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Alltag in Gaza:
Routine-Katastrophen,
die Leben zerstören

von Amira Hass, Ha´aretz / ZNet 26.02.2003

Heutzutage besteht die tägliche Routine für alle Palästinenser in Gaza u. Westbank in einer unendlichen Kette an Katastrophen, sie leiden unter den aktuellsten Implikationen u. haben Angst, die sichere Gewissheit, es werden neue Katastrophen hinzukommen.

Eines nachts fiel das Leben der Al Hilo Familie auseinander. Die Familie lebt im Tufah-Bezirk von Gaza-Stadt. Letzten Dienstag, den 18. Februar, gegen 22 Uhr rollten gepanzerte Truppentransporter (APCs) der Israelis in den Osten von Gaza-Stadt ein - eine jener Routine-Aktionen der IDF, die sich gegen Kassam-Raketen-Werkstätten richten. Der nicht minder routinierte Bericht der IDF spricht danach von 11 getöteten bewaffneten Palästinensern. Die IDF-Trupps kamen mit Helikopter-Unterstützung u. feuerten massiv. Nach ungefähr einer Stunde schoss die Militärbesatzung eines Helikopters eine Rakete auf ein mit 3 Personen besetztes Auto mit Mitarbeitern des Palästinensischen Geheimdiensts ('Palestinian General Intelligence') ab. Palästinensischen Quellen zufolge hatten die drei Geheimdienstler Palästinenser verfolgt, die offensichtlich vorhatten, Kassams abzuschießen.

Währenddessen umzingelte ein gepanzerter Tross - mit mehreren Panzern u.a. - das Haus der Al-Kata-Familie im Tufah-Bezirk (Gaza-Stadt). Der Vater der Familie besitzt eine Metallwerkstätte im 1. Stock des Gebäudes. Die (israelischen) Soldaten forderten alle Hausbewohner auf rauszukommen. Ein paar Soldaten gingen ins Nachbarhaus zu Nahed Al Hilo u. befahlen dessen 22-jährigem Sohn Ala mitzukommen, man wolle eine Raum-zu-Raum-Razzia durchführen, um sicherzustellen, dass keine fremde Person im Gebäude wäre. Die Familie Al Hilo ist mit der Al-Kata-Familie verschwägert. Die Soldaten forderten beide Familien sowie eine weitere Familie in der Nachbarschaft auf, ihre Häuser zu verlassen u. im nahen Obstgarten abzuwarten. Es war bitterkalt, aber die Soldaten erlaubten den Familien nicht, zu ihren Verwandten ein paar Häuser weiter zu gehen u. sich aufzuwärmen. Also kauerten 35 Menschen, darunter Frauen u. Kinder, 4 1/2 Stunden im Obstgarten, während 50 Meter weiter in der Metallfabrik gesprengt wurde. Gegen 3 Uhr morgens zogen die Truppen wieder ab. Jetzt war alles ruhig. Die Menschen im Obstgarten dachten, sie könnten zurückkehren. Keiner der Soldaten hatte sie gewarnt, es nicht zu tun.

Sa'id Al Hilo, 25 u. sein Bruder Ala, 22, waren Fußballspieler. In den frühen Tagen des Friedensprozesses hatte man sogar gegen die Israelis gekickt. Das war in Norwegen. Ihr Vater hatte in Israel als Bodenleger gearbeitet. Vom Ersparten kaufte er seinen Söhnen einen Lebensmittelladen, den sie nun gemeinsam führten. Die beiden jungen Männer u. ihr Cousin Tamar Darwish rannten allen voraus zum Haus zurück. Um 3.45 Uhr kamen sie vor der Metallwerkstätte an. Es gab eine Riesenexplosion. Vor den Augen der Eltern, ihrer Familie, wurden die drei unter den Trümmern des zerstörten Gebäudes begraben. Auch einige andere Mitglieder der Familien, darunter Kinder, kamen bei der Explosion zu Schaden. Rettungsfahrzeuge u. andere Autos kamen nur langsam zum Ort des Geschehens durch. Die IDF hatte die ohnedies unasphaltierten Straßen mit Gräben durchzogen. Obgleich selbst verletzt, grub der Vater der Familie zusammen mit dem jüngsten Sohn Sami mit bloßen Händen nach den Körpern der drei. Dass auch sein Haus durch die Wucht der Explosion halb zerstört war, kümmerte ihn in diesem Moment nicht. Gerade an jenem Tag war der Besitzer der Metallwerkstätte von einer Reise nach Saudi-Arabien zurückgekehrt - über Rafah. Existierte tatsächlich die Information, er fabriziere Kassam-Raketen - warum hat man ihn in dem Fall nicht verhaftet? Schließlich hätte er wertvolle Auskünfte über seine Auftraggeber geben können. Womöglich gab es diese spezifische Information aber gar nicht - die IDF behauptet immer, sie hätte genaue Information -, vielleicht war ja nur ganz allgemein von einer Metallwerkstätte die Rede.

Dies ist nur ein Beispiel, praktisch wahllos herausgegriffen, um zu zeigen, mit welcher Routine hier Katastrophen passieren. Nicht nur die Metallwerkstätte wurde zerstört, mit ihr gingen die Ersparnisse eines ganzen Lebens, Jahre harter Arbeit vor die Hunde. Tausende Familien hier haben die Efahrung schon gemacht, fanden ihr Lebenswerk vernichtet: denn wenn schon nicht das eigene Haus zerstört wird, dann eben das daneben, u. das eigene Haus wird beschädigt; und wenn es nicht deine Drehbank trifft, dann eben dein Feld oder dein Treibhaus. Den Familien Hilo u. Kata blieb kaum Zeit, sich mit der Zerstörung ihrer Häuser auseinanderzusetzen, da wurden ihnen schon die Söhne entrissen. Die drei fielen in keinem Gefecht. Sie hatten nicht versucht, sich in eine (jüdische) Siedlung einzuschleichen, u. sie waren auch keine Selbstmordattentäter. Sie starben schlicht ein paar Meter neben ihren Häusern. So setzt die IDF Tag für Tag das Töten von Zivilisten fort. Und genau so bringt man junge Leute dazu, sich für den Tod zu entscheiden - sie wollen versuchen, sich an den Israelis zu rächen. Und der Teufelskreis geht weiter: die israelischen Truppen kehren zurück, verhaften die Angehörigen, zerstören die Häuser (der Attentäter).

Eine Katastrophe bedeutet, das Leben eines Menschen, einer Familie, einer Gesellschaft gerät plötzlich völlig aus den Fugen. Katastrophen sind gewaltige Ausnahme-Ereignisse, die einem normalerweise nur einmal im Leben begegnen - das Gegenteil von Routine also. Was den Palästinensern aber hier abverlangt wird - sie müssen sich ständig mit IDF-Angriffen auseinandersetzen - ist Anpassung an Katastrophen-Routine: eine Katastrophe folgt auf die andere. Man begreift noch gar nicht, was für ein Schicksalsschlag einen getroffen hat, welche Folgen er hat, u. schon passiert der nächste. Und mit jedem Tag wird die Routine schrecklicher. Aber da es nunmal Routine ist, interessiert sich niemand (außerhalb) sonderlich dafür.

In Israel sind die Leute überzeugt, so bekämpft, so besiegt man den Terror - das verspricht uns die Armee seit 28 Monaten. Den Preis mussten in diesen 28 Monaten rund 3,5 Millionen Menschen zahlen - in Form von enormem materiellem, wirtschaftlichem u. emotionalem Leid - ein Leiden ohne Unterlaß, ohne Trost. Alles was diese Menschen zu erwarten haben - konstant zu erwarten haben -, ist der nächste Schlag - und der fällt zehnmal schlimmer aus als der letzte. Und wenn nicht gleich heute dann eben morgen wird ein noch härterer Schlag erfolgen - u. einem das Leben zerstören.

Anmerkung d. Übersetzerin:
Neues Buch von Amira Hass (auf Deutsch): 'Gaza'

Übersetzt von: Andrea Noll
Orginalartikel: "The Routine Calamities That Destroy Lives"

Beruflicher Einsatz und persönlicher Mut:
UNESCO Preis für Amira Hass

Vergangenen Donnerstag gewann die israelische Journalistin Amira Hass den UNESCO Guillermo Cona Weltpresse Freiheits-Preis 2003...

hagalil.com 31-02-2003

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