Friedrich Ebert Stiftung mit
Orientierungsschwierigkeiten
Anhang 1
(vollständige Wiedergabe der) Pressemitteilung der Abteilung Presse-
und Öffentlichkeitsarbeit der Friedrich Ebert Stiftung, Berlin, März
2003:
Stellungnahme
zur Kritik an der Internationalen Konferenz in Beirut
"Die
Islamische Welt und Europa"
Vom 17. bis
19. Februar 2004 fand in Beirut eine Konferenz im Rahmen des
europäisch-arabischen Dialogs der Friedrich-Ebert-Stiftung statt.
Ziel dieser Konferenz war es, die Dialogfähigkeit des politischen
Islams auszuloten. Gegen die Konferenz wird nun vereinzelt massive
Kritik erhoben. Hauptvorwurf ist dabei, die Friedrich-Ebert-Stiftung
habe Mitgliedern von Hizbollah und Hamas ein Podium für
antisemitische Propaganda geboten. Dazu nehmen wir wie folgt
Stellung:
1)
Der
Dialog mit dem Islam muss den politischen Islam einschließen. Ihn zu
marginalisieren führt in die Sackgasse. Nur der kritische Dialog –
auch mit Vertretern von Positionen, die unserer politischen Haltung
grundlegend widersprechen – dient der Strategie, Wandel durch
Annäherung zu ermöglichen.
2)
Kritisiert wurde u.a. die Konferenzteilnahme von Vertretern der
schiitischen Bevölkerungsgruppe. Die Schiiten stellen im Libanon
eine wichtige gesellschaftliche und politische Kraft dar. Zahlen zur
Bevölkerungsentwicklung zeigen, dass sie in wenigen Jahren die
Mehrheit der Bevölkerung stellen werden. Eine ihrer zentralen
politischen Organisationen ist die Hisbollah. Sie ist mit acht
Sitzen im libanesischen Parlament vertreten.
3)
Neben der Friedrich-Ebert-Stiftung waren das Deutsche
Orient-Institut, das Centre for the Study of Islam and
Christian-Muslim Relations der Universität Birmingham, das
Forschungsinstitut
Consultative Center for Studies and Documentation,
das der Hisbollah nahe steht, sowie die Österreichische Botschaft
und die Zeitschriften Confluences et les editions l’Harmattan,
Paris und majallat Al-Ijtihad, Beirut, Veranstalter der
Konferenz. Die breite Trägerschaft der Veranstaltung sowie die
Einbindung renommierter europäischer Wissenschaftler (u.a. Francois
Burgat, Universität Aix-en-Provence, Volker Perthes, Stiftung
Wissenschaft und Politik und Friedemann Büttner, FU Berlin) stellte
sicher, dass radikalen Positionen unmissverständlich widersprochen
wurde. So hat beispielsweise Dr. Christoph Zöpel MdB die Grundlagen
der deutschen Nahost-Politik, die auf der eindeutigen Unterstützung
und engagierter Solidarität mit Israel basieren, an prominenter
Stelle klar formuliert. Für seine kompromisslose Verurteilung von
Selbstmordattentaten wurde er in den libanesischen Medien heftig
kritisiert.
4)
Israel wird im gesellschaftlichen Diskurs im Libanon einseitig als
Aggressor wahrgenommen. Dem gegenüber war es auch zentrales Ziel der
Konferenz, Verständnis für die israelische Erfahrung der Bedrohung
und legitime Sicherheitsbedürfnisse einzufordern. Gerade im Hinblick
auf die Flüchtlingsfrage, die im Libanon eine ganz besondere Brisanz
hat, wurde dort vorherrschenden Positionen unmissverständlich
widersprochen.
Als "Apokalypzismus" bezeichnet Leon de Winter die
Motivstruktur der Islamisten: "Islamo-Faschismus hat Josef Joffe
das Denken der Islamisten vergangene Woche genannt. Doch das ist ein
Terminus aus einem vertrauten Begriffsapparat. Der Islamismus ist
fremder. Der Islamismus ist Apokalypzismus. Bin Ladens Welt und die
der Islamisten erstreckt sich über den Tod hinaus. Für sie wird eine
Apokalypse am Ende die Trennung zwischen Leben und Tod und Himmel
und Erde aufheben, die Gläubigen belohnen und eine irdische Ewigkeit
schaffen. Bis es dazu kommt, ist die Welt Schauplatz gewaltsamer
Auseinandersetzungen zwischen Gläubigen und Ungläubigen. [...] Die
Apokalyptiker sind die wahrhaft Gläubigen. Sie glauben, dass
außerhalb unserer menschlichen Welt eine kosmische Kraft existiert,
die das Folgende von ihnen verlangt: Sie sollen dem ungläubigen
Westen den Garaus machen. Die Apokalyptiker tun das nicht aus Liebe
zu der Kraft, die sie Allah nennen – sie tun es aus Furcht. Sie
fürchten, das ewige Leben zu verspielen, wenn sie nicht den Willen
jener kosmischen Kraft ausführen. Sie glauben, den Willen dieser
Kraft aus dem Studium ihrer heiligen Texte zu kennen. Und [...] dass
sie diese Botschaft finden, ist nicht verwunderlich: Die Apokalypse
ist ein wesentliches Kennzeichen der monotheistischen
Offenbarungsmythologie. – Die Erwartung, dass das Ende der Zeiten
nahe sei, und die Überzeugung, dass dieses herbeigeführt zu werden
habe, bestehen seit Jahrtausenden. Viele Generationen von Juden und
Christen haben atemlos auf den Jüngsten Tag gewartet, an dem Gott
genannte kosmische Kraft, höchstselbst oder durch einen Abgesandten,
in den Lauf alles Irdischen und Menschlichen eingreifen werde.
Manche – Juden, Christen, Moslems – glauben, dass das Kommen des
Jüngsten Tages beschleunigt werden könne. Die Monster, die die Opfer
von Madrid oder Bali oder Istanbul auf dem Gewissen haben, zweifeln
nicht im Geringsten daran, dass sie Gottes Willen ausführen. Rotte
die Ungläubigen aus, und der Herr wird es zufrieden sein. Mit den
Apokalyptikern lassen sich keine Kompromisse schließen. Sie töten
mit einem Lächeln, sie sterben mit einem Lächeln. [...] Ist der
Islamismus dem ‚wahren’ Islam fremd, wie wir oft zu hören bekommen?
Natürlich nicht. So wie die Inquisition eine Option innerhalb des
Christentums ist und die nationalistische Orthodoxie eine Option
innerhalb des Judentums, so ist der extremistische Islamismus eine
Option innerhalb des Islam. Vielleicht sind diese radikalen
Varianten sogar die reinste Ausprägung der Offenbarungsmythologie
des Monotheismus. Gottes Reich komme, wenn bestimmte Voraussetzungen
erfüllt werden, und es ist am Gläubigen, diese Voraussetzungen zu
erfüllen. Mit dem wahren Gläubigen ist kein Kuhhandel zu treiben.
Seine Wahrheit ist mit Kompromissen unvereinbar. [...] " [s.
Leon de Winter – "Dann ergeben wir uns doch einfach!" – in:
Die Welt, 27.3.04; Josef Joffe – "Die Offensive des
Islamo-Faschismus" – in: Die Zeit, 13/04, 17.3.04]
In seinen "Anmerkungen zu den Ursachen des Internationalen
Islamischen Terrorismus" resümiert Günter Bierbrauer: "Um das
Wissen der eigenen Sterblichkeit zu bannen, ist möglicherweise für
Terroristen der ‚Griff nach dem großen Projekt’ (Robert Lay Lifton)
mit seinen vermeintlichen Endlösungen im Sinne einer Elimination der
Ungläubigen, mit Gefühlen der Erlösung und Beglückung verbunden.
[...] Wenn [unter bestimmten Voraussetzungen] ein Versprechen für
Unsterblichkeit gemacht wird, dann können Menschen offenbar
kollektiv zum Kampf mobilisiert werden und sind sogar bereit dazu,
ihr Leben einzusetzen." [G. Bierbauer, in: Politische Studien,
Heft 386, 53. Jg. Nov./Dez. 2002]
Gegen
islamistische Vereinfachungen stellen sich mit ihren Beiträgen z.B.
folgende Kommentatoren:
Nader
Fergany, Al-Ahram
Nader Fergany,
Leiter einer Forschungseinrichtung (Almishkat Centre for Research)
und verantwortlicher Autor des "Arab Human Development Report",
benennt als schwerwiegendste Defizite arabischer Regime: "Erstens
eine Legislative, die weder den Schutz von Menschenrechten im Innern
noch nationale Rechte im Außenverhältnis sicherstellt. Zweitens eine
Exekutive, die nicht nur korrupt und unfähig ist, sondern alle
Institutionen nieder hält, die für gute Regierungsarbeit
unerlässlich sind, vor allem Legislative und Judikative. [...] Die
Bürger eines Staates müssen das Recht haben, sich an dessen
Regierung zu beteiligen. Die Parlamente sollten ihre volle
Gesetzgebungsmacht übernehmen. Und eine Partnerschaft sollte sich
zwischen der Regierung, den gesellschaftlichen Organisationen und
den Institutionen des Marktes herausbilden, wobei die
Gerichtsinstanzen die Rechte aller zu sichern hätten."
Europa, ohne es zu imitieren, könne als Vorbild dienen. [Al-Ahram
Weekly,
"Learning from Europe", 29.4.04]
Ibrahim
Nafie, Al-Ahram
Ergänzend ein
Zitatbeispiel für analytisch-kritische Haltungen einer
Persönlichkeit, deren Stellung im Prozess der öffentlichen
Meinungsbildung Einflussnahme garantiert:
Ibrahim Nafie, Verlagschef als auch ständiger Leitartikler der
Kairoer Al-Ahram (ältester und vielleicht namhaftester
Zeitungsverlag im arabisch-sprachigen Raum), gebraucht deutliche
Worte gegenüber dem Entwicklungs-Phlegma seines Landes und legt
dabei den Finger in die Wunde, wenn er schreibt: "Die arabische
Welt hat sich enorm verändert und wir in Ägypten müssen diese
Veränderung zur Kenntnis nehmen und in Politiken einbeziehen, die
von einer gesunden Einschätzung der Fakten herrühren statt von
hohlen Redensarten, die keiner mehr abkauft. Wenn Offizielle und
Intellektuelle in den [z.T. dynamisch wachsenden] Golfstaaten
erklären, dass ihre Länder eher den eigenen Fortschritt als den der
ganzen Region fokussieren sollten [also "Greifbares" statt Rhetorik
fordern], so sollten wir das als Aufforderung verstehen, konkrete
Grundlagen für die ... inner-arabische Zusammenarbeit zu schaffen.
Durch einen entschiedenen Aufbau von unten, ähnlich dem Prozess, den
die Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg in Gang setzten und der dann
zur EU führte, können auch die Araber neuartige, Modell bildende
Gestaltungsformen regionaler Integration entwickeln. Sachbezogen und
realistisch – dies sollten die Arbeitsbegriffe Ägyptens bei der
Formulierung eines Neuansatzes zur inner-arabischen Kooperation
sein. Wenn wir diese Prinzipien in Kraft setzen, werden wir bereits
eine große Wegstrecke in Richtung auf den Prozess qualitativer,
nachhaltiger Transformation zurückgelegt haben. [...] Die Frage ist,
ob wir in Ägypten bereit sind, das Notwendige zu tun, um der Aufgabe
gerecht zu werden." Der Ansatz zu nüchterner,
selbstkritischer Lagebeurteilung ist in diesem Appell an die
eigene nationale Adresse zweifellos angelegt. In seinem Beitrag
macht Nafie seine Empfehlung auch deutlich, indem er einen
Gesprächspartner aus den Golfstaaten wie folgt zitiert: "Eine
Person nannte als ein Beispiel, dass bei allem Respekt für die
brüderlichen Bande zu Staaten wie Djibuti und Somalia sein Land doch
weit mehr gemeinsame Interessen mit Australien habe."
[Al-Ahram
Weekly, "More than talk", 12.3.04, unter http: //
weekly.ahram.org.eg]
Die oben
zitierten Stellungnahmen sind Beispiele einer analytischen
Haltung in Teilen der arabischen Öffentlichkeit sowie Schritte
im überfälligen Prozess der Auseinandersetzung
?
mit den
realen Lebensbedingungen in einer globalisierten Welt,
?
mit den gesellschaftlichen
(statt ideologischen) Interessen der arabischen Welt,
?
mit der
faktischen Situation in den arabischen Ländern und Regionen.
Die zitierten
Beispiele sind der Arbeit "Die
Irak-Erfahrung – Lehrstunde für Völkerrechtler?", Teil
1, Kap. 5) entnommen.
Nachträglich
angefügt wird hier der Hinweis auf einen Beitrag in der Zeitung
Al-Sharq Al-Awsat (einem Presseorgan mit panarabischer
Ausrichtung), der ebenfalls exemplarisch im Sinne der angesprochenen
selbstkritisch-analytischen Haltung ist. In dem Beitrag wird der
Missbrauch des Islam als Legitimation terroristischer Aktivitäten
auf besonders eindringliche und entschiedene Weise verurteilt.
Titel: "Innocent religion is now a message of hate".
Verfasser ist Abdel Rahman al-Rashed, General Manager des Al-Arabiya
news channel (www.telegraph.co.uk/news/main.jhtml?xml=/
news/2004/09/05/wosse605.xml; mit Datum vom 5.9.04). Nachfolgend
einige – hier ins Deutsche übertragene – Zitatauszüge:
"Sicher sind
nicht alle Muslime Terroristen, aber sicher ist auch, und es
schmerzt sehr, dass fast alle Terroristen Muslime sind. Die
Geiselnehmer der Kinder in Beslan [...], die Mörder der
nepalesischen Hilfskräfte [...]. Jene, die an Vergewaltigung und
Mord in Darfur, Sudan, beteiligt waren, sind Muslime, die andere
Muslime zu ihren Opfern machten. [...] Welch eine abscheuliche
"Leistungsbilanz". Sagt uns dies irgend etwas über uns selbst,
unsere Gesellschaften und unsere Kultur?
[...] Lasst
die Tatsachen sprechen statt sie zu leugnen, zu rechtfertigen [...].
Selbstheilung beginnt mit erkennen und bekennen. Danach sollten wir
uns unserer Söhne annehmen – in dem Eingeständnis, dass sie die
sauer gewordenen Trauben einer deformierten Kultur sind.
Lasst uns
Scheich Jusuf al-Qaradawi – einem [...] radikalen ägyptischen
Religionsführer – lauschen, wie er [...] den Mord an Zivilisten für
zulässig erklärt – ein siecher Scheich, zum Ende seiner
Lebens, mit zwei im "ungläubigen" England studierenden Töchtern, der
Kinder zum Mord an Zivilisten verführt. Wie könnte dieser Scheich
der Mutter des jungen Nick Berg gegenübertreten, der im Irak
umgebracht wurde, weil er Kommunikationsmasten in diesem verwüsteten
Land aufstellen wollte? Wie können wir ihm glauben, wenn er predigt,
dass der Islam für Barmherzigkeit und Frieden steht, während er ihn
in eine Religion des Blutvergießens und Gemetzels verwandelt. [...]
Wir können
die, die Schulkinder als Geiseln nehmen, nicht die unseren nennen.
[...] Wir können unsere Söhne [von ihrem Weg] nicht zurückführen,
wenn wir die Scheichs nicht konfrontieren [...], die anderer Leute
Söhne und Töchter in den sicheren Tod schicken, während sie ihre
eigenen Kinder auf europäische und amerikanische Schulen und
Universitäten schicken."
Teil 1:
Das Wort des Ministers
Teil 2:
Fallbeispiel Beirut Konferenz
Teil 3:
Ein Wort der Erinnerung
hagalil.com
05-10-2004 |