Podiumsdiskussion:
Antisemitismus, Deutsche Medien und der
Nahostkonflikt Ende Juni
fand in Berlin eine Diskussionsveranstaltung zum Umgang der
deutschen Medien mit dem Nahostkonflikt statt. Eingeladen hatten das
Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der
Universität Potsdam, das Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie in
Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, das Kulturforum der
Sozialdemokratie und die Initiative honestly-concerned. Die
Redebeiträge werden im folgenden dokumentiert.
Redebeitrag von Ulrich Sahm, n-tv Korrespondent:
"Propaganda mit Ministatistiken und Vergeltung
Bei Medienuntersuchungen werden nur die
Endprodukte geprüft, Zeitungen, Zeitschriften, Nachrichtensendungen
von ARD oder ZDF. Da werden Erbsen gezählt. Wenn Arafat exakt so
viele Sekunden über den Bildschirm flimmert wie Scharon, bestätigen
sich die Fernsehmacher eine TV-Gemäße Ausgewogenheit. Manchen
Forschern scheint der rechte Maßstab zu fehlen, weil sie keine
Ahnung von den subtileren Formen des Antisemitismus haben.
Es ist legitim, Israel zu kritisieren und Scharon
nicht zu mögen. Das ist kein Antisemitismus. Aber wie Herr Faber es
schon andeutete: die verwendeten Klischees, historisch belastete
Worte, Bilder aus dem klassischen Antisemitismus bis hin zu
antijüdischen Vorurteilen aus dem Repertoire der christlichen
Kirchen verwandeln legitime politische Kritik in eine gefährliche
antisemitische Polemik.
Antisemitische Erbsen Ohne
den Apparat eines Forschungsinstituts mit volontierenden
Erbsenzählern, veranstaltete ich meine eigenen Studien.
Dem Publikum entgeht, wer in Wirklichkeit unseren
Nachrichtenalltag bestimmt. Das sind nicht die Tagesschau, der
Spiegel oder die FAZ. Es sind Weltmächte. Die arbeiten im
Hintergrund und beeinflussen alle Redaktionen. Das klingt wie eine
Verschwörungstheorie. Ich meine Reuters, ap, dpa oder afp. Für den
Glauben an ihren Wahrheitsgehalt gibt es sogar einen Fachbegriff:
Agenturgläubigkeit. Ein Problem
sind politische Wertungen. So fügen die Agenturen den Namen gewisser
Politiker Adjektive bei, die allein der Weltanschauung der Reporter
entsprechen. Monatelang las ich vom Hardliner Arafat, vom gemäßigten
Scharon und vom Extremisten Mahmoud Abbas... Wie wäre es, wenn wir
bei der Rentendiskussion über den Hardliner Schröder und den
gemäßigten Stoiber redeten. Lächerlich.
Abstrus ist baffes Erstaunen der Agenturreporter:
"Der als Hardliner bekannte Ariel Scharon erklärte sich zur Räumung
von Siedlungen bereit." Es fragt sich, wer eigentlich Scharon zum
Hardliner gemacht hat. Bei nüchterner und unvoreingenommener
Betrachtung ist seine Politik eher pragmatisch und je nach Situation
mal hart, mal nachgiebig und in jedem Fall konsistent und
wechselhaft zugleich. Ich persönlich würde mir kein simples
pauschalisierendes Urteil über keinen einzigen der nahöstlichen
Politiker erlauben, zumal sie alle in einer unberechenbaren
Wirklichkeit auch immer wieder unberechenbar reagieren.
Als tunlichst neutraler Beobachter, erwarte ich auch
von den Nachrichtenagenturen eine wertfreie Berichterstattung, ohne
Adjektive oder politische Hochstapelei, als wüssten die
Agenturreporter besser als die Politiker, wo es lang geht.
Propaganda mit Totenzahlen
Ein anderes Phänomen ist reine Propaganda für die Redakteure. Seit
dem ersten Tag der Intifada fügen Reuters und ap jeder Meldung aus
Nahost eine Statistik an [1].
Neutral formuliert lautet sie: Seit dem 28. September 2000 sind x
Palästinenser und y Israelis getötet worden.
Von rund 5000 solcher Ministatistiken[2] habe ich für meine Analyse
einige hundert herauskopiert.
Das Wort "Intifada" kommt übrigens nicht vor, weil
erklärungsbedürftiges Fremdwort[3]. Ich hatte den 28. September 2000
als ersten Tag der Intifada[4] erwähnt. Damit es nicht langweilig
wird, haben sich die Agenturjournalisten unzählige Formulierungen
für die Stunde Null ausgedacht: Seit der Provokation Scharons auf
dem Tempelberg, seit Ausbruch des spontanen Volksaufstandes, der
Revolte, seit Beginn dieser Runde der Kämpfe, der Gewalt, des
Blutvergießens, seit Ausbruch des palästinensischen Kampfes für
einen eigenen Staat, Befreiungskampfes, Kampfes zur Beendung der
Besatzung, seit dem Scheitern der Friedensverhandlungen.
Viele dieser Stilblüten sind Schuldzuweisungen,
zynisch verknüpft mit vielen palästinensischen Toten und relativ
wenigen israelischen Opfern. Längst ist belegt, dass die Intifada
kein spontaner Volksaufstand als Reaktion auf Scharons Provokation
ist, sondern ein Monate im Voraus geplanter bewaffneter Angriff auf
Israel[5]. Reuters bringt das zum Ausdruck, indem die gelegentlich
die Ziele des Aufstandes erwähnen, als "Revolte gegen die
israelische Besatzung". Gemäß manchen Ministatistiken wird das
Blutvergießen oder der Aufstand nicht wie eine Reaktion auf eine
israelische Provokation beschrieben. Da heißt es ausdrücklich:
"seitdem die Palästinenser ihren Aufstand ausgelöst haben". Das ist
ein Hinweis auf eine palästinensische Initiative und nicht auf die
Reaktion auf eine israelische Provokation.
Der wahre Auslöser der Intifada war der israelische Rückzug aus
Südlibanon. Gemäß der palästinensischen Wahrnehmung habe die
Hisbollah die Israelis vertrieben. Laut palästinensischen Quellen
sollte die Intifada mit Gewalt die Siedler vertreiben.
Spontan ins Messer gelaufen
Das bemerkenswerteste palästinensische Dokument über
den Ausbruch der Intifada ist ein Interview[6] des wegen Mordes
angeklagten Volkstribuns Marwan Barghouti. Am ersten Jahrestag der
Intifada protzte er, Scharon ins offene Messer laufen gelassen zu
haben. Barghouti behauptet, die Provokation Scharons als letzte
Chance genutzt zu haben, um die Intifada ausbrechen zu lassen und
Israel zu beschuldigen.
Es ist schwer, mit neutralen Worte, ohne
Schuldzuweisung den Beginn der Intifada darzustellen. Sogar das
Datum ist problematisch. Begann sie etwa mit dem ruhigen Besuch
Scharons auf dem Tempelberg? Einige Tage zuvor, mit dem
vorsätzlichen Mord an israelischen Soldaten oder aber am blutigen
Freitag, einen Tag nach der Provokation Scharons? Die Frage wäre
irrelevant, wenn das nicht bis Heute entscheidende Folgen für die
Wahrnehmung und Beurteilung der Intifada hätte. Dabei widersprechen
sich jene, die einerseits Scharon zum Schuldigen machen und
andererseits den Palästinensern ein legitimes Recht auf
gewalttätigen Widerstand zubilligen und ihnen zugestehen, den
Aufstand ausgelöst zu haben, mit dem Ziel die Besatzung zu beenden.
Posthumer Wechsel der Staatsangehörigkeit
Nächster Punkt sind die Totenzahlen und die Identität der Opfer.
Jeder israelische oder palästinensische Tote wird mit Altersangabe
beim Namen genannt. In anderen Weltregionen bin ich nicht bewandert.
Aber ich vermute mal, dass Reuters und ap mit eben solchem Fleiß die
Namen und Altersangaben der drei Millionen Todesopfer im Kongo, der
2 Millionen Toten im Südsudan, der 250.000 europäischen Toten im
ehemaligen Jugoslawien gesammelt und veröffentlicht haben. Ganz
gewiss wurden auch die Namen der Hunderttausenden Toten des
Irakkriegs publiziert. Ich habe sie trotz intensiver Suche nicht
gefunden. Nicht einmal die Namen der Erfurter Schüler nach dem
Amoklauf wurden von den internationalen Agenturen mit derart
akribischer Genauigkeit nach Neuseeland, Japan, Argentinien und
Südafrika vermeldet. Mir ist klar, dass 3000 Tote nach drei Jahren
Krieg in Nahost ungleich schwerer wiegen als die amorphe Masse der
3000 Toten des 11. September. Zweifellos erzeugt jeder tote
Palästinenser, dessen Leiche sogar aus dem Kühlschrank hervorgeholt
wird, um für alle Welt sichtbar gefilmt zu werden, mehr Mitgefühl
und Empathie als die Toten von New York, Tel Aviv oder Jerusalem.
Denn die hat niemand jemals gesehen, weil sie aus Gründen der Pietät
nicht gefilmt werden. Amerikaner wie Israelis halten eine derartige
Leichenschau für geschmacklos und ekelerregend, was jedoch
amerikanische wie israelische Fernsehsender nicht daran hindert, die
Bilder toter Palästinenser, Afghanen oder Iraker auszustrahlen. So
entsteht "Mitgefühl" nur für die jeweiligen Feinde, während man es
bei den eigenen Toten wohl voraussetzt. Bei arabischen
Fernsehsendern soll das exzessive Zeigen der eigenen Verletzten und
Toten weniger "Mitgefühl" auslösen sondern vielmehr den Hass auf den
Feind (Israel oder die Amerikaner) schüren.
Bei der nationalen Identität der Toten gerieten die Agenturen ins
Schleudern, sowie deren Schubladendenken ins Wanken geriet. Wer mehr
Tote hat, ist Opfer. Wer weniger Tote hat, ist Täter oder Übeltäter.
Monate lang lautete die Statistik X Palästinenser, Y Israelis und 13
Andere. Irgendwann verschwanden diese Ufos wieder. "Andere", das
waren 13 israelische Araber, bei Unruhen im Kernland Israels
umgekommen. Jüdische Israelis, bei der gleichen Gelegenheit
umgebracht, wurden nicht mitgezählt.
Bald gab es neue Komplikationen. Harry Fischer,
deutscher Chiropraktiker, wurde im November 2000 von einer
israelischen Rakete in Beth Dschallah getroffen. Der wurde als
Ausländer angeführt. Ebenso ein erschossener griechischer Mönch.
Stillschweigend und posthum wurden sie später zu Palästinensern
gemacht. Auch auf der israelischen Seite bürgern die Agenturen
posthum die Ausländer ein. Ich denke da an Amerikaner, Franzosen,
Philipinos und Chinesen, die bei Selbstmordattacken in Jerusalem
oder Tel Aviv getötet wurden und in den Statistiken zu getöteten
Israelis gemacht werden. Solange die ausländischen Toten noch frisch
im Gedächtnis sind, formulieren die Agenturen dann: "X starben auf
der israelischen/palästinensische Seite".
2331 Palästinenser sind tot. Aber wurden sie
tatsächlich "von den Israelis getötet", wie manche Ministatistiken
unterstellen?
Das Institut für Konter-Terrorismus in Herzlija[7] zählte am 19.
Juni zudem 787 tote Israelis. Inzwischen stieg die Zahl auf über
800. Andere Quellen andere Zahlen. Meines Wissens wendet allein das
Institut in Herzlija wissenschaftliche Methodik an. Dieses makabre
Thema hat eine entscheidende Bedeutung für die Wahrnehmung des
Konflikts durch die deutschen Medien, denn Tote machen die größten
Schlagzeilen.
Weit über die Hälfte der palästinensischen Toten waren Kombattanten
oder "mutmaßliche Kombattanten". Bei den Israelis sind es nur 20
Prozent.
107 palästinensische Frauen wurden getötet, darunter 27
Kombattanten, also Selbstmordattentäterinnen und ähnliches. Das sind
weniger als 4 Prozent aller palästinensischen Opfer. Auf der
israelischen Seiten dagegen wurden 242 weibliche Todesopfer gezählt.
In absoluten Zahlen sind das dreimal mehr als die toten
Palästinenserinnen.
Auch wenn ich hier den abgedroschenen Spruch, "Jeder Tote ist
zuviel" anbringe, stimmt da etwas nicht. Der Eindruck in
Deutschland, als würden die Israelis blindlings gegen
palästinensische Zivilisten vorgehen, klingt unglaubwürdig
angesichts der extrem niedrigen Zahl toter Palästinenserinnen.
Wer tötete die Selbstmörder?
Den Palästinensern ist viel gelegen, die Zahl ihrer Toten in die
Höhe zu treiben, um sich propagandistisch überzeugend als Opfer
darzustellen. Die Agenturen spielen da täglich mit. ap [8] hat
berichtet, dass auch die rund 200 palästinensischen
Selbstmordattentäter als Opfer der Israelis mitgezählt würden. 200,
das sind allein fast 10 Prozent der palästinensischen Toten. Die
klassischen Selbstmordattentäter seien nicht von todesgewissen
Kämpfern zu unterscheiden, die Siedlungen Städte oder Stellungen
angreifen, wissen, dass sie nicht überleben und tatsächlich von
Israelis erschossen werden.
Als palästinensische Opfer der Israelis werden auch Bombenbauer
mitgezählt, die bei sogenannten Arbeitsunfällen, bei der
Vorbereitung von Bomben in die Luft fliegen. Sogar die
Palästinensern ermordeten Kollaborateure erscheinen in der
Gesamtstatistik, als seien sie von Israelis umgebracht worden.
Es geht mir nicht darum, palästinensischen Terror, israelische
Liquidierungen, den legitimen Widerstand der Palästinenser oder das
israelische Selbstverteidigungsrecht zu rechtfertigen. Mich
interessiert auch nicht, wer der Oberschurke bei dem hundert Jahre
alten Konflikt ist, oder ob Siedlungen größere Verbrechen sind als
Selbstmordattentate. Was mich aber immens stört, ist eine subtile
Propaganda, wie sie von den Nachrichtenagenturen betrieben wird mit
scheinbar neutralen Zahlen.
Die Agenturen verwenden auch andere subtile Methoden der
Meinungsmache. So weiß ich aus erster Hand[9] von dem
Redaktionsbeschluss einer großen deutschen Nachrichtenagentur, jede
israelische Militäraktion als "Vergeltungsschlag" zu bezeichnen.
Selbst wenn der israelische Militärsprecher von einem
Präventivangriff spricht, berichtet jene Agentur von Vergeltung.
Andere Agenturen enthalten in ihren englischen Originalberichten
nichts dergleichen. Doch in der deutschen Ausgabe etwa von Reuters
rutscht der Begriff "Vergeltung" als Zwischentitel rein.[10]
Wenn Vergeltung ins Auge geht
Vor allem in Deutschland verbindet sich jüdische Vergeltung mit
Rache. Dann sind wir ganz schnell bei Luthers Erfindung des
jüdischen Rachegottes im Gegensatz zum christlichen Gott der Liebe
angelangt. Sogar Hitler berief sich gegenüber evangelischen
Bischöfen auf Luther, um Bücherverbrennungen und Judenverfolgungen
zu rechtfertigen. Dass sich die israelische Regierung von einem
archaischen Rachegott anleiten lasse, wird immer wieder behauptet.
Das wird klar, wenn die vermeintliche israelische Vergeltung als
Balkenüberschrift mit dem von Luther falsch interpretierten
Bibelvers rausposaunt wird: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wer es bis
heute nicht kapiert hat, hier ein kurzer Hinweis: Unser deutsches
Strafgesetzbuch hält sich an das biblische Prinzip Auge um Auge,
denn es bedeutet nicht Rache, sondern Geldstrafe für den Täter und
Schadenersatz für das Opfer. Luthers Interpretation ist
Antisemitismus der übelsten Sorte. Wenn also dpa über israelische
"Vergeltung" berichtet, dann betreibt ahnungslos die gesamte
deutsche Presse von der Tagesschau bis zur letzten Dorfzeitung eine
subtile antisemitische Hetze in der besten Tradition des Stürmers.
In extrem seltenen Fällen reden die Israelis von einer "Peulat
Tagmul", also Vergeltung. Selbst die Zerstörung von
Terroristenhäusern bezeichnen die Israelis "Abschreckung" und nicht
biblische Rache.
Auch palästinensische Terroranschläge sind nur selten Racheakte,
obwohl ad hoc ein zufällig gelungener Anschlag zu einem Racheakt
deklariert wird. Im Nahen Osten herrscht Krieg. Da geht es Schlag
auf Schlag. So zu tun, als sei die Attacke von heute die Reaktion
auf den Angriff von gestern, ist lächerlich bei dem Gedanken, dass
die Palästinenser 200 Selbstmordattentate seit 1994 ausgeführt haben
und die Israelis 200 Palästinenser gezielt oder ungezielt getötet
haben. Weder Terroranschläge noch Liquidierungen lassen sich
innerhalb weniger Stunden planen, vorbereiten und ausführen.
Ich setze nicht den israelischen Staatsterror mit dem legitimen
palästinensischen Widerstand gleich, oder den palästinensischen
Terror mit der legitimen israelischen Selbstverteidigung. Mögen Sie
für sich selber die passende Formulierung auswählen. Es handelt sich
um Wortspiele in einer ekelhaften Wirklichkeit. Für mich hört
freilich der Spaß auf, wenn die deutsche Öffentlichkeit mit
scheinbar harmlosen Worten und fragwürdigen Ministatistiken gezielt
zu Judenhass, falschem Mitleid und Parteinahme gedrängt wird.
Anmerkungen:
[1] Aus rein technischen Gründen stehen mir nur die Nahost-Meldungen
von Reuters und ap in einem Internet-Archiv zur Verfügung.
[2] Es handelt sich um eine reine Schätzung, bei der Annahme, dass
die Intifada über 1000 Tage andauerte und die beiden Agenturen
mindestens fünf Meldungen pro Tag aus Nahost verbreiteten.
[3] So die Erklärung eines Mitarbeiters von ap in Jerusalem bei
einer telefonischen Anfrage.
[4] Am 28. September 2000 besuchte Oppositionschef Ariel Scharon den
Tempelberg mit Zustimmung des palästinensischen Sicherheitschefs
Dschibril Radschoub und des palästinensischen Jerusalem-Ministers
Faisal Husseini. Beide garantierten den israelischen Behörden "Ruhe"
und waren auf dem Tempelberg anwesend. Die ersten palästinensischen
Toten der Intifada gab es erst einen Tag später, bei einem
Gewaltausbruch auf dem Tempelberg. Erste israelische Tote gab es
schon einige Tage vor der "Provokation Scharons", als
palästinensische Polizisten auf israelische Soldaten bei gemeinsamen
Patrouillen und Stellungen schossen. Die Palästinenser nutzten
"Scharons Provokation", um allein Israel die "Schuld" für das
Blutvergießen zuzuschieben. Die Israelis sagen unter Berufung auf
palästinensische Quellen, dass die Intifada schon Monate zuvor
geplant war. Sie sei kein "Volksaufstand", sondern ein Beschluss
gewesen, die Waffen der palästinensischen Sicherheitsbehörden gegen
Israel zu richten. Deshalb müsse der Beginn der Intifada eigentlich
auf den Tag gelegt werden, an dem nach einer langen Periode der Ruhe
palästinensische Polizisten israelische Soldaten töteten.
[5] Der Minister für Telekommunikation in der PA Imad Faluji wurde
in einem Artikel des libanesischen Daily Star am 3.3.2001 interviewt
über die Hintergründe der 2. Intifada. Er sagte, dass diese bereits
weit vor dem berühmt-berüchtigten "Besuch" Sharons auf dem
Tempelberg geplant war.
[6] "Al Hayat", 29 September 2001, London "Ich wusste, dass das Ende
des Monats September [2000] die letzte Gelegenheit vor der Explosion
sein würde, aber als Sharon an der Al Aksa-Moschee ankam, war es der
passendste Augenblick für den Ausbruch der Intifada. Der Grund ist,
dass der Fall Jerusalem betrifft und noch mehr die Al Aksa. Seine
Bedeutung: die gesamte Region in Brand zu setzen, besonders aber,
weil die Frage der Al Aksa die Empfindlichkeit der Massen entflammt
und aufheizt...
Wir brauchten keinen Krieg. Die Frage ist eine vollkommen andere.
Kriege brechen aus, weil die Präsidenten oder Kommandierenden der
Militärs dies beschließen. Die Intifada aber wurde nicht durch eine
Person oder eine Gruppe von Menschen ausgelöst, sondern dadurch
erzeugt, dass sie tief in die Gefühle der Massen hinein reicht... Es
gab Gegner des Konflikts. Gleichzeitig sah ich in der Situation eine
historische Chance den Konflikt auszulösen. Der heftigste Konflikt
ist der, der von Jerusalem ausgeht, wegen der Empfindlichkeiten
bezüglich der Stadt, ihrer Einmaligkeit und ihrem besonderen Platz
im Herzen der Massen, die bereit sind sich [für sie] zu opfern, ohne
auch nur an den Preis zu denken...
Die Kontakte, auch zu Mitgliedern der Fatah, drehten sich um eine
Frage: die Art der Reaktion auf den folgenden Tag – Freitag, den 29.
September 2000. Ein Tag, der einer ganzen Generation in Erinnerung
bleiben und ins Gedächtnis geschrieben sein wird als der Tag, an dem
die Intifada ausgelöst und die palästinensisch-israelischen
Verhandlungen der letzten zehn Jahre, wie auch der zerbrechliche
Friedensprozess auf den Kopf gestellt wurden. Dieser hat nur eine
große Explosion hervor gebracht...
Das war Krieg. Definitiv. Nun, mehr als jemals zuvor, kam es mir
vor, als ob die Stadt Jerusalem brannte. Und ich spürte auch, dass
die Jerusalemer und Palästinenser positiv reagierten. Über die
Medien rief ich dazu auf, den nächsten Tag zu einem Tag der
Solidarität mit Jerusalem zu machen."
[7] ICT, International Policy Institute for Counter Terrorism,
http://www.ict.org.il/
[8] 27.11.2002 AP However, it would be difficult to justify leaving
the suicide bombers off while including the roughly 100 Palestinians
killed while staging other types of attacks -- such as infiltrations
of Jewish settlements -- which in some cases seemed no less
suicidal…
The Palestinian toll also includes at least 56 Palestinians who were
killed by Palestinian mobs and firing squads on suspicion of
collaborating with Israeli authorities -- further underscoring that
the count should not be viewed as a straightforward "victimization"
of one side by the other.
The AP regularly reports the detailed breakdown of casualties, in
which it includes collaborators and other exceptional categories.
Sometimes it suffices with an overall figure for each side, because
the exceptions do not add up to sufficient numbers to significantly
skew the totals.
… Palestinians tend to count about 70 people they say died of
illnesses because they could not get medical treatment due to
curfews and long waits at checkpoints. AP does not include such
cases.
The review of AP's death toll found that past miscounts had inflated
AP's Palestinian count by 88 and the Israeli count by seven --
mistakes that in most cases occurred during the tumultuous period
last spring when Israel launched a major military offensive and
conditions at Palestinian hospitals were chaotic.
[9] Die Information stammt von einem verantwortlichen
dpa-Mitarbeiter, dessen Namen wir hier jedoch nicht nennen wollen.
Da sich dieser Begriff wie ein roter Faden durch die
dpa-Berichterstattung über die Intifada zieht, hatten wir keinen
Grund, diese vom Ende der achtziger Jahre im Zusammenhang mit
israelischen Angriffen im Libanon erfahrene Information noch einmal
zu überprüfen. Nach dem öffentlichen Vortrag im Paul Loebe Haus
schrieb dazu die Frankfurter Rundschau am 2.7.2003: "Von dem
Redaktionsbeschluss, den Sahm erwähnte, weiß man zumindest bei dpa
nichts. "Das ist definitiv nicht der Fall", dementierte der
stellvertretende Chefredakteur Harold Bojunga leicht entsetzt eine
entsprechende Anfrage. "Klar gibt es Fehler im täglichen Geschäft,
aber eine Sprachregelung? Nein, so etwas gibt es bei uns nicht."
Harold Bojunga bestätigte auch mir per Telefon, dass es eine solche
Sprachregelung nicht gebe. Er habe meine Aussage mit verschiedenen
Stellen im Hause, darunter auch mit dem Büro Tel Aviv geprüft.
Bojunga leitete das Gespräch zum Ressortleiter Politik
International,Gerd-Rainer Neu, weiter. Der berichtete von einer von
ihm verfassten internen Hausmitteilung an das Büro in Tel Aviv und
an die eigene Redaktion, 'äußerst vorsichtig' mit den Begriffen
'Terroristen' und 'Vergeltung' umzugehen, zumal man bei dem 2000
Jahre alten Konflikt nicht wisse, wer die Henne und was das Ei sei.
Neu stimmte zu, dass von 'Vergeltung' nur die Rede sein könne, wenn
tatsächlich die Israelis selber sagten, dass eine Aktion als
Vergeltung gedacht sei. Umgekehrt bezeichnet dpa auch manche
Anschläge als 'Rache', wenn die radikalen Gruppen sie selbst so
definieren. Bei zwei ihm vorgetragenen Beispielen sagte Neu, dass
der Begriff 'Vergeltung'offensichtlich falsch verwendet worden sei.
Völlig neu war für ihn die Erkenntnis, dass 'Auge um Auge' nichts
mit Rache zu tun habe.
[10] Ein typisches Beispiel ereignete sich an dem Tag, als in
Mombasa, Kenia ein doppelter Anschlag auf ein Touristenhotel und auf
eine abfliegende Maschine der israelischen Fluggesellschaft Arkia am
28. November 2002 geschah. Wahrheitsgetreu zitierten die
englischsprachigen Agenturen die Reaktion des israelischen
Premierministers Ariel Scharon: "Israels langer Arm wird die
Terroristen und ihre Drahtzieher erreichen". Scharon sagte, was
jeder deutsche Polizeibeamte nach einem beliebigen Verbrechen sagt.
Reuters und ap berichteten kommentarlos, was Scharon sagte. Das Wort
"Vergeltung" kam in den englischen Berichten nirgendwo vor:
(ap) A grim Sharon … vowed to hunt down the Kenya attackers. "The
world campaign against terror must become real, tangible and
uncompromising, aimed against every terror organization and those
who give them shelter everywhere and at all times," Sharon said.
"Our long arm will get those who carried out the terror attacks. No
one will be forgiven," he said.
(Reuters) Prime Minister Ariel Sharon vowed Israel would hunt down
those responsible for crashing a bomb-laden vehicle into the
Paradise Hotel in the coastal resort of Mombasa, killing three
Israelis and nine Kenyans and wounding about 75 people…"Our long arm
will catch the attackers and those who dispatch them," Was in der
englischen Version von Reuters "hunt down" genannt wird, was
eigentlich "jagen und fangen" nicht aber "töten" bedeutet,
verwandelte sich in der deutschen Version zu: ""Israel wird jene zur
Strecke bringen, die das Blut unserer Bürger vergossen haben" In der
Jägersprache bedeutet das "erlegen" und genau das hat Scharon nicht
angekündigt. So wird kurzerhand aus der Absicht, Verbrecher zur
Rechenschaft zu ziehen, eine mörderische Rache gemacht.
Die deutsche Redaktion von Reuters fügte in ihre Übersetzung einen
Zwischentitel ein: "Scharon verkündet Vergeltung". Was Reuters mit
dem Zwischentitel meinte bleibt ebenso obskur, wie das, was dpa in
den Text ihrer Meldung einfügte. Dpa vermeldete: "Ariel Scharon
verkündete Vergeltung." Es folgte ein Doppelpunkt und dann das Zitat
Scharons. Die deutschen Redaktionen mussten annehmen, dass Scharon
tatsächlich das Wort "Vergeltung" ausgesprochen habe. Eine Zeitung
empfand diese unsachliche Interpretation von dpa als die eigentliche
Sensation. Die Balkenüberschrift auf der ersten Seite verkündete dem
deutschen Zeitungsleser: "Israel droht nach Anschlägen mit Rache".
Eine andere Zeitung hielt sich an den (verfälschenden) dpa-Text und
formulierte die Balkenüberschrift: "Israel verkündet Vergeltung".
Kein einziger Leser dürfte sich die Mühe gemacht haben,
nachzuprüfen, was denn Scharon wirklich gesagt hat, ob das Wort
"Vergeltung" gefallen war oder ob Scharons öffentliche Aussage
tatsächlich als "Vergeltung" verstanden werden könne.
Weitere Redebeiträge:
Eröffnung von Klaus
Faber
Eldad Beck
Sacha Stawski
Zusammenfassung
von Klaus Faber
Honestly Concerned im
Internet
hagalil.com
30-07-2003 |