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Was für eine Art Krieg ist das hier?

Amira Hass
'Ha'aretz' vom 20. April 2002 / Znet

Wie viele andere Palästinenser auch, wurde Abu Riad, 51, von den Israelischen Streitkräften dazu missbraucht, ihnen bei ihrer Arbeit zu 'helfen'. Fünf Tage lang musste er Armeestreifen begleiten. Tagsüber bestand seine Aufgabe darin, den Soldaten voran von Haus zu Haus zu gehen und an die Türen zu klopfen, während die Soldaten hinter ihm versteckt blieben.

Augenzeugenberichte, die die Israelin Amira Hass vor kurzem im Flüchtlingslager Jenin* gesammelt hat:

Der alte Mann steht - auf seinen Stock gestützt -, auf einem riesigen Berg Trümmer: ein Durcheinander aus zerbrochenem Beton, verbogenen Eisenstreben, zerrissenen Matrazen, elektrischen Kabeln, kaputten Keramikziegeln, Bruchteilen von Wasserleitungen - dazwischen ein einsamer Lichtschalter. "Das ist mein Haus", sagt der alte Mann, "und mein Sohn ist noch drin". Der Name des alten Mannes ist Abu Rashid; sein Sohn heißt Jamal, 35, er war auf den Rollstuhl angewiesen. Der Bulldozer hatte angefangen, seine Zähne in die Hauswand zu nagen, als die Familie sich noch drinnen aufgehalten hatte. Wo hätte sie sich schließlich auch sonst aufhalten sollen - wo hätten diese Menschen oder die übrigen Bewohner des Flüchtlingslagers Jenin auch sonst Schutz finden sollen? Zu Hause war ja der einzig einigermaßen sichere Ort vor den Granaten u. Raketen, vor dem ständigen Maschinengewehrfeuer.

Im Haus hatte man abgewartet, bis die Waffen endlich mal für eine Weile schweigen würden. Als dann dieser Bulldozer kam, rannte Abu Rashid zusammen mit andern Mitgliedern seiner Familie zur Haustüre, alle rannten sie mit erhobenen Händen ins Freie. Sie schrien in Richtung dieses riesigen Bulldozers, aber dessen Fahrer war weder zu sehen noch zu hören, sie schrien, daß doch noch Menschen im Haus drin seien. Aber der Bulldozer hörte nicht auf zu rumoren, er fuhr nur ein kleines Stück rückwärts, dann griff er das Haus von Neuem an, u. als er wieder nach hinten fuhr, hatte er einen großen Bissen der Betonmauer in seinem Maul. Das Haus stürzte ein, noch bevor jemand Jamal retten konnte.

Um den alten Abu Rashid herum klettern Menschen über die Trümmerhaufen - hinauf, hinab - sie steigen über große Zementklumpen, klettern um scharfe Eisendrahtstücke u. Metallteile herum, um Träger aus Beton u. um Zimmerdecken, die eingestürzt sind, um Teile von Küchenspülen. Nicht alle Leute sind so in sich gekehrt wie Abu Rashid - der mehr mit sich selber redet als mit denen, (uns) die stehengeblieben sind, um sich seine Geschichte anzuhören. Einige Leute versuchen, Dinge aus den Ruinen zu retten: ein Kleidungsstück, einen Schuh oder einen Sack Reis. In meiner Nähe stolpert ein junges Mädchen fast über einen Haufen Zementblöcke. Sie deutet auf die Zimmerdecke zu ihren Füßen, und weint und weint und weint. Zwischen dem Schluchzen ist zu verstehen, daß dies das Haus ihrer Eltern war u. daß sie nicht weiß, wer noch unter den Trümmern liegt bzw. wer es nach draußen geschafft hat. Sie fragt sich verzweifelt, ob wohl noch jemand unter den Trümmern am Leben ist und wer die Menschen ausgraben wird - und vor allem wann. In manchen der großen Trümmerstücke und in der Wandmitte jener Häuser, die noch partiell stehen, sieht man zahllose Einschußlöcher jeder Größe.

An einem Ort in Jenin, an dem noch vor zwei Wochen mehrere zum Teil dreigeschossige Häuser gestanden haben, herrscht jetzt nur noch ein großer leerer Raum. Die Bulldozer der Israelischen Streitkräfte hatten in mehreren Phasen zuerst die Zementteile eingeebnet, dann den Grund geebnet, dann die letzten gröberen Stücke zu Staub zermahlen - eine "Trans-Israel-Autobahn gebaut", wie A.S. das sarkastisch nennt. Auch sein Haus ist ja den Zähnen der Bulldozer zum Opfer gefallen. Jemand deutet auf eine schmale Öffnung in einem der Trümmerhaufen. Er sagt, aus dieser Öffnung seien noch lange Hilfeschreie zu hören gewesen - noch bis Sonntagnacht. Ab Montag seien dann keine Töne mehr aus der Höhlung gekommen. Jemand anders weist auf eine Stelle, an der vorher das Haus zweier alleinlebender Schwestern gestanden habe. Die beiden seien körperbehindert gewesen. Niemand weiß, ob sie noch unter den Ruinen liegen oder ob sie noch rechtzeitig hatten fliehen könnnen.

Relative Ruhe

Manche Häuser waren zum Zeitpunkt ihres Abrisses durch die Israelische Armee bereits verlassen gewesen. In anderen Fällen wurden die Bewohner von den Soldaten aufgefordert, das Haus auf der Stelle zu verlassen, ansonsten würden sie getötet. Ein alter Mann soll sich aber standfest geweigert haben, sein Haus, in dem er fünfzig Jahre lang gelebt hatte, zu verlassen: "Vor fünfzig Jahren habt ihr mich aus Haifa vertrieben. Jetzt ist es mir gleich, ich habe keinen Ort mehr, wo ich hingehen kann". Die Soldaten hätten den trotzigen alten Mann hierauf einfach gepackt, aufgehoben und rausgetragen. Aber es gab auch Fälle, in denen die Israelische Armee die Leute noch nicht mal gewarnt hat. Die Bulldozer kamen einfach u. legten los: ohne Sirenenwarnung u. ohne daß vorher jemand nachgesehen hätte, ob noch Menschen in den Häusern sind.

So geschehen im Falle der Familie Abu Bakr am Sonntag, den 14. April. Ihr Haus stand genau auf der dünnen Linie zwischen dem Flüchtlingslager Jenin u. der Stadt Jenin. Sowohl in Jenin-Stadt als auch im Lager war zu jenem Zeitpunkt Ausgangs- sperre. Die Soldaten fuhren mit Panzern bzw. in gepanzerten Armeefahrzeugen Runden durch die Straßen oder sie patrouillierten zu Fuß. Von Zeit zu Zeit schossen die Soldaten, sie warfen Schockgranaten oder brachten verdächtige Objekte zum explodieren. Aber im Vergleich zur vorangegangenen Woche war es dennoch verhältnismäßig ruhig gewesen: kein Helicopter-Beschuß, kein Feuergefecht mit jener handvoll Palästinensischer Kämpfer. Und dann ganz plötzlich gegen Vier Uhr nachmittags - quasi wie aus heiterem Himmel - hörte die Familie, wie ihre Hauswand eingedrückt wurde. Der Vater rannte ins Freie, schwenkte eine weiße Fahne u. rief in Richtung der Soldaten: "Wir sind doch noch im Haus! Wo sollen wir hin? Warum zerstört ihr unser Haus, und wir sind noch drin!" Die Soldaten schrien ihn an: "Yallah, yallah - rein ins Haus mit dir", dann stoppte der Bulldozer. Neben dem Haus von Abu Bakr verlief ein mehrere Meter breiter Durchgang, der während der letzten Tage als Nahtstelle zwischen Stadt und Lager gedient hatte. Die Bewohner der Stadt - viele von ihnen stammten ja aus dem Lager -, hatten auf diese Weise die Soldaten umgangen, um ihre Familienangehörigen u. Freunde im Lager mit Wasser, Verpflegung u. Zigaretten zu versorgen. Abu Bakr u. seine Familie vermuten, daß die Soldaten mit dem (versuchten) Abriß seines Hauses diesen 'Schmuggelpfad' auslöschen wollten u. damit Stadt u. Lager Jenin noch mehr voneinander trennen. Am Abend dieses Tages stellte die Armee ein gepanzertes Fahrzeug neben das Haus, u. Soldaten durchkämmten den umliegenden Hof. Dann fuhr das Panzerfahrzeug wieder ab. Hierauf wollte M. (ein Mitglied der Bakr-Familie) Kaffee kochen. Er tauchte gerade seinen Teelöffel mit Zucker in die Kaffeekanne mit dem gedrungenen Hals u. dem langen Griff und rührte das kochenden Wasser um, als etwas durch das Fenster geflogen kam - mitten durch das Fensterglas - u. die Küche in Brand setzte. Eine Schockgranate? Eine Tränengasgranate? Hatten die Soldaten etwa geglaubt, jemand würde auf sie feuern, als M. die Gasplatte angeschaltet hatte? M. kann eigentlich noch Gott danken, daß lediglich sein Gesicht u. seine Hände verbrannt wurden, daß die Flammen sofort gelöscht werden konnten, daß niemand sonst aus der Familie verletzt wurde, daß das Haus immer noch steht.

Mohammed al-Sba'a, 70, hatte da weniger Glück. Am 8. April, einem Montag, hörte er wie die Bulldozer neben seinem Haus im Stadtteil Hawashan zu rumoren begannen (im Zentrum des Flüchtlingslagers Jenin). Er ging hinaus, um den Soldaten zu sagen, daß noch Leute im Haus lebten: seine Frau, seine beiden Söhne, deren Frauen plus 7 Enkelkinder. Er wurde auf der Schwelle seines Hauses erschossen - mit einer Kugel direkt in den Kopf (so erzählte es einer seiner Söhne diese Woche). Die Familie zog den alten Mann ins Haus hinein. Aber die Soldaten befahlen allen, sofort rauszukommen. Die Männer wurden verhaftet (später wieder freigelassen u. in das Dorf Rumani, nordwestlich von Jenin, abgeschoben). Die Frauen wurden ins Gebäude des 'Roten Kreuzes' gebracht. Der Körper des toten Vaters blieb dagegen im Haus zurück. Als die Männer der Familie freigelassen wurden u. zurückkamen, war das Haus verschwunden.

Die Bulldozer-Zerstörungen dutzender Häuser starteten am Samstag, dem 6. April - vier Tage nachdem die Israelischen Streitkräfte mit dem Angriff auf Jenin begonnen hatten (2. April). Es ist momentan noch nicht annähernd möglich, zu sagen, wieviele Menschen unter den Ruinen ihrer Häuser begraben liegen. Der schreckliche Gestank der Leichen unter den Trümmern - jeden Tag werden ja welche ausgegraben -, vermischt sich mit dem Gestank der Abfälle, die lange nicht mehr entsorgt werden konnten, mit dem Gestank verbrannten Abfalls sowie dem überraschenden Geruch von Geranien, Minze u. Rosen, die neben den Bougainvillea (Klettersträucher) stehen, die die Menschen auf den engen Streifen zwischen den übervölkerten Häusern gepflanzt hatten. Wenn die Zeit gekommen sein wird, werden UNRWA ('UN Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East' = Hilfsorganisation der UN zur Unterstützung der Palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten) u. das 'Rote Kreuz' Listen erstellen - Listen von Verhafteten, Verletzten, u. Vermißten. Aber im Moment ist allen am wichtigsten, daß Wasser verteilt wird, Nahrung, Medikamente. Das Lager Jenin ist zum 'Katastrophengebiet' erklärt worden. Vor den Häuserzerstörungen durch die Bulldozer hatte es schweren Beschuß gegeben. Heftiges Feuer u. Granatbeschuß durch Panzer - seit die Israelische Armee in der Nacht auf Dienstag den 2. April mit ihrer Offensive auf Jenin begonnen hatte. Die Panzer hatten das gesamte Lager umstellt, sie bezogen Stellung auf dem Hügel im Westen, fuhren in die Hauptstraße ein. Zwei Tage später setzte der Beschuß durch die Hubschrauber ein. Augenzeugen sagen, es habe sich sowohl um Maschinengewehrfeuer als auch um Raketenbeschuß gehandelt. Die Menschen verbarrikadierten sich unter ihren Treppenstiegen, auf dem Boden des Erdgeschosses, in geschlossenen Badezimmern oder in Lagerräumen, die dem Innenhof ihres Hauses zu lagen. Die Menschen zwängten sich in engen Räumen zusammen, tasteten nacheinander in der Dunkelheit, hatten Angst. Sie hielten sich die Ohren zu, schlossen krampfhaft ihre Augen, besänftigten die schreienden Kleinkinder.

Schadensbericht

Sobald das Schießen aufhörte, gingen die Menschen nach draußen u. stellten mit Schrecken fest, daß ihre Häuser angesengt waren, daß Flammen u. Rauch aus ihnen emporstiegen. Die Hauswände waren übersät mit Einschußlöchern, die Böden wankten, Türen u. Fenster waren (durch den Luftdruck) aus ihren Rahmen gesprengt worden, die Fensterscheiben in tausend Stücke zersprungen, die Frontfassaden der Häuser hatten riesige Löcher. Irgendwann werden 'Schadensberichte' erstellt werden, und wenn es soweit sein wird, werden UN-Teams herausfinden, wieviele Häuser durch die Schießereien zerstört wurden u. wieviele durch die Bulldozer. Sie werden estimieren, wieviele der Häuser noch zu reparieren sind u. welche man besser endgültig abreißt. Und man wird herausfinden, wieviele Familien in den Häusern gewesen sind, wieviele Einzelpersonen.

Umm Yasser rettete ein einjähriges Kind aus dem Nachbarhaus. Das Haus wurde von Granaten getroffen. Der Vater des Kindes, Rizk, so sagt sie, wäre aus den Trümmern gekrochen gekommen - beide Beine verletzt, der Rücken verbrannt. Blutend u. mit erhobenen Händen sei er aus dem Haus gekommen. Das Haus war umstellt von Israelischem Militär. Ein (Israelischer) Militärarzt oder Sanitäter hätte Rizk notdürftig versorgt (seine Wunden gesäubert u. verbunden), dann hätten ihn die Soldaten zum Friedhofsplatz gebracht u. dort einfach liegen lassen. Nachbarn fanden den Verletzten u. nahmen ihn mit. Sie holten einen Arzt. Aber erst eine Woche nachdem er verwundet worden war, kam Rizk in ein Krankenhaus.

Als ihr Haus bombardiert wurde, befand sich H. mit ihrer Familie noch darin. Sie rannten alle ins Freie hinaus u. zum Haus von H.'s Vater nebenan. H. denkt, daß es der 8. April war (den Menschen fällt es momentan sehr schwer, ein exaktes Datum zu nennen. Die Tage u. Nächte der Angriffe verschmelzen zu einem einzigen Kontinuum aus Angst, Blut u. Zerstörung, ohne festumrissene Tages- u. Nacht-Struktur). H.'s Mann Y. wurde angeschossen, als er aus dem Haus trat. H. schleppte ihn mit sich bis zum Haus ihres Vaters. Dort wurde sein Bein verbunden. Die Familie betete dafür, daß alles wieder in Ordnung kam, aber es gelang ihnen erst am 14. April, einem Sonntag, Y. in ein privates Krankenhaus zu schaffen (wobei sie ständig den in den Straßen patrouillierenden Soldaten ausweichen mußten).

A.S. wurde verwundet, während er den 'Israelischen Streitkräften' bei ihren Aktionen 'behilflich' sein mußte. Eine (Israelische) Streife holte ihn einfach aus seinem Haus, er solle die Soldaten begleiten: vorausgehen, die Türen der Nachbarn für die Soldaten öffnen. A.S. tat, was ihm befohlen wurde. Als er neben einer offenen Tür stand, tauchte plötzlich eine andere Israelische Einheit auf. Wahr- scheinlich dachten die Soldaten, er wäre einer der 'Mukawamin' (Aufständische, bewaffnete Aktivisten); außer ihnen wagte sich ja während der ersten Tage der Übernahme von Jenin durch die Israelis niemand auf die Straße. Die Soldaten schossen sofort auf A.S. u. verletzten ihn. Er lag 4 Tage lang im Haus eines Nachbarn - bis es seinen Brüdern endlich gelang, ihn zum Arzt zu schaffen. Der 2. Stock des Hauses der Familie, auf einem Hügel, wurde durch 3 bis 5 Raketen getroffen sowie durch zahllose Kugeln. Soldaten hatten im benachbarten Haus, das sehr hoch ist, Stellung bezogen u. das Haus unter Feuer genommen. A.S.'s Mutter hört nicht mehr auf zu erzählen. Sie führt uns Besucher überall hin im Haus, von einem zerstörten Zimmer zum andern. Dann führt sie uns auch in den Garten hinaus. Er liebte es immer, Dinge zu pflanzen, sagt sie von ihrem Sohn A.S., er liebt das Leben, nicht den Tod. Ihr zweiter Sohn bietet uns Besuchern Früchte von den Gartenbäumen an: u.a. saftige Pflaumen. Die meisten Wasserbehälter des Lagers waren schon während der ersten Tage des Beschusses zerstört worden. Die Wasserleitungen wurden durch die Bulldozer der Streitkräfte oder deren Panzer zerstört. Somit war die Versorgung mit frischem Wasser also von Anfang an unterbrochen. Was für ein Luxus unter diesen Umständen (wo doch jeder Tropfen Wasser kostbar ist): der Biß in eine saftige Pflaume (und sie haben sie ihren Besuchern angeboten).

Wie viele andere Palästinenser auch, wurde Abu Riad, 51, von den Israelischen Streitkräften dazu mißbraucht, ihnen bei ihrer Arbeit zu 'helfen'. Fünf Tage lang mußte er Armeestreifen begleiten. Tagsüber bestand seine Aufgabe darin, den Soldaten voran von Haus zu Haus zu gehen u. an die Türen zu klopfen, während die Soldaten hinter ihm versteckt blieben. Ihre Gewehre zielten dabei sowohl auf die Tür als auch auf Abu Riad. Nachts wurde Abu Riad von jeweils zwei Soldaten bewacht. Seine Hände waren dabei gefesselt, so erzählt er u. er mußte in einem Haus schlafen, das die Soldaten zuvor eingenommen hatten. Als sie keine Verwendung mehr für ihn hatten, befahlen sie ihm einfach, in einem bestimmten Haus alleine zurückzubleiben u. abzuwarten. Um das Haus Bulldozer- u. Panzerlärm. Ein Panzer rammt die Hauswand ein. Abu Riad rennt ins Nachbarhaus u. von dort aus ins nächste u. übernächste. So rennt er von einem zerstörten Haus zum nächsten, bis er schließlich zu Hause ankommt. Auch sein eigenes Haus war mittlerweile ja teilweise zerstört - getroffen von 3 Raketen. 13 Menschen seien zu diesem Zeitpunkt noch im Haus gewesen.

Ein Soldat säubert das Badezimmer

S. sagt, sie hätte großes Glück gehabt. Das Haus ihrer Familie war 'nur' okkupiert worden - für eine Woche besetzt durch Israelisches Militär - ähnlich wie ein dutzend anderer Häuser am Hügel u. an den Klippen des Lagers . S. ist Witwe; sie lebt bei der Familie ihres Bruders in der westlichen Ecke des Flüchtlingslagers Jenin. Die Familie besteht insgesamt aus 4 Erwachsenen u. 10 Kindern. Die meisten Bewohner des Viertels seien bereits geflohen gewesen, als die Armee einrückte.

In der ersten u. zweiten Nacht besetzten die Soldaten die zwei, drei Häuser nebenan. Die Familie hielt sich zu diesem Zeitpunkt bereits dauerhaft in der Küche auf - dem Raum, den sie für den sichersten hielten. Aber plötzlich, mitten in der Nacht, sei die Wand zur Küche eingeschlagen worden - ein riesiges Loch oberhalb des Fußbodens - u. jemand stampfte herein, direkt über dem Kopf der 8jährigen Rabiya. Die Fensterscheiben klirrten, u. Staub wirbelte durch den Raum. Die 14 Menschen der Familie schrien. Jemand rief durch das Loch - auf Arabisch: "Wer versucht zu fliehen, stirbt!" Die Familie sah ein paar Soldaten in der engen Öffnung auftauchen u. versuchte, mit ihnen zu verhandeln. Vielleicht wären die Soldaten ja bereit, ins verwaiste Nachbarhaus zu ziehen oder in einen anderen sicheren Raum, aber alles was sie zur Antwort bekamen, war: "Wer versucht zu fliehen, stirbt".

Dann brachen Soldaten durch ein weiteres Loch - das sie in die Mauer vom Stiegenhaus her geschlagen hatten. Alle kamen jetzt in die Küche hereingepoltert. Die Familienmitglieder kauerten sich in einer Ecke zusammen, als immer mehr Soldaten mit schwarzbemalten Gesichtern hereinkamen. Dann schob man die Familie in einen andern Raum ab, der voller Glas u. Schutt war. Dort wurden sie vom Abend bis zum Freitagmorgen festgehalten. Die Soldaten erlaubten den Menschen laut S. nicht, den halbdunklen Raum auch nur für kurze Zeit zu verlassen. Als sie darum baten, das Klo benutzen zu dürfen, brachten die Soldaten ihnen nur einen Topf aus der Küche. S.'s Schwager wurde verhaftet. Drei Frauen u. deren Kinder blieben demnach allein im Haus zurück - zusammen mit einer Horde fremder Soldaten.

Am andern Morgen in der Dämmerung öffnete S. die Türe u. stellte fest, daß die Soldaten inzwischen ausgetauscht worden waren. Daher wagte sie es, mittels Körpersprache u. Gestik darum zu bitten, zusammen mit den Kindern ins Badezimmer gehen zu dürfen bzw. Essen zu holen. Einer der Soldaten, der wie ein Offizier aussah, bedeutete ihr, sie solle vorangehen. Sie mußte über eine ganze Reihe Soldaten hinwegsteigen, die auf dem Fußboden herumlagen. Auf Zehenspitzen stieg sie über sie hinweg. Das Badezimmer bot einen unbeschreiblich ekelerregenden Anblick. Der Offizier neben ihr senkte den Kopf, sie hatte das Gefühl, daß er sich sehr schämte. Er ging in eins der verlassenen Häuser, besorgte Wasser u. putzte das Bad eigenhändig. Wenn sie in etwa einer Woche abziehen würden, würden die Soldaten einen großen Teil ihrer übriggebliebenen Rationen für die Familie zurücklassen.

Während jener Nacht, als die Familie in dem einen Raum eingesperrt war, hatten die Soldaten das ganze Haus durchsucht. Sie leerten Schubladen u. Schränke aus, warfen Möbel um, zerstörten den Fernseher, zerschnitten das Telefonkabel, nahmen das Telefon mit u. brachen ein weiteres Loch in die Wand zu einem der Nebenzimmer. Neben der kaputten Wand hängt immer noch das Bild, das der Bruder des Schwagers mit Wasserfarbe gemalt hatte, als er 15 war: eine Schweizer Landschaft mit einem See, schneebedeckten Bergen, immergrünen Bäumen, einem Reh u. einem roten Ziegeldachhaus, aus dessen Kamin Rauch aufsteigt. Am Ufer des Sees hat der Junge zwei Männer mit Schnurrbärten gemalt, die angezogen sind wie Palästinenser. Sie reiten auf einem Esel. Das Bild ist datiert vom 10. Mai 1995 u. unterschrieben mit Ashraf Abu al-Haija.

Ashraf Abu al-Haija wurde gleich an einem der ersten Tage des Angriffs getötet. Eine Rakete hat ihn getroffen. Letzte Woche Dienstag lag sein verkohlter Leichnam noch immer in einem der Räume des halbzerstörten Hauses. Al-Haija war Hamas-Aktivist gewesen, u. Hamas hatte ja zusammen mit anderen bewaffneten Gruppen geschworen, Jenin bis zum Tod zu verteidigen.

J.Z. - dessen zwei Neffen auch unter den getöteten Kämpfern sind -, schätzt, daß es insgesamt nicht mehr als 70 waren. "Aber jeder, der ihnen half, betrachtete sich ja als Teil des Widerstandes: diejenigen, die ihnen signalisierten, die Soldaten seien im Anmarsch, diejenigen, die sie versteckten, diejenigen, die ihnen Tee kochten". J.Z. sagt, daß jeder im Lager eine offene Tür für diese Männer hatte, wenn sie vor den Soldaten flohen. Die Leute im Lager seien sich darin einig gewesen, diese Kämpfer nicht im Stich zu lassen. Eine Entscheidung der überwiegenden Mehrheit, jedoch getroffen von jedem Einzelnen für sich.

J.Z. sagt, obwohl er mit vielen der Kämpfer verwandt oder befreundet gewesen sei, könne er nicht genau sagen, wie die Kämpfe wirklich verlaufen seien, in denen diese Männer fielen bzw. Israelische Soldaten: "Durch gemeinsame Rekonstruktionen sind wir zu folgender Einschätzung gekommen: die Armee hat das Lager (zu Beginn) mit Panzern u. Maschinengewehren von mehreren Seiten gleichzeitig angegriffen. Sie wollte ihre Infanterie reinbringen. Dies scheiterte jedoch am Widerstand unserer Kämpfer. Daraufhin sind sie dazu übergegangen, das ganze Lager, sämtliche Häuser, mit Panzern u. Helicoptern zusammenzu- schießen. Die Soldaten, die sich in den Häusern am Rand des Lagers einquartiert hatten, signalisierten ihren Kameraden, wohin sie jeweils schießen sollten." Auf diese Weise seien die bewaffneten Palästinenser immer tiefer ins Lagerinnere getrieben worden, wo sie schließlich ihren letzten Kampf gekämpft hätten.

J.Z. ist Bauarbeiter u. hat sowohl sein eigenes Haus als auch viele Häuser seiner Freunde gebaut. Sein Haus ist inzwischen durch mehrere direkte Raketentreffer zerstört. Er schläft im Haus eines seiner jungen Freunde: A.M. Wenn die Nacht kommt (der Strom ist ja schon seit 3. April komplett abgestellt), wird nur in wenigen der Fenster Kerzenlicht sichtbar. Viele geben sich nämlich der Illusion hin, daß dunkle Fenster nicht beschossen werden. Feuer vonseiten der Israelischen Armee flammt von Zeit zu Zeit immer noch auf - und das, obwohl es schon lange kein (palästinensisches) Gegengewehrfeuer mehr gibt. Und von Zeit zu Zeit erschüttert auch noch eine Explosion die Stille.

Angst u. Unsicherheit werden dieser Tage durch Gespräche bekämpft, die in ihrer Art typisch sind für diese besondere Zeit. Ich habe ein solches mit der Mutter u. mit der Tante von A.N. geführt. Das Gespräch, das am Montagabend stattfand - mit mir, dem Gast aus Israel - wurde eingeleitet mit der Aufzählung der J.Z. bekannten Toten: 7 bewaffnete Kämpfer, die in der Schlacht gefallen sind; 10 Zivilisten, darunter 3 Frauen u. mindestens 2 alte Männer. Dutzende Menschen werden noch immer vermißt. Dann kommt das Gespräch auf das Gefängnislager Ketsiot zu sprechen, wo J.Z. während der ersten Intifada eingekerkert gewesen war. Das Lager ist jetzt wiedereröffnet - für die Soldaten. Dann erzählt A.M. folgende Anekdote, die ihm jemand erzählt hat: ein Soldat hatte seinen Helm in einem der Häuser vergessen, das sie gerade durchsucht hatten. Überall wurde geschossen, auch in dem Haus, in dem der Helm lag. Der Soldat nahm einen jungen Palästinenser beiseite, den sie gerade (als Schutzschild) 'rekrutiert' hatten u. sagte: "Wenn Du mir meinen Helm wiederbringst, lass' ich dich frei".

Der Junge tauchte unter den Kugeln durch bis zu dem Haus, schaffte den Helm tatsächlich herbei, u. der Soldat ließ ihn frei. J. erzählt hierauf eine weitere Geschichte, die auch im Lager die Runde macht. Eine Gruppe Israelische Soldaten wurden in einem Haus angegriffen, das sie besetzt hatten, sie flohen aus dem Haus u. mußten ihre Waffen zurücklassen. Einer der Soldaten soll dabei ausgerufen haben:

"Mutter, Mutter, was für eine Art Krieg ist das hier eigentlich?"

* auch 'Dschenin' geschrieben

Übersetzt von Andrea Noll / What Kind of War is This?

hagalil.com 06-05-2002

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