Palästina in der Phase der britischen Mandatsherrschaft 1918/22 bis
1939
Teil 2:
Zionistische
Reaktionen auf arabischen Nationalismus und britische
Kolonialpolitik von der vierten Alija bis zum Eintritt
Großbritanniens in den Zweiten Weltkrieg (1924-1939)
Von Daniel L.
Schikora
Anfänge des zionistischen 'Revisionismus'
Als Reaktion auf die gewalttätigen Manifestationen
des arabisch-nationalistischen Antizionismus zu Beginn der 1920er
Jahre, sowie auf eine britische Politik, die – ungeachtet ihres
erneuerten Bekenntnisses zum Postulat der Errichtung einer jüdischen
Heimstätte westlich des Jordan – auf eine Beschwichtigung der
traditionellen arabischen Eliten einschließlich der
Al-Husseini-Familie ausgerichtet war, formierten sich
nicht-sozialistische Zionisten 1925 zu der Partei der
"Revisionisten". Diese rechtsbürgerliche Partei rekrutierte sich
primär aus den jüdischen Einwanderern der vierten Alija, in deren
Verlauf 1924–1931 etwa 82 000 Juden sich in Palästina ansiedelten.
Die meist polnischen Immigranten der vierten Einwanderungswelle
trugen maßgeblich zu einer Urbanisierung der jüdischen Gemeinschaft
Palästinas bei. So wuchs die Einwohnerzahl der 1909 begründeten
jüdischen Hafenstadt Tel Aviv innerhalb weniger Jahre von 3600
(1921) auf 40 000 (1925) an.(1) Als
kompromißlose Nationalisten unterwarfen die Anhänger der
revisionistischen Partei die aus ihrer Sicht defaitistische,
jedenfalls auf reine Selbstverteidigung sich beschränkende Strategie
der sozialistischen Mehrheit und der Hagana einer scharfen Kritik.
Vladimir Jabotinsky, der Wortführer der
"Revisionisten", proklamierte maximalistische
Territorialforderungen, nach denen ein künftiger jüdischer
Nationalstaat nicht nur das westlich des Jordan gelegene Palästina,
sondern auch rein arabisch besiedelte Gebiete wie "Jordanien"
umfassen sollte. Die zentrale Prämisse der radikal-nationalistischen
Konzeption Jabotinskys, war die prinzipielle Unvereinbarkeit
zwischen dem zionistischen Bestreben, einerseits eine unabhängige
jüdische Republik (und keineswegs nur eine durch Fremdherrschaft
garantierte "Heimstätte in Palästina" [Hervorhebung durch D.
S.], wie in der Balfour-Erklärung vorgesehen [vgl.
Teil 1]) ins Leben zu rufen, und den
archaischen Vormachtansprüchen des arabischen Nationalismus, der auf
Kategorien des Kalifats zurückgriff, andererseits. Jabotinskys
Partei wurde von ihren Gegnern als "faschistisch" gebrandmarkt (2),
zumal ihre Forderungen an Mussolinis Postulate der extensiven
Territorialerweiterung des italienischen Nationalstaates erinnerten.
Kennzeichnend für die prinzipielle Kompromißlosigkeit
einer "Politik der Stärke", wie sie Jabotinskys "Revisionisten"
gegenüber der arabischen Bevölkerung Palästinas propagierten, war
die Berufung Jabotinskys auf die durchaus erfolgreiche Politik der
kolonialen Inbesitznahme Australiens durch europäische Einwanderer;
dem palästinensisch-arabischen Nationalismus sollte – analog zu
etwaigen Unabhängigkeitsbestrebungen der australischen Ureinwohner –
das historische Schicksal der (macht-)politischen
Bedeutungslosigkeit vorbehalten bleiben. Allerdings vermag die
Reminiszenz an koloniale Siedlungsprojekte des 19. Jahrhunderts
nicht darüber hinwegzutäuschen, daß Jabotinskys Auffassungen in
Einklang standen mit der auch in Europa und Nordamerika
vorherrschenden Apologie von "Befriedungs"maßnahmen, wie sie von den
verfeindeten Mächten Türkei und Griechenland ergriffen wurden, die
sich mittels des erzwungenen Transfers des größten Teils ihrer
nationalen Minoritäten entledigten. Die völkerrechtliche Absegnung
eines Bevölkerungsaustauschs, in dessen Ergebnis 1,5 Mio. Griechen
aus Kleinasien vertrieben wurden und auf der anderen Seite 450.000
Türken ihrer angestammten Heimat durch den Friedensvertrag von
Lausanne (24.7.1923) verlustig gingen, rief in der Öffentlichkeit
Westeuropas und der Vereinigten Staaten im allgemeinen keinen
ernstzunehmenden Protest hervor.
Die "revisionistische" Prämisse einer Notwendigkeit
der Verwirklichung des zionistischen Projekts gegen den Willen einer
dauerhaft intransingenten arabischen Mehrheitsbevölkerung gewann in
den Augen vieler Angehöriger des Neuen Jishuv, aber auch der
jüdischen Gemeinschaften in der Diaspora an Plausibilität, als die
Juden Palästinas im Sommer 1929 mit einer erneuten Welle der Gewalt
gegen Zivilisten konfrontiert wurden. Als maßgeblich verantwortlich
für diese Kampagne des Terrors kann der Großmufti Amin al Husseini
angesehen werden. Dessen Agitation richtete sich nicht
ausschließlich gegen die zionistischen Bestrebungen auf dem
Territorium Palästinas, sondern vielmehr auch gegen jene orthodoxen
Juden, die das zionistische Bestreben, eine souveräne jüdische
Entität in Palästina zu begründen, schroff ablehnten und
nichtsdestotrotz den gewalttätigen Übergriffen arabischer
Nationalisten sich ausgesetzt sahen. Eine Woche nachdem die
militante Jugendorganisation der "Revisionisten", Beitar, als
Reaktion auf arabische Angriffe auf an der Klagemauer betende
orthodoxe Juden für das zionistische Anliegen demonstriert hatten,
verübten Anhänger des Großmufti in Hebron ein Massaker an den dort
beheimateten nichtzionistischen Juden.(3)
Die britische Reaktion auf diese Greueltat, welche
von London als Konsequenz der jüdischen Einwanderung klassifiziert
und zunächst zum Anlaß für eine Kehrtwende der Kolonialpolitik
Großbritanniens zuungunsten des zionistischen Anliegens genommen
wurde, (4) bestärkte einen Teil des Neuen
Jishuv, insbesondere die Parteigänger von Jabotinskys
"Revisionisten", in der Auffassung, daß das britische Kolonialregime
in einem grundsätzlich antagonistischen Verhältnis zu den jüdischen
Emanzipationsbestrebungen stehe. Andererseits hielt Weizmann
ungeachtet der nachhaltigen Erschütterung über das Massaker von
Hebron im August 1929 an seiner prinzipiellen Bereitschaft, mit den
Repräsentanten der palästinensischen Araber zu einem Konsens zu
finden, fest, in der Hoffnung, die arabische Seite zufriedenstellen
zu können, ohne das Ziel der Schaffung einer jüdischen Heimstätte
aufgeben zu müssen. Auch David Ben-Gurion, der Repräsentant
der sozialistischen Mehrheit der Zionisten in Palästina, ging nach
wie vor von der Berechtigung eines Dialogs mit der Zielsetzung einer
konsensualen Lösung des zionistisch-arabischen Interessenkonflikts
aus, eine Haltung, wie sie sich in dem Festhalten der Hagana an der
Prämisse der bloßen Selbstverteidigung manifestierte.(5)
Nach dem Ausbruch des arabisch-nationalistischen Aufstands im Jahre
1936 dokumentierte sich die Unvereinbarkeit des politischen
Programms der gemäßigten zionistischen Sozialisten mit dem der
militanten Nationalisten der revisionistischen Partei, als letztere
die militärische Organisation Irgun Zvai Leumi als von der
Hagana unabhängige und bald mit ihr in Konkurrenz tretende
Untergrundorganisation konstituierten, welche bereit war, ein
unabhängiges jüdisches Palästina ohne Rücksicht auf die politischen
Interessen des arabischen Bevölkerungsteils sowie der britischen
Kolonialmacht zu erkämpfen.
Die britische Kolonialpolitik gegenüber Juden und Arabern
Die Balfour-Erklärung vom November 1917 dokumentiert
einerseits das britische Versprechen, die "Errichtung einer
nationalen Heimstätte in Palästina für das Jüdische Volk" zu
unterstützen; andererseits wurde in dieser Erklärung allerdings Wert
darauf gelegt, "daß nichts getan werden darf, was die Bürgerrechte
und religiösen Rechte der in Palästina lebenden nicht-jüdischen
Bevölkerung oder die Rechte und den politischen Status der Juden
irgendeines anderen Landes nachteilig betrifft".(6)
Durch diese Feststellung stellte London nicht nur den Anspruch des
Zionismus als einer Nationalbestrebung aller Juden implizit
in Frage, indem es vor möglichen Gefahren für nicht dem
zionistischen Konzept verpflichtete Juden außerhalb Palästinas
warnte und deren Interessen somit als den zionistischen Bestrebungen
potentiell zuwiderlaufend charakterisierte. Vielmehr wurde auch,
anstelle einer – von den Zionisten erhofften – Anerkennung der
Legitimität eines souveränen jüdischen Staatswesens auf dem
Territorium Palästinas, eine dauerhafte auswärtige Verwaltung dieses
Territoriums nahegelegt, deren Aufgabe darin bestehen würde,
zwischen den Interessen des Jishuv und der nicht-jüdischen
Bevölkerung zu vermitteln und notfalls die anerkannten Rechte der
beiden Entitäten gegenüber den Vormachtansprüchen der jeweils
anderen Partei in autoritärer Weise durchzusetzen.
Im Hinblick auf den in der Balfour-Erklärung implizit
zum Ausdruck gebrachten Anspruch Londons, als neutrale Ordnungsmacht
zu fungieren, mußte Weizmann diese Erklärung in ihrer letztgültigen
Fassung als "schmerzvollen Rückzug" (von dezidiert prozionistischen
Entwürfen) betrachten, da das Postulat der Gewährleistung von mit
zionistischen Hoheitsansprüchen der Tendenz nach kollidierenden
(Partizipations-)Rechten der nicht-jüdischen Bevölkerung "als so
enge Begrenzung unserer Arbeit interpretiert werden kann, daß sie
einer völligen Lahmlegung gleichkommt".(7)
Nachdem 1921 Palästina geteilt und "Jordanien" einer arabischen
Hoheitsmacht überlassen worden war (8),
erklärte Großbritanniens Kolonialminister Winston Churchill im Juni
1922:
"Nicht Palästina als Ganzes sollte eine jüdische National-Heimstätte
werden."
Die jüdische Einwanderung (in das westlich des Jordan
gelegene Palästina) könne "nicht über der wirtschaftlichen
Aufnahmefähigkeit des Landes liegen" – ein Prohibitiv, der die
britische Kolonialverwaltung dazu legitimieren sollte, das
zionistische Postulat einer nationalen Heimstätte für alle
verfolgten Juden der Diaspora zu konterkarieren und gemäß
politischen Opportunitäten die Immigration einzuschränken oder
gänzlich zu unterbinden. Das Weißbuch Churchills postulierte zudem
die Gründung eines Gesetzgebungsrates, der "durch möglichst
allgemeine Wahlen bestimmt werden" solle.(9)
Angesichts der überwältigenden arabischen Majorität im Mandatsgebiet
Palästina zu Beginn der 1920er Jahre würde eine Beteiligung des
Jishuv an der Konstituierung eines solchen Repräsentativorgans – aus
zionistischer Sicht – einer Einwilligung in einen dauerhaften
Minderheitenstatus gleichgekommen sein; die britische Mandatsmacht
ihrerseits würde die Möglichkeit erhalten haben, als unverzichtbare
Schutzmacht einer im Status einer Minorität verharrenden jüdischen
Gemeinschaft in Palästina aufzutreten. Freilich verwarfen auch die
Repräsentanten der palästinensischen Araber die Idee eines
Legislativrates, da die arabisch-nationalistisch ausgerichtete Elite
die Legitimität der Mandatsherrschaft nicht anzuerkennen bereit war.
Während die Repräsentanten des Neuen Jishuv die britische Präsenz in
Palästina prinzipiell respektierten und die Briten daher der
Jewish Agency als Repräsentanz der Juden Palästinas politische
Partizipationsrechte zugestanden, vermochte die (1936 aufgelöste)
Arabische Exekutive Palästinas keinen wesentlichen Einfluß auf
die Institutionen der Mandatsherrschaft und somit auf einen
Entkolonialisierungsprozeß zu nehmen, wie er in der einseitigen
Ausrufung Israels 1948 einen aus der Sicht des arabischen
Nationalismus unerfreulichen Abschluß fand.(10)
Ungeachtet der scharfen und im Hinblick auf die
Intransingenz arabisch-nationalistischer Einrichtungen und
Persönlichkeiten durchaus einseitigen Angriffe des britischen
Simpson-Berichts von 1930 auf jüdische Institutionen wie die
Gewerkschaft Histadrut, denen eine maßgebliche Verantwortung für die
ethnische Segregation und die tendenzielle Marginalisierung der
arabischen Mehrheitsbevölkerung zugeschrieben wurde (11),
und der demonstrativen Bekundung des Willens der britischen
Regierung, die jüdische Immigration zu unterbinden, kam es in den
folgenden Jahren zu einer verstärkten Einwanderung nach Palästina.
Diese fünfte Alija hatte ihre Ursache in erster Linie in dem
regierungsoffiziellen Antisemitismus in Polen und, nach der
Machtübernahme Hitlers im Januar 1933, im Deutschen Reich, der die
jüdischen Bevölkerungen existentieller Bedrohung aussetzte. So
fanden zwischen 1932 und 1938 rund 200.000 Juden aus Deutschland
oder Polen in Palästina eine neue Heimat und entkamen so den
Konsequenzen des eliminatorischen Antisemitismus der deutschen
Nationalsozialisten.
Nicht nur gegen die Immigration von Zehntausenden in
Europa verfolgter Juden, sondern auch gegen die britische
Kolonialmacht, die sich weigerte, die nach dem Massaker von Hebron
offiziell proklamierten antizionistischen Zielsetzungen zu
verwirklichen, richtete sich eine im April 1936 ausbrechende
arabische Erhebung. Deren Initiatoren rekrutierten sich aus der
Anhängerschaft des
Arabischen Hochkomitees – eines Gremiums unter dem
beherrschenden Einfluß des Großmufti und von dessen panislamischer
Konzeption –, welches die Arabische Exekutive Palästinas
substituiert hatte. Unter dem Eindruck dieser Insurrektion, die von
dem faschistischen Italien und Hitler-Deutschland zeitweilig durch
Waffenlieferungen unterstützt wurde, militärisch aber gleichwohl
aussichtslos blieb, schlug die britische Royal Commission
unter Earl Peel 1937 eine Teilung des Territoriums Palästinas
(westlich des Jordan) in drei Teile vor: Im Nordwesten sollte den
Zionisten die Schaffung eines kleinen Staatswesens gestattet werden,
dessen Territorium die Städte Tel Aviv, Haifa, Nazareth und Tiberias
einschließen sollte, wohingegen Samaria, Judäa und der Negev in den
Staatsverband der Monarchie Abdullahs in (Trans-) Jordanien
integriert werden könnten. Ein Korridor, der Jerusalem, Bethlehem
und Jaffa umfassen würde, sollte unter britischer Schutzherrschaft
bleiben. Trotz der ablehnenden Reaktion religiöser zionistischer
Juden auf den Teilungsvorschlag angesichts der von ihnen erwarteten
Zugeständnisse im Hinblick auf den künftigen Status von Judäa und
Samaria entschied sich die gemäßigte zionistische Exekutive dafür,
den Plan zu unterstützen. Auf der anderen Seite erklärten die Führer
der palästinensischen Araber ihre Ablehnung einer Inkorporation
Galiläas in einen jüdischen Staat, der in diesem Falle die
Hoheitsgewalt über das Siedlungsgebiet Hunderttausender von Arabern
erhalten würde.(12)
Nachdem Großbritannien bis 1939 weitere bewaffnete
Rebellionen, die der Zurückweisung des Peel-Plans durch die
arabisch-palästinensische Führung folgten, militärisch
niedergeworfen und die koloniale Ordnung im Mandatsgebiet
wiederhergestellt hatte, gab es den Teilungsplan offiziell auf. Bis
März 1939 hatte die britische Strategie des appeasement (=
Beschwichtigung) gegenüber dem aggressiv-expansionistischen
NS-Deutschland, das die nationalstaatliche Neuordnung Europas von
1919 unter Berufung auf "großdeutsche" Reichseinigungspostulate in
radikaler Weise in Frage stellte, mit einer Politik der
militärischen Stärke gegenüber den antikolonialen Bestrebungen der
Araber koinzidiert. Nach dem deutschen Einmarsch in Prag
(15.3.1939), der eine militärische Auseinandersetzung auf dem
Kontinent wahrscheinlich werden ließ, sah sich die britische
Diplomatie jedoch zu Konzessionen gegenüber dem arabischen
Antizionismus genötigt, um die arabischen Eliten Palästinas (und
auch außerhalb dieses Territoriums) wenigstens zu einer neutralen
Haltung in einem künftigen kriegerischen Konflikt mit den
Achsenmächten zu verpflichten. So beschloß London in einem
Weißbuch über Palästina vom 17.5.1939, die Immigration
verfolgter Juden aus dem Machtbereich Hitler-Deutschlands in
drastischer Weise zu kontingentieren sowie den Landkauf durch Juden
Palästinas zu verbieten.
Die arabisch-palästinensischen Rebellionen gegen die
britische Mandatsherrschaft, die mit Gewaltakten gegen jüdische
Zivilisten einhergingen, wurden von den Revisionisten zum Anlaß
genommen, die Untergrundorganisation Irgun Zvai Leumi (Ezel) –
National Military Army als militärischen Arm des militanten
zionistischen Nationalismus ins Leben zu rufen. Diese Organisation
war aus der "Hagana B" hervorgegangen, einer Abspaltung der
gemäßigten Hagana, welcher auch angesichts der Erfahrungen von
1920/1 und 1929 und ungeachtet ihres "Defaitismus" von seiten der
Mandatsmacht selbst nach dem Ausbruch des arabischen Aufstandes 1936
ein legaler Status verwehrt und deren Strategie von den
Parteigängern Jabotinskys und Begins (13)
als gescheitert angesehen wurde. In der Phase der Insurrektionen der
palästinensisch-arabischen Parteigänger des Großmufti 1936–39
beantwortete der Ezel arabische Provokationen und Gewalttätigkeiten
mit militärischen und gegenterroristischen Handlungen, die neben
arabischen Kämpfern auch arabische Zivilisten betrafen. Solche
Gewaltakte, wie die Bombenanschläge auf arabische Zivilisten im Juli
1938, können freilich als militärisch kaum ins Gewicht fallend
eingestuft werden. Demgegenüber beschränkte sich die Hagana auf
Hilfeleistungen an die britische Mandatsmacht in Gestalt von
Spionage und Gegenspionage.(14)
Großbritannien entschloß sich, in Anbetracht der
grundsätzlichen Bereitschaft der radikalen arabischen Nationalisten
und Anhänger des Panislamismus zur bewaffneten Rebellion, kurz nach
dem Triumph der durch Rom und Berlin in entscheidender Weise
militärisch unterstützten nationalistischen Aufständischen gegen die
linksrepublikanische Regierung Spaniens und der Besetzung der
"Rest-Tschechei" durch Hitler-Deutschland zu einer Politik der
Zugeständnisse an die potentiellen Verbündeten der Achsenmächte in
Palästina, mithin zu einem erneuten, nunmehr in den
arabisch-islamischen Raum verlegten appeasement. Ungeachtet
dessen kann nicht in Abrede gestellt werden, daß die strategische
Position der Zionisten gegenüber der Mandatsmacht wie ihren
arabischen Antagonisten sich infolge der Ereignisse zwischen 1936
und 1939 insofern verbesserte, als einerseits – als Reaktion
auf den arabischen Generalstreik – die "Nationalisierungs"-Postulate
der sozialistischen Partei und der Gewerkschaft Histadrut zur
Geltung gebracht wurden: Der Widerstand jüdischer Arbeitgeber gegen
die Anerkennung des Prinzips der "jüdischen Arbeit" wurde
aufgegeben.(15)
Andererseits sahen sich die Briten durch das militärische
Kooperationsangebot der Hagana dazu veranlasst, ein Recht des Jishuv
auf Selbstverteidigung anzuerkennen und die gemäßigte jüdische
Selbstverteidigungsorganisation aus der Illegalität zu befreien.
Nachdem Großbritannien, Frankreich und die Dominions
als Reaktion auf den deutschen Überfall auf Polen im September 1939
Hitler-Deutschland den Krieg erklärt hatten, bekundeten
sozialistische und rechtsnationale Zionisten – abgesehen von einer
kleinen Minorität unter den militanten Nationalisten, die sich von
der Organisation des Ezel trennte und als "Kämpfer für die Freiheit
Israels" (Lechi) (16) sich dafür
entschied, Großbritannien als Hauptfeind kompromißlos zu bekämpfen –
ihre Solidarität mit der Mandatsmacht Großbritannien in deren
Konflikt mit NS-Deutschland und dessen "fünfter Kolonne" im Nahen
und Mittleren Osten. Während des Zweiten Weltkrieges rückte eine
große Anzahl junger Angehöriger des Jishuv freiwillig in die
britische Armee ein und sammelte im Kampf gegen die Achsenmächte
militärische Erfahrungen, die sich in den späteren militärischen
Auseinandersetzungen Israels mit dessen arabischen Nachbarstaaten
als nützlich erweisen sollten.
Daniel
Leon Schikora, 1977 in München geboren, 1999-2002 B.A.-Studium der
Geschichte und der Staatswissenschaften/Sozialwissenschaft an der
Universität Erfurt, Erwerb des B.A. im Herbst 2002, anschließend
M.A.-Studium der Geschichte.
Dieser Artikel erschien im Magazin "CAMPO de Criptana",
Heft 6, III/IV Quartal 2004.
Teil 1: Jüdisch-arabischer Antagonismus in
Palästina in den ersten Jahren nach dem Ende der osmanischen
Herrschaft
Anmerkungen:
(1) Siehe
Schreiber, Friedrich – Wolffsohn, Michael: Nahost. Geschichte und
Struktur des Konflikts. Opladen 1996, 74.
(2)
Vgl. ebd., 81.
(3)
Vgl. ebd., 78-9.
(4) So
empfahl das Passfield White Paper eine Unterbindung der Einwanderung
von Juden nach Palästina, um den Lebensstandard der arabischen
Bauern zu garantieren; allerdings nahm Großbritannien von einer
strikten Umsetzung dieser Empfehlung Abstand. Vgl. Krämer, Gudrun:
Geschichte Palästinas. Von der osmanischen Eroberung bis zur
Gründung des Staates Israel. München 2002, 274-5, sowie Herz,
Dietmar – Steets, Julia: Palästina. Gaza und Westbank. Geschichte,
Politik, Kultur. München 2001, 29.
(5)
Vgl. Schreiber – Wolffsohn, a. a. O., 79-80.
(6)
Zit. ebd., 29.
(7)
Said, Edward W. – Abu-Lughod, Ibrahim – Abu-Lughod, Jenet L. –
Hallaj, Muhammad – Zureik, Elia: Porträt des Palästinensischen
Volkes. Wien 1983, 14-5.
(8)
Die faktische Exkorporation Jordaniens aus dem künftigen
Mandatsgebiet Palästina durch Großbritannien erhielt ihre
völkerrechtliche Legitimation durch Art. 25 des Völkerbundmandats
vom 24.7.1922. Siehe Schreiber – Wolffsohn, a. a. O., 71-2.
(9)
Zit. ebd., 71.
(10)
Vgl. Herz – Steets, a. a. O., 29.
(11)
Vgl. Said u. a., a. a. O., 13-4.
(12)
Die Idee einer Teilung Palästinas in ein jüdisches und ein
arabisches Hoheitsgebiet sowie ein (britisch resp. international
verwaltetes) corpus separatum, welches die heiligen Stätten in
Jerusalem umfassen würde, findet sich in dem Teilungsplan der
Vereinten Nationen von 1947 wieder, auf dessen Grundlage die
souveräne Republik Israel sich konstituierte. Im Hinblick auf die
Grenzziehung erschienen jedoch sowohl der Peel-Plan von 1937 als
auch der VN-Teilungsplan aus arabischer wie aus zionistischer
Perspektive als mit der Schaffung lebensfähiger unitarischer
Nationalstaaten kaum vereinbar. Vor allem der Teilungsplan der UNO
legte eher eine Föderalisierung des britischen Mandatsgebiets nahe,
also die Bildung einer Föderation oder Konföderation auf der Basis
einer ethnopluralistisch konzeptionierten Verfassung. Statt dessen
nahm die unmittelbar nach ihrer Gründung am 14.5.1948 von ihren
arabischen Nachbarstaaten militärisch angegriffene jüdische Republik
den ersten arabisch-israelischen Krieg zum Anlaß, ihr Territorium zu
"arrondieren", indem sie auch Territorien inkorporierte, die der
VN-Teilungsplan den palästinensischen Arabern zugesprochen hatte.
Deren Hoheitsrechte wurden allerdings in eklatanter Weise auch durch
das Königreich Jordanien negiert, das im Ergebnis des Krieges gegen
Israel 1948/49 das Westjordanland und Ost-Jerusalem entgegen
völkerrechtlichen Normen eigenmächtig annektierte.
(13)
Menachem Begin, in den 1920er Jahren Präsident der polnischen
Sektion der zionistischen Jugendorganisation Beitar und Bewunderer
Jabotinskys, erklärte am 1.1.1944 als Kommandant des Ezel der
britischen Mandatsmacht den Krieg und wurde von dieser als
"Terrorist" zur Fahndung ausgeschrieben. Die im Rahmen der von Begin
proklamierten "Revolte" gegenüber den Briten angewandten
Guerrilla-Methoden wurden als durchaus erfolgversprechendes Modell
von der Nationalen Organisation Zypriotischer Kämpfer (EOKA)
übernommen, die 1955 den bewaffneten Kampf gegen die britische
Kolonialherrschaft mit dem Ziele einer Erzwingung des Rechtes der
Zypern-Griechen auf Vereinigung mit dem Mutterland (= Enosis)
begann. 1977–83 israelischer Premierminister, erklärte sich der
Hardliner Begin unter Vermittlung der US-Regierung Carter zu einem
Rückzug Israels von der Sinai-Halbinsel bereit, um im Gegenzug
Ägypten zu einer Anerkennung des israelischen Staates zu
verpflichten. Der im März 1979 unterzeichnete Friedensvertrag
zwischen Ägypten und Israel, für dessen Zustandekommen Begin und
Ägyptens Präsident Sadat den Friedensnobelpreis erhielten, brachte
das in Art. 2 der VN-Charta postulierte Prinzip der souveränen
Gleichheit erstmals in den Beziehungen zwischen der jüdischen
Republik und einem arabischen Staat zur Geltung.
(14)
Vgl. Schreiber – Wolffsohn, a. a. O., 103.
(15)
Siehe ebd., 95.
(16)
Vgl. ebd., 118.
hagalil.com
23-09-2004 |