Israels Linke demonstrierte:
Scharon legt veränderten Rückzugsplan vor
Nachrichtenartikel
von Aluf Benn, Mazal Mualem, Lily Galili und Tsahar Rotem, Ha'aretz,
16.05.2004
Übersetzung Daniela Marcus
Premierminister Ariel Scharon wird der
Regierung einen nur leicht veränderten Plan über den Rückzug aus dem
Gazastreifen und der nördlichen Westbank zur Billigung vorlegen,
sagten gut informierte Quellen am Wochenende. Er wird die Zustimmung
des Kabinetts ersuchen, sobald er sicher ist, dass einer oder mehr
der Likudminister seinen Plan unterstützt, sagten die Quellen
außerdem.
Während Scharon darum bemüht ist, seinen Plan, den
Gazastreifen zu verlassen, neu zu beleben, zeigte Israels Linke
gestern Abend auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv eine beeindruckende
Vorstellung ihrer Stärke. Die Polizei nannte keine offiziellen
Zahlen bezüglich der Demonstrationsteilnehmer. Doch Organisatoren
und Teilnehmer schätzten, dass sich 150.000 Personen versammelt
hatten, um den Rückzug aus dem Gazastreifen zu unterstützten. Etwa
1.000 Sicherheitskräfte waren für die Demonstration abgestellt, die
ohne Zwischenfall vonstatten ging.
"Dies ist ein Protest der Mehrheit", sagte
Oppositionsführer Shimon Peres der Menge. "Achtzig Prozent unseres
Volkes möchte Frieden. Ein Prozent versucht, ihn zu verhindern."
"Nach Monaten wacht das Friedenslager
auf", sagte Yossi Beilin, Leiter der links gerichteten
Yachad-Partei, gegenüber Journalisten. Doch Ami Ayalon, früherer
Leiter des Shin-Bet-Geheimdienstes und seit kurzem Co-Sponsor der
Friedensinitiative "Stimme des Volkes", meinte, die Zehntausende,
die an der Demonstration teilnehmen, stellten kein echtes Spektrum
der israelischen Gesellschaft dar. "Heute Abend sind hier zu wenige
der Neueinwanderer, und auch nicht genug Leute aus Galiläa und aus
dem Negev oder aus den ärmeren Städten", sagte er.
Am anderen Ende des politischen
Spektrums kritisierten rechts gerichtete Politiker die
Mehrheitskoalition für die Organisation einer politischen
Demonstration während trauernde Eltern den Verlust ihrer 13 Söhne
beweinen, die letzte Woche in einer Serie von Anschlägen im
Gazastreifen getötet worden waren.
Zevulun Orlev von der Nationalreligiösen
Partei und Minister für Arbeit und Soziales griff die Linke an für
ihre „zynische Ausbeutung des Todes der 13 israelischen Soldaten,
die während des Kampfes gegen die terroristische Infrastruktur
getötet worden sind“. Er fügte hinzu: "Dies ist ein weiteres
politisches Versagen der Linken, die falsche Wege geht, um ihre
politischen Ziele voran zu bringen."
Binyamin Elon von der Partei Nationale
Union und Tourismusminister sagte: "Die gleichen Leute, die während
des Libanonkrieges demonstrierten und Plakate verbreiteten, die
Scharon als Verräter und Mörder darstellten, unterstützen heute
Scharon bei dieser Demonstration." Solch eine Umkehr reflektiere den
moralischen Bankrott der Linken, sagte Elon.
Knessetmitglied und Leiter der
Shas-Partei, Eli Yishai, sagte, der Demonstrationsslogan "Raus aus
Gaza", führe die Öffentlichkeit in die Irre. "Selbst die Linke hat
kapiert, dass wir derzeit keinen Partner für Verhandlungen haben."
Yishai kritisierte die gezeigte Unterstützung für den "Plan des
einseitigen Rückzugs, der Risiken birgt und keine wirklichen
Vorteile verspricht".
Bezüglich des veränderten Rückzugsplans
sagten die gut informierten Quellen, Scharon werde in etwa zwei
Wochen ankündigen, dass er fertig gestellt sei. Sie sagten, der neue
Plan werde dem so genannten "Disengagement"-Plan, der vor zwei
Wochen beim Likud-Referendum leider nicht akzeptiert worden sei,
sehr stark ähneln. Die territorialen Aspekte des neuen Plans werden
identisch mit dem alten sein – er wird zur Evakuierung aller
Siedlungen im Gazastreifen und von vier Siedlungen in der Westbank
aufrufen.
Um jedoch Forderungen einiger
Kabinettsminister nachzukommen, wird Scharon neue
Sicherheitsmaßnahmen hinzufügen, und er wird Schritte unternehmen,
die sicherstellen, dass die Palästinenser die Häuser und andere
Vermögensgegenstände, die Israel durch die Evakuierung der
Siedlungen zurück lassen wird, nicht missbräuchlich verwenden
werden.
Diese Woche wird es eine Reihe von
Treffen geben, an denen Delegierte der USA, Israels und der
Palästinensischen Autonomiebehörde teilnehmen werden. Morgen wird
sich Condoleeza Rice, die nationale Sicherheitsberaterin der USA, in
Berlin mit dem palästinensischen Premierminister Ahmed Qureia (Abu
Ala) treffen. Doch israelische Offizielle erwarteten gestern Abend
keine bedeutenden Ergebnisse von dieser Zusammenkunft. Am Dienstag
wird Rice Industrie- und Handelsminister Ehud Olmert treffen, der in
Washington an einem AIPAC-Treffen (American Israel Public Affairs
Committee) teilnehmen wird.
Am Montag wird Außenminister Silvan
Shalom nach Amman reisen und Offizielle aus Jordanien, Ägypten und
der palästinensischen Autonomiebehörde treffen. Im Verlauf der Woche
wird Ägyptens Geheimdienstchef Omar Suleiman Israel und die
palästinensische Autonomiebehörde besuchen. Er spielte eine führende
Rolle bei den Bemühungen, die sterblichen Überreste der letzte Woche
im Gazastreifen getöteten israelischen Soldaten an Israel zurück zu
geben.
Dov Weissglass, Scharons Büroleiter,
wird nach Washington reisen, um Wege zur weiteren Vorgehensweise in
Sachen "Disengagement"-Plan nach dessen Abweisung beim
Likud-Referendum zu diskutieren. US-Beamte erwarten neue Vorschläge
von Scharon, sagten amerikanische und israelische Quellen.
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