irakern wurde
gesagt, sie seien frei, sie erwarteten ja auch, frei zu sein, sie
hatten Jahre gewartet – aber das Gefühl, frei zu sein, stellte sich
nicht ein. Und so trat gleich wieder ein Zustand der Depression
ein."
"'They lack the power to experience freedom': the phrase helps
explain why the moment of good feeling was so short after the
liberation of Baghdad. Iraqis were told they were free, they had
been waiting for years to be free – but they still
didn't feel free. And so a depression set in almost at once.”
Apathie ...
ist vielleicht
der am schwersten greifbare Feind der Kehrtwende und Rekonstruktion
des Landes. In Jahrzehnten einer bizarren Selbstvergötterung des
Regimes (siehe z.B. Palastbauten und Saddam-Statuen), eines Regimes,
für das Menschenrechte nie ein Gesichtspunkt waren und das
gegenüber der Bevölkerung stets bewusste, aktive Terrorbereitschaft
einsetzte (es gab in diesem Sinn kein Völkerrecht, kein Recht
des Volkes gegenüber Herrschaft und Willkür), war ein Grundzustand
erreicht, der jeder selbständigen Regung – jeder persönlichen
Initiative – schon psychologisch im Ansatz vorbaute, nämlich durch
die lähmende Wirkung eines systematisch geschürten, ständigen
Angstzustands. Stehen der Aufbauarbeit und der Stabilisierung zwar
auch jetzt größte Schwierigkeiten im Weg, so besteht doch immerhin
die Chance zu einer allmählichen Entwicklung. Eine solche Chance
bestand bis zum März 03 nicht! Das Wort Solschenyzins – bezogen auf
sein Land unter kommunistischer Herrschaft – kommt dabei in
Erinnerung: Die Menschen haben in vielen Jahrzehnten gelernt zu
schweigen, sie werden ebenso lange brauchen, um das Sprechen wieder
zu erlernen.
Es ist keine
legitime Option, den Völkern die Entwicklung zu verweigern. Die
schwersten Demütigungen erfahren sie oft nicht von außen durch
fremde Mächte – symbolisch steht dafür das Wort von den
'Kreuzrittern' – , sondern durch die Unterdrückung ihrer
Lebenskräfte und Entwicklungspotentiale infolge der Usurpierung und
Pervertierung von Macht innerhalb der Länder, wie u.a. die
Beispiele des Saddam- bzw. Baath-Regimes sowie des Taliban-Regimes
in Afghanistan zeigen.
Nicht nur war
dort der Status der Bevölkerungen in ihrer jeweiligen Gesamtheit auf
einen Zustand der Rechtlosigkeit herabgesetzt. Speziell traten
weitere Demütigungen von Teilen der Bevölkerung hinzu. So waren
unter Saddam z.B. die Schiiten, obgleich Bevölkerungsmehrheit, durch
die Zumutungen des Regimes sozial und psychologisch in eine
Situation von Menschen 2. Klasse gebracht worden. In Afghanistan war
z.B. die Gruppe der Frauen durch die Taliban einer geradezu
grenzenlosen Demütigung und Entrechtung ausgesetzt. Die Verteufelung
westlicher Aspekte und Mächte diente eher der Ablenkung. Die Teufel
saßen im Land selber. Durchschaut wird dieser Projektionsmechanismus
nicht nur nicht von vielen Menschen im arabischen und islamischen
Raum, sondern auch in beachtlichen Teilen unserer Öffentlichkeit.
Die
Jerusalem Post beschrieb die zynische Realität durchaus
zutreffend, indem sie als die eigentliche Massenvernichtungswaffe
gewissermaßen Saddam selbst – und Diktatoren wie ihn –
bezeichnete: "It wasn't WMD themselves, but their possession by
a man without conscience, which justfied war.
In other words, Saddam himself – and dictators like him – was
the real weapon of mass destruction
..."
In: "Kerry
on
Israel",
11.3.04.
Madeleine
Albright, Clintons Außenministerin, nannte nach ihrem Besuch in
einem afghanischen Flüchtlingslager im Norden Pakistans die Art der
Behandlung der Frauen durch die Taliban "despicable"
(verachtenswert). Ein militärisches Vorgehen gegen die Taliban, um
die afghanische Basis der Al Qaida zu zerschlagen, lehnte sie
zugleich entschieden ab: "For us to get involved in a civil war
on behalf of the Northern Alliance would have been insane." Nur
wenige Jahre später – auf Basis eines UN-Mandats – wurde der
Militärschlag geführt. Der 11. September, eine neue
US-Administration und eine (erst mit dem 11.9. einsetzende) neue
Entschlossenheit hatten die Situation verändert. Seither bietet sich
wieder eine entwicklungspolitische Chance für Afghanistan. [Aufgrund
vieler Aussagen und faktischer Anhaltspunkte ist belegt, dass kaum
Veränderungen im Handling des Themas der terroristischen Bedrohungen
während der acht Monate nach Bushs Amtsantritt bis zum 11.9.
erfolgten. Vgl. u.a. Barton Gellman, "A Strategy's Cautious
Evolution", Washington Post, 20.1.02, sowie die
Berichterstattung aus den laufenden Hearings der National
Commission on Terrorist Attacks Upon the United States, z. Bsp.
Robin Wright, "Top Focus
Before 9/11 Wasn't on Terrorism",
Washington Post, 1.4.04.]
Einstimmig ...
beschloss die
UN-Vollversammlung die Konvention über die Verhütung und Bestrafung
des Völkermords (Genozids) am 9.12.1948. Tags darauf verabschiedete
die Weltgemeinschaft die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
Der Ächtung des Völkermords als Extremtatbestand der Verletzung von
Menschenrechten ging die Erfahrung (in der Mitte Europas!) des
Holocaust, aber auch anderer entsetzlicher Vernichtungshandlungen
voraus. Die zeitliche Nähe zur systematischen Verfolgung und
Ermordung jüdischer Bürger durch das Nazi-Regime und dessen
Kollaborateure war ein Beweggrund, warum die Aufmerksamkeit der
Staatengemeinschaft dem spezielleren Anliegen (Genozid-Konvention)
noch vor dem Menschenrechtsthema als Gesamtkomplex galt.
Weltweit gibt
es zunehmend einen Konsens darüber, dass die internationale
Gemeinschaft schwersten Menschenrechtsverletzungen nicht untätig
zusehen darf. 1999 stoppten Nato-Streitkräfte die serbische Politik
der "ethnischen Säuberungen". Ein Beschluss des UNO-Sicherheitsrats
lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor. In den neunziger Jahren stellten
die Flugverbotszonen im Irak einen teilweisen Schutz für die
Schiiten im Süden und die Kurden im Norden sicher, diesmal aufgrund
von UN-Beschlüssen. In einigen schwarzafrikanischen Ländern, aber
auch in anderen Kontinenten wie z. B. auf Haiti oder in
Ost-Timor, kamen Interventionstruppen zum Einsatz, um humanitären
Katastrophen Einhalt zu gebieten. Oft wurde allerdings dem Mord an
Bevölkerungsgruppen nicht entgegen getreten. Im
Konflikt zwischen Tutsi und Hutu wurden innerhalb weniger Wochen
800.000 Menschen umgebracht, weil vorhandene UN-Truppen trotz der
Notrufe des örtlichen Kommandeurs nicht die Erlaubnis zu einem
durchgreifenden Einsatz vonseiten der Führungsstellen am Sitz der
UN in New York erhielten. Auch im ostbosnischen Srbrenica kam es in
Anwesenheit von UN-Truppen zum Genozid (s. Berufungskammerspruch im
UN-Kriegsverbrechertribunal, 4/04). Den Tatbestand des Genozids
erfüllt auch Saddams Vorgehen z. B. gegen die kurdische
Bevölkerung.
Ausmaße
eines Genozids nehmen derzeit die Entwicklungen im Sudan an.
Rupert Neudeck (auf den sich Gegner der militärischen
Interventionen in Irak und Afghanistan vor einem – bzw. zwei –
Jahren gern bezogen) appelliert: "Folter, Mord,
Vergewaltigung, Tausende von Toten und eine Million Menschen
auf der Flucht – und ein Waffenstillstand zwischen Regierung und
Rebellen, über dessen Akzeptanz und Haltbarkeit sich zurzeit
noch nichts sagen lässt. Was also ist im Sudan zu tun?
Wichtig sind vor allem glasklare Vorgaben für die Politik. Mit
der Regierung in Khartum muss Tacheles geredet werden. Das tun
aber die Mächte der Welt nicht. Weder in New York noch in Genf,
noch vor Ort. (...) Die Europäer stehen in einer besonderen
Verantwortung (...). Es darf nicht (dazu kommen), den Sudan sich
selbst zu überlassen und die Menschen der Grausamkeit der
Regierungsmilizen." Neudeck: "Teilt den Sudan! Wie
das afrikanische Land gerettet werden kann", in: Die Zeit,
29.4.04. Zwar wird nicht offen zur militärischen Intervention
geraten, sie zu umgehen – wenn das Land gegen den Willen der
Regierung geteilt werden soll – wird jedoch realiter kaum
möglich sein. Wo also steht der Ratgeber, allgemeiner
gesprochen, welchen Stellenwert haben Menschenrechte im Kontext
völkerrechtlichen Souveränitätsverständnisses? |
Innerstaatlich
organisierter Völkermord kann oft nicht anders als durch äußere
Intervention, also durch Verletzung der Souveränität, gestoppt
werden. Beim Gipfeltreffen des UN-Sicherheitsrats im Jan. 1992 haben
die Staats- u. Regierungschefs daher erklärt, zur Durchsetzung der
Menschenrechte Einschränkungen der staatlichen Souveränität zu
dulden. Schon in der KSZE-Schlussakte von Helsinki – 1975 – wird
anerkannt, dass die Menschenrechtssituation nicht ausschließlich als
innere Angelegenheit eines Staates gelten kann. Am 20.4.1994 hat das
Europäische Parlament die Mitgliedsländer aufgerufen, am
rechtsbildenden Prozess zur
Anerkennung eines Rechts auf humanitäre Intervention aktiv
mitzuwirken. Anhaltspunkte für eine Rechtsfortbildung in dieser
Richtung finden sich also sowohl in Normen internationaler
Verträge (sowie Normierungsempfehlungen) als auch in der
Staatenpraxis, also "gewohnheitsrechtlich" (vgl.
vorherige Absätze).
Menschenrechtsaspekte sind auch tangiert, wenn die wirtschaftliche
und soziale Entwicklung eines Landes oder einer Region verhindert
wird und so die Grundversorgung und das Überleben der Bevölkerung
oder von Teilen der Bevölkerung infrage gestellt sind. Saddam war
zur eigenen Machtentfaltung zu jeder Form von Drangsalierung –
einschließlich jeder nur denkbaren Form ökonomischer Depravierung –
bereit und darin sehr erfinderisch (vgl. nachfolgende Absätze). Die
Verknüpfung von Menschenrechtsanliegen und
Entwicklungserfordernissen ist u.a. in der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte (v. 10.12.48) etabliert. Denn "verkündet", wie
es dort heißt, wird die UN-Menschenrechtserklärung auch im Rückgriff
auf den Entwicklungsauftrag (!) der Vereinten Nationen, "den
sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen bei größerer
Freiheit zu fördern". [Präambel der
UN-Menschenrechtserklärung, vgl. auch UN-Charta (s. Kasten)].
Charta der
Vereinten Nationen, v. 26.6.1945
[Auszug der Präambel:]
Wir, die
Völker der Vereinten Nationen, fest entschlossen,
-
(...)
-
Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die
Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen
Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können,
-
den
sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in
größerer Freiheit zu fördern,
und für
diese Zwecke
haben
beschlossen, in unserem Bemühen um die Erreichung dieser Ziele
zusammenzuwirken. |
Dass Saddam
auch in Bezug auf die Versorgungssituation der Bevölkerung ein
Terrorregime geführt hat, wird hier anhand der Berichte, die der
UN-Vollversammlung regelmäßig durch ihren Generalsekretär vorgelegt
werden, veranschaulicht. Gerafft sollen einige beispielhafte
Hinweise wiedergegeben werden. Die Berichte unter der Federführung
Max van der Stoels – Special Rapporteur of the Commission on
Human Rights – beziehen sich auf die Menschenrechtssituation
einschließlich der ökonomisch-sozialen Aspekte. Herangezogen werden
die Berichte der Jahre 1995 und 1999.
UN-Report
A/50/734
Gemäß dem
Bericht v.1995 war seit Beginn der Berichterstattung 1991 "eine
ständige Verschlechterung der Bevölkerungssituation festzustellen.
Dies ging einher mit der beständigen Weigerung der irakischen
Regierung, Ressourcen zu nutzen, die verfügbar waren, um die Leiden
der Bevölkerung zu mildern (...). Es kann kein Zweifel daran
bestehen, dass die Politik der irakischen Regierung direkt
verantwortlich ist für das körperliche und mentale Leiden –
einschließl. langfristiger Gesundheitsschäden – von Millionen
Menschen und für den Tod vieler weiterer tausend. (...) Das
"food-for-oil"-Angebot in der Folge der UN-Resolutionen 706 und 712
(aus 1991) wurde von der irakischen Regierung ebenso zurückgewiesen,
wie dasjenige aus Resolution 986 (1995) über einen Betrag von 4
Milliarden US-Dollar, entsprechend einem Viertel der irakischen
Gesamtexporte vor der Kuwait-Invasion. (...) Nach
Bekanntwerden der Resolution fielen zunächst die Lebensmittelpreise
auf den irakischen Märkten, was den Bedürftigen entsprechenden
Zugang verschafft hätte. Nachdem jedoch von
Regierungsverantwortlichen immer wieder Ablehnung geäußert wurde,
(verlor sich der Preiseffekt). Begründung der Verantwortlichen war,
dass die neue Initiative die Sanktionen verlängern würde – eine
wahrheitswidrige Behauptung, da es allein beim Irak lag, die
UN-Sicherheitsratsauflagen zu erfüllen und dadurch die Sanktionen zu
beenden." (...) Durch das System der Verteilung besonders
zugunsten von Baath-Partei-Funktionären und höheren Offizieren waren
diese vom Mangel nicht betroffen. "Der innere Führungszirkel
scheint nicht von irgendwelchen Engpässen bezüglich Ernährung und
medizinischer Versorgung betroffen zu sein."
(...) Bestimmte Gegenden werden ebenfalls bevorteilt:
"besonders Tikrit, Samara und Teile Bagdads". Mittel, die von
UNICEF geliefert wurden, um die Wasserqualität zu verbessern, wurden
"in örtlich bedruckten Paketen und Dosen auf dem Schwarzmarkt
vertrieben – zum Nachteil derer, für die es gedacht war." Wer
sich ins Ausland begeben will, z.B. um sich medizinisch zu
versorgen, muss eine Gebühr entrichten, die "von ID 40.000 auf ID
100.000 erhöht wurde (was 2 Jahresgehältern eines irakischen
Regierungsangestellten entspricht). Qualifiziertes Personal, z.B.
Ingenieure, Architekten und Mediziner müssen eine Kaution von ID 1
Million hinterlegen."
(...) Zusätzlich zu diesen Repressalien "liegen
glaubwürdige Berichte vor, dass bei regelmäßigen Angriffen auf
ländliche Gegenden und Gemeinden sowohl nach Norden längs der
internen Grenze (gegenüber dem kurdischen Sektor) wie auch nach
Süden Getreide- und Viehbestände gezielt vernichtet werden, um die
Angebotsmengen zu verknappen ..."
UN-Report A/54/466
Gemäß dem
Bericht v.1999 verweigerte der Irak weiter beharrlich die Erfüllung
seiner vertraglichen Verpflichtungen (aus:
International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights),
wonach er gehalten ist, von den Ressourcen zur Versorgung
der Bevölkerung Gebrauch zu machen. Als bezeichnendes
Beispiel referiert Berichterstatter Max von der Stoel folgendes
Vorkommnis: "In eigenen Gewässern griff die kuwaitische
Küstenwache ein aus Irak kommendes Boot – unter der
Flagge der Vereinigten Arabischen Emirate – auf. Der
Schiffsführer verfügte über ein Ausfuhrzertifikat von Basra und
führte Baumwollsaat, viele Kartons Kinderpuder und Babyfläschchen
mit sich. Er gab sechs ähnliche Verstöße zu." UNICEF's
Irak-Programm sah seinerzeit einen Schwerpunkt im Bereich
Kinderernährung vor. "Der Exekutivdirektor des Programms äußerte
sein Befremden über die sehr lange Zeit, die die irakische Regierung
benötigte, um die erforderlichen Vereinbarungen zu treffen, nachdem
ein Vorgängerprogramm bereits neun Monate zuvor geendet hatte. Es
sollten u.a. größere Mengen therapeutischer Milch und
Protein-Zwieback ausgeteilt werden." Generell erreichten nur
Bruchteile der Bestände an medizinischen Versorgungsgütern ihren
Bestimmungsort, während gleichzeitig "Warenläger der Regierung
geradezu überfließen". Im kurdischen Norden (autonomer Status
und Schutz durch Flugverbotszone) wurden demgegenüber "die UNICEF
und World Food Programme in all den Jahren voll erfüllt ..." Im
Bericht ist hier auch vermerkt, dass "trotz des
(weltmarktbedingt) stark gestiegenen Öl-Preises die Versorgung von
Frauen und Kindern im übrigen Irak sich weiter verschlechtert hat ".
Zusammenfassend spricht der UN-Berichterstatter von der bedrückenden
Situation und der Schwere der Menschenrechtsverletzungen im Irak,
für die es "wenig Vergleichbares in der Welt seit dem 2.
Weltkrieg gibt ".
Unter Berücksichtigung des Regimeverhaltens und der
uneingeschränkten Machtstellung Saddams "gelangt der
Berichterstatter zu der Schlussfolgerung, dass es für das irakische
Volk eine Respektierung der Menschenrechte weder gibt – noch in
absehbarer Zukunft geben wird." Es folgt die
Feststellung, dass die Repression der Bevölkerung durch die
irakische Regierung Sicherheitsrats-Resolution 688 (von 1991)
verletzt, die dem Regime vorschreibt, "als Beitrag zum Ausräumen
der Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit der
Region, unverzüglich diese Repression zu beenden." In der Bilanz
van der Stoels heißt es auch: "Seit 1992 wurde keine Frage des
Berichterstatters beantwortet, geschweige denn eine Empfehlung oder
Auflage befolgt. Die Einreise wurde ihm wie auch seinen Mitarbeitern
verweigert." Dies führt ihn zu seiner Schlussfolgerung, die
allein konsequent erscheint: "Ohne festen Willen aufseiten der
internationalen Gemeinschaft, mit Nachdruck und klarer
Zielvorstellung auf die äußerst ernsten, hier referierten Verstöße
zu antworten, wird die Tradition der Straflosigkeit bzw.
Folgenlosigkeit, die bezogen auf den Irak vorherrscht, mit größter
Wahrscheinlichkeit fortleben. Die unseligen Konsequenzen werden
sein, unter anderem, die Fortdauer der Menschenrechtsverstöße zu
ermutigen, Hoffnungen auf Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit
zu enttäuschen – einschließlich entsprechender Regierungspraxis –
and Bemühungen zur Friedenssicherung und Herstellung von Stabilität
in der Region infrage zu stellen." [Angemerkt wird hier
nochmals, dass nur eine kleine Auswahl beispielhaft erwähnter
Angaben referiert wurde.]
Folgerungen
Die
Terrorisierung der Bevölkerung durch das herrschende Regime wurde
nicht erst im Verlauf der neunziger Jahren zu einem Hauptmerkmal des
Umgangs des Machtapparats mit dem Land, auch in den achtziger Jahren
offenbarte sich der Charakter des Regimes durch einen außen- wie
innenpolitisch rücksichtslosen Machtmissbrauch, der in beiden
Jahrzehnten (durch Krieg, Verfolgung, ökonomische Repressalien etc.)
jeweils mehrere hunderttausend Menschenleben forderte und das Land
und die Bevölkerung auszehrte. Die Zerstörung oder der Entzug der
Lebensgrundlagen, eine verfallende wirtschaftliche Infrastruktur,
skrupelloser Umgang mit den Ressourcen des Landes und schrankenlose
Unterdrückung des Potenzials seiner Menschen (durch willkürliche
Übergriffe jeder Art und Schwere) waren die Kennzeichen und
Zumutungen des eingespielten Regimes. Es widerspricht den Absichten
der Menschenrechtserklärung und der Genozidkonvention, diese
Variante der Aushöhlung von Lebensrecht und Menschenrechten von
einer Sanktionierung auszunehmen, da es bei der Ächtung von
Verstößen gegen Menschenrechte im Allgemeinen und des Genozids im
Besonderen nicht auf die jeweilige Form sondern den verwerflichen
Inhalt ankommt. Verlangt aber das Souveränitätskonzept des
Völkerrechts die unbefristete Hinnahme der inneren
Zerstörung eines Landes? Schlüssig und substanziell wird eine
völkerrechtliche Argumentation letztlich erst unter Einbeziehung des
Aspekts der Bevölkerungssituation, da die Wahrung der souveränen
Rechte eines Staates ihren Sinn verliert, wenn nicht die Bevölkerung
und – als Lebensgrundlage der Bevölkerung – die innere Substanz des
Staates, sondern dessen ungehemmte Auszehrung und Zerstörung durch
Völkerrechtsmaßgaben geschützt wird – als Ergebnis eines pauschalen
Souveränitätsbegriff, der das Kriterium der inneren Legitimität von
Staaten unberücksichtigt lässt.
Der Aspekt eines schleichenden Völkermords
als Auswirkung der Auszehrung und Zerstörung innerer
staatlicher Substanz darf nicht – und in keiner
Form – ausblendet
werden.
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Fortsetzung
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18-05-2004 |