Skinheads
und Neonazis in Israel:
Die israelische Einwanderungspolitik und die Folgen
Von Gudrun
Eussner
In Israel häufen sich antisemitische Ausschreitungen. In den Städten
treiben sich Skinheads herum, und im Internet tummeln sich
Hitlerfans, die zur Gewalt gegen Juden aufrufen. Dieses im ersten
Augenblick verblüffende Phänomen versteht man besser, wenn man die
jahrzehntelange großzügige Einwanderungspolitik der israelischen
Regierung kennt.
Wenn man weiterhin berücksichtigt, daß sich, bedingt
durch den Nahostkonflikt und die Politik der israelischen Regierung,
die politische Landschaft insgesamt immer weiter nach rechts bewegt,
so daß zu den Februarwahlen 2003 Natan Sharansky und seine
Einwandererpartei Israel B'Alija unter dem Motto "Rechts,
vernünftig, sauber!" antreten und sich zu Gute halten, maßgeblich am
Scheitern des Friedensprozesses mitgewirkt zu haben, daß der
rechtsradikale Block
Nationale Union
des russischstämmigen Avigdor Liberman mit einem Viertel aller
abgegebenen Stimmen rechnen und der Likud sagen kann, daß die Russen
sowieso hinter Ariel Scharon stehen, dann kann es auch nicht
verwundern, wenn nichtjüdische russische Neonazis sich in Israel
breitmachen, denn der Boden ist bereitet. (1)
Etwa ein Fünftel der israelischen Bevölkerung kommt
aus Rußland. Die Geschichte der Emigration russischer Juden nach dem
Zweiten Weltkrieg ist bewegt. Auf Grund des in der Sowjetunion
herrschenden Antisemitismus, aber auch der wirtschaftlich schlechten
Lage wegen, begehren Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre immer mehr
russische Juden, aus der Sowjetunion auszureisen. Im August 1972
beginnt die sowjetische Regierung eine sehr hohe "Diplomsteuer" von
den Ausreisewilligen zu fordern, dies, um die dem sowjetischen Staat
entstandenen Ausbildungskosten zu ersetzen. Das führt dazu,
daß sich kaum noch ein Ausreisewilliger die Emigration leisten kann.
Außerdem werden die ausreisewilligen Juden eingeschüchtert und
verfolgt. Jüdische Organisationen in den USA mobilisieren daraufhin
den antisowjetischen israelfreundlichen Senator Henry "Scoop"
Jackson (2) und den Kongreßabgeordneten Charles Vanik, beide
Demokraten, sowie weitere prominente Mitglieder des Kongresses,
Druck auf die Sowjetunion auszuüben, daß diese der "Diplomsteuer"
ein Ende machen möge und die Beschränkungen der Ausreise aufhebe.
Die Parole heißt "Let My People Go!"
Die Sowjetunion sichert nach zähen Verhandlungen mit
Außenminister Henry Kissinger die freie Ausreise der Emigranten zu
und stellt bereits für 1973 einen Anstieg in Aussicht. Senator Henry
Jackson wünscht eine Ausreise von ca. 60 000 Emigranten pro Jahr.
Im Oktober 1974 wird das Jackson-Vanik Amendment als
Ergänzung zum Handelsgesetz beschlossen, in dem die
Meistbegünstigungsklausel, d.h. nichts anderes als normale
Handelsbeziehungen zwischen den USA und nichtmarktwirtschaftlich
organisierten Ländern, abhängig gemacht wird von der Einhaltung der
Menschenrechte, und was die Sowjetunion angeht, vor allem von der
kostenlosen Ausreise hauptsächlich der Juden, aber auch anderer
Minderheiten. Es handelt sich dabei um ein gegen die Sowjetunion
gerichtetes Gesetz. Es ist bis heute gegenüber Rußland nicht
aufgehoben, was u.a. die Aufnahme Rußlands in die WTO unmöglich
macht. (3)
Die Begeisterung in Israel über das Jackson-Vanik
Amendment ist grenzenlos. Der damalige Ministerpräsident Yitzhak
Rabin und sein Außenminister Yigal Allon schreiben Dankesbriefe an
den US-Präsidenten Gerald Ford, den Außenminister Henry Kissinger
und selbstverständlich an Henry "Scoop" Jackson und Charles Vanik.
(4)
Das Jackson-Vanik Amendment wird zum großen Erfolg,
was die Emigration der Juden angeht. Ab 1975 wandern 573 000
Emigranten, die meisten Juden, aber auch evangelistische und
katholische Christen aus der Sowjetunion in die USA ein, davon ca.
235 000 nach 1989, zur Zeit des Michael Gorbatschow. Ab Mitte der
80er Jahre hat sich der Antisemitismus in der Sowjetunion wieder
verschärft. Die Diskriminierung betrifft vor allem den sozialen und
beruflichen Bereich. Juden wird der Zugang zu Bildungseinrichtungen,
Arbeitsplätzen und Parteiämtern erschwert. Sie gelten dem
sowjetischen Staat als Sicherheitsrisiko ihrer Westkontakte wegen
sowie aus außenpolitischen Gründen, da die Sowjetunion im
Nahostkonflikt eine Position gegen Israel einnimmt. Nach dem
Ende der Sowjetunion agitieren rechtsextreme Parteien und Medien
gegen die Juden, die von ihnen für das wirtschaftliche Elend in
Rußland verantwortlich gemacht werden. So wandern weitere Juden in
Scharen aus. Die russisch-jüdische Gemeinde in den USA wird heute
zwischen einer und zwei Millionen eingeschätzt. Nach Israel wandern
mehr als eine Million Juden aus der ehemaligen Sowjetunion ein. (5)
Diese, von denen viele lieber in die USA ausgewandert
wären, werden mit offenen Armen und großzügiger wirtschaftlicher
Unterstützung vom "dankbaren israelischen Staat" empfangen.
Russische Immigranten werden persönlich von israelischen Ministern
auf dem kochenden Asphalt des Flughafens Lod empfangen. Sie, diese
Wirtschaftsimmigranten, seien eifrige Zionisten, die in ihr
Heimatland zurückgekehrt seien. Die Beschreibung wird von Kritikern
als Euphemismus bezeichnet. (6)
Geschätzt wird, daß insgesamt auch 200 bis 300 000
nichtjüdischer Russen nach Israel eingewandert sind. Derartige
Emigranten wandern allein auf Grund der wirtschaftlichen und
politischen Lage in Rußland von dort aus, und zwar vornehmlich in
die USA, nach Israel und nach Deutschland. Sie beschaffen sich vor
Ort auf dem Schwarzen Markt einen "jüdischen" Paß, mit dem sie in
Israel einreisen. Die Sowjetbürger haben auf Grund des föderalen
Charakters der Sowjetunion neben ihrer Staatsangehörigkeit noch eine
eigene Nationalität in ihrem sowjetischen Inlandspaß verzeichnet.
Bei Armeniern steht dort beispielsweise "armenisch", und bei Juden
"jüdisch", obgleich sie keine Nation in dem Sinne bilden. Jude ist
in der Sowjetunion, wer einen jüdischen Elternteil hat. Ihm wird das
in den Paß geschrieben, was ihm in der Sowjetunion nichts als
Nachteile einbringt.
Die israelische Staatsangehörigkeit kann erworben
werden durch Geburt, Rückkehrgesetz, Aufenthalt und/oder
Einbürgerung. Das 1950 erlassene Rückkehrgesetz garantiert allen
Juden, wo immer sie auch leben, das Recht, als Oleh, als jüdische
Einwanderer nach Israel zu kommen und israelische Staatsbürger zu
werden. Als Jude gilt dabei gemäß dem jüdischen Religionsgesetz, der
Halacha, wer eine jüdische Mutter hat, oder wer zum jüdischen
Glauben übergetreten ist und keiner anderen Religion angehört.
"Die israelische Staatsangehörigkeit tritt am
Ankunftstage im Land oder mit Erhalt des Einwanderungszertifikats zu
einem späteren Zeitpunkt in Kraft. Innerhalb von drei Monaten mag
der Einwanderer/die Einwanderin erklären, daß er/sie die israelische
Staatsangehörigkeit nicht erwerben möchte", informiert die Botschaft
des Staates Israel. (7)
Es kommen also bis ca. 1990 aus dem Gebiet der
Sowjetunion Juden, Einwanderer mit jüdischem Vater, also im
israelischen Sinne keine Juden, und nichtjüdische Russen, die sich
einen entsprechenden Paß besorgen. Nach 1990 werden dank der
großzügigen Einwanderungspolitik noch mehr Nichtjuden aufgenommen.
Vertreter der Jewish Agency for Israel in Moskau, Kiew und
Nowosibirsk locken mit dem Argument, in Israel brauche man keinen
Antisemitismus zu fürchten. Außerdem gebe es für die Olim
Chadaschim, die Neueinwanderer, Kühlschränke gratis und zinsgünstige
Kredite für den Häuserbau in den besetzten Gebieten. Dennoch sei für
russische Juden Israel nur die zweite Wahl vor den USA. In Israel
landeten viele russische Akademiker als Verkäufer oder als
Müllmänner. Die Russen lebten ziemlich isoliert, es werde ihnen von
den im Lande geborenen Juden vorgehalten, sie hätten höchstens einen
jüdischen Großvater, und sie hielten sich nicht an jüdische
Traditionen, feierten das christlich-orthodoxe Weihnachten und äßen
Schweinefleisch.
"In der Welt der israelischen Russen fehlt es an
nichts. Es gibt vier Tageszeitungen, elf Wochenblätter, fünf
Magazine und drei russische Fernsehsender, die aus Moskau direkt ins
Kabelnetz eingespeist werden. Russisch ist neben Hebräisch und
Arabisch zur inoffiziellen dritten Amtssprache avanciert. Auf der
Post, im Einwohnermeldeamt, bei der Polizei und an den Universitäten
wird russisch gesprochen. Außerdem gibt es russische Parteien,
Restaurants, Buchhandlungen, Discos, Läden und sogar einen "Roten
Platz" - in der Küstenstadt Aschdod", schreibt die Süddeutsche
Zeitung.
Dieses Fünftel des israelischen Staates wird bei den
Wahlen umworben, und auch da fehlt es an nichts. Nicht nur, daß
Ariel Scharon selbst von russisch-jüdischen Einwanderern abstammt,
es gibt auch die rechtsextreme Nationale Union des russischstämmigen
Avigdor Liberman und die Immigrantenpartei Israel B'Alija des
ehemaligen Bürgerrechtlers und Gefangenen von 1978 bis 1986 der
Sowjetunion und heutigen israelischen Ministers für Jerusalemer
Angelegenheiten Natan Sharansky (Anatolij Schtscharanski). Wer von
den Berlinern erinnert sich nicht noch an den Gefangenenaustausch
auf der Glienicker Brücke, am 11. Februar 1986, da Anatolij
Schtscharanski in den Westen gelangt.
(8)
In Israel spricht die russische Abteilung bei der
Meretz, der Sozialdemokratischen Partei, zu den Februarwahlen 2003
ausdrücklich die nichtjüdischen Einwanderer an. Sie gelten als
benachteiligte Gruppe. Bei der Meretz schätzt man diese Gruppe auf
300 000, die meisten von ihnen extrem rechts. Der Einsatz der Meretz
fruchtet nicht, denn mehr als 60 Prozent der Neueinwanderer wollen
rechte Parteien wählen. Die Wahlkämpfer aller Parteien
berücksichtigen dies durch Anzeigen in den russischen Nationalfarben
blau-weiß-rot und durch die Darstellung der glanzvollen
militärischen Karrieren der Kandidaten.
Der einzige bedeutende linke Kandidat unter den
russischen Neueinwanderern Roman Bronfman, Abgeordneter der Meretz,
kämpft an gegen die rechte bis extrem rechte Propaganda der anderen
Parteien und der russischsprachigen Medien. Man bezichtigt ihn des
Verrats, da er mit Geldern der EU das "Institut für Demokratie"
gegründet habe, "um die jüdische Identität Israels zu vertuschen."
Welche Ironie, bei dieser Einwanderungspolitik, bei bis zu 300 000
nichtjüdischen Russen, bei im Lande lebenden Arabern, Christen und
anderen nichtjüdischen Minderheiten. Roman Bronfman meint, die
russischsprachigen Medien hätten nach wie vor keine
Meinungsvielfalt, sondern sie litten weiterhin unter einem
"sowjetischen Ansatz" und erzögen die Neueinwanderer
entsprechend.(9)
Der Parteivorsitzende der extrem rechten neuen
Einwandererpartei "Lider" (Leader) Alexander Ridko lädt den
russischen Antisemiten, Israelfeind und Nationalisten, den
Stellvertretenden Parlamentsvorsitzenden Wladimir Wolfowitsch
Schirinowski zu einer Wahlveranstaltung ein. Dieser sagt von Saddam
Hussein: "Mein Freund Saddam beabsichtigt nicht, Israel
anzugreifen." Über die Juden sagt er auf einer Pressekonferenz
anläßlich der Wahlveranstaltung, daß er sie liebe.
Wladimir Schirinowski sei ein russischer Patriot, er
vertrete die Interessen Rußlands, genau wie dies er, Alexander
Ridko, für Israel tue. Man habe viel gemeinsam. (10)
Die antisemitische und rassistische Szenerie in Israel
Im Zusammenhang mit dem in Israel auftretenden
Antisemitismus und Rassismus interessieren hier vor allem die in den
letzten Jahren mit offenen Armen vom Staate Israel aufgenommenen
nichtjüdischen Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.
Wissenschaftler des
Stephen
Roth Institute for the Study of Contemporary Anti-Semitism and
Racism der Universität von Tel-Aviv sind dabei, die Neonazi- und
Skinhead-Szene zu erforschen. Das Institut beobachtet weltweit
antisemitische und rassistische Äußerungen und Handlungen sowie
rechtsextreme Gruppen. (11)
"Hoffentlich sitzest du gut!", sagen Wissenschaftler
des Instituts zu Jean-Yves Camus von Proche-Orient.info, bevor sie
ihn mit der antisemitischen und rassistischen Szenerie in Israel
konfrontieren. Es gibt zwei israelische Internet Adressen in
russischer Sprache, eine davon gehört der "Union der weißen
Israelis" eines Ilya, aus Haïfa, und eines Andrei, aus Arad. Die
Seite enthält auch die Zahl "1488". "14" ist ein neonazistisches
Symbol des US-amerikanischen Rechtsterroristen und christlichen
Fundamentalisten David Eden Lane (Jahrgang 1939), der gegenwärtig
wegen Mordes und Terrors bis zum Jahre 2041 in Florence/Colorado im
Gefängnis einsitzt. Von dort agitiert er die "rechten christlichen
amerikanischen Patrioten" weiter - und die israelischen russischen
Nichtjuden, wie man sieht.
Die Zahl "88" steht für die Anfangsbuchstaben des
"deutschen Grußes"; der Buchstabe "H" ist der achte im Alphabet.
"In der 'White Power'-Bewegung hat David Eden Lane
vor allem als Schöpfer der 'Fourteen Words' Kultstatus erlangt: 'We
must secure the existence of our people and a future for White
children.' Die Zahl 14 ist inzwischen weltweit zum Code der
gewaltbereiten Rassisten avanciert", schreibt das Lexikon
Rechtsextremismus. (12)
Auf den israelischen Neonazi-Seiten posieren
bewaffnete Skinheads im Hitlergruß vor einem Militärlager,
antisemitische und antiarabische sowie gegen Arbeitsmigranten
gerichtete Texte füllen die Seiten.
Es gibt reichlich Witze
über Juden in Konzentrationslagern, Hinweise auf Buchhandlungen, die
Bücher anbieten, in denen der Holocaust geleugnet wird, und andere
Nazi-Themen mehr.
Es wird auf rassistische, negationistische
Nazi-Rockmusik hingewiesen, wie sie bei den Rechtsradikalen in den
USA beliebt ist. Auch russische Musik gleichen Typs wird angeboten,
z.B. von der Gruppe Korrozia Metalyi, die der Ideologie des
Begründers und Organisators der "nationalbolschewistischen Partei",
des aus Kharkov stammenden Romanciers Eduard Limonov nahesteht,
einem "der wichtigsten zeitgenössischen russischen Schriftsteller",
wie der bayerische Kunstverein Rosenheim ehrfürchtig vermerkt, ohne
die Art von dessen "politischen Spielen" auch nur anzudeuten. (13)
Die israelischen Web Sites zeigen durch ihr Layout
und ihre Symbole den Einfluß des in den 80er Jahren in
Großbritannien vom 1993 verstorbenen Neonazi Ian Stewart,
Leadsänger der Skinhead-Kultband "Skrewdriver",
gegründeten
rechtsextremen Netzwerks "Blood and Honour", das sehr aktiv ist
darin, die russischen und ukrainischen Skinheads zu organisieren. In
Hatzor und in Kiryat Shemona werden derartige Skins gesichtet. (14)
Wenn die antisemitischen Ausschreitungen in Israel
auch noch marginal sind, so beklagen sich doch viele Olim, aus den
Staaten der ehemaligen Sowjetunion neueingewanderte Juden, über
antisemitische Beleidigungen, denen sie ausgesetzt sind. Sie werden
als "Zhid" beschimpft, die Neonazis sagen ihnen ins Gesicht, daß sie
Juden nicht ausstehen können und Schlimmeres, sie malen Hakenkreuze
auf die Mauern und schänden Friedhöfe. Hunderte von solchen
Anfeindungen durch nichtjüdische Russen, die allein der vom Staate
Israel gewährten wirtschaftlichen Vergünstigungen wegen ins Land
gekommen seien, haben den aus Moldawien eingewanderten Zalman
Gilichinsky veranlaßt, in Tel-Aviv das "Israeli Information and
Assistance Center for the Victims of Anti-Semitism" zu gründen.
Die israelischen Behörden und die Regierung spielten
das Problem herunter. In Israel Zuflucht vor Antisemitismus zu
finden, sei nicht möglich. Antisemitische Ausschreitungen seien an
der Tagesordnung. Die Beschimpfungen stünden denen in Rußland oft in
nichts nach. Das Anprangern von Antisemitismus in anderen Ländern
durch Israels Politiker erscheine als eine "erbärmliche Heuchelei".
Die Anzahl der Opfer antisemitischer Handlungen steige ständig an.
Das Center versuche, diesen Opfern zu helfen. Einige der
Ausschreitungen, die ersten bereits aus dem Jahre 1990, sowie die
Rolle und das skandalös uninteressierte Verhalten der Polizei und
der Behörden, Abgeordneten und Regierungsstellen hat das Center
dokumentiert. So sagt der Polizeihauptmann von Haïfa Reuven Ariav:
"Die angegebenen Fälle wurden nicht untersucht, und ich gedenke auch
nicht, sie zu untersuchen."
Im November 1990 veröffentlicht die russischsprachige
Tageszeitung "Novosti Nedeli" einen Brief von Bewohnern eines
Aufnahmelagers in Herzliya: "Zehn 18 bis 40 Jahre alte Männer kamen
in unser Lager. Sie bekundeten freiheraus, daß sie keine Juden
wären, und daß sie Geburtsurkunden mit jüdischen Familiennamen
gekauft hätten, um so aus der Sowjetunion zu fliehen. Unser Leben im
Aufnahmelager hat sich seit ihrer Ankunft ins absolute Elend
gewendet. Die Neuankömmlinge sind ständig betrunken, sie schlagen
sich, sie nennen uns offen 'Zhids' und verkünden, daß sie Israel und
die Juden hassen."
Zalman Gilichinsky wendet sich an die zuständigen
israelischen Stellen, an Minister, Knesset-Abgeordnete und an
führende israelische Zeitungen und fragt:
"A) Was ist der Grund für deren Schweigen und
Scheitern, antisemitischen Ausschreitungen in Israel angemessen zu
begegnen, im Gegensatz zur grundsätzlichen Verurteilung von
vergleichbaren Vorfällen im Ausland?
B) Welche Maßnahmen werden ergriffen, Juden zu
schützen - besonders Neueinwanderer - vor Antisemiten, die in Israel
angekommen sind, ob im Einklang mit dem Rückkehrgesetz oder durch
dessen Verletzung?
C) Ist nicht die Zeit gekommen, Gesetze gegen
antisemitische Ausschreitungen zu erlassen, ähnlich denen, die in
vielen europäischen Ländern gelten?"
Er bekommt eine einzige Antwort, vom seinerzeitigen
Minister für Fragen der Diaspora Rabbi Michael Melchior, der meint,
es müsse mehr "jüdische Erziehung" für Neueinwanderer, aber auch für
potentielle Immigranten in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion
her. Grundlagen des Judentums sollten in Offenheit gelehrt werden,
um den nach halachischen Gesetzen als Nichtjuden geltenden
Einwanderern ein Mitgefühl mit der jüdischen Tradition zu vermitteln
und so das "Phänomen" (!) zu vermeiden, daß Zalman Gilichinsky
beschrieben habe. Der meint denn auch, der Rabbi habe nichts
begriffen von der speziellen Frage, die ihm gestellt wurde.
Die Ergebnisse der Untersuchung veröffentlicht Zalman
Gilichinsky in israelischen und ausländischen, hauptsächlich
russischsprachigen Medien. Viele hebräische Medien verweigern die
Veröffentlichung der Informationen, da sie sich negativ auf die
Aliyah, die Einwanderung, auswirken könnte. Die Taten würden von den
oben genannten russischstämmigen Politikern als verständliche
Reaktion auf antirussische Ressentiments der Juden beschönigt. Es
gebe auch Knesset-Abgeordnete, die erklärten, nichts von
antisemitischen Ausschreitungen zu wissen. Wenn man sie damit
konfrontiere, erklärten sie diese zu Einzelfällen, wie der
Gewerkschafter Chaim Ramon, von der Histradrut.
Zalman Gilichinsky sieht die Absicht dahinter, die
"Einwanderungsindustrie" der Rechtsregierung des Ariel Scharon nicht
zu behindern. Das Auftauchen der Antisemiten in der Welle der
Einwanderung zeigt ihm, daß die gegenwärtige Praxis der Rekrutierung
in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion unangemessen ist. Die
Anzahl der Vertreter der Jewish Agency for Israel in diesen Staaten
sei umgekehrt proportional zur Anzahl der dort vorhandenen Juden.
Die Einwanderung werde aber mit allen Mitteln vorangetrieben. (15)
Der Protest in Israel gegen den Antisemitismus im
Lande schweigt nicht. So schreibt Lily Galili, am 23. Mai 2003,
einen langen Artikel zum Thema des Antisemitismus der Nichtjuden aus
den Staaten der ehemaligen Sowjetunion in Ha'aretz. Sie weist auf
die rechtsextremen Web Sites hin und stellt eine Verbindung her zu
den israelischen Einwanderungs- und Integrationsbestimmungen, die
jeden willkommen hießen, wenn er nur kein Araber sei. (16)
Pro-palästinensische Web Sites in Frankreich und sicherlich auch
anderswo nehmen die Diskussion freudig auf und verweisen auf "das
absurde Rückkehrgesetz", das wen auch immer ins Land lasse, wenn er
nur kein Araber sei. (17)
Einen Mißbrauch dieser Diskussion sieht denn auch
Aaron J. Goldberg, vom Israel-Büro der
Anti-Defamation League (ADL). Er meint, der Antisemitismus würde
zynisch gebraucht, um eine Diskussion über das Rückkehrgesetz in
Gang zu setzen. Das sei die wahre Absicht solcher, die angeblich den
Antisemitismus in Israel bekämpften. Zalman Gilichinsky argumentiere
auf der politischen und nicht auf der juristischen Ebene.
Antisemitische Akte beschränkten sich nicht nur auf Nichtjuden gegen
Juden, sondern sie kämen auch bei Juden untereinander vor (!). Der
Vertreter der ADL tut alles, um eine Diskussion über die
Großzügigkeit des Rückkehrgesetzes abzublocken. Er behauptet, der
Antisemitismus in Israel sei kein politisches, sondern nur ein
juristisches Problem. Es ist nicht zu bestreiten, daß die ins Land
geholten Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion unbeschadet, ob
Juden oder Nichtjuden, als positiver Beitrag für die demographische
Zählung betrachtet werden. Sie werden aus politischen Gründen ins
Land geholt, und die Nichtjuden unter ihnen schaden mehr als sie
nutzen. Die Jewish Agency for Israel in Zusammenarbeit mit
christlichen Organisationen wie der lutherischen "Even Ezer” oder
mit US-amerikanischen wie der jüdischen “Yad Ezra”, aus Michigan,
gehen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion auf die Suche nach
geeigneten Einwanderern für Israel.
Im Jahre 2002 sind laut dem israelischen
statistischen Amt 25 Prozent der Bevölkerung Israels Nichtjuden,
zwei Prozent mehr als 2001. Nach Erhebungen des Center for Issues of
Assimilation der Bar Ilan Universität in Ramat Gan, bei Tel-Aviv,
sind 28 Prozent der israelischen Bevölkerung Nichtjuden. Je jünger
die Bevölkerungsgruppe, desto größer ist der Anteil der Nichtjuden
an ihr. Heute ist eines von zwei Neugeborenen ein nichtjüdisches
Kind, und zwar von Arabern, von nichtjüdischen Einwanderern oder von
Gastarbeitern, die sich in Israel niedergelassen haben. Wenn noch
Tausende von Nichtjuden unter dem Vorwand der Rückkehr ins Land
geholt werden, beschleunigt sich der Prozeß, daß die Juden in Israel
in der Minderheit sein werden. Von den aus Staaten der ehemaligen
Sowjetunion von 2000 bis 2002 ins Land geholten Rückkehrern sei
nicht mehr als ein Viertel jüdisch, schreibt Zalman Gilichinsky.
(18)
Beeindruckend ist die Schärfe, mit der
Aaron J. Goldberg
Zalman Gilichinsky erwidert. Dieser hat mehrfach, wie
oben beschrieben, und wie man auf seiner Web Site lesen kann, die
Einführung einer Gesetzgebung gegen Antisemitismus und Rassismus
gefordert. Sie wird von der israelischen Regierung und der Knesset
verweigert. Es könnten, wie von Aaron J. Goldberg gefordert, in den
zu schaffenden Gesetzen sicherlich verschiedene Formen des Rassismus
und der Ausschreitungen gegen alle Religionen, sexuellen
Orientierungen und Kulturen als strafbare Handlungen aufgenommen
werden. (19)
Aaron J. Goldberg kann mit noch so harschen Worten
die Gefahr nicht hinwegbringen, die für Israel besteht: die
Zerstörung der Gesellschaft von innen. Es ist nämlich nicht
dasselbe, ob Antisemitismus und Rassismus in Israel oder in einem
anderen Land auftreten. Für Israel ist dies existenzbedrohend,
genauso wie die ganze verwegene Politik, die gegenwärtig von der
Regierung des Ariel Scharon betrieben wird.
An Negationisten, Antisemiten und Antizionisten aus
Israel selbst besteht also zukünftig kein Mangel. Sie verbreiten
unter Beifall aller Palästinenserfreunde, Antisemiten und sonstigen
Israelfeinde ihr Gift. Entgegen der Ansicht der Israelfeinde bewirkt
dies nicht das Rückkehrgesetz selbst, sondern die Großzügigkeit, mit
der das Gesetz gehandhabt wird, in dem Einwanderer ohne jede
Verbindung zum Judentum ins Land gelassen werden, als wenn sie Juden
wären. (20)
Anmerkungen:
(1) Die Russen und die Wahlen: Mutter Russland, Vater Scharon, von
Natasha Mosgovia, übersetzt von Kirsten Praefke-Meron. Jedioth
achronoth, 17.1.2003. Auf Hagalil, 27.1.2003
http://www.nahost-politik.de/israel/wahlen/2003/russen-01.htm
(2) Bei Senator Henry "Scoop" Jackson handelt es sich um eben den
Demokratischen Senator, bei dem zahlreiche heute neokonservative
Regierungs- und Think Tank-Mitglieder in den 60er Jahren als
Mitarbeiter wirken. Richard Perle arbeitet elf Jahre für den
Senator. William Kristol, Elliot Abrams, Frank Gaffney und Paul
Wolfowitz sind seinerzeit ebenfalls für ihn tätig.
(3) In Brief: Jackson-Vanik,
http://www.ncsj.org/AuxPages/JV-background.shtml
Inzwischen benutzen die USA das Jackson-Vanik Amendment zur
Durchsetzung von Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten mit Rußland.
Böse Zungen nennen es denn auch das "Hühnerbeinchen-Gesetz", das
nicht russische Juden, sondern US-amerikanische Großagrarier
schütze.
Agriculture Minister Attacks Jackson-Vanik .... Radio Free
Europe/Radio Liberty, May 2, 2003,
http://www.ncsj.org/AuxPages/050203RFERL.shtml
(4) Israel's Reaction to the Jackson-Vanik Amendment (October 19,
1974). Jewish Virtual Library,
http://www.us-israel.org/jsource/History/Human_Rights/jvgoi.html
(5)
Jackson-Vanik and Russia Fact Sheet. The White House. President
George W. Bush,
http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/11/20011113-16.html
Immigration Since 1948. Jewish Virtual Library,
http://www.us-israel.org/jsource/Immigration/Immigration_Since_1948.html
(6) Let My People Go - The Jackson-Vanik Controversy, by Dr. Shmuel
Vaknin (also published by UPI)
http://samvak.tripod.com/pp149.html
(7) Blickpunkt Israel - Erwerb der israelischen
Staatsangehörigkeit. Botschaft des Staates Israel
http://liste.israel.de/blickpunkt/nationalitaet.html
(8)
Stimmenfang: Roter Platz im gelobten Land, von Thorsten Schmitz.
Süddeutsche Zeitung, 22.1.2003. Auf HaGalil -
http://www.nahost-politik.de/israel/wahlen/2003/russen.htm
(9) Im April 2001 sind laut Ha'aretz von den 6,4 Millionen
Einwohnern Israels 5,2 Millionen Juden, d.h. 81 Prozent der
Gesamtbevölkerung. 1,2 Millionen seien Araber, von denen 82 Prozent
Moslems, 10 Prozent Christen und 9 Prozent Drusen seien 5,7
Millionen Juden leben laut Ha'aretz in den USA.
Am Vorabend des Unabhängigkeitstages 6,4 Millionen Einwohner in
Israel, von Motti Bassok, Ha'aretz, 27. April 2001 -
http://www.kh-uia.org.il/Crisis/Germany/gerap27.htm
(10) Siehe Anmerkung 1
(11) Database.
Stephen
Roth Institute for the Study of Contemporary Anti-Semitism and
Racism
http://www.tau.ac.il/Anti-Semitism/database.html
(12) David Eden Lane. Lexikon Rechtsextremismus. Informationsdienst
gegen Rechtsextremismus
http://www.idgr.de/lexikon/bio/l/lane-david/lane.html
(13) Die besprochene Fotoausstellung des Kharkover Malers und
Fotografen Sergey Bratkov, der sich auf Eduard Limonov bezieht,
zeigt "von Kindern vorgeführte Perversionen der Erwachsenen", sie
führt "präpubertäre Mädchen in der Rolle von Sex Diven (djeti)" vor.
Der Zusammenhang zwischen nazistischem Gedankengut und Pädophilie
wird einmal mehr dokumentiert. Man sage nicht, in Rosenheim sei,
hart an der Grenze, nichts los.
Der halbwüchsige Bratkov, von Viktor Misiano. Kunstverein Rosenheim.
Kuratorin Iris Truebswetter, 27.9. 2002
http://www.kunstverein-rosenheim.de/bratkov.html
(14) "Blood and Honour". Lexikon Rechtsextremismus.
Informationsdienst gegen Rechtsextremismus
http://www.idgr.de/lexikon/stich/b/bloodandhonour/bh.html
(15) Pogrom. The Israeli Information and Assistance Center for the
Victims of Anti-Semitism,
http://www.pogrom.org.il
Anti-Semitism in Israel (Investigation),
http://www.pogrom.org.il/Eng-Anti-Sem1.htm
(16) In Focus: Anti-Semitism, right here at home, by
Lily Galili, Ha'aretz, 23 May 2003. Auf Pogrom.com,
http://www.pogrom.org.il/Haaretc.eng.htm
(17) Pour une Paix juste au Proche-Orient (CAPJPO)
http://www.paixjusteauproche-orient.asso.fr/
(18) Diminishing the Jewish Population, by Zalman
Gilichinsky
http://www.pogrom.org.il/diminishing_the_jewish.htm
(19) Letter to the Editor, by Aaron J. Goldberg,
Assistant Director, ADL Israel Office. Ha'aretz Daily Newspaper, 26
May 2003
http://www.adl.org/media%5Fwatch/letter%5Fhaaretz%5Fdaily4.asp
(20) Des skinheads et des sites internet néo-nazis en
Israël, ou les largesses de la Loi du retour, par Jean-Yves Camus.
Proche-Orient.info, 24 juin 2003,
http://www.proche-orient.info/xjournal_racism_der_heure.php3?id_article=14299
hagalil.com
29-06-2003 |