Fundamentalistische Logik
von Amira Hass, Ha’aretz / ZNet 04.12.2002
Die Siedler von Kiryat Arba haben mit tatkräftiger
Unterstützung der ‘Zivilen Administration’ bzw. der IDF ihr Versprechen
eingelöst u. “territoriale Kontinuität zwischen Kiryat Arba u. dem Grab
der Patriarchen” geschaffen.
Weniger als drei Wochen, nachdem 12 israelische
Soldaten bzw. israelische Sicherheitsleute einem tödlichen Anschlag des
Islamischen Dschihad zum Opfer fielen, hat die angemessene Zionistische
Antwort konkret Gestalt angenommen in Form von mobilen Siedlungen bzw.
von Häuserdemolierungs-Befehlen.
Jeder wusste, dass es so kommen würde. Viele palästinensische Familien
sind aus ihren Wohnungen entlang der Route, die die jüdischen Siedlungen
mit der Hebroner Altstadt verbindet, verschwunden. Angst vor den
Siedlern hat sie vertrieben.
Häuser, viele hundert Jahre alt, wunderschöne architektonische Perlen
(aber jetzt halb verfallen, da die Palästinenser nicht in der Lage sind,
sie zu renovieren u. zu erhalten: man lässt die Palästinenser nicht, sie
haben in der Altstadt von Hebron keine zivile Kontrolle) werden nun wohl
vollends zerstört. Wahrscheinlich schleift man auch einige der neueren
Gebäude. Aber diese Art Nachricht verdampft schnell in einem Land, das
so emsig ist - wenn man nicht gerade die Toten der Terrorattacken
begräbt, hält man geschäftig Vorwahlen, sämtliche Parteien von Rechts
bis Links tun das gerade.
Dass Premier Scharon seine Siedlungspläne in den besetzten Gebieten
weiterführt - mit Hilfe seiner loyalen Siedlerarmee - was könnte daran
schon “berichtenswert” sein? Selbst wenn einer der Siedlerführer, in dem
Fall der Bürgermeister von Kiryat Arba, Zvi Katzover, seine
geographisch- demographisch-militärische Vision, (die hinter seiner
hartnäckigen Entschlossenheit bzw. der seiner Gesinnungsgenossen steckt)
wie folgt erläutert: “Wenn der große Krieg anfängt und die Araber von
hier wegrennen - früher oder später - sind wir es, die in die Häuser
zurückkehren”. So Katzover gegenüber dem Reporter Benny Liss von
‘Channel One’ am 27. November. Nur ein kurzer Satz u. doch so
vielsagend. Er enthält gleich mehrere Informationen. Zunächst einmal ist
von einem “großen Krieg” die Rede - wohl im Gegensatz zum “kleinen
Krieg”, den wir die letzten Jahre schon erleben. Zweifellos ist mit
“großer Krieg” ein Krieg in unserer Region gemeint, vielleicht ein Krieg
zwischen Licht u. Dunkelheit, zwischen Islam u. Christenheit bzw.
Judentum oder ein “Krieg der Zivilisationen” - dunkler Islam gegenüber
dem im hellen Licht der Aufklärung erstrahlenden Westen.
Anscheinend ist dieser Krieg ein unabwendbares
Ereignis, u. es gibt (Katzovers Meinung nach) auch keinerlei Grund, ihn
zu verhindern. Vielleicht wäre es ja direkt von Vorteil, wenn er endlich
ausbräche (am Ende sollte man die Sache sogar beschleunigen) -
vorausgesetzt, sie führt tatsächlich zu einem positiven Ergebnis u. die
“Araber rennen weg”, (wie Katzover sagt). Zudem kann ich mir nicht
vorstellen, dass Katzover “nur” von den Hebroner Palästinensern spricht.
Denn der “große Krieg” wird wohl kaum ausschließlich über die alte
Patriarchenstadt hinwegfegen. Gemäß dieser Logik gibt es nämlich nicht
nur in Hebron sondern praktisch überall hierzuland jüdisches Land in der
Hand von Fremden - sprich: von Nicht-Juden. Diese katastrophale Logik
ist exakt mit jenen religiös-nationalistischen Überzeugungen
übereinstimmend, von denen die Siedler-Pioniere seit nunmehr 35 Jahren
gelenkt u. geleitet sind: der Glaube an das göttliche Versprechen,
dieses Land sei dem Volk Israel geweiht. Aus all dem spricht eine
Kombination aus Verschiedenem: Zum einen spricht daraus der Glaube an
die unausweichliche göttliche Intervention zugunsten des jüdischen Volks
(siehe jüdisch-fundamentalistische Auffassungen), zum andern der Glaube,
es entspräche der Pflicht jedes Einzelnen, handelnd einzugreifen u. so
das Eintreten jenes glücklichen Endes zu beschleunigen.
Aber diese katastrophale Logik lenkt nicht nur die Schritte der
religiös-politischen Fundamentalisten auf jüdischer Seite: Diese Logik
findet ihr Pendant auch in jener religiös-deterministischen Logik, die
das Reservoir an palästinensischen Selbstmordattentätern so
unterschöpflich macht, bzw. das Reservoir an denjenigen, die Bomben
basteln oder Molotow-Cocktails auf Panzer schleudern, die durch
palästinensische Städte rollen. Die Chance letzterer Leute, von einem
Panzer getötet zu werden, ist zigmal höher als die Chance, dass das
‘Cocktail’ den Panzer tatsächlich durchschlägt. Rache als individuelles
Motiv kommt hinzu - dass man einfach den Platz derjenigen Palästinenser
einnehmen will, die im Zuge von IDF-Operationen verhaftet, verhört,
getötet oder verwundet wurden. Weiteres Motiv: Man hat das Interesse
verloren an einem Leben, das nicht mehr lebenswert ist - ein Motiv, das
womöglich viel, viel mehr Menschen (Palästinenser) einschließt, als
jetzt schon zum Selbstmordattentat entschlossen sind.
Die islamischen Organisationen, die sich diese Motivationslage zunutze
machen, pflegen ihre eigene Endzeit-Vision. Auch sie sind der Meinung,
dieses ‘Land’ sei gottverheißen - nur eben den Muslimen. Und auch sie
verweisen auf die Schriften, um ihre Sache zu belegen. Auch sie sind der
Überzeugung, das göttliche Vesprechen werde früher oder später eingelöst
bzw. dass: “Gott denen hilft, die sich selber helfen” - was soviel
heißen soll, wie: es hat keinen Sinn abzuwarten u. die Hände in den
Schoß zu legen, bis das glückliche Ende naht. Derzeit wird einem nicht
nur von jungen Leute aus Kreisen der Hamas oder des Islamischen Dschihad
erklärt, der Tag sei nahe, an dem die gesamte islamische Welt sich zum
Krieg gegen Israel rüste. Und auch hier ist von einem “großen Krieg” die
Rede - schrecklich u. alles in Mitleidenschaft ziehend, aber an seinem
Ende stehe die “Befreiung” des gelobten Lands. Religiöse Rhetorik dieser
Art geben nun auch schon junge Leute aus der Fatah-Bewegung von sich.
Denn je weniger ihnen das irdische Leben zu bieten hat, desto orthodoxer
werden diese Jugendlichen. Je geschwächter die palästinensische
Gesellschaft u. je mehr niedergerungen von den derzeitigen israelischen
Militäroperationen desto stärker diese katastrophale
palästinensisch-islamische Logik.
Das katastrophale jüdische Denken wiederum gründet einerseits in einem
individuellen Gefühl der Hoffnungslosigkeit (angesichts der ewigen
Sisyphos-Militäroperationen, die nie ihr Versprechen einlösen, den
“Terror auszuschalten”). Andererseits hat dieses Denken aber auch mit
unserer überstarken Armee zu tun, die mehr u. mehr auch die zivile
Agenda bestimmt. Die Grenzen zwischen den nationalistischen u.
religiösen Überzeugungen ihrer Kommandeure verschwimmen immer mehr -
wobei diese Kommandeure auch immer seltener einen Hehl aus dieser
Tatsache machen.
Übersetzt von: Andrea Noll
Orginalartikel: "Fundamentalist
Logic"
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