Die arabische Welt ist
Gastregion der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. In den arabischen
Medien steht die Bedeutung der Messe als Forum eines Dialogs mit den
Westen im Vordergrund der Berichte und Kommentare. Immer wieder geht es
dabei um die Frage, welche Intellektuellen und Künstler welche Aspekte
des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens in der arabischen Welt
repräsentieren sollen. Kritisch hinterfragt wird die Rolle von
offiziellen staatlichen oder überstaatlichen Institutionen wie der
Arabischen Liga, die für die Gestaltung des Programms verantwortlich
sind.
Diese Fragen waren auch Thema
einer Folge des Magazins "Ohne Grenzen" des arabischen Fernsehsenders
Al-Jazeera. Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge eines Gespräches
zwischen Moderator Ahmad Mansour und seinem Gast Ibrahim al-Muallim,
Präsident des arabischen Verlegerverbandes, der maßgeblich an der
Organisation der Veranstaltungen in Frankfurt beteiligt ist. Auch
Zuschauer wurden mit Fragen und Kommentaren telefonisch zugeschaltet Die
Folge wurde ausgestrahlt am 04. August 2004:
Im ersten Teil des Gespräches
konfrontiert Mansour seinen Gesprächspartner mit dem Vorwurf, die
Veranstalter hätten sich bei der Organisation des Programms und bei der
Auswahl der Teilnehmer von folkloristischen Gesichtspunkten leiten
lassen: Tanz- und Musikveranstaltungen stünden demnach im Vordergrund
der arabischen Präsentation. Zudem hätten sich die Veranstalter auf die
Einladung säkularer, westlicher Intellektuelle beschränkt, ohne dabei
die Bedeutung 'authentischer' arabisch-islamischer Stimmen zu
berücksichtigen.
In seinen Erwiderungen
verteidigt Ibrahim al-Muallim das Programm. Mit Hinweis auf die
zahlreichen Lesungen, Diskussionen und Buchpräsentationen weist er den
Vorwurf zurück, die Organisatoren würden ein oberflächliches Bild der
arabisch-islamischen Kultur, das zudem von staatlichen Institutionen
vorgegeben sei, präsentieren.
'Planen Sie eine Ausstellung
über Sabra und Shatila?'
Im zweiten Teil der Sendung
konnten sich Zuschauer mit Fragen an Al-Muallim wenden. Zu ihnen zählte
Baraq Abd al-Rahman aus den Vereinigten Arabischen Emiraten:
"Die arabische Kultur ist Gast
der Frankfurter Buchmesse. Eine solche Veranstaltung muss man doch
vorbereiten!? Die arabischen Intellektuellen haben von dieser
Beteiligung der arabischen Welt aber erst vor kurzem erfahren! Manche
erst jetzt. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als auf arabische
Intellektuelle, die im Westen leben, zurückzugreifen. Wie können wir
dorthin fahren, ohne etwas zu sagen zu haben. Unser Problem ist doch
nicht der Dialog mit dem 'Anderen'. Das Problem ist, dass wir überhaupt
ersteinmal 'da' sein und festen Boden unter den Füssen haben müssen, auf
dem wir bauen können. Wie können wir Mitglied im [Internationalen]
Verlegerverband sein, während es immer noch viele Fragen über den
rechtlichen Rahmen der Verlagstätigkeit [in arabischen Ländern] gibt und
es mehr als einem Autoren, mehr als einem Abgeordneten und mehr als
einem Denker verboten ist …
Ahmed Mansour: (unterbricht)
Danke, Baraq, ich danke Ihnen. Was sagen Sie dazu, Ibrahim?
Ibrahim al-Muallim: Es stimmt,
das ist ein wichtiger Punkt. Wir sind tatsächlich mit den zahlreichen
Autoren, die im Westen leben, in Verbindung getreten und haben einige
ausgewählt und Veranstaltungen und Lesungen für sie organisiert. Unter
ihnen sind welche, die in Frankreich England oder Deutschland leben. Sie
alle nehmen - trotz der unterschiedlichen Strömungen, die sie
repräsentieren - teil. Ihre Teilnahme hat den Vorteil, dass sie im
Westen großen Erfolg haben und weltweit bekannt sind. Zu ihnen zählen
Amin Maalouf, Rafiq Shami, Tahar Ben Jelloun, Ahdaf Souheif und andere.
[…]
Ahmed Mansour: Hamza Abd
al-Rahim aus Palästina, bitte.
Hamza Abd al-Rahim: Guten Tag,
ich habe eine Frage an Ihren Gast. Planen Sie, im Rahmen der Buchmesse
Ausstellungen über die Massaker in Sabra und Shatila zu zeigen? Planen
Sie eine Ausstellung über das Massaker von Djenin? Wird es eine
Ausstellung über das Massaker im Irak geben, oder über das, was in Abu
Ghraib passierte? Oder über die zehnjährige Blockade des Iraks? Planen
Sie, die Probleme in der arabischen Welt darzustellen, und das Ausmaß
des arabischen Hasses auf die westliche Kultur? Werden Sie die
Dimensionen des arabischen Hasses auf die USA und auf diejenigen
verdeutlichen, die dem Beispiel der USA folgen? Werden Sie unseren
wahren Islam präsentieren? Haben Sie vor, die zentralen Probleme
anzusprechen? Werden Sie die amerikanische Tyrannei über das arabische
Volk darlegen?
Ahmed Mansour: (unterbricht)
Danke. Die Veranstalter wollen sechzig Filme zeigen, die bei
verschiedenen Festivals Preise gewonnen haben. Außerdem wird es tolle
Tanzgruppen geben, die die arabische Kultur …
Ibrahim al-Muallim: … nein,
Entschuldigung Ahmed. Zunächst einmal sind das Filme, die Auszeichnungen
des Institut du Monde Arabe [in Paris] gewonnen haben. Darunter sind
Filme über Palästina, Algerien und den Libanon sowie über alle Probleme
der arabischen Welt. […] Ich schätze natürlich die Gefühle und die
Leidenschaft unseres Anrufers. Ich kann ihm [aber] sagen, dass diese
Buchmesse keine Bühne für große Reden oder Kämpfe sein wird. Alle
Gedanken, alle Dinge, die wir zeigen wollen - ob Ideen, Probleme, oder
Unrecht – werden in den Büchern, der Literatur, den Erzählungen und den
politischen Schriften thematisiert werden. Die ausgestellten Bücher sind
ja aus Palästina und aus den anderen arabischen Ländern. Und viele der
Autoren, die diese Themen ansprechen, werden an der Buchmesse
teilnehmen, darunter Dichter und Autoren aus Palästina und Personen, die
sich mit diesen Problemen beschäftigt haben, z.B. Abd al-Wahab
al-Missiri, der an verschiedenen Veranstaltungen teilnehmen wird, und
andere Autoren. Ich denke, die Themen, die angesprochen wurden, werden
in der zeitgenössischen arabischen Literatur und Poesie aufgegriffen,
sie sind Teil dieser Literatur und werden dort widergegeben. Wichtig ist
aber, dass diese Themen auf spannende und produktive Weise behandelt
werden…
Ahmad Mansour: Die Welt schaut
uns schließlich zu! […] Bitte, Othman Saadi [aus Algerien].
Othman Saadi: Ich möchte Ihren
Gast kurz auf ein wichtiges Thema hinweisen: Die arabischen Autoren, die
in Europa leben, die von europäischer Seite zu dieser Veranstaltung
eingeladen wurden. Sie gehören in den meisten Fällen zu ihnen [zu
Europa], und nicht wie Amin Maalouf, den ich sehr schätze und den ich
für einen Araber halte, der in Europa lebt, zu uns. Die meisten
algerischen Autoren, die in Europa leben, haben sich gegen die arabische
Sprache ausgesprochen, und gegen einen arabischen Charakter Algeriens.
Oder etwa Asia Djebar, die auf einer internationalen Konferenz von einem
israelischen Autor gefragt wurde: 'Wie stehen Sie zu Algerien. Die
Sprache Algeriens ist Arabisch, aber Sie schreiben auf Französisch und
leben seit der Unabhängigkeit Algeriens in Frankreich!' Muhammad Dib,
der bis zu seinem Tod vor einigen Monaten der bekannteste Autor
Algeriens war, attackierte die arabische Sprache und erklärte, die
arabische Sprache sei so tot wie das Lateinische. Dieser Muhammad Dib
wünschte sich, dass sein Körper in Frankreich begraben werde und nicht
in Algerien.
Und das Europäische Parlament
hat vor drei oder vier Jahren in einem Beschluss gegen die Entscheidung
protestiert, das Arabische in Algerien zur offiziellen Sprache zu
machen. Das ganze Europäische Parlament griff das entsprechende Gesetz
an […]. Ich kann mir also vorstellen, dass die Mehrzahl der ausgewählten
Autoren, die in Europa leben, Europa repräsentieren und nicht uns.
Danke.
Ahmad Mansour: Danke Othman.
Das Thema der Auswahl Beteiligten ist wichtig, und ich habe ja auch
schon angesprochen, dass die meisten Teilnehmer, die die Araber
repräsentieren werden, das gleiche säkulare, westliche Denken vertreten
[wie die europäischen Intellektuellen]. Die eigentliche Vertretung der
arabischen Kultur wird daher schwach sein…
Ibrahim al-Muallim: Ja, Sie
sprechen damit tatsächlich eines der Probleme der arabischen Kultur an …
Ahmad Mansour: Aber sind Sie
als Präsident des arabischen Verlegerverbandes nicht auch selbst dafür
verantwortlich?
Ibrahim al-Muallim: Die Frage
ist doch, ob wir in der arabischen Welt an die Freiheit des Denkens
glauben. Glauben wir an den Pluralismus der Meinungen, an die
Unterschiede der Sichtweisen …
Ahmad Mansour: Sicher!
Ibrahim al-Muallim: Oder
glauben wir an die eine Wahrheit?
Ahmad Mansour: Aber
repräsentiert nicht die Mehrheit [der arabischen Intellektuellen] das
verwestlichte säkulare Denken – viele Vertreter der kulturellen
Institutionen in der arabischen Welt stehen ja für diese Strömung?
Sollte nicht vielmehr die ursprüngliche arabische Kultur und das
arabisch-islamische Denken repräsentiert werden?
Ibrahim al-Muallim: Die
Mehrheit der Teilnehmer steht für ein echtes, aufgeklärtes arabisches
Denken. Denn es ist das aufgeklärte arabische Denken, welches in der
arabischen Welt mehrheitlich verbreitet ist, das sich der Probleme [der
arabischen Welt] bewusst ist, von der Freiheit des Denkens und von der
Meinungsfreiheit überzeugt ist und nach vorne sieht.[…]
'Wir leben im 21.
Jahrhundert und es gibt immer noch Zensur'
Ahmad Mansour: Hallo Abu Bakr
al-Khiyat aus Saudi Arabien.
Abu Bakr al-Khiyat: Ich möchte
über die Bücher zur arabischen Kultur reden, deren Einfuhr in die
meisten arabischen Länder verboten ist …
Ahmad Mansour: … die können Sie
alle auf der Frankfurter Messe finden, wenn Sie dorthin fahren …
Abu Bakr al-Khiyat: Das werde
ich. Hier in Medina lieben wir das Lesen!
Ibrahim al-Muallim: Es gibt
tatsächlich Probleme mit der Herausgabe von Büchern in der arabischen
Welt. Ich sage in aller Offenheit, dass wir Probleme haben. Obwohl wir
schon im 21. Jahrhundert leben, fordern wir als arabischer
Verlegerverband und die Medien die Abschaffung der Zensur und die
Freiheit, Bücher in der ganzen arabischen Welt zu verbreiten. Wir
fordern die Freiheit, Bücher zu veröffentlichen und einen freien
Austausch von Ideen, Meinungen und Erkenntnissen. Es gibt immer noch
Verbote, obwohl wir im Zeitalter der Satellitensender, des Internets und
der Wissensexplosion leben. Aber man muss auch sagen, dass es einen
relativen Fortschritt in vielen arabischen Ländern in Richtung einer
Öffnung gibt. In einigen arabischen Ländern und auf einigen arabischen
Buchmessen gibt es keine Zensur mehr. Dieser Weg muss weiter gegangen
werden. Dies ist auch eines der Themen, die wir ernsthaft und sachlich
auf der Frankfurter Messe diskutieren werden. So haben wir dort eine
Veranstaltung zur Veröffentlichungsfreiheit in der arabischen Welt
organisiert.
Ahmad Mansour: Stimmt es, dass
Sie Bilder der arabischen Staats- und Regierungschefs im
Ausstellungsgebäude aushängen werden?
Ibrahim al-Muallim: Nein,
niemals! Es wird keine Bilder von Staats- und Regierungschefs geben! Das
wurde auch nicht gefordert. […] Nein, es wird keines dieser Bilder und
auch keine Direktiven der Staatschefs geben. Wir fordern diese aber auf,
diese Veranstaltung zu fördern, denn Sie sind die Verantwortlichen der
arabischen Welt und auch verantwortlich für die arabische Kultur. Aber
wir können nicht …
Ahmad Mansour: Immer wenn es
ums Denken geht, sind sie nicht verantwortlich. […]
Riddad Ali (Bagdad): Ich möchte
dazu aufrufen, solche arabische Intellektuelle auszuwählen, die die
arabische Kultur auch repräsentieren können. Egal, ob aus dem Westen
oder aus dem Orient - wichtig ist doch, dass sie Stolz auf ihre
arabische Kultur sind, damit sie das wahre Bild dieser Kultur zeigen
können. Aus unserer Kultur, den alten und den neuen Übersetzungen,
sollten die Dinge ausgewählt werden, die reich und schön sind und das
wahre Bild der arabischen Kultur wiedergeben - nicht solche, die der
Westen sehen will. Wir wollen uns so zeigen, wie wir sind. Wir wollen
ihnen nichts vorheucheln, indem wir jemanden auswählen, der zwar säkular
oder kommunistisch ist oder eine ganz bestimmte Strömung vertritt, aber
nicht stolz auf seine arabische Kultur ist. Wir wollen unser
Arabisch-Sein, unsere wirkliche Kultur und unseren rechtgläubigen Islam
zeigen, und nicht den Islam derjenigen, die ihn verurteilen und des
Terrorismus beschuldigen wollen. Wir wollen ihnen das authentische
schöne Bild zeigen, um den anderen Völkern mehr tatsächliches Wissen
über unsere Kultur zu vermitteln. Danke."