Aufstand israelischer Araber:
Chronologie der Ereignisse im September und Oktober 2000
Ha’aretz, 01.09.2003
Englische Version:
http://www.haaretz.com
Dienstag, 12. September 2000
Der Leiter des nördlichen Polizeidistrikts, Alik Ron, bittet beim
Leiter der Ermittlungsabteilung, Yossi Sedbon, um die Genehmigung,
gegen den Vorsitzenden der Hadash-Partei, Knessetmitglied Mohammed
Barakeh, ermitteln zu dürfen. Barakeh wird verdächtigt, arabische
Bürger im Norden des Landes anzustiften, Polizisten anzugreifen.
Mittwoch, 13. September 2000
Der oberste Ausschuss der israelischen Araber trifft sich infolge
der Entscheidung, gegen Barakeh zu ermitteln, in Kafr Manda. Am Ende
des Treffens sagt Knessetmitglied Abdulmalik Dehamshe (von der
Vereinigten Arabischen Liste): "Wir werden jeden Polizisten schlagen
oder gewalttätig angreifen, und wir werden seine Hände brechen, wenn
er kommt, um ein arabisches Haus zu zerstören.... Infolge von Alik
Rons Hetze stehen wir am Rand einer Intifada israelischer Araber."
Donnerstag, 14. September 2000
Infolge des Mordes an dem 52jährigen Nabieh Nussier findet in
Nazareth ein Generalstreik statt. Die offizielle Begründung dafür
lautet, gegen die "Inkompetenz der Polizei bei der Handhabung von
Gewalt und Verbrechen" zu protestieren.
Sonntag, 1. Oktober 2000
In Umm al Fahm, Tamra, Nazareth, Furdeis und anderen Dörfern brechen
unter israelischen Arabern gewalttätige Demonstrationen aus. Zwei
israelisch-arabische Bürger – Mohammed Mahmud Jabarin und Ahmed
Ibrahim Siyyam Jabarin - werden getötet. Misleh Abu Jarad, ein
Bewohner aus Dir al Balah, der in Umm al Fahm demonstriert, wird
ebenfalls getötet. Der Bürgermeister von Umm al Fahm, Ra’id Salah,
wird verletzt. Die israelische Polizei versetzt eine große Anzahl
von Truppen in die Gebiete, in denen die größten Spannungen
herrschen. Ein Busfahrer der israelischen Autobus-Kooperative
"Egged" wird an der Kreuzung Wadi Ara von mehreren Jugendlichen aus
der Gegend angehalten. Er wird gezwungen auszusteigen. Anschließend
setzen die Jugendlichen den Bus in Brand.
Die Welle der Gewalt im Norden eskaliert. In vielen Gebieten kommen
Polizisten unter Beschuss. Die Demonstranten werfen
Molotow-Cocktails und die Gewalt breitet sich in die Gegend von Gush
Segev und in die Altstadt von Akko aus. Der Leiter des nördlichen
Polizeidistrikts, Alik Ron, ruft die Führer des arabischen Sektors
auf und sagt: "Diejenigen, die aufgehetzt haben, müssen die
Demonstranten mit ihren eigenen Körpern aufhalten."
Umm al Fahm
Während einer Demonstration in der Stadt werden drei Demonstranten
getötet und 75 verletzt. Die meisten werden durch Gummigeschosse nur
leicht verletzt und erhalten im Ort medizinische Behandlung. 12
Demonstranten werden in der Nähe ins Krankenhaus gebracht. Dutzende
von Demonstranten stehen Polizisten und Grenzpolizisten, die am
Eingang der Stadt positioniert sind, gegenüber. Die Polizisten, die
von Scharfschützen unterstützt werden, versuchen zu verhindern, dass
die Wadi-Ara-Straße blockiert wird. Misleh Abu Jarad wird durch ein
Polizeigewehr getötet und Dutzende von Jugendlichen werden verletzt.
Am Nachmittag ziehen sich die Polizisten von der Kreuzung am
Stadteingang zurück, weil Hunderte von Jugendlichen die Straße mit
brennenden Reifen blockieren.
Westliches Galiläa
Ahmed Jenaiem und Waleed Abu Saleh aus Sachnin und Ala Khaled
Mansour und Aseel Atili aus Arabeh werden bei Konfrontationen in der
Nähe von Lotam im Gebiet von Gush Segev und im Westteil von Sachnin
getötet. Polizisten schießen mit Gummigeschossen und mit Tränengas
auf die Demonstranten. Einige Bürger aus den Straßen von Akkos
Altstadt beginnen mit echter Munition auf Polizisten zu schießen.
Polizisten schießen mit Gummigeschossen und Tränengas zurück.
Mehrere Bürger werden verletzt und ins Krankenhaus von Nahariya
gebracht. Tumulte gibt es auch in Kafr Nahef, Kafr Manda und
Tarshiha.
Nazareth
Demonstranten, manche von ihnen maskiert, werfen Steine, verbrennen
Reifen, plündern und zünden Geschäfte an. In den Morgenstunden wird
Eyad Sobhi Lawabni aus Nazareth während einer Konfrontation mit der
Polizei getötet. Am Nachmittag wird Lawabnis Leiche aus dem
Englischen Krankenhaus geholt und in der Friedensmoschee in der
Stadt aufgebahrt. Am Abend wird eine Frau aus Nazareth schwer
verletzt, als während einer Demonstration auf sie geschossen wird.
Etwa 100 Bürger werden bei den gewalttätigen Ereignissen verletzt.
Ein Polizist wird leicht verletzt. Die Polizei vertreibt Dutzende
Bürger aus Kfar Mashad, die sich dem Har-Yona-Gebiet im oberen Teil
von Nazareth nähern. Die Bürger zerstören Auto- und Häuserfenster.
Kafr Kana
Den ganzen Tag über gibt es große Tumulte. Dutzende von Bürgern
werden Steine und Molotow-Cocktails auf eine Polizeieinheit, die
infolge einer Demonstration von Hunderten von Bürgern an der
Kreuzung Beit Rimon den Zugang zu dieser Kreuzung versperrt.
Megido-Kreuzung
Ya’akov Ben-Hamo aus dem Kibbutz Beit Alpha wird, während er von Umm
al Fahm zur Megido-Kreuzung fährt, von arabischen Jugendlichen
angegriffen. Die Araber zwingen ihn, sein Auto zu verlassen und
setzen es dann in Brand.
Haifa
Im Wadi-Nisna-Viertel von Haifa wird eine Kreuzung von 300
Demonstranten blockiert, die Steine werfen und Reifen anzünden. Die
Polizei sperrt die Straßen der Gegend ab. Der Bürgermeister von
Haifa, Amram Mitzna, kommt in das Gebiet. Mit Hilfe von
Knessetmitglied Isam Makhoul und arabischen Mitgliedern des
Stadtrates gelingt es ihm, die Demonstranten zu beruhigen. Die
Polizei verhaftet sechs Demonstranten.
Baka al Garbiyeh
Am Abend werden drei Bänke in Brand gesetzt.
Dienstag, 3. Oktober 2000
Westliches Galiläa
Ramez Abas Bushnark auf Kafr Manda wird während einer
Auseinandersetzung mit der Polizei nahe dem Eingang des Dorfes
getötet, ein weiterer Jugendlicher wird schwer verletzt. Dutzende
von Bürgern geraten mit der Polizei aneinander, die den Zugang zur
Hauptstraße, die zum Gush-Misgav-Block führt, versperrt. Arabische
Quellen sagen, Ramez Abas sei aus der Nähe in den Kopf geschossen
worden, als er sich während einer Konfrontation zwischen der Polizei
und einer Gruppe von Bürgern hinter einem Baum versteckte. Ramez
Abas und der verwundete Jugendliche werden in einem Krankenwagen in
ein Krankenhaus gebracht. Die Polizei teilt mit, dass die Abteilung
für Ermittlungen gegen Polizeibeamte die Umstände dieses
Vorkommnisses untersuchen wird. "Die Polizisten in der Gegend wurden
von Hunderten mit Steinen, Flaschen und Leuchtraketen angegriffen.
Sie erwiderten diese Angriffe. Doch die Aussage, dass auf jemanden,
der sich versteckte, aus der Nähe geschossen wurde, ist nicht wahr",
sagte der Sprecher der Region Galiläa, Kobi David.
Zehntausende nahmen an den Beerdigungen von Emad Faraj Ghanem und
Waleed Abu Saleh aus Sachnin und an den Beerdigungen von Ala Khaled
Mansour und Aseel Asaleh aus Arabeh teil. In den Dörfern blieb es
die meiste Zeit des Tages über ruhig. Doch nach den Beerdigungen
nahmen Dutzende von Bürgern an gewalttätigen Auseinandersetzungen
mit der Polizei teil.
Um die Dörfer herum brachen große Feuer aus. Flugzeuge halfen, die
Feuer zu löschen. Mehrere Bewohner aus Lotam mussten evakuiert
werden. Die Polizei vermutet, dass israelische Araber die Wälder in
Brand gesetzt haben. Es wurden jedoch keine Verhaftungen
vorgenommen.
Die Altstadt von Akko
Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizisten. Bewohner
berichten, dass ein Demonstrant schwer verletzt wurde.
Nazareth
Tausende nehmen an der Beerdigung von Nazareth-Bewohner Eyad Subhi
Lawabny teil, der während den Auseinandersetzungen mit der Polizei
getötet wurde. Demonstranten verbrennen Autoreifen und werfen
Steine. Polizisten schießen mit Tränengas und Gummigeschossen. Der
Bürgermeister von Nazareth, Ramez Jerayssi sagt, Scharfschützen
schossen von umliegenden Dächern auf die Demonstranten.
Turan
Dutzende von Bürgern versuchen, die Kreuzung zu blockieren, von der
aus man in Richtung Turan fährt. Polizisten werfen Tränengas und
schießen mit Gummigeschossen auf die Demonstranten.
Kafr Kana
Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Hunderten von Bürgern,
die sich nahe der Beit-Rimon-Kreuzung am Eingang des Dorfes
versammelt haben. Die Demonstranten blockieren die Kreuzung. Die
Polizei setzt Tränengas und Gummigeschosse gegen sie ein.
Mittwoch, 4. Oktober 2000
Jaffa
Hunderte von Bürgern verbrennen Reifen und schlagen auf Journalisten
ein. Eine Versammlung, die vom Komitee für Jaffas Araber in der
Yeffet-Straße organisiert wurde, artet in eine gewalttätige
Demonstration aus, bei der Steine geworfen und Reifen verbrannt
werden. Die Reaktion der Polizei ist zurückhaltend. Doch als die
Situation eskaliert, werden acht Verdächtige wegen Störung der
öffentlichen Ordnung verhaftet. Fünf Personen werden leicht
verwundet, drei von ihnen sind Journalisten.
Donnerstag, 5. Oktober 2000
Kafr Kana
Hunderte von Bewohnern nehmen an der Beerdigung eines Bürgers aus
Kafr Kana teil, der während der Auseinandersetzungen getötet worden
war. Die Trauernden werfen Steine und verletzen den 45jährigen Yigal
Abu, einen Bürger aus Tiberias, der in seinem Wagen vorbeifährt. Ein
privater Krankenwagen auf Kafr Kana bringt ihn in ein Krankenhaus
nach Nazareth.
Freitag, 6. Oktober 2000
Tiberias
Hunderte von jüdischen Jugendlichen randalieren durch die Straßen
von Tiberias. Sie werfen brennende Reifen gegen eine Moschee in der
Stadt und versuchen, arabische Bürger tätlich anzugreifen.
Jerusalem
Dutzende von ultraorthodoxen Jugendlichen werfen Steine auf
arabische Fahrzeuge, die durch die Shmu’el-Hanavi-Straße und durch
die Ma’alot-Daphna-Straße fahren. Die Polizei wird gerufen. Die
Jugendlichen greifen auch palästinensische Arbeiter in der
Shmu’el-Hanavi-Straße an. Die Palästinenser fliehen auf das Dach
eines nahegelegenen Hauses und werden von der Polizei unverletzt in
Sicherheit gebracht.
Samstag, 7. Oktober 2000
Oberes Nazareth
Dutzende von jüdischen und arabischen Jugendlichen bewerfen sich in
der Nähe des Einkaufszentrums mit Steinen. Das Einkaufszentrum liegt
in der Nähe des östlichen Viertels des arabischen Teils von
Nazareth. Im Zentrum des oberen Nazareth werden Steine auf arabische
Autos geworfen.
Or Akiva
Zwischen Juden und Arabern bricht in einem Einkaufszentrum der Stadt
ein Handgemenge aus. Eine Polizeieinheit, die vor Ort erscheint,
wird angegriffen. Auf eines der Gebäude in der Stadt wird ein
Molotow-Cocktail geworfen.
Sonntag, 8. Oktober 2000
Tel Aviv und Umgebung
Tausende von Juden nehmen an gewalttätigen Handlungen gegen
israelische Araber teil. Im Hatikva-Viertel von Tel Aviv werden drei
Appartments, die Arabern gehören, in Brand gesetzt. Hunderte
Bewohner des Viertels setzen sich mit der Polizei auseinander und
rufen "Tod den Arabern". Die Demonstranten zwingen die arabischen
Angestellten des Restaurants Avazi, das Gebäude zu räumen und setzen
es dann in Brand. Auch zwei Autos, die Arabern gehören und vor dem
Gebäude parken, werden angezündet. In Jaffa, Bat Yam und Petach
Tikva randalieren Juden.
Nazareth
Zwei Araber aus Nazareth werden während einer Konfrontation zwischen
Araber und Juden im oberen Nazareth getötet. Die Polizei weist die
Verantwortung für die Schießereien zurück und untersucht, ob
jüdische Demonstranten die Schießereien verursacht haben.
Montag, 9. Oktober 2000
Nazareth
Hunderte von jüdischen Bürgern betreten das Einkaufszentrum am
Südende von Nazareth, zerbrechen Glasscheiben und zünden zwei Autos
an.
Karmiel
Etwa 1.000 Juden randalieren in Karmiel. Die Polizei berichtet, dass
Bürgermeister Rafi Eldar, der vor Ort versucht, die Gewalt zu
beenden, angegriffen und leicht verletzt wird.
Bat Yam und Petach Tikvah
Juden randalieren in Bat Yam und Petach Tikvah und zerstören
arabisches Eigentum.
21. Oktober 2000
Im Schatten der Gewalt und der Berichte, dass echte Munition gegen
Zivilisten benutzt wurde, entscheidet der damalige Ministerpräsident
Ehud Barak, eine öffentliche Untersuchungskommission zu ernennen,
"um das Verhalten der Polizei während der Auseinandersetzungen mit
arabischen Demonstranten zu untersuchen". Infolge des Drucks der
Familien derjenigen, die während der Oktober-Unruhen getötet worden
waren, verkündet das höchste arabische Komitee, dass es mit der
Untersuchungskommission nicht zusammen arbeiten wird und fordert
stattdessen die Ernennung einer staatlichen Untersuchungskommission.
8. November 2000
Die Regierung beschließt, eine staatliche Untersuchungskommission
einzusetzen, die "die Ausschreitungen zwischen Sicherheitskräften
und israelischen Zivilisten" untersuchen soll.
Bericht der Or-Kommission:
Polizei
ist verantwortlich für den Tod arabischer Randalierer
Am Montag veröffentlichte die Or-Kommission die
Ergebnisse ihrer Untersuchung. Darin werden ranghohe Sicherheitsbeamte
kritisiert, bei den Aufständen israelischer Araber im Oktober 2000
fahrlässig gehandelt zu haben...
Übersetzung Daniela Marcus
hagalil.com
02-09-2003 |