Wahlen
zur Kneseth - 28.Januar 2003
Miflagoth:
Parteien in Israel
Die russische Einwanderung drängt die
israelische Parteienlandschaft immer deutlicher nach Rechts.
Die Russen und die Wahlen:
Mutter Russland, Vater Scharon
Nach einer Studie von Mina
Zemach beabsichtigt jeder Vierte seine Stimme dem Rechtsradikalen
Block Avigdor Libermanns zu geben. Fast genau so viele Stimmen wird
Scharanskys Einwandererpartei Israel b'Alijah erhalten, die mit dem
Slogan "Rechts, vernünftig, sauber!" auftritt und sich in ihrer
Kampagne zu Gute hält maßgeblich am Scheitern des Friedensprozesses
mitgewirkt zu haben. Im Likud freut man sich: "Die Russen stehen
sowieso hinter Scharon". Wenn es nach den Russen geht, kann die
israelische Sozialdemokratie mit höchstens 5% (Awodah) bzw. 2%
(MeReZ) der Stimmen rechnen.
Ein Artikel von Natasha Mosgovia, erschienen in
der politischen Beilage von
Jedioth achronoth
(170103). Übersetzt von Kirsten Praefcke-Meron. Wiedergabe leicht
gekürzt.
Die Vertreter der sechs Parteien, die intensiv
um die russische Stimme werben, sehen mittlerweile ermattet aus. Die
Politiker sind müde, die Neueinwanderer sind verwirrt wegen der
gegenseitigen Anschuldigungen untereinander.
In der guten alten Hochzeit der Einwanderung hatte
sich die Öffentlichkeit der Neueinwanderer für ihre Vertreter
eingesetzt, damit sie einen Knessetsitz erringen. Gemäß neuester
Umfragen sind jetzt nur noch 45% der Neueinwanderer bereit dazu,
ihre Stimmen den Sektorialparteien zu geben, und diese Zahl sinkt
weiter. Aber die Vielzahl der Erklärungen dieser Erscheinungen (wie
"die Einwanderer haben inzwischen Hebräisch gelernt", "sie sind von
den russischen Politikern enttäuscht") scheint die Mehrzahl der
Parteien noch nicht davon überzeugt zu haben, sich diesem
Bevölkerungssektor nicht mehr spezifisch zuzuwenden. Und die
verschiedenen Vereine und Verbände nutzen die Chance, möglichst
viele Politiker dazu zu drängen, verschiedene Gesetzesvorschläge zu
verschiedenen Themen zu versprechen.
In Israel gibt es 4.750.000 Wahlberechtigte. Die
große Frage ist, wieviele von ihnen als Neueinwanderer aus Rußland
gelten. Sind es diejenigen, die vor 12 Jahren eingewandert sind?
Oder vor zehn Jahren oder drei Jahren? Sharansky, der gesagt hat,
daß er bei diesen Wahlen beabsichtigt, sich mindestens sechs Mandate
zurückzuholen, schwankt momentan an der Grenze von drei Mandaten.
Die von ihm gesuchte Wählerschaft konzentriert
sich momentan auf eingewanderte Pensionäre und ganz frische
Neueinanderer. Sharansky konzentriert sich also auf die `Ränder´.
Seine Wahlkampagne hat er mit einem direktem Aufruf an
angelsächsische Einwanderer aufgenommen, die von den anderen
Parteien ignoriert wurden. 20 Prozent seines Wahlkampagnenbudgets
hatte er dafür bereitgestellt.
Auch die russische Abteilung bei Meretz versucht
eine neue Gruppe in dem ausgedünnten russischen Elektorat
anzusprechen. Erstmals in der Geschichte Israels wendet sich eine
Partei in einer Wahlkampagne an nicht-jüdische Einwanderer und
versucht damit zu zeigen, daß sich die Partei auch dieser
benachteiligten Gruppe bewußt ist. `Die nicht-jüdischen
Einwanderer´, sagt man im russischen Wahlstab der Partei, `belaufen
sich auf 300.000 Personen.
Manche von ihnen sind sehr rechts, denn sie versuchen katholischer
zu sein als der Papst, um damit zu beweisen, daß sie ein Recht
darauf haben, hier zu leben. Wir versuchen ihnen zu erklären, daß
eine rechte Regierung mit religiösen Parteien ihre Probleme nicht
lösen wird.´
Aber auch diese Botschaft scheint bisher nicht gewirkt zu haben.
Denn gemäß einer neuen Studie von Dr. Mina Zemach beabsichtigen mehr
als 60% aller Neueinwanderer, rechte Parteien zu wählen. Die
Parteien Israel Be’aliya und die Nationale Einheit erhalten demnach
je 22%, Shinui 13%, Meretz 2% und Labour 5%.
Die Wahlkampagnen von Sharon und Mitzna, die um
die russische Stimme werben, sind sich verblüffend ähnlich. Die
Anzeigen beider erscheinen in den Farben blau-weiß-rot und die
erläuternde Broschüre preist eine Biographie ihrer jeweiligen
glanzvollen Militärkarriere sowie ihre Kriegsbilder an.
Eine weitere Sache, die die beiden großen Parteien
vereint, ist die Tatsache, daß sie nur ein sehr kleines Budget für
das Umwerben der russischen Stimme bereitgestellt haben. Von einem
Gesamtbudget über 30 Millionen NIS hat die Labour nur 400.000 NIS zu
diesem Zweck bereitgestellt. Von den etwa 24 Mandaten, welche die
`russische Straße´ insgesamt liefern kann, werden gemäß der Umfragen
nur etwa 2,5 Mandate an die Linke gehen und davon wiederum nur ein
Mandat an die Labour. Also ein verlorenes Elektorat. Aus diesem
Grund ist MK Sofa Landver, die wieder auf dem Einwandererplatz auf
der Labourliste sitzt, dieses Mal auf Platz 23 abgedrängt worden,
nach allen anderen reservierten Plätzen wie Kibbutz-, Moshav-,
Drusen- und Arabervertreter.
Ähnlich wie bei Labour sieht die Investition des Likud in Bezug auf
die Neueinwandererstimmen aus - obwohl der Likud im Vergleich zu den
anderen Parteien die elektorale Unterstützung der Neueinwanderer am
meisten genießt. `Das Budget ist zu klein´, klagt Tibi Taverski, der
bei der Likud-Wahlkampagne für den russischen Sektor verantwortlich
ist. Der Grund hierfür ist interessant: Da die meisten
Neueinwanderer Sharon ohnehin unterstützen, will man das Geld nicht
dafür verschwenden, bereits Überzeugte weiter zu überzeugen. Und
wieder, genau wie bei der Labour, befindet sich der
Neueinwanderer-Repräsentant erst auf Platz 27 der Likud-MK-Liste.
Im russischen Stab Sharons mußte man nicht sehr hart arbeiten, um in
Sharons `politischen Überlebenskampf´ zu siegen. Die Affäre um
Sharon und seine Söhne hat sich auf die Unterstützung der
Neueinwanderer für Sharon nicht negativ ausgewirkt. Die Version der
Medienverfolgung gegen den Premierminister wurde von den
Neueinwanderern sehr aufmerksam verfolgt. In der russischen Presse
hat man sich sogar sehr ausführlich darum bemüht, Sharons Unschuld
zu beweisen.
Während der Premierminister erklärt, daß er dazu gezwungen wurde,
gegen die `linke´ israelische Presse zu kämpfen, sieht es im
russischen Sektor genau umgekehrt aus. Der repräsentative Linke
unter den Neueinwanderern, MK Roman Bronfman (Meretz - demokratische
Wahl) kämpft gegen die Presse in russischer Sprache. Er behauptet,
daß er in der russischen Presse wegen seiner rechten Feinde
boykottiert wird. Seit er aus `Israel Be’aliya´, zwei Wochen nach
den Wahlen zur 15. Knesset, ausgeschieden ist, haben Sharanskys
Leute es geschafft, ihn in der russischen Presse als `Stimmendieb´
abzustempeln.
Seit er mit Geldern der EU das Institut für
Demokratie gegründet hat, ist er in den Augen der Russen auch noch
ein `Verräter´. Kürzlich mußte ein führender Kommentator der
russisch-sprachigen Tageszeitung `Vesti´ sich bei Bronfman
entschuldigen, nachdem er ihn beschuldigt hatte, er sei von der EU
`insgeheim finanziert, um die jüdische Identität Israels zu
vertuschen´. Vor drei Wochen hatte Bronfman bei der Polizei und beim
Rechtsberater der Regierung wegen ähnlicher Anschuldigungen gegen
die russisch-sprachige Wochenzeitung `Israeli Russi´ Beschwerde
eingelegt. Letztlich wurde ein Kompromiß erzielt: die
russisch-sprachige Presse muß eine offizielle Entschuldigung
veröffentlichen. Außerdem hat Bronfman ähnliche Beschwerden
ähnlichen Inhalts gegen Nachrichtensender `Arutz 7´ eingereicht...
Bronfman meint, die russisch-sprachigen Medien sind nicht
pluralistisch und erlauben keine Meinungsvielfalt. Sie leiden seiner
Ansicht nach noch immer unter einem sowjetischen Ansatz und erziehen
die Neueinwanderer entsprechend. Selbst der russisch-sprachige
Radiosender ist zu einer Plattform der Partei Sharanskys geworden,
fügt Bronfman hinzu.
Die Budgets der Wahlkampagnen sind vielleicht nicht groß, aber
dennoch ist man sehr kreativ. So wurden die verschiedensten und
eigenartigsten Figuren herangezogen. So z.B. der russische
Nationalist Vladimir Zirinowski. Die neue Einwandererpartei `Lider´
(=Liberal-demokratische Partei des Fortschritts), die in der
russisch-sprachigen Medien nicht besonders angepriesen wird, hat
einfach entschieden, daß eine Einladung nach Israel an Zirinowski,
den stellv. Vorsitzenden des russischen Parlaments, der für seine
anti-israelischen Äußerungen bekannt ist, ihnen helfen wird,
russische Wähler zu gewinnen. In den USA und in einigen europäischen
Ländern hatte man Zirinowski aufgrund seiner extremistischen
Äußerungen die Einreise sogar verweigert. Zu Beginn der Intifada
hatte er beispielsweise dazu aufgerufen `die Lage in Nahost dazu zu
nutzen´, um die Beziehungen zwischen Rußland, dem Iran, dem Irak und
`Palästinas´ zu `normalisieren´. Zirinowski war auch bereits
mehrmals Ehrengast in Bagdad.
Nach Angaben des Parteivorsitzenden der `Lider´-Partei, Alexander
Rideko: `Zirinowski ist ein russischer Patriot und ich bin ein
israelischer Patriot. Er vertritt die Interessen Rußlands und ich
die Interessen Israels. Er ist aus Rußland und wir auch. Wir haben
einfach sehr viel gemeinsam.´
Im Hause der 40-jährigen Ludmilla Rozanski aus Rishon Lezion macht
man das Fernsehen einfach aus, sobald die Wahlspots ausgestrahlt
werden. Vor 12 Jahren ist diese sehr typische Einwandererfamilie
nach Israel eingewandert: ein Ehepaar, zwei Kinder und zwei alte
Eltern, die bei ihnen wohnen. Der Sohn, der diesmal zum ersten Wahl
in seinem Leben wählen darf, wird Shinui wählen. Großmutter und
Großvater werden Sharansky wählen und die Eltern haben beschlossen,
diese Wahlen zu boykottieren. Ludmilla: `Bei den letzten Wahlen habe
ich Labour gewählt, aber ich glaube nicht, daß ich diesmal wählen
werde. 12 Jahre haben mir gereicht, um zu begreifen, daß meine
Rechte hier ohnehin verletzt werden, egal welche Partei in der
Regierung sitzt.´
Stimmen zum Besuch Schirinovskys
Der Vizepräsident des russischen Parlaments traf in Israel ein und
begann, Knessetabgeordneten Ratschläge zu erteilen. Der Gastgeber,
Alexander Ridko, Vorsitzender der neuen Einwandererpartei "Leader",
ist zufrieden.
Jedioth zitiert Schirinovsky: "Schlägereien im Parlament? Das ist
gut für die Politik".
haZofeh zitiert Schirinovsky: "Mein Freund Saddam beabsichtigt
nicht, Israel anzugreifen".
M'ariw berichtet: "Der russische Nationalist ist für seine
antisemitischen Äußerungen bekannt. Bei einer Pressekonferenz sagte
er gestern jedoch: 'Ich liebe die Juden'", und titelt: "Doktor
Wladimir und Mister Sirinowsky".
Stimmenfang:
Roter Platz im gelobten Land
Israels Parteien buhlen um die Stimmen der russischen Einwanderer –
sie machen fast ein Fünftel der Einwohner aus und leben doch sehr
isoliert in der neuen Heimat...
hagalil.com
27-01-2003 |