Podiumsdiskussion:
Antisemitismus, Deutsche Medien und der
Nahostkonflikt Ende Juni
fand in Berlin eine Diskussionsveranstaltung zum Umgang der
deutschen Medien mit dem Nahostkonflikt statt. Eingeladen hatten das
Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der
Universität Potsdam, das Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie in
Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, das Kulturforum der
Sozialdemokratie und die Initiative honestly-concerned. Drei
Redebeiträge werden im folgenden dokumentiert.
Eröffnungsvortrag von Klaus Faber:
"Meine Damen und Herren,
ich darf Sie alle, auf dem Podium und
im Publikum, nach den Worten von Herrn Prof. Gert Weisskirchen noch
einmal herzlich zu der Diskussion "Antisemitismus, deutsche Medien
und der Nahostkonflikt" begrüßen.
Die Diskussionsveranstaltung
wird von vier Einrichtungen und Organisationen unmittelbar getragen,
vom Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der
Universität Potsdam, vom Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie in
Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, vom Kulturforum der
Sozialdemokratie und von honestly-concerned. Eine wesentliche Rolle
kommt Gert Weisskirchen zu, der sich in verschiedener Hinsicht immer
wieder für das Zustandekommen der Veranstaltung eingesetzt hat. Ihm
und allen an der Organisationsvorbereitung Beteiligten – das gilt
insbesondere für das American Jewish Comittee als Co-Sponsor und für
die Leiterin des AJC-Berlin-Büros, Frau Deidre Berger – will ich
auch auf diesem Wege herzlich danken. In den Dank will ich Herrn Dr.
Klaus-Jürgen Scherer, den Geschäftsführer des Kulturforums der
Sozialdemokratie, ausdrücklich einbeziehen, der uns bei der Planung
und Vorbereitung mit Rat und Tat unterstützt hat.
Eine ganze Reihe der heute anwesenden Teilnehmerinnen und
Teilnehmer, etwa aus dem Bundestag oder Medienvertreter, müßte
vielleicht ebenso in besonderer Weise angesprochen werden. Ich will
dies, mit Rücksicht auf die Diskussionszeit, nur in einem Fall,
stellvertretend für die anderen, ausdrücklich tun: Ich freue mich,
zu unserer Diskussion, Herrn Amit Gilad, den Pressesprecher der
israelischen Botschaft, begrüßen zu können.
Wir werden, meine Damen und Herren, zunächst eine Diskussionsrunde
haben, die sich mit der Berichterstattung in den Medien und mit der
Abgrenzung von – berechtigter oder unberechtigter – Israelkritik
gegenüber antisemitischen Positionen befaßt. Wir werden dabei auch
über die Wahrnehmung von antisemitischen Strömungen im arabischen
Islam durch die deutschen Medien und die Politik diskutieren. Beide
Themen spielen selbstverständlich in der Debatte eine Rolle, die
anschließend vor allem die Vertreter der Fraktionen im Bundestag
führen werden.
Vor kurzem hat ein deutscher Fernsehsender, der uns allen gut
bekannt ist, über einen verhinderten Anschlag auf die britische
Polizei in Nordirland berichtet. Ohne besonderen Vorbehalt wurde
dabei die verhinderte Tat "irischen Terroristen" zugesprochen. Die
verwandte Bezeichnung "Terrorist" war korrekt und zutreffend – und
zwar ganz unabhängig davon, was man von der britischen
Nordirlandpolitik oder den politischen Zielsetzungen verschiedener
irischer Terrorgruppen hält. Der gleiche Sender bezeichnet
Hamas-Mitglieder regelmäßig als "Extremisten" oder als "Radikale",
nicht aber als "Terroristen". Wie Sie wissen, stellt diese Art von
Differenzierung in den deutschen Medien keinen Einzelfall dar.
Der Begriff der "Vergeltung" wird in deutschen Medien – vor kurzem
auch in einer deutschen Regierungserklärung – nur für
Antiterrormaßnahmen Israels gebraucht. Er wird im Zusammenhang mit
Antiterroraktionen der Antitaliban-Koalition in Afghanistan oder der
Koalitionsstreitkräfte im Irak niemals verwandt. Eine deutsche
Tageszeitung in Berlin formulierte vor zwei Wochen die
Schlagzeilenüberschrift "Israel will Hamas liquidieren". Eine
entsprechende israelische Erklärung hat es nach dem jüngsten
Bus-Attentat in Jerusalem – selbstverständlich – nicht gegeben. Der
Begriff "Liquidierung" wird im allgemeinen für Tötungs- und
Mordaktionen der Stalin- oder NS-Zeit und für vergleichbare
Vorgänge, etwa in Kambodscha, gebraucht. Die israelische Regierung
hatte nach dem jüngsten Attentat in Jerusalem nur das erklärt, was
mit Zustimmung nahezu aller westlichen Staaten nach dem 11.
September die amerikanische Regierung Al-Qaida angedroht hatte: den
Kampf bis zur Auflösung dieser Organisation, die sich übrigens, wie
Hamas, als Befreiungsbewegung definiert. Daß die USA
Kampfhubschrauber zur Tötung von Al-Qaida-Gruppen in Afghanistan,
auch dann, wenn Amerikaner zuvor nicht unmittelbar angegriffen
worden waren, oder zur Verfolgung von Attentätern im Irak einsetzen,
ist durch unsere Medien allgemein bekannt.
Was will die Hamas-Bewegung, für die deutsche Medien die Bezeichnung
"Terroristenorganisation" häufig nicht verwenden? In
Grundsatzpositionen, auf die vor kurzem der Hamasführer Rantisi in
einem Al-Ahram-Interview hinwies, wird die Vernichtung Israels als
Ziel formuliert. "Wir akzeptieren" Israels "Existenz nicht" – so
Rantisi. Eine Waffenpause diene nur dazu, vorübergehend die Waffen
und die Hamas-Kräfte zu schonen; Palästina reiche vom Mittelmeer bis
zum Jordan – und es gebe dort keinen Platz für irgendeinen, der
nicht Palästinenser sei. Wäre der Hamas-Plan erfolgreich, gäbe es
übrigens zwischen Jordan und Meer zum ersten Mal seit drei- bis
viertausend Jahren ein "judenreines" Land, wie es früher die
NS-Terminologie ausgedrückt hätte.
In diesem Punkt, nicht in der Terroranwendung, unterscheidet sich
Hamas deutlich z.B. von der IRA oder der ETA: Keine dieser
Organisationen fordert die Vernichtung Großbritanniens oder Spaniens
und die Auslöschung der Völker beider Staaten. Rechtfertigt dieser
Unterschied etwa die deutsche Medienpraxis, Hamas häufig nicht als
Terrororganisation zu bezeichnen?
Oft ist in der deutschen Debatte zu hören, Israel werde deshalb
kritischer beurteilt als z.B. Syrien, Ägypten, der Sudan, Rußland,
China, Indonesien oder früher der Irak, weil es ein westlicher,
moderner Rechtsstaat und eben eine Demokratie sei. Daher erwarte man
von Israel mehr als von anderen und habe für seine Gegner vielleicht
auch mehr Verständnis als für Teilnehmer an anderen Konflikten. Wie
verträgt sich dieses Argument aber mit der Tatsache, daß
IRA-Attentäter als Gegner Großbritanniens – richtigerweise – als
"Terroristen" bezeichnet werden, nicht dagegen Hamas-Täter? Ist
Großbritannien etwa weniger westlich oder weniger demokratisch als
Israel?
Manchmal – allzu häufig – wird der Hamas- oder vergleichbarer Terror
durch Selbstmordattentate mit der Bemerkung kommentiert, die
Attentate seien zwar nicht zu rechtfertigen; doch seien sie oft auch
ein Zeichen der Verzweiflung. Deshalb komme der Aufgabe einen große
Bedeutung zu, den Menschen im Nahen Osten eine positive
Zukunftsperspektive zu geben.
Verbirgt sich hinter einer derartigen Argumentation – zumindest bei
einigen – nicht doch der Ansatz, das nicht zu Rechtfertigende zu
"verstehen" und damit in eine Grauzone der halben Rechtfertigung zu
bringen? Haben wir vergleichbare Verständnisansätze gegenüber den
IRA-, den ETA-Terrroristen – häufiger – gehört oder auch nur
gegenüber den nicht-terroristischen südsudanesischen und kurdischen
Streitkräften, die in einer tatsächlich verzweifelten Lage kämpften
und kämpfen? Ist es wirklich angemessen, mittelbar oder unmittelbar
vor den Angehörigen der Opfer über "Verzweiflungs"- Motive von
Terrororganisationen und von Terroristen nachzudenken – von
Terroristen, die sich, wie Hamas und andere, die Vernichtung des
jüdischen Staates sowie seiner jüdischen Einwohner zum Ziel gesetzt
und bereits damit begonnen haben, dieses Ziel durch wahllose Morde
an unbewaffneten jüdischen Kindern, Frauen und Männern umzusetzen?
Ist es eine realistische Annahme, al-Qaida oder Hamas könnten von
ihren Zerstörungszielen durch wirtschaftlichen Fortschritt und durch
territoriale Kompromisse abgebracht werden – durch Kompromisse, die
sie auf der Basis der Clinton-Barak-Vorschläge schon längst hätten
haben können?
Und noch einmal: Weshalb wird das erwähnte Verzweiflungs-Verständnis
sehr oft gegenüber antiisraelischen Terroristen, aber kaum jemals
gegenüber anderen Terroristen oder Konfliktbeteiligten geäußert?
Gibt es, nach dem Maßstab des Elends oder der Unterdrückung und auch
der jeweils eigenen Verantwortung für die negative Entwicklung, nur
Anlaß, über das Schicksal der arabischen Palästinenser öffentlich zu
diskutieren, nicht dagegen über den Südsudan, die nicht-muslimischen
Minderheiten im Iran, die nicht-malaiischen Völker in
West-Neu-guinea oder die muslimischen Uiguren im chinesischen
Singkiang? Könnten alle zuletzt genannten, unterdrückten und zum
Teil von Auslöschung bedrohten Gemeinschaften aus unserem
Verständnis für die "Verzweiflung" von antijüdischen und
antiisraelischen Terroristen nicht die Überlegung ableiten, daß sich
Terror unter bestimmten Umständen durchaus politisch auszahlt?
Wie ist die geschilderte Aussonderung Israels in der Medien- und
politischen Bewertung zu erklären, wie der besondere Schwerpunkt im
Medieninteresse für den arabisch-israelischen Konflikt, im
deutlichen Gegensatz etwa zur Berichterstattung über den bereits
erwähnten Krieg des Nord- gegen den Südsudan mit Hunderttausenden
von Toten, über den Bürgerkrieg in Algerien oder, früher, über die
Unterdrückung und Vertreibung der Kurden im Nordirak? Welche Rolle
spielen bei dieser Aussonderung antisemitische Vorstellungen? Wollen
sich Deutsche und andere durch die Stigmatisierung Israels vom
Holocaust-Vorwurf entlasten? Wo liegt die Grenze zwischen –
berechtigter oder unberechtigter – Israelkritik und antisemitischen
Positionen, etwa dort, wo ein nur für Israel, und sonst bei keinem
anderen Konfliktpartner, geltender Sondermaßstab angelegt, wo
Israels Existenz- und Selbstverteidigungsrecht geleugnet oder das
antisemitische Klischee einer jüdischen Weltverschwörung und
Weltherrschaft verbreitet wird?
Wir hören zu diesen Fragen – zum Stand der politischen und der
Mediendebatte in den USA und in Europa sowie zu den zu ziehenden
Grenzen – zunächst ein Statement von Rabbi Andrew Baker vom AJC in
Washington, den ich auch für die Trägerorganisationen und
-einrichtungen hier noch einmal sehr herzlich begrüße."
Klaus Faber, Staatssekretär
a. D., Rechtsanwalt in Potsdam. Geschäftsführender Vorsitzender des
Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und
Mecklenburg-Vorpommern. Von 1994 bis 1999 Staatssekretär des
Kultusministeriums von Sachsen-Anhalt. Mitgründer und
Kuratoriumsmitglied des Moses-Mendelssohn-Zentrums für
Europäisch-Jüdische Studien an der Universität Potsdam und des
Berlin-Brandenburgischen Instituts für Deutsch-Französische
Zusammenarbeit in Genshagen.
Weitere Redebeiträge:
Sacha Stawski
Ulrich Sahm
Eldad Beck
Zusammenfassung
von Klaus Faber
Honestly Concerned im Internet
hagalil.com
30-07-2003 |