
Machtlos gegen Schläfer und Grenzgänger
Israelische Sicherheitskräfte verhindern
immer wieder Anschläge, können sie aber nicht ausschließen
Thorsten
Schmitz
Jerusalem –
In den vergangenen zwei Wochen haben der israelische Geheimdienst
Schabak und Spezialeinheiten der Armee eigenen Angaben zufolge
mindestens 40 Selbstmordanschläge in Israel verhindern können. Mit viel
Glück konnte unter anderem eine Katastrophe verhindert werden, nachdem
eine von Palästinensern am Boden eines Tanklastzuges platzierte Bombe in
einem
Tanklager bei Tel Aviv explodiert war. Der
Brand wurde rechtzeitig gelöscht, noch bevor die Benzin-Depots in Brand
geraten konnten. Das Depot, das sich mitten in einem Wohngebiet
befindet, ist seitdem geschlossen.
Avi Dichter, der Leiter von Schabak,
zeichnete zu Beginn dieser Woche im Sicherheitsausschuss des Parlaments
ein düsteres Bild. Trotz der vorzeitigen Festnahmen Dutzender
palästinensischer Attentäter werde es nicht zu einem völligen Stopp von
Anschlägen gegen Israelis kommen. Terroristische Gruppen hätten sich –
nach einer durch die Militäroperation „Schutzschild“ verursachten Pause
– wieder organisiert und bereiteten unverdrossen Anschläge vor. Israels
Außenminister Schimon Peres bestätigte am Mittwoch, dass der Regierung
seit mehreren Tagen Warnungen über „Mega-Terrorattacken“ vorlägen. Das
verheerende Bombenattentat gestern zur morgendlichen Rush Hour im Norden
Israels gibt Dichters und Peres’ Einschätzung über die Bedrohungslage
Recht.
Immer wieder gelingt es Palästinensern,
unbemerkt die so genannte grüne Grenze zwischen dem Westjordanland und
dem israelischen Kerngebiet zu passieren und Attentate zu verüben. Das
liegt zum einen daran, dass die Grenze eigentlich gar keine ist. Sie ist
nicht durch Zäune und Mauern und einige wenige Grenzübertritte gesichert
wie der Gaza-Streifen etwa. Palästinensische Selbstmordattentäter aus
dem Gaza-Streifen begehen ihre Anschläge innerhalb der Gaza-Grenzen
gegen die dort stationierten Soldaten und die jüdischen Siedler.
Palästinenser aus dem Westjordanland dagegen ist es ein Leichtes, im
Schutze der Dunkelheit die dicht besiedelte Küstenregion Israels zu
erreichen – meist mit gestohlenen Autos, die unverdächtige israelische
Kennzeichen tragen, oder aber zu Fuß über holprige Schleichwege, an den
vereinzelten israelischen Kontrollposten vorbei. Israel hat nun mit der
Errichtung von Maschendraht-Zäunen entlang der etwa 400 Kilometer langen
grünen Grenze begonnen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wird
die komplette Abzäunung jedoch noch ein halbes Jahr in Anspruch nehmen.
Selbst dann ist ein völliger Stopp von Anschlägen nicht gewiss.
Nach israelischen Geheimdienstinformationen
haben die palästinensischen Attentäter auf die erhöhte Polizeipräsenz in
Israel bereits reagiert. Bei dem Selbstmordanschlag in Rischon Le Zion
südlich von Tel Aviv vor zwei Wochen, bei dem zwei Passanten getötet und
mehrere Dutzend verletzt worden waren, einige von ihnen schwer, hatte
eine russische Prostituierte dem Attentäter geholfen. Zusammen mit ihrem
palästinensischen Ehemann fuhr sie den jungen Attentäter, der die Haare
blond gefärbt und sich so ein europäischeres Aussehen verliehen hatte,
in ihrem israelischen Wagen nach Rischon Le Zion – wo er sich kurz
darauf in die Luft sprengte.
Die israelische Regierung weiß zudem, dass
sich bis zu 40000 Palästinenser illegal in Israel aufhalten. Sie werden
als „Schläfer“ bezeichnet, die von Terrorgruppen im Gaza-Streifen oder
im Westjordanland kontaktiert und zu Attentaten aufgefordert würden. Aus
Militärkreisen verlautete dieser Tage, dass Palästinenser im
Gaza-Streifen sich in den vergangenen Monaten mit Drachenfliegern und
motorisierten Paraglidern ausgestattet hätten, um auf israelisches
Territorium zu segeln. Zudem hätten sich palästinensische Terroristen
Raketen vom Typ Strela besorgt, mit denen sie Zivilflugzeuge abschießen
könnten, die sich auf dem Landeanflug über der israelischen Küste nahe
dem Gaza-Streifen befinden.
SZ vom 05.06.2002 / Ressort: Nachrichten

haGalil onLine 17-06-2002 |