Interview mit Khalid Al Maaly:
Rückkehr aus dem Exil
Nach 25 Jahren reiste Khalid Al Maaly das erste Mal wieder in den Irak.
Vor kurzem wurde in Bagdad ein Verlagsbüro des 1983 in Köln gegründeten und
ansässigen Al-Kamel Verlags eröffnet. FAIRPLANET NEWS traf sich mit Khalid
Al Maaly.
FAIRPLANET
NEWS: Herr Al Maaly, was kann man sich unter arabischer Kultur vorstellen?
KHALID AL MAALY: Es gibt ein allgemeines arabisches Sprachgebiet und es gibt
immer Minderheiten in diesen Regionen, die man arabisch nennt, Minderheiten
wie die Kurden oder Berber, ethnische Gruppen, die in den arabischen Ländern
nicht ernst genommen werden.
Wenn man im Nahen Osten nicht von einer homogenen Kultur sprechen kann,
sondern von Vielvölkernationen, wie eben in Algerien oder im Irak, dann muss
im Rahmen des Panarabismus von Zwangsarabisierungen gesprochen werden -
welche literarische Kultur kann sich denn dann auf der Frankfurt Buchmesse
als arabische überhaupt präsentieren?
KHALID
AL MAALY: Die arabische Liga hat mit der Vermittlung von Literatur und
Kultur nichts zu tun. Sie hat bisher keine Rolle gespielt. Sie hat auch mit
Übersetzungsförderungen der arabischen Kultur nichts zu tun und nichts dafür
bezahlt. Normalerweise spricht man bei einem Gastland auf der Buchmesse von
der Übersetzung von Büchern und - die arabische Liga hat kein einziges Buch
unterstützt.
Inwiefern arbeiten sie nach dem Irak-Krieg, nach Ende der 30jährigen
Diktatur der Baath-Partei für die Literatur und kulturelle Entwicklung im
Irak? Was haben sie da für Hoffnungen?
KHALID AL MAALY: Ich bin einfach ein hoffender Hoffnungsloser. Das bedeutet:
Ich versuche es immer wieder. Wir treffen die Vorbereitungen um in Bagdad
eine kleine Filiale unseres Verlages Al-Kamel zu eröffnen. Und wir wollen
gerne, dass die Bücher dort vertrieben werden, obwohl sie schon teilweise
als Raubkopien erhältlich sind.
Es gibt im Irak keinen einzigen Verlag, und es gibt Menschen, die mitgründen
wollen ? und die haben noch kein Konzept. Wir müssen das Land kulturell
völlig neu aufbauen, etwas Neues, das eine Schleuse für diese ganzen
Grausamkeiten bilden kann
Wir sind ein paar mal dorthin gefahren, um Landschaft, Freunde und Familie
zu besuchen. Wir stehen immer in Kontakt. Ich glaube, wir müssen an dem
seelischen Wiederaufbau mitwirken.
Wie sieht es mit der Autorenlandschaft im Irak aus?
KHALID AL MAALY: Man muss zugeben, dass das ganze Land, die ganze kulturelle
Landschaft eigentlich am Ende ist. Saddam Hussein hat es geschafft, sie
wirklich kaputt zu machen. Viele Autoren leben einfach so von der Hand in
den Mund, unter solchen Bedingungen können sie nicht schreiben. Im Irak
existiert fast keine Mittelklasse mehr. Können Sie sich vorstellen welche
Verluste dadurch entstehen, wenn wir eine Gesellschaft haben, die keine
Mittelklasse mehr hat? Intellektuelle, die kritisch sind, die Spiegel ihrer
Zeit sind, die ein Licht werfen auf gesellschaftliche Entwicklungen,
Wahrheit und ihre Zeit?
Wie verarbeiten Sie den Aufbruch der irakischen Gesellschaft in ihren
eigenen Texten als Dichter?
KHALID AL MAALY: Ich wohne nicht weit vom Rhein, etwa drei Minuten zu Fuß,
und früher war es so, wenn ich dahin gehe und spaziere oder manchmal mit
meiner Familie dort grille - dann dachte ich an den Irak - immer. Jetzt
denke ich nicht mehr daran. Jetzt ist es der Rhein, und nicht Tigris oder
Euphrat. Das ist das eine. Ich träume auch nicht mehr von Rückkehr, weil ich
schon zurückgekehrt bin. Ich habe vielleicht 25 Jahre nur von Erinnerungen
gelebt und jetzt muss ich diese ganzen Erinnerungen ersetzten. Ich bin
hingegangen und habe etwas anderes gesehen - auch die Gesichter sehen anders
aus. Zum Beispiel meine Geschwister, die klein waren. Ich gehe dahin, und
die sind ganz alt geworden, mit grauen Haaren, haben Kinder. Ich habe vorher
Gedichte geschrieben, dass ich zurückgekehrt bin. Diese Texte habe ich
vorher geschrieben. Ich habe den ganzen Zustand vorher bearbeitet, die ganze
Rückkehr, um mich zu befreien ? und jetzt bin ich zurückgekehrt und schreibe
etwas anderes.
Rückkehr aus dem Exil
Ich bin gerade zurückgekehrt, um mich umzusehen
alle Wege zu kreuzen, meine Bäume rufend
auf ihnen rastete die Schlange
und ich, als einziger grundlos, lief deshalb davon, als
hinter mir wie ein Heer die Träume auftauchten
bis die Vision sich verflüchtigte und es schien
als breche die Dunkelheit an und es würde Zeit
zu rasten.
Ich bin aus dem Exil zurückgekehrt, um mich
umzusehen
unterwegs die Haufen der Jahre kreuzend
meine Bäume und meine verschwundenen Flüsse
vergessend
die Erinnerung suchend
den Traum, den kleinen, staubigen Weg
doch ich habe mich verirrt, als ich
zurückkam aus dem Exil
um mich umzusehen
mein Stock verschwand, und Dunkelheit brach herein
und ich wusste nicht mehr, wo der Weg war.
von Khalid Al Maaly
Literaturempfehlung: Im September 2004 erscheint das Lexikon arabischer
Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts von Khalid Al-Maaly/Mona Naggar,
Palmyra Verlag,
Heidelberg 2004
Quelle:
Fairplanet News
DIE
ARABISCHE WELT
Nicht erst seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Irakkrieg
steht die arabische Welt im Brennpunkt der Medien und des öffentlichen
Interesses. Meist ist die westliche Wahrnehmung jedoch von einem einseitigen
Blick geprägt, der nur selten authentische Stimmen aus der Region zur
Kenntnis nimmt.
Um diesen Blick zu erweitern, analysieren in diesem Buch international
renommierte Schriftsteller, Publizisten und Wissenschaftler die wichtigsten
politischen, kulturellen, religiösen und sozialen Gegenwartsfragen der
arabischen Welt aus explizit arabischer Sicht. Unter anderem werden folgende
Themen behandelt:
die arabische Welt und die Moderne (Demokratisierung, Laizismus,
Menschenrechte); Islam und Islamismus; Europa und der Islam; das Bild der
arabischen Welt im Westen; die arabische Geistesgeschichte im 19. und 20.
Jahrhundert; Dialog der Kulturen statt Kampf der Kulturen; Reformbewegungen
in der arabischen Welt; die kulturelle Wahrnehmung und das Bild des Westens;
die Rolle d er Medien; die politisch-soziale Situation aus der Sicht der
Literaten; die arabischen Intellektuellen und die Macht; die Bedeutung der
Literatur und Kultur; die Krise in Bildung und Wissenschaft; die Situation
der Frauen; die Angst vor westlicher Überfremdung und politischer
Bevormundung.
Durch die Vielfalt der Autoren und der Hintergrundinformationen vermittelt
das Buch ein detailliertes Gesamtbild der arabischen Welt. Es bietet
hochaktuelle und aufschlussreiche Einblicke in Politik, Religion, Kultur und
Gesellschaft sowie in die Lebenswirklichkeiten im Spannungsfeld zwischen
Tradition und Moderne, zwischen nationalen Zielen und westlichem Einfluss.
ARABISCHE
AUTOREN
Trotz ihres bedeutenden Stellenwerts in der Weltliteratur wird die arabische
Literatur im deutschsprachigen Raum meist wenig zur Kenntnis genommen. Dies
gilt leider auch für die arabische Gegenwartsliteratur.
Das Lexikon arabischer Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts soll hier eine
Lücke schliessen und zu einer größeren Bekanntheit der modernen arabischen
Literatur beitragen. Es handelt sich dabei um das erste deutschsprachige
arabische Autorenlexikon überhaupt.
In Einzelbeiträgen werden die etwa dreihundert bedeutendsten arabischen
Autorinnen und Autoren der letzten beiden Jahrhunderte porträtiert. Neben
den biografischen Angaben zu den einzelnen Schriftstellern enthält das
Lexikon eine Beschreibung ihrer wichtigsten literarischen Werke sowie
Angaben zu ihrer Bedeutung und ihrem Stellenwert in der arabischen
Literatur.
Aufgrund der Vielzahl der porträtierten Autoren - auch die französisch- bzw.
deutschschreibenden sind enthalten - vermittelt das Buch nicht nur einen
eindrucksvo llen Blick auf die unterschiedlichen literarischen Formen, Stile
und Einflüsse (von der sozialrealistischen Erzählweise über den symbolischen
Realismus bis hin zu Formen des Surrealismus und Existenzialismus), sondern
liefert darüber hinaus tiefe Einblicke in die politische, soziale und
kulturelle Wirklichkeit der arabischen Welt im Spannungsfeld zwischen
Tradition und Moderne, zwischen Individuum und Gesellschaft.
Die Informationsfülle verleiht dem Lexikon den Charakter eines Standardwerks
- unverzichtbar für alle, die ein besonderes Interesse an Literatur und der
arabischen Welt haben.
ISLAM
»Kopftuchstreit« – »Terroranschläge« – »Islamismus« – »Kampf der Kulturen«.
Dies sind einige der aktuellen Schlagworte, die zunehmend das klischeehafte
und einseitige Bild des Islam in der westlichen Welt bestimmen.
Dieser verzerrten Wahrnehmung stellt das Buch von André Miquel eine
differenzierte und vorurteilsfreie kulturgeschichtliche Gesamtbetrach-tung
des Islam gegenüber. Objektiv und sachkundig entwirft der Autor ein äußerst
informatives Bild des Islam von seinen Anfängen bis heute.
Miquel bietet dabei faszinierende Einblicke in die historische, kulturelle,
politische und gesellschaftliche Komplexität einer der großen
Weltreligionen.
Durch seine fundierte Darstellung leistet das Buch einen wichtigen Beitrag
zur Versachlichung der Diskussion über den Islam.
Das Buch gilt in Frankreich seit seinem erstmaligen Erscheinen 1968 als
Standardwerk. Auf deutsch erschien Miquels Islamklassiker bereits 1970 in
der Reihe »Kindlers Kulturgeschichte«. Die Ausgabe des Palmyra Verlags
beruht auf der 2003 von André Miquel zusammen mit Henry Laurens vollständig
aktualisierten französischen Ausgabe.
André Miquel zählt zu den international renommiertesten
Islamwissenschaftlern. Er ist Ehrendirektor des berühmten Collège de France
in Paris, an dem er Professor für klassische arabische Literatur und
Sprachen war.
Henry Laurens ist Professor für zeitgenössische Geschichte der arabischen
Welt am Collège de France in Paris, Professor am Internationalen Institut
für orientalische Sprachen und Kulturen sowie Direktor des Zentrums für
moderne Studien und Forschungen zum Mittleren Osten in Beirut.
André Miquel: Der Islam
Eine Kulturgeschichte
Aus dem Französischen von Maximilien Vogel
ca. 580 Seiten · 13,5 x 21 cm · Gebunden
ca. € 24,90 (D) · ca. € 26,50 (A) · ca. SFr 43,70 · ISBN 3-930378-57-4
Erscheinungstermin: September 2004
Schwerpunkt "Arabische Welt" bei der Buchmesse
Frankfurt:
Kritischer Dialog oder
Folklore?
Die „größte kulturelle Veranstaltung der Welt“ schafft die
Bedingungen, mehr voneinander zu erfahren – und dazu gehören im Vorfeld der
Messe auch Kontroversen und verletzende Konflikte...
Profanes Gut:
Das schwierige
Verhältnis der Araber zum Buch
Begonnen von den islamischen Gelehrten, entstand eine
eigenartige Büchervermeidung, die sich schließlich auf die gesamte Gemeinde
erstreckte...
Al-Jazeera:
Die
Frankfurter Buchmesse im arabischen Diskurs
Die arabische Welt ist Gastregion der diesjährigen Frankfurter
Buchmesse. In den arabischen Medien steht die Bedeutung der Messe als Forum
eines Dialogs mit den Westen im Vordergrund der Berichte und Kommentare...
Internationale Kulturstiftung Sivan Perwer:
Offener Brief an
die Direktion der Frankfurter Buchmesse
Für 2004 haben Sie die Arabische Literatur als
Schwerpunkt ausgewählt, deren Autorinnen und Autoren ausschließlich von der
politisch fundierten Arabischen Liga bestimmt werden. Dieses
"Pauschalarrangement" verwundert und gibt inzwischen international Anlaß zur
Kritik...
hagalil.com 10-09-2004 |