Kurz vor der neuen Weltordnung:
Der Krieg der großen Staatsmänner
Am Wochenende brachte Jedioth achronoth eine
ausführliche Analyse zur momentanen Machtkonstellation zwischen
Amerika und Europa
In den USA befürchtet man größte
diplomatische Schandtaten. In Britannien ruft man den
Premierminister auf, nach Hause zu gehen. In Frankreich versteht man
noch nicht ganz, wie der mittelmäßige Präsident Chirac zum Führer
des freien Europas werden konnte. In Deutschland gerieten alle
Skandale in Vergessenheit, auch die zusammenbrechende Wirtschaft und
die haushohe Inflation. In Rußland ist man daran interessiert, dass
die Krise so lange wie möglich andauern möge. Und die ganze Welt
möchte wissen, was nach der Irakkrise passieren wird. Eine neue
Weltordnung - kurz davor.
Deutschland:
Gerhard Schröder, der Publikumsliebling
Gerhard Schröder hat entdeckt, dass sich das große Risiko, das er
auf sich nahm, als er beschloss, die kämpferischen Absichten der USA
im Irak entschlossen abzulehnen, über alle Erwartungen auszahlte:
von einem erfolglosen Kanzler, der die letzten Wahlen nur knapp
gewinnen konnte und mit
dem es seither gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft nur noch
bergab ging, wurde er innerhalb eines Monats zum absoluten
Publikumsliebling. Alle Skandale, die miese Wirtschaftslage und die
hohe Arbeitslosigkeit wurden zu Nebensächlichkeiten, und die
deutsche Öffentlichkeit stellt sich hinter ihren Kanzler, der nun
wieder lächeln kann. Bush lieferte ihm die zweite Gelegenheit seines
Lebens, und auf die wird er nicht verzichten.
Mit scharfen politischen Instinkten hatte Schröder schon während des
Wahlkampfs im Herbst begriffen, dass der Widerstand gegen den Krieg
eine Trumpfkarte ist. Entgegen des Rats seines Außenministers,
Joschka Fischer, und noch bevor die Amerikaner damit begannen,
Truppen in den Persischen Golf zu entsenden, erklärte Schröder bei
den Wahlversammlungen, Deutschland werde sich nicht an einem
militärischen Abenteuer der Amerikaner beteiligen.
Washington kochte vor Wut, betrachtete Schröder jedoch wie einen
aufsässigen Jungen, der durch eine leichte Strafe zurechtgewiesen
werden kann.
Die Reihe der Strafmaßnahmen beinhaltete eine abfällige Bemerkung
von Verteidigungsminister Rumsfeld, der Deutschland in einem Atemzug
mit Kuba und Libyen nannte. Das Pentagon hielt milliardenschwere
Verträge zurück und gab bekannt, Stützpunkte der NATO würden von
Deutschland in
osteuropäische Staaten verlegt werden.
Schröder aber genoss den Applaus bei den Wahlversammlungen und
verschärfte seine Haltung noch mehr. Er erklärte, Deutschland werde
sich nicht
am Krieg beteiligen. Danach fügte er noch hinzu, Deutschland werde
nicht einmal Gelder in die westliche Koalition investieren, was von
Washington eigentlich erwartet wurde. Er spannte das Seil jedoch
nicht bis zum Zerreißen und gestattete den Amerikanern, den
deutschen Luftraum beim Truppentransport in den Golf zu benützen.
Schröder wurde zum ersten Bundeskanzler seit vielen Jahren, der sich
gegen die USA auflehnt. "Ich bin sicher, dass Schröder in Sachen
Irak keinen einzigen strategischen Gedanken hatte", sagt ein hoher
deutscher Oppositionspolitiker. "Er suchte einen Ball, den er im
Wahlkampf abschießen kann, und fand den Krieg. Er wußte sicherlich
nicht, dass sich das so auszahlen wird." Aber wie Chirac, der den
Rettungsring erkannte, dem ihn Bush zuwarf, wird sich auch Schröder
diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Er baute um seinen
Widerstand gegen den Irakkrieg zwar eine ganze pazifistische
Ideologie auf, die sich vor allem auf das große Leid der Deutschen
im 2. Weltkrieg stützt, niemand glaubt jedoch wirklich daran, dass
der zynische Kanzler plötzlich zum großen Ideologen wurde.
Allen, vor allem ihm selbst, ist
klar, dass er, sollte seine Rechnung aufgehen, wieder zum Winner
wird, und dass er als Bonus Deutschland nicht nur in den Mittelpunkt
der internationalen Arena setzen, sondern auch noch Pluspunkte in
der arabischen Welt einkassieren könnte. Wenn nicht, dann kann er
immer noch behaupten, Chirac und Frankreich hätten Europa zum
Widerstand gegen die USA gedrängt.
Frankreich:
Jacques Chirac, der Held der aufgeklärten Welt
Der vergangene Monat war einer der größten im Leben des
französischen Präsidenten. Der politische Taktiker, der niemals als
großer Staatsmann galt,
wurde zum Führer des freien Europas - frei von den Zügeln Amerikas.
Chirac wurde überraschend zum Erben De Gaulles, zu dem Präsidenten,
der es
wagte, "nein" zu den USA zu sagen, und all dies nicht wegen seiner
Talente, sondern dank Präsident Bush, der ihm die Chance seines
Lebens gab.
Chirac ist ein Meister beim Ergreifen von Gelegenheiten. Le Pen
ermöglichte es ihm, zum Repräsentanten der demokratischen Werte zu
werden. Bush
machte ihn zum Vertreter des Friedens, Schützer der Schwachen, einen
ideologischen Ritter. Dem "amerikanischen Weg" zur Lösung von
Krisen, dem
Weg der Gewalt, stellt er den "französischen Weg" gegenüber, den Weg
des Dialogs, der die UNO und das internationale Recht stärkt.
Mit diesem Ticket machte sich Frankreich zum Anwalt der arabischen
Welt. Dies gilt für die Palästinenser, auch für Algerien, Syrien und
Ägypten. Es
ist deshalb kein Wunder, dass französische Journalisten, die sich in
Irak aufhalten, diese Woche berichteten, die Iraker beabsichtigten,
eine Straße in
Bagdad nach Chirac zu benennen.
Chirac weiß, dass er den sechs Staaten im Sicherheitsrat, die noch
unentschlossen sind, im Vergleich zur amerikanischen Großmacht nicht
viel bieten
kann. Er bietet sich und Paris als ihren Anwalt in der harten
globalen Welt an, die Washington vorschlägt. Das ist nicht viel im
Vergleich zu den
Milliarden, mit denen Bush seine Befürworter polstert, z.B. die
Türkei, aber es ist eine Alternative, und in einer Welt ohne
Alternativen ist dies der
Beginn einer neuen Weltordnung.
Britannien:
Unmöglicher Spagat
Dasselbe Britannien, das sich nicht dem Euro-Block anschließen
wollte, weil es so stolz auf seine tausendjährige Unabhängigkeit
ist, verliert mit
seinem unmöglichen Spagat nun das Gleichgewicht. Mit einem Fuß steht
es in Nordamerika, mit dem anderen in Westeuropa. Und da sich diese
beiden
Kontinente nun zunehmend voneinander entfernen, muss sich London
entscheiden, wem es folgt. Ansonsten wird es im atlantischen Ozean
ertrinken.
Wenn der Krieg ausbricht, werden Tausende britische Soldaten an ihm
teilnehmen, ein Viertel der britischen Armee. Sollte der Krieg
erfolgreich
verlaufen, wird Blair die Früchte ernten können. In jedem anderen
Fall wäre sein Schicksal besiegelt: er, und in großem Maße auch
Britannien, würden
auf der internationalen Arena nur noch eine Nebenrolle spielen. Die
Hauptrollen würden nicht nur Washington, sondern auch Berlin und
Paris erhalten.
Rußland:
Putin als die dritte Kraft
Im Gegensatz zu Chirac und Schröder spielt Wladimir Putin weitaus
vorsichtiger. Offiziell steht Rußland an der Seite Frankreichs und
Deutschlands. Auch Rußland lehnt den Krieg ab. Auch Rußland droht
mit einem Veto. Putin läßt sich jedoch nicht vom französischen
Anti-Amerikanismus mitreißen. Bush und Putin telefonieren regelmäßig
miteinander. Rice wurde nach Moskau geschickt, um Putin zu
informieren und sich mit ihm zu beraten. Er betont immer wieder, die
zentrale Achse der russischen Außenpolitik sei die Freundschaft mit
den USA, nicht mit Europa.
Putin zögert die strategische Entscheidung hinaus, ob er Washington
oder Paris-Berlin folgen wird. Wie auch immer, eine russische
Unterstützung Amerikas würde ihren Preis fordern. Rußland
präsentierte der USA eine Liste mit wirtschaftlichen und politischen
Forderungen. Solange sich Bush nicht dazu verpflichtet, sie zu
erfüllen, wird es keine Unterstützung geben. Europa kann zwar nicht
mit einer derart harten Münze bezahlen wie die Amerikaner, aber der
Bonus für eine Unterstützung der Position Parisienne wäre die
Wahrung der Freundschaftsbeziehungen zur westlichen Welt, und das
ist sehr viel wert.
Wer wird der wahre Sieger sein?
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Krieg bald ausbrechen wird, ist
groß, und in diesem Krieg hat Irak keine Chancen, die amerikanische
Kriegsmaschinerie
zu überleben. Die Frage lautet, ob Washington aus diesem Krieg als
wahrer Sieger hervorgehen wird.
Als Europa seinen Einigungsprozess begann, wurde dies von vielen
belächelt. Als die Einheitswährung eingeführt wurde, der Euro,
glaubte kaum
jemand, dass sie eine Konkurrenz für den Dollar werden könnte. Auch
jetzt glauben in Washington nur wenige, dass Chirac und Schröder
sich wirklich
gegen Bush stellen und eine Alternative anbieten können. Die beiden
Losers von gestern gegen den Präsidenten einer siegreichen
Großmacht.
Bush machte jedoch, zumindest auf der diplomatischen Ebene, alle nur
denkbaren Fehler. Jetzt klopft er an alle Türen und bittet um
internationale
Unterstützung. Die Schwäche der amerikanischen Diplomatie wurde zu
einer Chance für die Europäer. Die USA werden zwar auch aus diesem
Krieg als
starke Großmacht hervorgehen: Sie werden im Irak eine amerikanische
Ordnung einführen, was sich auf den gesamten Nahen Osten auswirken
wird.
Aber die Welt mit nur einer Großmacht, die seit 15 Jahren
existierte, wird wahrscheinlich verschwinden. Bush hat die
amerikanische Diplomatie
überanstrengt und gezeigt, dass das Land der unbeschränkten
Möglichkeiten eine Großmacht mit sehr beschränkten Möglichkeiten
ist. Jetzt muss man
abwarten und sehen, ob es den Europäern gelingen wird, sich als eine
zweite, wirtschaftliche und politische Großmacht, zu etablieren, die
den Platz
der ehemaligen UdSSR einnehmen wird. Sollte ihnen das nicht
gelingen, werden wir darauf warten, dass der chinesische Riese
richtig wach wird.
Europa und das Gipfeltreffen:
Azorentief
Eine diplomatische Show, mit der die
politischen Fehlschläge überdeckt werden sollten...
Gegen einen Krieg in Irak:
Der
hauptsächliche Verlierer ist Israel
In Jedioth achronoth erläutert der ehemalige
MeReZ-Vorsitzende Jossi Sarid, warum er gegen den Irak-Krieg ist...
Verzögern, verzögern, verzögern:
Die Skizze
nach nirgendwo
Klares Ziel der israelischen Vorbehalte ist es, das
amerikanische Programm der "Roadmap zum Palästinastaat" zu einer
Skizze nach nirgendwo zu machen...
Die Neue Welt und der israelische Aspekt:
Roadmap zum
ersten Präventivkrieg
General d.R. Jakob Amidror analysiert Motive zur
erneuten Erwähnung der "Roadmap"...
Alles um Blair zu beruhigen:
Garantien -
nein, Roadmap - ja
Zwei Erfolge wollte sich Israel in den
kommenden Wochen sichern: erstens, eine Verschiebung der "Roadmap"
bis nach dem Krieg. Zweitens, amerikanische Garantien vor dem
Krieg...
hagalil.com
18-03-03 |