hebraeisch.israel-life.de / israel-tourismus.de / nahost-politik.de / zionismus.info
Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
 
Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

Jüdische Weisheit
Hymne - Israel
Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!
Advertize in haGalil?
Your Ad here!

Israels sicherer Weg in die Armut:
Die Not im Schatten des Krieges

Streikende Rabbiner, fehlende Bürgersteige, Fußballstadien ohne Rasen - Der Kampf gegen die Intifada ist so teuer, dass der Staat seine Angestellten kaum noch bezahlen kann

Von Thorsten Schmitz

Mitzpe Ramon - Sonja Orlev ist 45 Jahre alt und arbeitet in der Küche eines staatlichen Kindergartens in der israelischen Wüstenstadt Mitzpe Ramon. An fünf Tagen in der Woche bereitet sie Frühstück und Mittagessen zusammen mit einer Kollegin für 21 hungrige Kinder. Sie selber hat einen zwölfjährigen Sohn und eine 14-jährige Tochter, die in die Schule gehen. Sonja Orlev ist geschieden, seit drei Jahren lebt sie mit den Kindern allein, das Einkommen ist mager, 600 Euro monatlich.

Um ihren Kindern wenigstens einen Kinobesuch zu ermöglichen, flickt die Mutter nach der Arbeit löchrige Blusen und Hosen ihrer Nachbarn. Bislang kam Orlev damit über die Runden, seit drei Monaten jedoch kann sie nachts nicht mehr schlafen. Die Stadtverwaltung hat ihr seit Juni keinen Lohn mehr überwiesen. "Meine Eltern schießen mir jetzt Geld zu", sagt sie. Das wenige Ersparte habe sie längst aufgebraucht, und zum jüdischen Neujahrsfest vor einer Woche gab es diesmal keine Geschenke.

Die Schlagzeilen über den Nahost-Konflikt drängen eine Not an den Rand: Die steigende Armut, von der längst auch die Mittelschicht betroffen ist. Im Kampf gegen die palästinensische Intifada gibt Israel Hunderte Millionen Dollar für die Sicherheit aus. Um die Mehrausgaben im Verteidigungshaushalt zu decken, kürzt Finanzminister Benjamin Netanjahu rigoros, auch bei den Kommunen. Selbst Gehälter werden einbehalten.

Der Zorn der Araber

Der Bürgermeister von Sachnin, Mohammed Baschir, sitzt an seinem Schreibtisch, rückt die Brille zurecht und zieht die Schultern hoch: "Ich kann meine Angestellten nicht mehr bezahlen. Ich habe kein Geld mehr." Dass Sachnin der Geldhahn abgedreht wurde, macht sich allerorts in der 25 000 Einwohner zählenden arabischen Stadt im Norden Israels bemerkbar. Bürgersteige fehlen oder wurden nie fertiggestellt, in der Hauptstraße lauern Schlaglöcher, in den Schulen teilen sich bis zu 40 Kinder einen Lehrer. Im Stadion für die Fußballmannschaft Bnei Sachnin gibt es nicht mal einen Rasen, geschweige denn Umkleidekabinen für die Kicker, die doch den israelischen Landespokal gewannen und sich so für die Teilnahme am Uefa-Cup qualifizierten. Der Verein muss deshalb auf Leihstadien ausweichen.

Bürgermeister Baschir sagt, er habe eine kaputt gewirtschaftete Stadtverwaltung von seinem Amtsvorgänger übernommen, aber er macht auch die Regierung in Jerusalem für das Defizit verantwortlich. Der jüdische Staat pumpe einfach weniger Geld in arabische Städte. Sachnin habe keine ausgewiesenen Industriezonen, in denen sich große Firmen niederlassen, weshalb Sachnin hohe Steuereinnahmen fehlten. Immer wieder müsse er sich von den eigenen Angestellten fragen lassen, wie sie ohne Einkommen über die Runden kommen sollen. Der Sprecher der Vereinigung arabischer Kommunen, Abed Inbitawi, sagt, die Defizite der arabischen Kommunen, die sich auf etwa 500 Millionen Euro beliefen, seien auch darauf zurückzuführen, "dass wir von Israel diskriminiert werden und weniger Geld erhalten als jüdische Kommunen".

Jakov Pekcha ist Rabbiner und arbeitet im Religiösen Rat (Rabbanut) in Petach Tikva nahe Tel Aviv. Sein Aufgabenbereich umfasst Hochzeiten, Beerdigungen und das Überwachen von koscheren Schlachtungen. In Israel werden nur von Rabbinern vollzogene Hochzeiten anerkannt, auch Beerdigungen werden von staatlich angestellten Rabbinern vollzogen. Doch Jakov Pekcha sowie 7000 staatliche Rabbiner verweigerten am vorigen Sonntag für einige Tage den Dienst; Tote wurden nicht beerdigt, Fleischhändler vermeldeten einen Mangel an koscherem Rindfleisch, und vielerorts wurden Hochzeiten abgesagt, weil kein Rabbiner für Trauungen aufgetrieben werden konnte und auch das Erscheinen der Hochzeitsgäste angesichts des landesweiten Streiks nicht gesichert war. Auch die Rabbanute haben seit Monaten keine Gehälter zahlen können. Rund 70 Millionen Dollar schulde der Staat seinen Rabbinern an Löhnen, sagt Pekcha. Manche Rabbiner ernährten ihre kinderreichen Familien, indem sie Kredite aufnähmen. Andere hätten mit Tränen in den Augen gesagt, ihre Kühlschränke seien leer.

Die drei Beispiele illustrieren eine Not im jüdischen Staat, die inzwischen deutlich sichtbar ist: Immer mehr arme Menschen betteln in den Großstädten, suchen in Abfalleimern nach Essbarem. Nach neuesten Erhebungen der Regierung leben 450 000 Familien unterhalb des Existenzminimums. Alle paar Monate vollzieht sich in Israel daher dasselbe Schauspiel: Der mächtige Gewerkschaftsdachverband Histadrut legt das Land lahm. Am Dienstag stellten hunderttausende Angestellte von See- und Flughäfen ihre Arbeit ein, Angestellte der Bahn, der Telefongesellschaft Besek, der Wasserwerke Mekorot, sämtlicher Behörden sowie der Post, Krankenhäuser und Gerichte.

Diesmal allerdings ging es nicht darum, dass die Histadrut Lohnerhöhungen verlangt und einen Stopp der Privatisierungen. Sie will, dass überhaupt Löhne ausgezahlt werden. Etwa 20 000 Angestellte des öffentlichen Dienstes in 57 Kommunen haben zum Teil seit Monaten keine Gehälter mehr erhalten und deshalb ihre Ersparnisse angebrochen.

Der Chef von Histadrut, Amir Peretz, erklärte Israel zum "Drittwelt-Land", in dem der Staat seine Angestellten verhungern lasse. Am Mittwoch wurde der Arbeitskampf auf Beschluss des Arbeitsgerichts zunächst für beendet erklärt. Das salomonische Urteil lautete: Alle Arbeiter, von denen die meisten nur aus Solidarität mit den 20 000 Kommunalangestellten mitgestreikt hatten, mussten an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Der Staat muss dafür die ausstehenden Gehälter noch vor Beginn des Laubhüttenfestes in der nächsten Woche auszahlen.

Alles bleibt im Dunkeln

Dass die Löhne einbehalten wurden, ist nach Ansicht von Finanzminister Netanjahu, der die israelische Wirtschaft auf neoliberale Art sanieren will, allein die Schuld der Kommunen. Bürgermeister kleinerer Kommunen hätten im Laufe ihrer Amtszeit zudem ein System der Vetternwirtschaft errichtet, in denen Verwandte und Bekannte Stellvertreter-Posten zugeschachert bekommen haben sollen oder sichere Jobs in der Stadtverwaltung, ohne ausreichende Erfahrung zu haben. Die Kommunen hätten zudem jahrzehntelang Misswirtschaft betrieben und bei leeren Kassen stets auf Ausgleichszahlungen des Staates spekuliert.

Ein Sanierungskonzept aus dem Finanzministerium, dem sich die hoch verschuldeten Kommunen nun verpflichten müssen, sieht drastische Einsparungen vor. Geplant ist ein massiver Stellenabbau, Angestellte sollen sich wie der private Sektor an ihrer Alterssicherung beteiligen, zudem sind generelle Lohnkürzungen vorgesehen. Der Gewerkschaftsdachverband Histadrut lehnte den Plan als sozial ungerecht ab und droht trotz des Streikendes mit weiteren Arbeitskämpfen - zusätzlich mit "ungewöhnlichen Streikmethoden". Es sollen nun nicht, wie bisher bei jedem Streik, Passämter geschlossen und die Müllentsorgung ausgesetzt werden, sondern auch ganze Straßenzüge und Städte im Dunkeln bleiben. Bereits zu Beginn des Jahres hatten die Kommunen für Stunden nachts alle Straßenlaternen ausgeschaltet. Dies hatte dem Streik zu einem größeren Medienecho verholfen, aber auch zu negativen Schlagzeilen. Zwei Passanten wurden in den pechschwarzen Nächten von Autofahrern übersehen - und überfahren.

Ansichten aus Israel

Wie Israel immer ärmer wird:
Die zwanzig Plagen und die Intifada

hagalil.com 27-09-04

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved