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Der Fall Irak kann uns eine Menge lehren über das, was mit einem international geächteten Staat geschieht, der nicht beseitigt wird, wenn er systematisch internationale Normen bricht, sondern einer Kombination aus Sanktionen und ungezügelter Tyrannei unterworfen ist. Er wird zerfressen und verrottet vor sich hin. Dies hat zur Folge, dass die Masse der Bevölkerung überwältigt wird und verarmt, ohne dass es dadurch notwendigerweise leichter würde, sich dagegen aufzulehnen oder von Innen heraus einen Umsturz zu organisieren. Sanktionen wirken nicht in der Weise, wie westliche Politikgestalter behauptet haben. Und es ist höchste Zeit, aus dieser Erfahrung die richtigen Folgerungen zu ziehen.

Sadams Opfer ist die Menschlichkeit:
Im Haus der Folter und Verstümmelung

Aus Kanon Makiyas Geleitwort zu "Saddam Husseins letztes Gefecht?" Der lange Weg in den III. Golfkrieg, von Aras Fatah, Thomas von der Osten-Sacken, Thomas Uwer

Seit dem letzten Golfkrieg 1991 hat sich das Gruselkabinett, das wir als »Saddam Husseins Irak« kennen, in etwas verwandelt, das sich das krankhafteste Gehirn nicht hätte ausdenken können.

Noch in meinem Buch Republic of Fear, das 1989 veröffentlicht wurde, beschrieb ich die Entstehung einer neuen, kafkaesken Welt im Irak, welche von Angst beherrscht und zusammengehalten wird.' In dieser Welt war der ideale Bürger ein Denunziant. Lügen und sogenannte »Analyse« beherrschten den Raum der öffentlichen Meinung und schlössen alles andere aus. Angst, so die These des Buches, war nicht wie in »normaleren« autoritären Staaten zufälliger Natur oder lediglich auf eine Episode beschränkt; sie war vielmehr zur tragenden Säule des irakischen Staatskörpers geworden.

Der Ba'th-Staat hat die Politik der Angst zu einer Kunst entwickelt, mit deren Hilfe er seine Macht legitimiert, indem er eine Unzahl von Menschen zu Komplizen seiner Gewalt gemacht hat. Das außergewöhnliche Problem der ba'thistischen Gewalt wird deutlich, wenn man bedenkt, daß Hunderttausende völlig durchschnittlicher Leute in sie verwickelt waren. In den meisten Fällen hatten diese Leute gar keine andere Wahl, ihre Taten mußten aber dennoch gerechtfertigt werden. Sie bewirkten letzten Endes die Legitimation eines Regimes, für dessen Auftauchen keinem Außenstehenden die Schuld mehr zugeschoben werden konnte. Diese Ba'th-Herrschaft war ein ganz und gar aus dem Inneren sich entfaltendes Phänomen, sie dauerte, weil die Bevölkerung sich fügte, die Autorität akzeptierte, bis zum Jahr 1991, als der Golfkrieg kam und alles änderte. An der Spitze des Systems von Strafen, das der Ba'this-mus im Irak etabliert hatte, stand Folter. Die gesamten Probleme gesellschaftlicher Modernisierung, so argumentierte ich in Republic of Fear, wurden komprimiert auf ein Gemeinwesen, dessen Bürger sich damit abfanden und geradezu erwarteten, unter gewissen Umständen gefoltert zu werden. Am Vorabend des Irak-Iran-Krieges im September 1980 — zu einer Zeit, in der alle Elemente des neuen totalitären Systems im Irak zusammengekommen waren - stand Saddam Hussein an der Spitze eines Regimes, das bereits die gesamten Parameter gesellschaftlich und staatlich organisierter Gewalt im Land verändert hatte.

Der Ausbau der Gewaltmittel (Armee, Polizei, Sicherheitsapparate, Spitzelnetze, Parteimiliz, Partei- und Staatsbürokratie) hatte eine klassische Umkehrung durchlaufen: Vom Mittel zum Zweck - dem Ausschalten von Gegnern und dem Ausüben roher Macht - hatten sie sich in einen schrecklichen Selbstzweck verwandelt und verbreiteten sich unbekümmert über alle Grenzen, die sie einst eingedämmt hatten. »Krieg, jeder nur denkbare Krieg (wobei es keine Rolle spielt, gegen wen er sich richtet), ist das nicht unwahrscheinliche Ergebnis des ungezügelten Wachstums der Gewaltmittel; dies ist ganz besonders dann der Fall, wenn er so strukturiert ist, daß er buchstäblich Massen von Menschen in seinem Terror kompromittiert.«2

Diese Worte habe ich während des Irak-Iran-Krieges für ein »Die endgültige Katastrophe« betiteltes Kapitel geschrieben. Im Nachhinein betrachtet war die Wortwahl unglücklich, denn eine noch größere Katastrophe bereitete sich bereits vor: die Invasion, Okkupation und Annexion von Kuwait, deren Logik man heute in genau den gleichen Worten zusammenfassen könnte. Im August 1990 war der gleiche innenpolitische Imperativ am Werk, wie schon im September 1980. Das System, das am Vorabend des Ersten Golfkrieges bereits eine Art von Perfektion erlangt hatte, blieb durch die gesamten Erfahrungen des Krieges hindurch intakt. Was jedoch beinahe außer Kontrolle geriet, war die von ihm freigesetzte Gewalt. Iranische Geländegewinne auf den Schlachtfeldern der frühen Kriegsjahre hätten zum Sturz von Saddam Hussein geführt, wenn ihm der Westen nicht zu Hilfe gekommen wäre (indem man ihm gestattete, chemische Waffen zu produzieren, mit denen der Irak den Krieg gewann und die heute den zentralen Streitpunkt darstellen). So war die Macht des Präsidenten im Irak und unter den Irakern zu keinem Zeitpunkt in den 80er Jahren ernsthaft bedroht.

Aus diesem acht Jahre währenden menschenverschlingenden Krieg kam nichts so heraus wie es hineingegangen war. Der Krieg war zwar 1988 mit für den Irak günstigen Bedingungen zu Ende gegangen. Aber hörte auch die vom Ba'th-Staat losgebrochene Gewalt auf, oder ließ sie wenigstens nach?

Im Gegenteil. Sie richtete sich erneut nach innen, wie es schon einmal, von 1968 bis 1980, vom Jahr des ba'thistischen Machtantritts bis zum Jahr, in dem der Krieg zwischen Irak und Iran begonnen hatte.

Am Tag nach dem Inkrafttreten des Waffenstillstandes warfen irakische Kampfflieger chemische Bomben über kurdischen Dörfern ab. Vom 25. bis 27. August 1988 starben mehrere tausend wehrlose Zivilisten - Opfer eines mörderischen Feldzugs gegen die Kurden, der im Februar des Jahres 1988 eingesetzt hatte, als das Regime zu der Überzeugung gelangt war, der Krieg könne gewonnen werden.3 Unter dem Codenamen »Anfal-Operation« wurden die Angriffe den gesamten September hindurch fortgesetzt. Ich schätze die Zahl der im Verlauf der im Februar 1988 begonnenen Anfal-Operationen getöteten Menschen auf 100.000.4 Amnesty International erreichten 1989 Berichte, wonach hunderten Kindern die Augen ausgedrückt wurden, um von ihren erwachsenen Verwandten Geständnisse zu erpressen.5

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch haben seit 1990 große Fortschritte gemacht beim Aufzeichnen des zeitlichen Ablaufs, der Dokumentation und Überlieferung der begangenen Verbrechen. Verbrechen, die der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte im Irak, Max von der Stoel, als von »außergewöhnlich schwerwiegendem Charakter« beschrieb. »So schwer, daß es nur wenige Parallelen gibt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.«6 Diese Grausamkeit gehorcht ihren eigenen Gesetzen und hat ihre eigene Geschichte. Wie sie in einem Staatsgebilde voranschreitet, und warum diejenigen, die staatlich sanktionierter Gewalt unterworfen sind, an unterschiedlichen Punkten ihres Lebens auf unterschiedliche Weise auf sie reagieren, ist eine grundsätzliche Frage von Politik.

Die Schauprozesse des Jahres 1969 festigten die Macht des noch jungen Ba'th-Staates durch das sorgfältig inszenierte und absichtlich übertriebene Zurschaustellen einer Grausamkeit, die das Ungleichgewicht zwischen den Opfern und ihren Peinigem effektvoll darstellte.7 Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als der Staat noch schwach war. Aus diesen Erfahrungen aber resultierte, daß später, während der gesamten mörderischen acht Jahre des Krieges mit dem Iran, nur wenige Iraker daran dachten, öffentlich gegen die strengen Strafen zu protestieren, denen sie routinemäßig unterworfen waren. Nahezu zwanzig Jahre lang wußte jeder Iraker, daß er oder sie in einem Folterstaat lebte; die Allwissenheit und die Allmacht der repressiven Möglichkeiten des Staates lag in der Tatsache begründet, daß jede oppositionelle Stimme erstickt worden war, die ihn hätte kritisieren können. Anders ausgedrückt: Es lag am Schweigen und der undurchdringlichen Geheimhaltung, welche nun alle staatlichen Operationen umhüllte. Alles, was Bestrafung anbelangte, war geheim - von der Verhaftung, den Anklagepunkten, dem Verhör, der Herkunft des Beweismaterials über das Gerichtsverfahren und das Urteil bis zur Vollstreckung. Die Leiche, die an ihrem Körper noch die letzten Spuren des Verfahrens trug, wurde der Familie in einem versiegelten Behälter zurückgegeben. Das waren die Spielregeln in dem geradezu klassischen, außerordentlich effektiven totalitären Staatssystem der Republic of Fear.

All dies veränderte sich nach dem Golfkrieg von 1991. Wie nie zuvor begannen Iraker offen zu sprechen und ihre Geschichten zu erzählen. Sie nutzten die Niederlage des Regimes und rebellierten, wobei sie zwei Drittel der Provinzen einnahmen und ganze Städte für einen Zeitraum von ein bis drei Wochen hielten. Iraker beschreiben dies als hajiz al-khawf inleiser - die Mauer der Angst war zerbrochen. Das Undenkbare war geschehen. Um das Regime loszuwerden, das sie beherrschte, riefen die Aufständischen jene alliierten Armeen um Hilfe an, die einen sechswöchigen Bombenregen auf ihre Städte hatten niedergehen lassen.

Dieser Wendepunkt irakischer Politik kam just in dem Augenblick, als am 28. Februar 1991 ein formeller Waffenstillstand in Kraft trat. Eine irakische Panzerkolonne, die sich auf der Flucht aus Kuwait befand, rollte an diesem Tag zufällig auf den Sa'ad-Platz, eine riesige rechteckige und offene Fläche im Zentrum Basras, der südlichsten Stadt des Landes. Der kommandierende Offizier an der Spitze bewegte sein Fahrzeug vor ein gigantisches Wandgemälde von Saddam in militärischer Uniform, das sich neben dem Hauptquartier der Ba'th-Partei in der Mitte des Platzes befand. Auf dem Chassis seines Fahrzeugs stehend und das Porträt Saddams ansprechend, prangerte er den Diktator in einer flammenden Rede an: »Was uns zuteil wurde an Niederlage, Schande und Erniedrigung, Saddam, ist die Folge deiner Torheiten, deiner Fehlkalkulationen und deiner unverantwortlichen Handlungen.« Eine Menschenmenge versammelte sich, die Atmosphäre war spannungsgeladen. Der Kommandeur sprang zurück in seinen Panzer und drehte seinen Geschützturm zu dem Porträt hin. Mit mehreren Granaten zersprengte er das Bild. Saddam verlor, buchstäblich, sein Gesicht - in einem klassischen revolutionären Moment, demjenigen, der die irakische intifada, oder Volkserhebung, nach dem Golfkrieg auslöste. Innerhalb von Stunden zerschmolz die staatliche Autorität im Irak, und Saddam Hussein sah sich mit der bislang schwersten Bedrohung seiner Macht konfrontiert.8

Mit dieser intifada von März/April 1991 hatte sich etwas ereignet, für das es keinen Vergleich in der gesamten arabischen Politik gibt. Wie ein Fenster eröffnete sich - durch einen dramatischen Wandel der Prioritäten - eine neue Hoffnung für die ganze Region. Den Irakern war klar geworden, daß ihr eigener lokaler Diktator ganz oben auf der Liste der Verantwortlichen stand und wichtiger war selbst als der arabisch-israelische Konflikt, der das Klima der arabischen Politik nach 1967 so entscheidend geprägt hatte. Diese Möglichkeit wurde nicht genutzt. Die Aufständischen standen alleine, zurückgewiesen sowohl von ihren arabischen Brüdern als auch von den westlichen Führern der Koalition, die den Irak aus Kuwait vertrieben hatte. Das Fenster schloß sich wieder.

Allem Anschein nach war angesichts des Aufstands besonders den amerikanischen Politikgestaltern der Schrecken in die Glieder gefahren. Der ehemalige nationale Sicherheitsberater von George Bush senior, Brent Scowcroft, faßte das Entsetzen seiner Regierung in einem Sonderreport von »ABC« über die »Unerledigte Angelegenheit im Irak« zusammen. Von Peter Jennings gefragt, was er über die Revolte denke, die um alliierte Unterstützung zum Sturz des Tyrannen gebeten habe und so die Arbeit beenden würde, um derentwillen der Golfkrieg begann, entgegnete Scowcroft: »Ehrlich gesagt, ich wünschte mir, daß es nicht geschehen wäre. Weil das Militär sich dem Problem gegenüber sah, daß vielleicht eine Revolution innerhalb Iraks stattfinden könnte. Und sie haben lieber die Revolution erstickt als ihren Zorn gegen Saddam Hussein zu richten.« Peter Jennings: »Verstehe ich Sie richtig, daß Sie sagen, Sie hätten angesichts der sich entwickelnden Rebellion einen Staatsstreich bevorzugt?« Bent Scowcroft: »Ja, wir hätten eindeutig einen Staatsstreich bevorzugt. Das ist keine Frage.« Jennings: »Glaubten Sie in dieser Phase wirklich daran, daß irgendwo im Labyrinth um [Saddam Hussein] herum ...« Scowcroft: »Ja, ja. Ja.«

Das Regime reagierte auf den Aufstand, indem es wieder an eine Methode anknüpfte, die sich in seinen frühen Tagen so sehr bewährt hatte: das öffentliche Zurschaustellen extremer Grausamkeit. Am 18. August 1994 verkündete Präsident Saddam Hussein das Gesetz Nummer 109: »Im Einklang mit Sektion l Artikel 42 der irakischen Verfassung hat der Revolutionäre Kommandorat verfügt, daß ... die Stirn derjenigen Individuen, welche das Verbrechen, für welches ihre Hand abgehackt wurde, wiederholen, gebrandmarkt wird mit einem Zeichen in der Form eines X. Jede der sich kreuzenden Linien wird einen Zentimeter lang und einen Millimeter breit sein.« Die Verbrechen, »für welche ihre Hand abgehackt« werden soll, sind Diebstahl und Fahnenflucht. Das Brandmarken mit einem rot glühenden Eisen wurde in Saddams Nach-Golfkriegs-Irak eingeführt als eine neue Form der Bestrafung für solche Verbrechen.

Auf der Grundlage dieser Gesetze suchte man Soldaten und Autodiebe aus zur öffentlichen Bestrafung. Das neue Gesetz war sehr allgemein formuliert. Ein Volljähriger, der etwas stahl, das mehr als 5.000 Dinar wert war - was 1994 ungefähr zwölf Dollar entsprach -, konnte im Irak beim ersten Vergehen mit Amputation und beim zweiten durch Brandmarkung bestraft werden. Dem 37-jährigen 'All Ubaid Abed Ali wurde zu gleicher Zeit eine Hand amputiert und die Stirn mit einem »X« gebrandmarkt. Sein Verbrechen bestand darin, einen Fernseher und 250 irakische Dinar (damals etwa 50 Cent) gestohlen zu haben. Ali wurde am 9. September 1994 im irakischen Fernsehen der Bevölkerung präsentiert - im Krankenbett, noch unter Betäubung stehend, den verstümmelten Arm bandagiert. Nahaufnahmen zeigten das Brandmal." Nach Berichten von Militärpersonal, das 1994 nach Kuwait entkommen konnte, waren bis zu 2.000 derartige Brandmarkungen an Soldaten durchgeführt worden. Eine im nördlichen Irak angesiedelte kurdische oppositionelle Radiostation meldete, daß 800 Soldaten mit derartigen Brandmalen von kurdischen Truppen in der Nähe der Grenze zum Nordirak gefangen genommen wurden." Ungeachtet der Frage, ob diese Zahlen genau zutreffen oder nicht, zeigt sich, daß diese Bestrafungen offenbar keine bloße Randerscheinung waren.

Die Zahl der Strafen, mit denen der Staat öffentlich die Körper seiner Untertanen entstellte, nahm explosionsartig zu. Je nach Tatbestand wurde die Stirn des Verurteilten mit einem Zeichen in der Form einer horizontalen Linie von drei bis fünf Zentimeter Breite gebrandmarkt oder in der Form eines Kreises zusammen mit dem »X«, wie es in Gesetz Nummer 109 bestimmt war. Deserteuren und denen, die ihnen Zuflucht boten, wird eine Sonderbehandlung zuteil. Bei erstmaligem Vergehen soll das Ohr abgeschnitten, im Wiederholungsfall auch das zweite Ohr sowie ein Kreis auf die Stirn gebrannt und beim dritten Mal soll der Soldat hingerichtet werden. Dies stellt eine gewisse Verbesserung im Vergleich zur Situation vor der Verabschiedung der neuen Gesetze dar, als die Strafe für Desertieren der sofortige und sichere Tod durch ein Erschießungskommando war.

Im System von Vergehen und Strafe in Saddam Husseins Irak hatte sich ein Wandlungsprozess vollzogen. Auch die Reaktionen ganz normaler Iraker auf diese neuen Gesetze waren vollkommen neu. Zwei Männer, deren Ohren abgeschnitten worden waren, begingen im Oktober 1994 mitten in Bagdad öffentlich Selbstmord." Nachdem in der südlichen Stadt Nassirriyya ein Amputationsopfer den ausführenden Arzt ermordet hatte, traten mehrere hundert Ärzte aus Protest gegen den Zwang zur Ausführung der Strafen in Streik." Eine Menschenmenge hatte zuvor das Hauptquartier der Ba'th-Partei in der Stadt Amara erstürmt und die Ohren von Ba'th-Funktionären abgeschnitten. Die Ärzte brachen unter der Drohung, daß ihnen selbst die Ohren amputiert würden, den Streik ab. Unverzüglich wurde Gesetz Nummer 117 erlassen, das alle Ärzte mit Amputationen bedroht, die an einer kosmetischen Verschönerung eines von staatlicher Seite verstümmelten Körpers mitwirken. Der Wortlaut dieses Gesetzes schließt mit der folgenden merkwürdigen Anerkennung der öffentlichen Entrüstung: »Die Wirkungen« der Bestrafung, die von der Amputation einer Hand oder eines Ohrs oder einer Brandmarkung ausgehen, »werden [vom Staat] beseitigt werden, falls die derart Bestraften heroische und patriotische Taten vollbringen«.14

Diese auf den Golfkrieg von 1991 folgende Politik körperlicher Entstellung griff zurück auf eine Tradition von Strafe, die Norm war in den ersten Jahren der Ba'th-Herrschaft. In Republic of Fear berichtete ich darüber, wie sich die grausamen öffentlichen Schauprozesse fortentwickelten hin zur Folter unter den Bedingungen der totalen Geheimhaltung.15 Der Unterschied zu den neuen Erfahrungen der 90er Jahre liegt im Auseinanderbrechen des Absolutismus, mit dem das Regime regiert. Während und nach dem letzten Golfkrieg von 1991 fingen gewöhnliche Soldaten an, in großer Zahl aus Saddams Armee zu desertieren. Iraker begannen offen zu sprechen und ihre Geschichten zu erzählen, wie sie es noch nie zuvor getan hatten. (Ich war gezwungen, Re-public of Fear unter einem Pseudonym zu veröffentlichen; das ist nicht mehr nötig.) Selbst hochrangige Angehörige des Staatsapparates, zum Beispiel der ehemalige Chef der militärischen Aufklärung, Wafiq al-Samarrai oder der Armeestabschef Nazar al-Khazragi, liefen zur Opposition über, die gerade vom Norden aus zu operieren begann (nicht zu erwähnen die Flucht von Saddams Schwiegersöhnen und Töchtern nach Jordanien im August 1995, wie auch von zahllosen Mitgliedern der gefürchteten Geheimpolizei, dem Mukhbarat, nach dem 11. September 2001). Die gebildeten Bürger der städtischen Mittelklasse erfuhren aber auch zum ersten Mal in ihrem Leben, was es heißt, hungrig zu sein. Verzweiflung herrschte im Süden, der den Aufstand vom März 1991 angeführt hatte und nun dafür zahlen sollte. Die öffentliche Ordnung in Bagdad war zusammengebrochen. Unter solchen Bedingungen war es weder effektiv noch möglich, alle und jeden zu erschießen oder zu foltern.

Saddams Irak hat sich seit dem Golfkrieg von 1991 in ungeheurem Ausmaß verändert. Die Ursachen dafür waren der Krieg, der folgende Aufstand und die schrecklichen Jahre der Sanktionen und wirtschaftlichen Not. Nichts ist im heutigen Irak so, wie es auf dem Höhepunkt des ba'thistischen Absolutismus einmal war. Dennoch ist Saddam Hussein immer noch an der Macht. Ein nach westlichen Standards kleiner, schäbiger Diktator überlebte physisch oder politisch eine beeindruckende Phalanx von Feinden: Ayatollah Khomeini, George Bush senior, Margaret Thatcher. Tatsächlich strafte der irakische Führer mehr als ein Jahrzehnt lang beinahe alle Vorhersagen Lügen, die über seinen bald bevorstehenden Abgang gemacht wurden.

Zur Zeit der Niederschrift dieser Worte deuten allerdings alle Zeichen darauf hin, daß sich die US-Administration zum ersten Mal ernsthaft und kraftvoll in Richtung eines »Regimewechsels« bewegt. Ein bedeutsamer Luft- und Boden-Feldzug im Irak ist ins Auge gefaßt worden, der den Einsatz von bis zu 250.000 Soldaten beinhalten könnte. In Washington und in den Reihen der irakischen Opposition sind Gerüchte über eine vorübergehende amerikanische Besetzung im Umlauf, während derer eine neue, pro-westliche Regierung versammelt werden solle. Der Feldzug in Afghanistan, der die letzte islamistische Bewegung stürzte, welche einen Staat in der sunnitisch-muslimischen Welt kontrollierte, ist dabei nicht das Vorbild für das, was für den Irak gerade vorgeschlagen wird. »Alle Anstrengungen gegen den Irak werden nicht so aussehen wie das, was wir in Afghanistan getan haben«, sagte ein hoher Verteidigungsbeamter, der von New York Times zitiert wurde."

Dieser amerikanische Sinneswandel, der natürlich von strategischen Erwägungen nach dem 11. September angetrieben wird, wurde offen begrüßt in irakischen Oppositionskreisen, wenngleich die übrige arabische Welt ihn fürchtet und kritisiert. Die 1991 aufgetretene Spaltung, die Saddam Hussein selbst in die arabische Politik einführte, besteht noch immer. Was aus dieser Politik in den kommenden Monaten und Jahren werden wird, hängt davon ab, wie die Vereinigten Staaten beim angekündigten »Regimewechsel« vorgehen. Es ist lange her, daß die US-Regierung, oder eine andere westliche Macht, sich zu einer solchen Unternehmung verpflichtete. Der Ausdruck »Regimewechsel« selbst ist unglücklich gewählt, da er eine Operation suggeriert, die zeitlich und räumlich begrenzt ist. Im Irak steht jedoch weit mehr auf dem Spiel als die Ausschaltung von Massenvernichtungswaffen und die Absetzung Saddam Husseins - so wichtig diese Angelegenheiten auch sind.

Die arabische Politik der nächsten 25 Jahre wird weitgehend dadurch bestimmt werden, was die Vereinigten Staaten in der nächsten Zeit im Irak zu unternehmen beschließen. Wie schon im Jahr 1991 gibt es eine historische Gelegenheit, die Malaise dieses Teils der Welt zu durchbrechen. Die weit verbreitete Meinung war, daß Oslo genau dies leisten würde und unter der Clinton Administration bedeutete dies, daß die Irak-Frage zurückgestellt wurde. Doch in der Zwischenzeit ist die gesamte Ordnung der Nachkriegs-Arrangements, durch welche die USA seit dem Golfkrieg versuchten, Saddam Hussein »einzudämmen« [»contain«], in sich zusammengebrochen - und der Friedensprozeß von Oslo ist praktisch tot.

Saddam fing an, aus seinem »Gefängnis« auszubrechen, als er im Sommer 1996 seine Truppen in der nördlichen Schutzzone einfallen ließ, um die damals unter dem Dach des Irakischen Nationalkongresses versammelte irakische Opposition zu zermalmen. 1996 waren weder Saudi-Arabien noch die Türkei - beides erprobte Alliierte der Vereinigten Staaten und ehemals Säulen der Golfkriegskoalition - bereit, ihr Territorium amerikanischen Flugzeugen zu überlassen, um einen Vergeltungsschlag durchzuführen. Von der amerikanische Politik gegenüber dem Irak, die man mit den zwei Worten »Sanktionen« und »Eindämmung« zusammenfassen könnte, blieb nicht mehr als ein Scherbenhaufen zurück. Und wieder einmal bezahlten am Ende jene Iraker, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, das Regime in Bagdad mit Hilfe des Westens zu stürzen, den höchsten Preis von allen. Hunderte Oppositionelle wurden 1996 umgebracht; Tausende wurden ins Gefängnis geworfen oder ins Exil getrieben; darüber hinaus wurde die gesamte Infrastruktur der Opposition im nördlichen Irak zerstört.17

Der Fall Irak kann uns eine Menge lehren über das, was mit einem international geächteten Staat geschieht, der nicht beseitigt wird, wenn er systematisch internationale Normen bricht, sondern einer Kombination aus Sanktionen und ungezügelter Tyrannei unterworfen ist. Er wird zerfressen und verrottet vor sich hin. Dies hat zur Folge, dass die Masse der Bevölkerung überwältigt wird und verarmt, ohne dass es dadurch notwendigerweise leichter würde, sich dagegen aufzulehnen oder von Innen heraus einen Umsturz zu organisieren. Sanktionen wirken nicht in der Weise, wie westliche Politikgestalter behauptet haben. Und es ist höchste Zeit, aus dieser Erfahrung die richtigen Folgerungen zu ziehen.

Arabisches Denken und Kultur wiederum können sich nur erneuern in einem neuen politischen Milieu - und zwar in einem, das die arabische Beziehung zum Westen grundlegend neu bestimmt. Eine Gelegenheit, eine solche Neudefinition herbeizuführen, bietet sich zum zweiten Mal in der jüngeren Geschichte durch einen Regimewechsel im Irak. Die einzige Art von Staat, die eine Chance hatte, im Irak zu funktionieren, wäre ein bundesstaatlich organisierter und entmilitarisierter Staat (was bereits die offizielle Position des Irakischen Nationalkongresses darstellt). Eine logische Folge dieser Positionen ist, dass er säkular und zum Westen hin orientiert sein muss, und - meiner Meinung nach - ein nicht ausschließlich arabischer Staat sein darf (weil die Kurden 20 Prozent der Bevölkerung bilden und ihnen nicht ein Status zweiter Klasse zugewiesen werden sollte wie den israelischen Arabern). Dies sind die Voraussetzungen für einen künftigen demokratischen Staat im Irak, dem der Westen bei der Geburt helfen kann. Natürlich ist dies ein großes Wagnis. Heutzutage existiert kein derartiger Staat im Mittleren Osten. Doch aus Gründen, die mit der beherrschenden Stellung zu tun haben, welche die Erfahrung der Diktatur im Bewusstsein der Iraker einnimmt, ist das irakische Volk dazu bereit - in einer Weise, wie es andere arabische Bevölkerungen in diesem Augenblick vermutlich nicht sind. Darin liegt eine historische Chance, die grundlegende Gleichung arabischer Politik, die zu einem so permanenten und festen Bestandteil der politischen Landschaft nach der Niederlage von 1967 wurde, zu verändern.

Übertragung ins Deutsche: Stephan Wendel

Anmerkungen

  • 1 Kanan Maklya Republic of Fear The Politics of Modern Iraq, University of California Press, 1989
  • 2 Republic of Fear, S 271
  • 3 Middle East Watch Human Rights in Iraq, New York Human Rights Watch, 1990), S 144
  • 4 Darüber, wie ich zu dieser Schätzung gelangt bin, vergleiche Kapitel 5, »Taimour«, meines Buchs Cruelty andSilence (Nonon 1993), S 168 Bei Taimour handelt es sich um einen Überlebenden der Anfal-Opera-tionen, die übrigens nicht an die Öffentlichkeit drangen bis zum Golf-kneg Die Geschichte wurde m einer BBC-Dokumentation mit dem Titel The Road To Hell bekannt gemacht, die am 12 Januar 1992 gesendet wurde Der Film, der von Gwynne Roberts gedreht wurde und für dessen Berichterstattung ich selbst verantwortlich war, wurde m den Vereinigten Staaten unter dem Titel Saddam's Killing Ftelds, womit auf die Massengraber des vom Pol-Pot-Regime m Kambodscha durchgeführten Volkermords, die dem Film Ktlling Fields den Titel gaben, angespielt wird — Anm d Übers ] auf »Frontline« am 31 März 1992 ausgestrahlt Human Rights Watch veröffentlichte einen ausführlichen Bericht mit dem Titel Genocide in Iraq The Anfal Campaign Agamst the Kurds
  • 5 Siehe den Rundbrief »Iraq's War on its Children«, von Amnesty Ac-tion, Marz/Apnl 1989, S 6 Vergleiche auch den Bericht von Frances Williams m The Sunday Times vom 5 März 1989
  • 6 Zitat aus einer vor der UN Menschenrechtskommission abgegebenen Stellungnahme vom 2 März 1993
  • 7 Siehe Kapitel 2 von Republic ofFear
  • 8 Ich habe eine Schilderung des Aufstandes in den Worten eines der Beledigten gegeben in Kapitel 2, »Abu Haydar«, im Buch Cruelty and Silence 'War, Tyranny, Upnsmg and the Arab Worid, Norton 1993
  • 9 Das Gesetz wurde m der offiziellen Tageszeitung Al-Thaiara am 26 August 1994 veröffentlicht
  • 10 Bericht von Amnesty International, Urgent Action Nottficatwn, mit dem Datum 6 Oktober 1994 (AI Index MDE 14/12/94)
  • 11 Berichtet von Al-Hayat am 8 September 1994
  • 12 Diese Geschichte wurde von einem Iraker aus Bagdad erzahlt, der ein Zeuge des Vorfalls gewesen zu sein behauptet
  • 13 Bericht von The Times, 13 September 1994
  • 14 Veröffentlicht m der halb-offiziellen Tageszeitung AI-'Iraq am 6 September 1994
  • 15 Diese Entwicklung ist Thema des zweiten Kapitels, »A Worid of Fear«
  • 16 The New York Times vom 28 Apnl 2002
  • 17 Zur Verantwortung der kurdischen Fuhrung für diesen historischen Ruckschlag bezüglich der kurdischen Hoffnungen vergleiche ineinen Artikel »Betrayal m Iraq«, The New York Review of Books, 17 Oktober 1996

Was will man in Deutschland überhaupt wissen?
Die Wirklichkeit des Ba'th-Regimes

Ein anderer Irak:
Wer ihn will, muss die Wirklichkeit des Ba'th-Regimes kennen,
und wer die kennt, will einen anderen Irak.

hagalil.com 13-01-2003

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