Gesandte der Jewish Agency in Argentinien berichten von einer Flut von
Aliyah-Anfragen von Juden
„Dies ist die
Gelegenheit, 30.000 jüdische Menschen nach Israel zu bringen“
von Arieh Bonder, Ma’ariv, 23.12.01
Einige Stunden nach dem
Beginn der Unruhen in Buenos Aires und nachdem die Strassen der Stadt
mit Rauch, Explosionen und dem Geräusch von Sirenen erfüllt waren,
zeigten sich die Gesandten der Jewish Agency in Argentinien überrascht
von der Flut von Anfragen von Juden, die über die Möglichkeiten der
Einwanderung nach Israel informiert werden wollten.
„Innerhalb einer Stunde waren
unsere Büros im Amia-Gebäude voller gefühlsüberwältigter jüdischer
Menschen, die so schnell wie möglich herausfinden wollten, ob sie
Wohnungen und Arbeitsplätze in Israel finden könnten,“ erzählt Quito
Hasson, der Leiter der Jewish Agency-Delegation in Argentinien.
Hasson beeilte
sich, dringende Telegramme an die Leitung der Aliyah-Abteilung der
Jewish Agency und an den Vorsitzenden der Agency, Sallai Meridor, zu
schicken, und forderte sie darin auf, sich auf die tatsächliche
Möglichkeit einer umfassenden Aliyah aus Argentinien vorzubereiten. Er
wies die Gesandten der Jewish Agency in Argentinien an, sich auf eine
Notlage vorzubereiten.
Trotz der
Intifada und auch vor Ausbruch der Unruhen in den letzten Wochen, war
Argentinien der einzige Schauplatz in der Welt, wo die Zahl der
Auswanderer in diesem Jahr die Zahl derer aus dem Vorjahr überstieg –
1500 Juden im Gegensatz zu 1200 Juden im Vorjahr, die sich den 80.000
früheren Argentiniern anschlossen, die bereits in Israel leben.
„Viele Mitglieder
der jüdischen Gemeinde suchen nach einem Weg, hier herauszukommen,“
berichtet Miguel (Miki) Steuerman, der Direktor und
Hauptnachrichtensprecher der populären jüdischen Radio-Station Chai, die
aus Buenos Aires sendet. “Wenn man die Grundlagen schafft und
Wohnungs-Möglichkeiten und Arbeitsplätze bereitstellt, muss man davon
ausgehen, dass innerhalb einer kurzen Zeit über 30.000 Juden nach Israel
auswandern werden.“
Zur Zeit ist die
Lage der argentinischen Juden ernst. Die wirtschaftliche Krise, die das
Land in ihrem Griff hält, hat dazu geführt, dass Hunderte von
obdachlosen Juden in den Strassen schlafen – die Jüdischen
Obdachlosen werden sie in Argentinien genannt. Eine interne
Untersuchung der Jewish Agency enthüllt die ganze Tragödie, die die
jüdische Gemeinde Argentiniens befallen hat. Sie ist Teil der traurigen
Geschichte dieses großen, stolzen Landes. Der wirtschaftliche
Zusammenbruch trieb von einem Tag auf den anderen viele
Gemeinde-Mitglieder - die sich der Mittelklasse zugehörig gefühlt hatten
und Großhandels-Geschäfte sowie kleine und mittelständische
verarbeitende Betriebe betrieben hatten, selbständigen Berufen
nachgegangen waren und Positionen im öffentlichen Dienst inne gehabt
hatten – unterhalb der Armutsgrenze. Die Untersuchung weist darauf hin,
dass etwa 1700 jüdische Familien ihre Heime verloren haben – einige
leben zusammengedrängt in Zimmern und billigen Hotels; viele andere
leben unter Brücken, auf Stadt-Plätzen und in öffentlichen Park-Anlagen.
Die Zahl derjenigen, die öffentliche Wohlfahrtsunterstützung benötigen
sowie unter der Obhut der Gemeinde leben, ist von 4.000 auf 20.000 in
die Höhe geschossen.
Besitzlose Juden, die nichts
zu essen haben
„Es gibt hier
völlig besitzlose Juden, die nichts zu essen haben,“ fährt
Nachrichtensprecher Miki Steuerman fort zu berichten. „Das Gebäude, in
dem Radio Chai untergebracht ist, liegt im Stadtzentrum von Buenos Aires
und darin ist auch eine Suppen-Küche untergebracht, die Hunderte von
warmen Mahlzeiten für Juden zubereitet, die nicht einmal ein Stück Brot
zum Essen haben.“
Das
Erziehungs-System der Gemeinde ist durch die Krise ebenfalls ernsthaft
in Bedrängnis gebracht worden. Im Oktober 1999 brachen zwei große
jüdische Banken zusammen. Vieler Gemeindemitglieder und ihre führenden
Einrichtungen, die Konten bei diesen Banken unterhielten, verloren ihr
Geld. Als direkte Folge davon mussten 4500 Schüler, die in privaten und
teuren jüdischen Erziehungs-Einrichtungen unterrichtet wurden, ihre
Schulen verlassen. Seit dem Beginn der wirtschaftlichen Krise im Jahre
1999 haben sieben jüdische Schulen geschlossen und drei weitere haben
sich zusammengeschlossen. Dutzende von jüdischen Lehrern, die Experten
für den Unterricht über das Judentum und in Hebräisch sind, sind
entlassen worden. In der letzten Woche ging eine kleine Privat-Bank
bankrott und ihr jüdischer Besitzer, Daniel Berger, floh in die
Vereinigten Staaten. Unter den Einlagen der Bank befanden sich 15
Millionen Dollar, die individuelle Sparguthaben darstellten und die
Mittel der Marc Chagal Jüdischen Schule.
Quito Hasson,
Leiter der Delegation der Jewish Agency in Argentinien, erklärt, dass
die Unruhen und die Plünderung der Kaufhäuser keinen antisemitischen
Hintergrund haben und dass die Geschäfte, die geplündert wurden, keinen
Juden gehören. Wie dem auch sei, 200.000 argentinische Juden warten
nicht darauf, dass der Antisemitismus sein hässliches Haupt erhebt; sie
suchen bereits nach einem Ausweg. Ganz nebenbei: die Zahl der
Argentinier, die nach dem Heimkehrer-Gesetz das Recht auf Aliyah haben,
beträgt fast eine Million, da es viele Misch-Ehen gibt.
Viele Juden können sich keinen Pass leisten
Im Laufe des letzten Jahres
haben 6000 Juden einen Aliyah-Antrag in Argentinien gestellt. Nach
Hassons Worten, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Zahl
enorm erhöhen wird. Viele Juden haben jedoch kein Geld für einen Pass
und es ist ihnen peinlich, sich an Einrichtungen der Gemeinde oder an
die Jewish Agency wenden zu müssen und auf diese Weise ihre
wirtschaftliche Situation bloßzustellen. „Dies ist eine sehr stolze
Gemeinde,“ erklärt Hasson.
Die Vertreter der Agency
wissen, dass dies ein passender Zeitpunkt ist, um eine warmherzige,
tiefverwurzelte und zionistisch-orientierte Gemeinde nach Israel zu
bringen, die im Laufe der Jahre enge Beziehungen zu Israel unterhalten
und sogar einen blutigen Preis dafür bezahlt hat, als auf die
Gemeinde-Einrichtungen ein Bomben-Anschlag verübt wurde. „Die Situation
in Argentinien ist ernst,“ sagt der Vorsitzende der Jewish Agency,
Sallai Meridor. „Wenn wir den Juden dort sagen können, dass der Staat
Israel dazu bereit ist, ihnen besondere Bedingungen zu bieten, um ihre
Eingliederung in Israel zu gewährleisten, dann müssen wir davon
ausgehen, dass wir von einer Aliyah-Welle sprechen, deren Zahl zwischen
20.000 und 30.000 Juden liegt. Die Entscheidungen zu fällen ist kein
Problem. Solche Entscheidungen wurden bereits im Laufe des letzten
Jahres gefällt, wonach Einwanderern aus Argentinien, Frankreich und
Süd-Afrika besonders erweiterte Unterstützungs-Körbe gewährt werden. Das
Problem ist die Umsetzung dieser Beschlüsse und wie wir die
Haushalts-Mittel finden sollen, um sie zu finanzieren.“
Meridor erinnert daran, dass
die argentinischen Juden besondere Unterstützung bedürfen, da sie völlig
besitzlos nach Israel kommen und nach allen rechtlichen Gegebenheiten
als Flüchtlinge anzusehen sind. Sie haben kein Geld für Wohnungen; viele
von ihnen haben ihren gesamten Besitz in Argentinien verloren, weil es
ihnen die dortige wirtschaftliche Situation nicht erlaubt, ihr Vermögen
aufzulösen oder dieses nach Israel zu überweisen. Meridor und der
stellvertretende Eingliederungs-Minister Yuli Edelstein fordern, dass
argentinischen Einwanderern ein Wohnungszuschuss von $ 25.000 Dollar pro
Familie gewährt wird, um es ihnen zu ermöglichen, ein neues Leben zu
beginnen.
Meridor betont, dass es keine
Entscheidungen aus wirtschaftlicher Hinsicht geben sollte, die
wahrscheinlich die zukünftige Aliyah aus Argentinien negativ
beeinflussen würden. „Dies ist eine nationale, keine wirtschaftliche
Entscheidung,“ sagt Meridor. „Der Ministerpräsident versteht dies sehr
gut und ich hoffe, dass er dazu beitragen wird, die richtigen
Entscheidungen zu fällen. Wenn rein finanzielle Maßgaben unsere
Entscheidungen bestimmen und der Finanzminister die Programme zur
weitreichenden Unterstützung der Einwanderer aus diesem Land behindert,
dann wird uns dieser Fehler endlose Schwierigkeiten in Zukunft bereiten.
Wir müssen daran denken, dass die starke Einwanderung aus Russland
unsere Wirtschaft gestärkt hat und eine große Aliyah aus Argentinien
kann unsere Wirtschaft helfen, sich aus der tiefen Rezession zu
befreien, in der sie sich befindet, und damit den Beginn eines erneuten
wirtschaftlichen Wachstums einläuten.“
Kürzlich fand eine
Sonder-Sitzung in den Büros der Jewish Agency in Jerusalem statt, an der
alle teilnahmen, die an diesem Vorgang beteiligt sind, einschließlich
Vertreter des Büros des Ministerpräsidenten und der Ministerien für das
Wohnungswesen, Eingliederung und Außenpolitik. Auch Buenos Aires
verfolgt die vorgesehenen Beschlüsse genau. Den Bemühungen um eine
Lösung folgt auch der Vorsitzende des Ausschusses für Einwanderung und
Eingliederung der Knesset, Abgeordneter Tzvi Hendel, der darauf eine
Sondersitzung leiten wird, um Druck auf alle Abteilungen ausüben zu
können, die an diesem Vorgang beteiligt sind. „Der Staat Israel sollte
die Einwanderung der argentinischen Juden nach Israel als eine nationale
Aufgabe betrachten, die sofort durchgeführt werden muss,“ sagte Hendel.
„Das Aliyah-Potential aus
Argentinien ist extrem groß,“ sagt Mike Steuerman. „Viele der Juden hier
wollen sowieso gehen. Jetzt hängt alles von euch ab. Wenn es euch
gelingt, die argentinischen Juden richtig einzugliedern, dann wird die
Zahl sehr groß sein. Wenn die Regierung Israel nicht die richtigen
Entscheidungen trifft, dann werden es die Juden hier vorziehen, lieber
arm in Argentinien zu sein als in Israel arm leben zu müssen.“
Wir empfehlen den argentinischen Juden,
sofort zu kommen
Als sich die Unruhen in
Argentinien auf dem Höhepunkt befanden, war die Buso-Familie auf ihrem
Weg zu einem neuen Leben in Israel. Die Eltern – Julio, 51, und Suzy, 42
– und ihre Kinder – Romina, 21, und Pablo, 19 – kamen letzte Woche im
Eingliederungszentrum in Ober-Nazaret an, und richteten sich in einer
winzigen Zwei-Zimmer-Wohnung für Einwanderer ein. „In Argentinien hatten
wir ein viel größeres Heim, aber wir kommen zurecht,“ sagt Suzy.
„Wir kamen wegen der
wirtschaftlichen Probleme,“ fährt sie fort. „Julio arbeitete als
Taxi-Fahrer und verdiente am Tag $ 10 Dollar, und ich leitete eine
Reinigungs-Firma. Unser Einkommen war nicht gut, deshalb begann ich
Versicherungs-Policen zu verkaufen.“
Im Oktober besuchte eine
Abordnung aus Israel Tucuman, der Stadt, in der sie lebten. Zur
Abordnung gehörte auch Boaz Yardeni, der Direktor des
Eingliederungs-Zentrums von Ober-Nazaret, die stellvertretende
Bürgermeisterin Edna Rodrig, und der Direktor der
Eingliederungs-Abteilung, Roman Katz. Die Israelis erzählten von den
Möglichkeiten in Israel, ohne ihnen Israels Sicherheitsprobleme und
wirtschaftlichen Nöte zu verheimlichen.
„Unsere Entscheidung war
spontan,“ sagte Julio. „Wir dachten darüber nicht zu viel nach. Es war,
als ob wir wussten, was sich in Argentinien ereignen würde. Die Zeichen
waren an der Wand zu lesen. Die Regierung setzte wirtschaftliche
Maßnahmen in Kraft, denen wir nicht zustimmen konnten. Was dort nun
geschieht, überrascht uns nicht. Die Bürger Argentiniens sind darin
beschränkt, wie viel Geld von ihren Gehältern sie von der Bank abheben
können. Von jeden $ 1000 Dollar zum Beispiel bekommt man nur $ 250
Dollar ausbezahlt. Es gibt keine Demokratie mehr. Die Arbeitslosenrate
liegt bei über 30 % und Kinder haben damit begonnen, auf den Strassen zu
betteln. Wir hatten das Gefühl, dass wenn wir nach einer Zukunft für
unsere Kinder suchen wollten, es besser wäre, dies in Israel zu tun.
Freunde fragten mich, wie ich mich dafür entscheiden könnte, in ein Land
auszuwandern, in dessen Strassen Bomben explodieren würden, und ich
antwortete, „das ist immer noch besser als auf Argentiniens Strassen von
einem verhungernden Räuber getötet zu werden, der $ 10 Dollar von dir
stehlen möchte.“
Im Jahre 2001 integrierte
Ober-Nazaret 42 Familien aus Argentinien, alle durch das örtliche
Eingliederungs-Zentrum. Die meisten von ihnen haben sich bereits
Wohnungen gekauft und Arbeitsplätze in der Stadt gefunden. „Wir sind
erst seit zwei Tagen hier, aber wir fühlen uns bereits so, als wären wir
zu Hause,“ sagt Julio. „Es ist ein wunderbares Gefühl. Wir sind nicht
alleine. Wir haben Rückhalt, wir haben Unterstützung, wir haben
jemanden, an den wir uns wenden können. Wir sind sehr angenehm
überrascht worden. Wir empfehlen, dass jeder, der Aliyah in Betracht
zieht, sofort nach Israel kommen sollte, ohne jedes Zögern.“
Sie haben noch keine Möbel –
noch nicht einmal ein Fernsehgerät. Aber es ist die Gitarre, die Romina
und Pablo spielen, die ihnen das Herz in der Zwischenzeit wärmt. „Das
einzige, was wir vermissen, sind unsere ältere Tochter Gabriela und ihr
fünfjähriger Sohn, die in Argentinien geblieben sind,“ sagen Julio und
Suzy. „Die Kinder, die mit uns Aliyah gemacht haben, werden bald in ein
Ulpan in den Kibbuz Mishman Ha’emek gehen und wir werden Hebräisch im
Eingliederungs-Zentrum lernen. Vor uns liegt eine schwierige Zeit, aber
wir sind mehr als bereit zu lernen und uns zu integrieren.“
Israelische Delegation in
Argentinien:
Hilfe für
interessierte Einwanderer
haGalil onLine
11-01-2002 |