ai-Journal Februar 2002
"ZWISCHEN HAMMER UND AMBOSS"
INTERVIEW MIT DEM PALÄSTINENSISCHEN
MENSCHENRECHTLER BASSEM EID
Bassem Eid, ein
Palästinenser aus Ost-Jerusalem, ist Direktor der 1996 von ihm
gegründeten "Palestinian Human Rights Monitoring Group" (PHRMG). Dank
ihrer Unabhängigkeit und Faktengenauigkeit hat sich diese
palästinensische Menschenrechtsorganisation auch international einen
guten Namen gemacht. Für seine Arbeit erhielt der heute 43-Jährige, der
sich früher in der israelischen Bürgerrechtsorganisation "B'Tselem"
engagierte, zahlreiche Auszeichnungen, darunter den "Emil
Grunzweig-Award" 1992 sowie 1999 den Gleitsman-Preis.
ai-JOURNAL: Was ist die eigentliche
Herausforderung für einen palästinensischen Menschenrechtler im
Gewaltkonflikt in Nahost?
Bassem Eid: Unsere Aufgabe heute ist weit
mehr politisch als humanitär. Sie kreist sehr viel stärker um die Suche
nach Frieden als um die Verteidigung individueller Menschenrechte, weil
wir mit einer Art Kriegssituation zu tun haben. Weder die
palästinensische Autonomie-Regierung noch die
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind in der Lage, die Rechte
unseres Volkes zu garantieren. Daher geht es primär darum, Israelis wie
Palästinenser davon zu überzeugen, den Konflikt mit gewaltlosen Mitteln
zu lösen. Leider betreiben aber auch einige NGOs Propaganda, so dass
unsere Ziele oft gar nicht richtig klar sind. Ich denke, wir müssen das
uns Mögliche versuchen, um die Lage zu beruhigen und dadurch den
menschlichen Grundrechten wieder eine Chance zu geben.
Es gibt ja eine Reihe von NGOs auf
palästinensischer Seite, die dazu auffordern, auf die Mittel des zivilen
Widerstands zurück zu greifen.
Ja, auch ich habe mich in einigen
Artikeln dafür eingesetzt. Wenn die israelische Armee wieder eine
Ausgangssperre in Hebron verhängt, könnten sich die Leute zum Beispiel
einfach demonstrativ vor ihre Haustür setzen und Tee trinken, statt
Steine zu werfen.
Die Erfahrung mit gewaltlosen
Demonstrationen in Palästina hat bislang gezeigt, dass die Soldaten
ziemlich hart auch auf friedliche Proteste reagieren.
Das ist wirklich ein Problem. Auch unter
Palästinensern kommt immer wieder die kritische Frage auf, wie wir denn
die Israelis daran hindern wollten, Tränengas, Schlagstöcke oder sogar
scharfe Munition gegen uns einzusetzen. Da gerät man leicht zwischen den
"israelischen Hammer" und den "palästinensischen Amboss". Das Verhalten
der Armee zu ändern, liegt allerdings in der Verantwortung der
israelischen Regierung.
Was aber, wenn der Regierung Ariel
Scharon eher an Provokationen gelegen ist? Sie hat ja sogar dem
Jerusalemer PLO-Repräsentanten Sari Nusseibeh verboten, einen Empfang am
Ende des moslemischen Fastenmonats Ramadan auszurichten.
Richtig, aber die Israelis müssen
irgendwann einsehen, dass sie den Widerstand gegen die Besatzung nicht
brechen können. Und ich glaube, dass es auch für uns Palästinenser
effektiver wäre, diesen Kampf friedlich zu führen. Das Problem ist doch
das beidseitige Misstrauen. Daher lautet die Frage, wer eine Brücke des
Vertrauens aufbauen kann. Scharon und Yassir Arafat offenbar nicht. Umso
glücklicher bin ich, dass die israelische Friedensbewegung und die
palästinensischen NGOs wieder stärker zusammen arbeiten. Die Intifada
hatte diese Beziehung in den ersten Monaten fast schon ruiniert. Aber
wenn sie sich tatsächlich erneuern lässt, wird das auch Einfluss auf die
politischen Entscheidungsträger haben.
Hat nicht die jüngste Eskalation der
Gewalt – Stichwort Waffenschiff, Hamas-Anschlag und Häuserzerstörung in
Gaza – diese Hoffnung wieder zunichte gemacht?
Wir sollten unsere Überzeugungen nicht so
leicht durch tagesaktuelle Geschehnisse erschüttern lassen. In meinen
Augen zählt mehr, dass es PLO-Chef Yassir Arafat ernst ist, gegen die
radikalen Islamisten vorzugehen. Er hat verstanden, dass er sein Amt
riskiert, wenn die Militanten die Intifada fortsetzen. Wir wissen, dass
rund 200 Aktivisten von Hamas und Dschihad arrestiert wurden.
Das erinnert an die
Massenverhaftungswelle von Islamisten 1996, für die Arafat im Westen
viel Lob erhielt, obwohl es keine fairen Verfahren gab.
Ja, wir wissen aus der Geschichte
politischer Festnahmen in Palästina, dass die Autonomiebehörden solche
Gefangenen für eine lange Zeit ohne Anklagen und richterliche Vorführung
hinter Gittern halten. Das Problem ist, dass auch die internationale
Gemeinschaft solche Inhaftierungen nur als Anti-Terror-Maßnahmen
wahrnehmen. Alles, was Arafat tut und was die Israelis zufrieden stellt,
wird von ihr akzeptiert. Übersehen wird dabei, dass die
Menschenrechtsverletzungen von heute den Weg für inhumanes Vorgehen in
der Zukunft bereiten.
Wie sieht die Lage in Israel aus? Dort
hat immerhin das Oberste Gericht 1999 die Folterpraktiken des
Inlandgeheimdienstes Schin Beit untersagt.
Wir erhalten von Zeit zu Zeit
Zeugenaussagen, die belegen, dass solche Methoden nach wie vor angewandt
werden, auch wenn sie nicht mehr so verbreitet sind wie früher. Einer
unserer "field worker" wurde im Mai festgenommen und gefoltert. Sie
haben ihn systematisch nachts verhört, was zu Schlafentzug führte, und
brennende Zigaretten auf seinem Körper ausgedrückt. Die Fotos seiner
verbrannten Hände waren später in den Zeitungen zu sehen. Das Oberste
Gericht intervenierte trotz unserem Appell nicht. Seine Entscheidung
besagte, dass dieser Verdächtige Informationen verberge, die der Schin
Beit herauspressen müsse.
Auffällig ist auch, wie schnell der
Schin Beit nach seinen Verhören von Palästinensern Geständnisse
präsentiert.
Wenn die Israelis Mr. X festnehmen und
binnen 24 Stunden erklären, dass Mr. X bereits das und das gestanden
habe, kann ich nur schlussfolgern, dass der Mann erheblich gefoltert
wurde. Andernfalls würde es viel länger dauern, ihn dazu zu bringen,
Informationen preis zu geben. Allerdings muss damit gerechnet werden,
dass Vieles fabriziert wird. Der Schin Beit von heute betätigt sich
nicht nur im Sicherheitsbereich, sondern auch auf politischer Ebene, um
sich unangreifbarer zu machen.
Hat nicht die Intifada genauso dazu
beigetragen, dass die Autonomiebehörde von palästinensischen
Bürgerrechtlern weniger kritisiert wird?
In den letzten 15 Monaten ist ihr
Prozentsatz an Menschenrechtsverletzungen weit geringer als der Israels.
Man darf nicht vergessen, dass die autonome Infrastruktur bereits vor
acht Monaten kollabiert ist. Die Israelis haben derart viele
palästinensische Gefängnisse und Polizeiwachen bombardiert, dass die
Autonomiebehörden kaum noch in der Lage sind, Menschenrechtsverletzungen
zu begehen.
Im Hinblick auf Kollaborateure gilt
das aber nicht.
Das stimmt. Nach jeder israelischen
Liquidierung eines Intifada-Aktivisten hat die palästinensische Polizei
vier, fünf Leute verhaftet und gefoltert, weil sie angeblich der Armee
die nötigen Informationen lieferten. Mehr als 150
Kollaborationsverdächtige befinden sich noch immer in den Kerkern.
Hat die westliche Kritik an
Menschenrechtsverletzungen in Israel und Palästina Positives bewirkt?
Nicht allzu viel. So hat etwa der
europäische oder amerikanische Druck meiner Einschätzung nach nicht zu
einer Abnahme an Liquidierungsfällen geführt. Die Israelis werden sich
dieser Politik nur dann weniger bedienen, wenn sie verstehen, dass die
so genannte Ausschaltung militanter Gegner immer neue Bombenattentate
zur Folge hat. Ich hoffe aber, dass vor allem die Europäer endlich die
Menschenrechtsfrage nicht länger allein als interne palästinensische
Angelegenheit betrachten. Für wichtig halte ich es daher auch, dass
unsere Geberorganisationen im Westen auf stärkere Koordinierung unter
den vielen verschiedenen palästinensischen NGOs drängen.
Was haben die NGOs unterm Strich
betrachtet bislang erreicht?
Für mich ist das Wichtigste, dass die
palästinensische Öffentlichkeit uns heute mehr vertraut als der
Regierung Arafats. Denn der Kampf gegen die Besatzung wird eine
bestimmte Periode dauern. Aber die Verteidigung der Menschenrechte ist
unbefristet.
Interview: Inge Günther
Die Autorin arbeitet als Korrespondentin
in Jerusalem, unter anderem für die Frankfurter Rundschau.
amnesty international:
Ein
Blick auf beide Seiten
Unparteiisch im Konflikt, aber
parteilich für die Menschenrechte...
Krise in Nahost:
Kein Frieden ohne Menschenrechte
Seit September 2000 ist der
israelisch-palästinensische Friedensprozess durch die Eskalation der
Gewalt immer mehr zusammengebrochen. Menschenrechte werden mehr denn je
verletzt...
Deutsche und die
Menschenrechte in Israel:
Eine schwierige Frage
Sollen deutsche Menschenrechtler unter Verweis auf
die Universalität der Menschenrechte Israel als Land wie jedes andere
behandeln, oder, vor dem Hintergrund der Geschichte, schweigen?
Archiv hagalil.com - Menschenrechtler üben scharfe
Kritik:
Terror, Folter und
Unrecht sind in Arafats Gebieten die Regel
haGalil onLine 12-03-2002 |