"Aussicht auf große Veränderungen im Nahen Osten":
Scharon kündigt Räumung jüdischer Siedlungen an
Israels Premier zu
"schmerzhaften Kompromissen" bereit, Scharfer Protest aus Teilen der
Regierungskoalition
Von Thorsten Schmitz
Jerusalem – Israels Premierminister Ariel
Scharon hat in einem Interview angekündigt, Israel werde im Rahmen
des Friedensprozesses jüdische Siedlungen räumen. Nähere Angaben zum
Zeitpunkt oder dazu, um welche Siedlungen es sich im Westjordanland
und im Gaza-Streifen handele, machte der Regierungschef nicht. In
dem Interview mit der linksliberalen
Tageszeitung Haaretz sagte Scharon auch, das Ende der irakischen
Diktatur habe die Friedenschancen im Nahen Osten erhöht: "Das
Vorgehen der USA im Irak hat eine Erschütterung im ganzen Nahen
Osten ausgelöst, und es bringt die Aussicht auf große Veränderungen
mit sich." Israels Beziehungen zu den arabischen Anrainerstaaten und
zu den Palästinensern könnten nun verbessert werden.
Die Nominierung von Machmud Abbas zum neuen
palästinensischen Ministerpräsidenten sieht Scharon positiv. Abbas
verstehe, dass es unmöglich sei, Israel durch Terrorismus zu
besiegen. Gleichzeitig wiederholte Israels Premierminister, dass die
Bildung eines Palästinenserstaates „unvermeidlich“ sei, auch im
Interesse Israels: "Man muss die Dinge realistisch betrachten: Am
Ende wird es einen palästinensischen Staat geben." Er glaube nicht,
dass Israel über ein anderes Volk herrschen und dessen Schicksal
bestimmen solle, sagte Scharon.
Die Wiederbesetzung fast aller autonomer
Palästinenserzonen bezeichnete Scharon als temporär. Er wiederholte
seine Forderung an die Palästinenser, die Gewalt gegenüber Israel
einzustellen und ihre Forderung nach einem generellen Rückkehrrecht
palästinensischer Flüchtlinge aufzugeben. Erst dann könne überhaupt
an Verhandlungen gedacht werden. In puncto Siedlungsräumungen wollte
sich Scharon auf konkrete Angaben nicht festlegen. Es sei "noch zu
früh". Scharon sprach von Kompromissen, die "für jeden Juden und
mich persönlich schmerzhaft sind". Israels Geschichte sei an Plätze
wie Bethlehem, Schilo und Beit El gebunden: „Ich weiß, dass wir uns
von einigen dieser Orte trennen müssen.“ Bethlehem ist
palästinensisches Autonomiegebiet und war im Juni von Israel nach
palästinensischen Anschlägen wieder besetzt worden.
Die Äußerungen Scharons lösten prompt Protest
innerhalb seiner Regierungskoalition aus. Die National-Religiöse
Partei sowie die Nationale Union drohten mit dem Auszug aus der
Koalition, sollte Scharon ernsthaft die Räumungen jüdischer
Siedlungen in Erwägung ziehen. Israel hatte im Sechs-Tage- Krieg
1967 das Westjordanland und den Gaza-Streifen erobert und errichtete
seitdem dort kontinuierlich jüdische Siedlungen. Im Westjordanland
leben 1,7 Millionen Palästinenser und 200000 jüdische Siedler in
etwa 150 jüdischen Siedlungen. Im Gaza-Streifen leben ungefähr 1,3
Millionen Palästinenser und 5000 jüdische Siedler in schwer
bewachten Ortschaften entlang der Mittelmeerküste. Die jüdischen
Siedler werden jeden Tag rund um die Uhr von Tausenden israelischer
Soldaten geschützt. Die meisten Bewohner pendeln tagsüber zur Arbeit
ins israelische Kernland. Die Mehrheit der Siedler besteht aus
Juden, die den Siedlungsbau religiös rechtfertigen, und sich dabei
auf das Alte Testament berufen.
Unterdessen war aus der palästinensischen Führung
verlautet, es gebe Streit zwischen Abbas und Palästinenserpräsident
Jassir Arafat über die künftigen Minister. Abbas will nun nach
Angaben von Gewährsleuten selbst in Personalunion das Amt des für
die Sicherheit zuständigen Innenministers bekleiden. Zuvor hatte es
Gerüchte gegeben, Abbas wolle dafür den früheren Sicherheitschef im
Gaza-Streifen, Mohammed Dachlan, benennen; Arafat dagegen wolle
entweder den derzeitigen Innenminister im Amt behalten oder aber ein
Fatach-Mitglied einsetzen. Dachlan gehört nicht Arafats
Palästinensergruppe an.
hagalil.com
14-04-03 |