Interview mit Israels Premierminister Ariel Sharon
Auszüge aus einem Interview, das
Ha’aretz-Korrespondent Ari Shavit mit Premierminister Ariel Sharon
führte, Ha’aretz,
13.04.2003
.... Ha’aretz: Herr Premierminister Sharon, wir
befinden uns derzeit in einer erstaunlichen historischen Situation. Die
Realität um uns herum verändert sich radikal. Ist diese neue Realität
des Nahen und Mittleren Ostens nach dem Fall des Irak von Ihrem
Standpunkt aus betrachtet verheißungsvoll oder gefährlich? Gut oder
schlecht für Israel?
Ariel Sharon: Die irakische Führung war eine
schreckliche und mörderische. Schon vor 20 Jahren verstand sie, dass es
unmöglich war, irgendwo eine islamische Bombe zu erwerben, und deshalb
musste sie selbst hergestellt werden. Somit ist die Beseitigung dieses
irakischen Regimes, das eine Bedrohung darstellte, auf jeden Fall eine
Erleichterung. Doch sie bedeutet nicht, dass alle Probleme, denen wir
gegenüber stehen, beseitigt sind. Der Iran macht alle nur möglichen
Anstrengungen, um Massenvernichtungswaffen herzustellen, und er ist
damit beschäftigt, ballistische Flugkörper zu produzieren. Libyen bemüht
sich sehr, Nuklearwaffen zu erwerben. Diese Entwicklung in diesen
Ländern ist gefährlich und ernst. Auch in Saudi-Arabien gibt es ein
Regime, das hiesigen Terrororganisationen Wirtschaftshilfe gibt.
Ha’aretz: Meinen Sie damit, dass das, was im Irak
passiert ist, auf die eine oder andere Art auch im Iran, in Libyen und
in Saudi-Arabien geschehen wird?
Ariel Sharon: Bezüglich des Irak zeigten die USA
Führungsqualität auf höchster Ebene. Ich glaube nicht, dass es
realistisch ist zu denken, dass sofort nach Ende dieses einen Feldzuges
ein nächster beginnen wird. Selbst eine Supermacht hat ihre Grenzen.
Wenn man gewinnt, ist man bis zu einem gewissen Grad auch geschwächt.
Doch wir stehen der Möglichkeit gegenüber, dass hier
eine andere Periode beginnen wird. Der Feldzug im Irak verursachte dem
gesamten Nahen und Mittleren Osten einen Schock, und er bringt eine
Aussicht auf große Veränderungen mit sich. Es gibt nun eine Gelegenheit,
eine andere Beziehung zwischen uns und den arabischen Staaten, zwischen
uns und den Palästinensern zu kreieren. Diese Gelegenheit darf nicht
versäumt werden. Ich beabsichtige, diese Dinge mit aller Ernsthaftigkeit
zu prüfen.
Ha’aretz: Denken Sie, es gibt eine Aussicht, in
absehbarer Zukunft eine Vereinbarung zu erreichen?
Ariel Sharon: Dies hängt zu allererst und vor allem
von den Arabern ab. Eine Vereinbarung verpflichtet zu einer anderen Art
von Führung – zu einem Kampf gegen den Terror und zu einer Reihe von
Reformen. Sie verpflichtet zu einem absoluten Ende der Hetze und zur
Demontierung aller Terrororganisationen. Wenn es eine Führung geben
wird, die diese Dinge versteht und sie ernsthaft durchführt, dann
existiert eine Möglichkeit, eine Vereinbarung zu erzielen.
Ha’aretz: Betrachten Sie Abu Mazen als einen Führer,
mit dem es Ihnen möglich sein wird, solch eine Vereinbarung zu erzielen?
Ariel Sharon: Abu Mazen versteht, dass es unmöglich
ist, Israel durch Terror zu bezwingen.
Ha’aretz: Eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft
wird vermutlich das Telefon läuten. Der Präsident der Vereinigten
Staaten wird am Apparat sein. Er wird Ihnen sagen: "Arik, ich habe eine
existenzielle Bedrohung von Israel abgewandt, ich habe eine Revolution
in der ganzen Region verursacht. Nun bist du an der Reihe, deinen
Beitrag zu leisten. Also, gib uns bitte Netzarim!" (Netzarim ist eine
isolierte Siedlung im Gazastreifen)
Ariel Sharon: Es gibt Dinge, für die wir bereit sind,
weitreichende Schritte zu unternehmen. Wir sind bereit, sehr
schmerzhafte Schritte zu gehen. Doch es gibt eine Sache, die ich
Präsident Bush schon oft gesagt habe: Ich machte in der Vergangenheit
keine Zugeständnisse, ich mache jetzt keine Zugeständnisse, und ich
werde auch in Zukunft keine Zugeständnisse machen, die in irgendeiner
Hinsicht die Sicherheit Israels gefährden. Ich erklärte Präsident Bush,
dass dies die historische Verantwortung ist, die ich für die Zukunft und
für das Schicksal des jüdischen Volkes trage. Sie sollten das wissen –
bezüglich des Themas Sicherheit gibt es keine Zugeständnisse. Wir werden
diejenigen sein, die letztendlich entscheiden, was für Israel gefährlich
und was ungefährlich ist.
Ha’aretz: Und was ist mit Netzarim?
Ariel Sharon: Ich möchte jetzt keine Diskussion über
spezifische Orte führen. Dies ist ein heikles Thema und es besteht keine
Notwendigkeit, so viel darüber zu reden. Doch wenn sich herausstellt,
dass wir jemanden haben, mit dem wir reden können, wenn sich
herausstellt, dass die andere Seite versteht, dass Frieden weder Terror
noch die Unterwanderung des israelischen Staates bedeutet, dann sage ich
definitiv, dass wir Schritte gehen müssen, die für jeden Juden und für
mich persönlich schmerzhaft sind.
Ha’aretz: Ist dieser Ausdruck "schmerzhafte
Zugeständnisse" nicht eine hohle Phrase?
Ariel Sharon: Ganz bestimmt nicht. Dieser Ausdruck
kommt aus der Tiefe meiner Seele. Sehen Sie, wir sprechen über die Wiege
des jüdischen Volkes. Unsere gesamte Geschichte ist mit diesen Orten
verbunden. Bethlehem, Shiloh, Beit El. Und ich weiß, dass wir uns von
einigen dieser Orte verabschieden müssen. Es wird einen Abschied von
Orten geben, die mit dem gesamten Verlauf unserer Geschichte verbunden
sind. Als Jude quält mich dies. Doch ich habe beschlossen, jede
Anstrengung zu unternehmen, eine Vereinbarung zu erzielen. Ich fühle,
dass die rationale Notwendigkeit, eine Vereinbarung zu erzielen, meine
Emotionen besiegt.
Ha’aretz: Sie gründeten Siedlungen und Sie glaubten an
die Siedlungen und förderten sie. Sind Sie nun darauf vorbereitet, die
Evakuierung isolierter Siedlungen ins Auge zu fassen?
Ariel Sharon: Wenn wir eine Situation des wahren
Friedens erreichen, des realen Friedens, des Friedens, der sich über
Generationen erstreckt, werden wir schmerzhafte Zugeständnisse machen
müssen. Nicht im Austausch für Versprechungen, sondern im Austausch für
Frieden.
.... Ha’aretz: Haben Sie wirklich die Idee von "Zwei
Staaten für zwei Völker" angenommen? Planen Sie tatsächlich, Westisrael
zu teilen?
Ariel Sharon: Ich glaube, dass dies geschehen wird.
Man muss die Dinge realistisch sehen. Letzten Endes wird es einen
palästinensischen Staat geben. Ich betrachte die Dinge vor allem aus
unserer Perspektive. Ich glaube nicht, dass wir über ein anderes Volk
regieren und deren Leben beherrschen sollten. Ich glaube nicht, dass wir
die Kraft dafür haben. Dies ist eine schwere Last für die Öffentlichkeit
und bringt ethische und große wirtschaftliche Probleme mit sich.
Ha’aretz: Aber unter Ihrer Führung ging Israel wieder
dazu über, palästinensische Städte direkt zu kontrollieren.
Ariel Sharon: Unser Aufenthalt in Dschenin und in
Nablus ist temporär. Unsere Anwesenheit in diesen Städten wurde nötig,
um israelische Bürger vor Terrorakten zu schützen. Es ist keine
Situation, die andauern kann.
Ha’aretz: In der Vergangenheit sprachen Sie über ein
langfristiges Interimsabkommen. Glaubten Sie nicht an eine dauerhafte
Lösung und an ein Ende des Konflikts?
Ariel Sharon: Ich bin der Meinung, dass gegenwärtig
Möglichkeiten geschaffen wurden, die vorher nicht existierten. Die
arabische Welt im allgemeinen und die Palästinenser im besonderen wurden
aufgerüttelt. Deshalb gibt es nun eine Möglichkeit, ein Abkommen
schneller zu erreichen, als die Leute denken.
Ha’aretz: Die israelische Öffentlichkeit hat Sie
zweimal mit großer Mehrheit gewählt, weil sie wollte, dass Sie Yassir
Arafat in die Schranken verweisen und ihn schachmatt setzen. Haben Sie
dies getan?
Ariel Sharon: Ich denke, einer unserer Erfolge ist,
dass wir die Augen von vielen Leuten über die wahre Natur der
Palästinensischen Autonomiebehörde und der Person, die sie anführt,
geöffnet haben, und somit haben wir Yassir Arafat irrelevant gemacht.
Als ich diesen Ausdruck "irrelevant" in der Vergangenheit gebrauchte,
schockierte dies viele unserer Unterstützer.... Doch am Ende wurde
Arafat irrelevant.
Ha’aretz: Fürchten Sie nicht, dass Sie vielleicht den
Kampf gegen Arafat und gegen den Terror gewonnen haben, doch in der
Angelegenheit des palästinensischen Staates und der Siedlungen verloren
haben? Nach allem steht nun die "road map" auf der Agenda, und diese ist
für Israel nicht sehr angenehm.
Ariel Sharon: Wir unterstützten die Prinzipien, die
Präsident Bush in seiner Rede vom 24. Juni 2002 präsentiert hat. Solange
sich die Skizze dieser Rede anpasst, ist die "road map" für uns
akzeptabel. Bezüglich des letzten Entwurfs, der uns zugesandt wurde,
haben wir 14 oder 15 Vorbehalte, die ich dem Weißen Haus genannt habe.
Ha’aretz: Welches sind die hauptsächlichen Vorbehalte?
Ariel Sharon: Das Hauptthema ist die Sicherheit. Wie
der Terror behandelt wird. Es gibt in dieser Angelegenheit keinen
Unterschied in der Meinung, jedoch einen Unterschied in der Benutzung
der Worte.
Die zweite Sache ist die der Umsetzung der einzelnen
Schritte. Das gemeinsame Verständnis zwischen den USA und uns ist, dass
es keinen Übergang von einem Schritt zum nächsten gibt, ohne dass der
vorherige Schritt zu Ende geführt wurde. Der entscheidende Faktor ist
nicht der Fahrplan, sondern dessen Durchführung. Deshalb ist das Thema
dieser Stationen von vorrangiger Bedeutung für uns.
Unser dritter Vorbehalt betrifft das Recht auf
Rückkehr. Dies stellt auf jeden Fall ein Problem dar.
Ha’aretz: Ist Ihre Bereitschaft, einen
palästinensischen Staat anzuerkennen, abhängig davon, dass die
Palästinenser auf das Rückkehrrecht verzichten?
Ariel Sharon: Wenn es jemals ein Ende des Konfliktes
geben wird, dann müssen die Palästinenser zuvor das Recht des jüdischen
Volkes auf eine Heimat anerkennen und die Existenz eines unabhängigen
jüdischen Staates in der Heimat des jüdischen Volkes. Ich denke, dies
ist eine Bedingung für das, was ein Ende des Konfliktes genannt werden
kann. Dies ist keine einfache Sache. Selbst in den Abkommen, die wir mit
Ägypten und Jordanien unterzeichnet haben, war dies unmöglich..... Dies
sind wichtige Abkommen, sehr wichtige, doch sie brachten kein Ende des
Konfliktes. Das Ende des Konfliktes wird nur erreicht werden, wenn das
Recht des jüdischen Volkes auf eine Heimat anerkannt werden wird.
Ha’aretz: Dies hat mit dem Ende des Prozesses zu tun.
Denken Sie, dass der Kompromiss über das Rückkehrrecht davor kommen
muss?
Ariel Sharon: Diese Angelegenheit muss von Anfang an
geklärt sein.
.... Ha’aretz: Haben Sie das Gefühl, dass sich die
düstere und gewalttätige Periode der letzten drei Jahre einem Ende
nähert?
Ariel Sharon: Ich werde jede nur mögliche Anstrengung
unternehmen, sie zu einem Ende zu bringen. Ich beabsichtige nicht,
passiv dazusitzen. In dem Moment, in dem ein palästinensischer Staat
Formen annimmt, plane ich, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich werde nicht
abwarten, bis das Telefon klingelt....
siehe auch:
Schwerpunkt:
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13-04-03 |