Der Nahostfahrplan:
Garantierter Fehlschlag
Nahost: Auch die neue "Road Map"
setzt einseitig auf die Interessen Israels
Von Tanya Reinhart
Junge Welt, 19.05.2003
Alle paar Monate wird im Weißen Haus ein "Friedensplan" aus
der Schublade gezogen und hält den öffentlichen Diskurs für einige
Wochen in Gang. Obgleich dieses Ritual ein fixes Muster und ein
vorherbestimmtes Ende hat, wundert man sich, daß viele in Israel
versucht sind zu glauben, daß es diesmal anders sein könnte.
Die "Road Map" (Streckenkarte) kündigt diesmal an: "Das zu
erreichende Ziel ist eine endgültige und umfassende Regelung des
israelisch-palästinensischen Konflikts bis zum Jahr 2005." Um zu
prüfen, ob sie in dieser Richtung irgend etwas Konkretes anbietet,
muß man sich erst einmal klar machen, worum es in dem Konflikt geht.
Aus der israelischen Diskussion könnte man den Eindruck gewinnen,
daß es um das Rückkehrrecht geht: Die Palästinenser versuchen, die
schiere Existenz des Staates Israel mit der Forderung zu
untergraben, ihren Flüchtlingen die Rückkehr zu ermöglichen, und
dies versuchen sie, mit Terror zu erreichen. Anscheinend hat man
vergessen, daß es sich schlichtweg um einen klassischen Konflikt um
Land und Ressourcen (Wasser) handelt. Auch das Road-Map-Dokument
offenbart ein gänzliches Fehlen jeglicher territorialen Dimension.
Die Forderungen an die Palästinenser sind klar: Bildung einer
Regierung, die von den USA als demokratisch zu definieren ist,
Bildung dreier Sicherheitsdienste, die von Israel als zuverlässig zu
definieren sind, und Zerschlagung des Terrors. Erst wenn diese
Forderungen erfüllt sind, soll die dritte Phase beginnen, in der die
Besatzung wie ein Wunder zu Ende geht. Aber das Dokument stellt, was
diese dritte Phase angeht, an Israel keine Forderungen. Die meisten
Israelis verstehen, daß es keinen Weg zur Beendigung der Besatzung
und des Konflikts gibt, ohne daß die israelische Armee aus den
Territorien abzieht und die Siedlungen aufgelöst werden. Aber diese
Grundvoraussetzungen werden in dem Dokument nicht einmal angedeutet;
es erwähnt nur das Einfrieren der Siedlungen und die Auflösung neuer
Außenposten, und zwar schon in der ersten Phase.
Diese erste Phase ist substantieller, weil sie den Tenet-Plan
wieder aufnimmt. In dieser Phase wird von Israel auch erwartet,
"sich aus palästinensischen Gebieten zurückzuziehen, die seit dem
28. September 2000 besetzt wurden und den Status quo ante, der
damals existierte, wiederherzustellen". Zweifellos kann die
Erfüllung dieser Forderung erheblich dazu beitragen, die Lage etwas
zu beruhigen, sei es auch nur vorübergehend. Wenn ich daran geglaubt
hätte, daß die europäischen Vertreter im Quartett diesen Plan zur
Umsetzung bringen könnten, hätte ich ihn begrüßt. Aber es gibt keine
Basis für einen solchen Glauben. Der Tenet-Plan ist seinerzeit
mehrfach in die Schlagzeilen gekommen. Die letzte Runde war
anscheinend so etwas wie eine amerikanische
Waffenstillstandsinitiative, für die die Vermittler Zinni und Cheney
in die Region entsandt wurden. Schon damals machte Israels Premier
Scharon klar, daß er dieser Forderung nicht zustimmt, daß er nur
zustimmt, die Lebensbedingungen der Bevölkerung in Gebieten zu
erleichtern, in denen die Ruhe aufrechterhalten bleibt. Dies
hinderte die USA nicht, auf die Palästinenser als diejenige Seite zu
zeigen, die den Waffenstillstand ablehnten. Mit dem Ende dieser
Initiative begann Israel den Zerstörungsfeldzug der Operation
"Verteidigungsschild", und zwar mit dem Segen der USA.
Israel reagierte auch auf die Road Map mit denselben alten
Einwänden. Ferner betonte es, daß eine Verhandlungslösung zur
Beendigung des Terrors nicht ausreiche, erforderlich sei vielmehr
ein sichtbarer Zusammenstoß zwischen den neuen Sicherheitskräften
und den oppositionellen Organisationen (d. h. ein Bürgerkrieg).
Israel fordert sogar, daß eine palästinensische Erklärung über das
Ende des Konflikts und den Verzicht auf das Rückkehrrecht abgegeben
wird, und zwar als Vorbedingung für jeglichen Prozeß und nicht am
Ende desselben. Und wiederum kann nichts von alledem die Position
der USA erschüttern, daß Israel die Seite ist, die Frieden will, die
Seite, "deren Sicherheit der Schlüssel zur Sicherheit der Welt ist,"
wie Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice meinte. Die USA werden
heute von Falken beherrscht, deren Vision ein endloser Krieg ist.
Israel, dessen Führer immer darauf aus sind, in einen weiteren Krieg
zu ziehen, ist ein Aktivposten in dieser Vision. Es gibt daher keine
Grundlage für die Annahme, daß die USA irgend jemandem erlauben
werden, Israel zu irgend welchen Konzessionen zu zwingen.
Die Autorin ist Professorin für Linguistik und
Kulturwissenschaften an der Universität Tel Aviv:
http://www.tau.ac.il/~reinhart/
(Übersetzung: Klaus von Raussendorff)
Mehr von Tanya Reinhart:
hagalil.com
19-05-2003 |