
Sinai:
Ein einschneidender Anschlag
Kommentar von Dan Rabinowitz,
Ha'aretz, 10.10.2004
Übersetzung Daniela Marcus
Die Terroranschläge, die letzten
Donnerstagabend im Sinai ausgeführt und von Sicherheitsleuten
bereits als "Megaterror" beschrieben wurden, zeigen Spuren eines
einschneidenden Ereignisses. Sie sind diese Art von Geschehen, die
unmittelbar die Betrachtungsweise der Region ändern.
Der Sinai war Teil meines Lebens seit
ich im Alter von 21 Jahren das Kloster Santa Katharina besucht habe.
Ich habe dort von 1975 bis 1979 als Führer der örtlichen Feldschule
der Gesellschaft zum Schutz der Natur gelebt. Dort begann mein
Berufsleben als Anthropologe und Autor. Wie für viele andere so war
auch für mich die Halbinsel Sinai mit ihren wundervollen
Landschaften und gastfreundlichen Bewohnern über Jahre hinweg ein
Fenster der Hoffnung im feindseligen Nahen Osten. Der offene
Durchgang bei Taba lieferte den einzigen Ausweg aus dem Bewusstsein
der regionalen Isolation, das jeden Israeli von seiner Geburt an
begleitet, und sandte Rucksackreisende in alle vier Windrichtungen
der Erde. Der Sinai war ein Heiligtum für eine ganze Generation –
für meine Generation.
Es ist wichtig zu verstehen, dass selbst
für diejenigen Israelis, die niemals im Sinai waren –und die meisten
waren niemals dort-, die eigentliche Existenz eines ruhigen
arabischen Raumes in direkter Angrenzung an Israel sowohl bedeutsam
wie beruhigend war. Die Tendenz, sich einen Ort vorzustellen und mit
ihm Gefühle wie "Heimat", "Ruhe", "Angst" oder auch "Nähe" und
"Distanz" zu verbinden, wird vor allem von subjektiven Assoziationen
und nicht von geographischer Realität beeinflusst. Wir
identifizieren einen Ort mit Ereignissen, Prozessen und Erfahrungen,
sowohl persönlichen wie allgemeinen. Für viele Israelis und auch für
mich hatte der südliche Sinai eine beruhigende Assoziation.
Stimmt, dies galt nicht für alle.
Letzten Sommer erzählten mir israelische Freunde, sie hätten große
Angst in den Sinai zu reisen, und zwar "wegen Ras Burqa" – ein
brutales ortsspezifisches, jedoch außergewöhnliches und einmaliges
Ereignis, das vor beinahe genau 19 Jahren geschah. In den Jahren
2001 und 2002 konnten Beduinen und Ägypter aus dem Sinai nicht
verstehen, warum Israelis wegen der Selbstmordanschläge in
Jerusalem, Tel Aviv und Afula der Halbinsel fern blieben. In diesen
Fällen bestimmten Assoziationen zwischen dem Sinai und der
Feindseligkeit eines Teils der Öffentlichkeit die Gefühle der
Menschen. Nun gibt es nicht länger Zweifel: für die meisten von uns
wurden die Assoziationen mit dem Sinai, die wundervolle
Sonnenuntergänge und extreme Stille darstellten, letzten Donnerstag
beendet. Nun wird der Sinai auf Grund mächtiger TV-Bilder mit einem
Alptraum assoziiert.
Die Quelle für die Anschläge im Sinai
ist anscheinend globaler Terrorismus. Denn die palästinensischen
Organisationen brauchen dringend die politische Unterstützung
Ägyptens und würden diese Unterstützung nicht riskieren. Angesichts
der Wahrnehmung der Region verschlimmert die islamische Verbindung
jedoch die Situation. In einem Moment wird der Sinai vom Ort der
Stabilität, als der er bisher existiert hatte, zu einem weiteren Ort
auf der Welt, der seit dem Kollaps der Zwillingstürme globalem
Terror ausgesetzt wurde. Der 11. September 2001 hinterließ die
gesamte Welt –und nicht nur die Amerikaner oder diejenigen, die
Amerika besucht haben- als einen weniger geschützten Ort.
Die Sinai-Anschläge sind im Vergleich
mit der Anzahl der Toten und der Zerstörung, die New York traf,
natürlich von kleinem Ausmaß. Doch die Gefühle der Angst, die den
Ort für Israelis neu definieren, sind ähnlich. Selbst diejenigen,
die den Sonnenaufgang bei Jebel Umm-Shumar oder das Baden in den
Wishwashi-Zisternen nicht erlebten, haben das Sinai-Paradies letzten
Donnerstag verloren.
Taba
Hilton, Bauprojekte an der Strasse nach Dahab
Israelis haben sich an traumatische
Ereignisse und an die Prozesse, die sie in Bewegung setzen, gewöhnen
müssen. Die effizienten Rettungs- und Notfallreaktionen der
Sicherheitskräfte und Rettungseinheiten in Israel spielen natürlich
eine konkrete Rolle, jedoch auch eine wichtige symbolische. Sie sind
die aufleuchtenden Lebenszeichen –von der ersten Sekunde, gleich
nachdem das Trauma geschehen ist, bis zur letzten, wenn die
Beerdigungen stattfinden-, die beweisen, dass sich die Welt weiter
dreht, dass die Gesellschaft weiterhin funktioniert. Trotz des
schmerzhaften Schlages gibt es immer noch diejenigen, die retten und
evakuieren, die anleiten und behandeln, die trauern und –wenn nötig-
die Körperteile aufsammeln.
Taba,
Hauptgebäude vor dem Anschlag
Das Trauma und die Des-orientierung, die
zumindest in den ersten Stunden mit den Ereignissen im Sinai
verbunden waren, wurden durch die Hilflosigkeit der Ägypter vor Ort
verstärkt. Und der Eindruck, dass die Ägypter selbst in einer Zeit
der Krise, in der jede Minute über Leben oder Tod entscheidet, mit
der Frage der Souveränität beschäftigt waren, sandte auf Grund der
Abwesenheit von Unterstützung gerade dann, wenn sie am meisten
gebraucht wird, ein Signal der Verzweiflung. Der Terror wird genau
deshalb zum strategischen globalen Faktor, weil er die Fähigkeit
hat, im Bewusstsein von Millionen Menschen, die nicht am Ort des
Geschehens waren, jedoch von weitem von ihm getroffen wurden,
andauernden Schaden anzurichten. Wir, die wir die Haut unserer
Gesichter im Zauber des Sinai von der Sonne verbrennen ließen,
stehen nun da mit unseren bloßen Füßen, die von der verbrannten Erde
versengt sind.
Abb. hagalil.com
Anschlag im Hilton Taba:
Rotem
Moriah s'l
32 Menschen wurden bei den Anschlägen
getötet, darunter 13 Israelis. Für 32 Familien geht das Leben nicht
einfach weiter, wird nichts mehr sein, wie es einmal war, nicht
heute, morgen oder in 10 Jahren. Rotem Moriahs Familie ist eine
davon...
Sinai-Anschläge:
Alle
israelischen Leichen nach Israel überführt
Bei den Anschlägen wurden 32 Menschen getötet,
zwölf Israelis, mindestens 14 Russen, sechs Ägypter und zwei
Italiener: Neun Israelis starben im Hotel Taba Hilton. Drei Israelis
kamen fast zeitgleich bei dem zweiten Attentat im 50 km entfernten
Ferienort Ras-a-Satan ums Leben...
Ein Traum zerplatzt:
Bombenterror im Sinai
Das halb eingestürzte Hotel ist nicht nur
Zeichen eines offenbar lange geplanten Terroranschlages, es steht
symbolisch für den geplatzten Traum vieler Israelis, dem Traum von
ein bißchen Ruhe und Frieden...
Zu den Anschlägen im Sinai:
Die
integralistische Hypothek Ägyptens
Die Feindschaft gegen Israel ist das
ideologische Bindemittel, dass die interne Front zementiert, von der
marxistischen extremen Linken bis zur islamistischen extremen
Rechten. Man kann nicht ausschließen, dass die Selbstmordterroristen
im Sinai Komplizen hatten innerhalb der ägyptischen
Sicherheitskräfte...
Anschlag auf 3 Touristenorte:
Terror im
Sinai
Wovor Sicherheitskräfte lange Zeit gewarnt hatten,
ist gestern eingetreten. Die Touristenorte auf der ägyptischen
Halbinsel Sinai, die von Tausenden Israelis für einen Kurzurlaub
während der Sukkoth-Feiertage überfüllt waren, wurden zum Ziel für
Terror...
hagalil.com
12-10-2004 |