Interview mit Haydar Isik:
Reise in den Irak-Südkurdistan
In welcher Funktion reisten Sie in den Irak?
Bitte erzählen Sie zunächst etwas zu ihrer Person.
Ich bin Mitglied des Kurdistan
Nationalkongress in Brüssel. Der Vorstand hat mich zu diesem
Kongress abgeordnet, da ich zum ersten politisch eine unabhängige
Person bin, zum zweiten durch meine schriftstellerische Tätigkeit in
der kurdischen Gesellschaft durchaus ein Ansehen habe.
Der KADEK
hat sich aufgelöst. Was war der Grund für die Auflösung und was sind
die Ziele der neuen Organisation?
Die Welt ändert sich jeden Tag. KADEK
hat diese Änderung zwar verstanden, sich aber nicht angepasst.
Besser gesagt, KADEK hat an seinen alten Strukturen festgehalten.
Diese Situation birgt für eine Befreiungsbewegung die Gefahr,
marginal zu werden. Im Jahre 1993 versuchte sich die Vororganisation
der KADEK, die PKK, an die westlichen Werte anzunähern. Aber leider
konnte sie das damals nicht schaffen, weil manche Provokateure in
der Organisation die geplanten Änderungen gesprengt hatten.
KADEK hat zwar den Status quo
beibehalten konnte sich aber nicht der gesamten kurdischen
Bevölkerung öffnen. Das war der Hauptgrund dafür, sich aufzulösen
und die Macht an das Volk abzugeben. Außerdem wurde KADEK noch mit
veralteten leninistischen Parteiprinzipien geführt. Die neue
Organisation "KONGRA GELÊ KURDISTAN" (Volkskongress KURDISTAN) lehnt
diese senkrecht zentralistische Struktur vollkommen ab und schafft
eine waagrechte demokratische Ordnung.
Ziele des VOLKSKONGRESSes Kurdistans
sind unter anderem, den bewaffneten Krieg einzustellen und eine
politische Lösung für Kurden zu suchen. Das heißt, die Staaten, die
Kurdistan unter sich aufteilen, müssen im Rahmen ihrer Grenzen die
Identität der Kurden anerkennen und gleiche Rechte einräumen, die
sie ihrem Volk gegeben haben.
Man kann noch konkreter sagen: Die
Türkei, Iran und Syrien müssen ihre veraltete rassistisch
nationalistische Struktur ändern. Wir unterstützen die Aufnahme der
Türkei in die EU. Aber die Türkei muss ihrer ca. 20 Millionen
zählende kurdische Bevölkerung die Rechte gewähren, die
international und in der Europa Charta vorgesehen sind: Das Recht
auf Muttersprache in den Schulen, Kultur und die freie Entfaltung in
allen Bereichen des Lebens.
Der Volkskongress steht für die
Demokratisierung in Iran und Syrien und unterstützt die
demokratische Föderation im Irak.
Der Volkskongress Kurdistan begrüßt das
Eingreifen der USA gegen das Saddamregime und unterstützt die Pläne
der USA im Irak und in der Region. Der Volkskongress betrachtet die
USA nicht aus taktischen, sondern aus wahren Gründen als
strategischen Partner. Deshalb fordert der Volkskongress von der
USA, bei der Demokratisierung der Region zusammenzuarbeiten. Die
Demokratisierung der Region kann nur mit Hilfe des Volkskongresses
möglich sein, weil er die kurdischen Massen im Iran, Syrien und in
der Türkei für die Demokratisierung mobilisieren kann und die größte
kurdische Organisation ist.
Wie beurteilen Sie die Lage im Irak?
Wie ist der Alltag?
Als erstes möchte ich sagen, dass die
Berichterstatter hier und auch in der Türkei nur die negativen
Geschehnisse bringen. Ich habe das Gefühl, dass man dadurch die
Erfolglosigkeit der USA hervorheben will. Man vergleicht mit
Vietnam. Ich habe es vollkommen anders gesehen. Die USA helfen der
Bevölkerung, sich demokratisch zu strukturieren. Die Infrastruktur
wird aufgebaut und die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet.
Kurdistan ist sehr sicher. Die Mehrheit der Bevölkerung, die
Schiiten und die Kurden, sehen die Amerikaner als Befreier, nicht
als Besatzer. Nun muss man sich ein bisschen bemühen, um zu sehen,
welches Regime Saddam Hussein hatte. Man würde erkennen, dass er
fast die gesamte Bevölkerung von Sozialhilfe (z.B.
Lebensmittelabgaben) abhängig gemacht hat. Die USA versuchen diese
Art der Sklaverei zu beseitigen. Ich beurteile das Vorgehen der USA
als sehr fortschrittlich, sogar revolutionär.
In Deutschland ist viel vom
irakischen "Widerstand" die Rede. Welchen Charakter hat Ihrer
Meinung nach dieser "Widerstand" und hat er eine Massenbasis?
Der hier groß bezeichnete "Widerstand"
wird nur von Saddams Anhängern geführt. Diese Banden Saddams sind
zwar jetzt aktiv und töten immer wieder US Soldaten. Aber die USA
und seine Alliierten werden diesen Sumpf bald trocknen. Ich denke,
dass die Politik mancher Länder, allen voran die Türkei, gerne eine
amerikanische Niederlage sehen wollen. Ich gebe die Prognose, dass
es nicht lange dauern wird, bis die Koalition im Irak diesen "gern
gesehenen Widerstand" vernichten wird.
Wie beurteilen die kurdischen
Organisationen die neue Lage?
Da der Volkskongress Kurdistan eine neue
friedliche demokratische Seite zwischen kurdischen Organisationen
öffnet, wird er sowohl von PDK unter Herrn Mesud Barzani und von PUK
unter Herrn Celal Talabani, der zur Zeit Regierungsratpräsident ist,
gut geheißen.
Wie stellt sich Ihre Organisation die
Zukunft in der Region vor?
Wir sind der Meinung, dass ohne
Demokratisierung der Region das Kurden-Problem nicht gelöst wird.
Und ohne Lösung des Kurden-Problems wird die Region nicht
demokratisiert. Deshalb fordern wir auf, dass das Kurdenproblem im
jeweiligen Land friedlich gelöst wird. Die Länder Türkei, Syrien und
Iran müssen sich im Sinne der demokratischen Verständnisse ändern.
Wir denken, dass in einer Region, die
einst die Wiege für die Zivilisation der Menschheit war, durch
Demokratisierung eine Völkerunion, ähnlich der Europäischen Union,
von Türken, Kurden, Arabern, Juden, Palästinensern, Persern,
Assyrern möglich sein könnte.
Wie schätzen Sie die Rolle der USA
ein? Wie stehen Sie zur Existenz Israels in der Region?
Die Rolle der USA wird immer darauf
reduziert die Ressourcen der Region zu besetzen. Ich denke
allerdings das Gegenteil. Die USA bringen dorthin den Fortschritt
und die Demokratie. Ohne diese Demokratie kann man den religiösen
Fundamentalismus und Rassismus nicht zurückdrängen. Die
Demokratisierung bringt die Stabilität und somit wird die Welt Ruhe
finden.
Der Volkskongress Kurdistan sieht Israel
ebenso wie die USA als strategischen Partner und würde gerne
zusammenarbeiten. Außerdem glauben wir, dass der Staat Israel hier
eine führende Rolle durch seine demokratischen Strukturen und
technisches Know-How spielen kann. Das jüdische Volk ist eines der
ältesten Völker in dieser Region und die Kurden haben mit diesem
Volk historische Beziehungen. Wir würden uns sehr freuen, wenn die
nach Israel ausgewanderten Juden wieder in ihre Heimat nach
Kurdistan zurückkehren würden. Die Kurden werden diese Menschen mit
Freude aufnehmen.
Was halten Sie von der
Berichterstattung in den deutschen Medien zur Situation im Irak?
Ich habe schon erwähnt, dass ich die
Berichterstattung in deutschen Medien nicht für den Tatsachen
entsprechend halte. Hier berichtet man nur von negativen
Ereignissen, aber man berichtet überhaupt nicht welche Fortschritte
im Irak erreicht wurden. Ich denke, dass das mit der Staatspolitik
zu tun hat. Deutschland hat sich gegen den Krieg im Irak gestellt,
um seine Geschäftsbeziehung mit Irak weiter zu führen. Nun hat
Deutschland seine BBB Linie (Berlin Belgrad Bagdad) verloren. Die
Befreiung der versklavten Bevölkerung kommt hier kaum zur Sprache.
Wie berichten die türkischen Medien
über den Irak?
Die türkischen Medien sind vom
Generalstabschef gelenkt. Er verbietet den Journalisten sogar, zur
Pressekonferenz des Volkskongresses Kurdistan zu kommen. Die Türkei
will nicht, dass die Region demokratisiert wird. Die Länder Türkei,
Syrien und Iran haben nur das Interesse, den alten Status quo
beizubehalten. Die Türkei nur die negativen Seiten.
Ich bin ins 40-köpfige Exekutivkomitee
gewählt worden. Daher möchte ich zum Schluss im Namen des
Volkskongresses Kurdistan den Terroranschlag in Istanbul auf die
Synagogen aufs Schärfste verurteilen und an die demokratischen
Kräfte appellieren, dass sie gegen den islamistischen Terror und
Rassismus mit dem kurdischen Volk zusammenarbeiten. In den 90'er
Jahren hat die türkische Generalität gegen Kurden die Gotteskrieger
scharf gemacht. Wir haben Tausende Intellektuelle zu beklagen. Heute
ist der politische Islam in der Türkei an der Macht. Diese Banden
haben besten Nährboden, sich erneut zu formieren und gegen Juden,
Christen und Kurden vorzugehen.
Das Interview führte Max Brym
hagalil.com
20-11-2003 |