Tabu-Bruch:
Ausstellung israelischer Soldaten
IDF untersucht Zeugenaussagen:
Fotodokumentation "Bruch des Schweigens"
"Soldaten erzählen": Eine Fotoausstellung, die seit
1. Juni in der Galerie des Seminars für Geografische Fotografie in
Tel Aviv zu sehen ist, hat eine breite Berichterstattung in den
israelischen Medien ausgelöst und für einen Schock in der
israelischen Armee (IDF) gesorgt...
Nach Ende ihrer Dienstzeit
zeigen israelische Soldaten in einer Ausstellung, wie in Hebron
Palästinenser gedemütigt und schikaniert werden
Von Thorsten Schmitz
Tel Aviv, im Juni - "Wir können nicht mehr
schweigen. Wir wollen, dass jeder Soldat in unsere Ausstellung
kommt. So etwas soll nicht mehr passieren." Micha Kurz ist 20 Jahre
alt, hat soeben nach drei Jahren Grundwehrdienst die Armee
verlassen, und die Sätze, die aus dem jungen Israeli heraussprudeln,
kommen mit einer zu großen Ernsthaftigkeit für jemanden in seinem
Alter. Manchmal schreckt Micha nachts hoch, heimgesucht von
Alpträumen, in denen geschossen wird und gedemütigt, und die
Rollenverteilung in seinen Träumen ist immer dieselbe: die
israelischen Soldaten sind stark, die Palästinenser sind schwach.
Kurz war in den drei Jahren seiner Dienstzeit
mehrere Monate in Hebron, dem vermutlich absurdesten Flecken in der
Kartographie des Nahost-Konflikts. In Hebron leben rund 700 extrem
radikale jüdische Siedler in fünf Enklaven inmitten von 130 000
Palästinensern. Fast kein Tag vergeht, in dem Hebron nicht in den
Nachrichten erwähnt wird, weil Siedler Palästinenser angreifen oder
Palästinenser Siedler. Mittendrin sollen Soldaten für Ruhe sorgen.
Die meisten haben gerade erst die Schule verlassen
und träumen dem Ende der Militärzeit und einem Urlaub in Indien oder
in Nepal entgegen. Was Hebron aus den Soldaten macht, dokumentiert
eine Aufsehen erregende Ausstellung in Tel Aviv: "Das Schweigen
brechen". Micha Kurz und 79 befreundete Soldaten, die alle ihren
Dienst abgeschlossen haben, zeigen Fotos, die sie in Hebron mit
ihren Kameras privat gemacht haben. Fotos von großer Sprengkraft,
die manchen Ausstellungsbesucher an die Bilder aus dem irakischen
Gefängnis Abu Ghraib in Bagdad erinnern. Auf ihnen sieht man
lächelnde Soldaten hinter gefesselten Palästinensern, denen die
Augen verbunden sind. Graffiti der Siedler sind auf den Fotos zu
sehen, "Palästinenser in die Gaskammer", steht auf einem. Ein
Siedler trägt auf seinem Maschinengewehr den Aufkleber "Tötet alle
Araber!"
Verstörend sind auch die Video-Interviews mit
Soldaten. Auf zwei Fernsehmonitoren beichten und berichten sie von
der "verrückten Realität" in Hebron, manche mit verzerrter Stimme
und verschwommenem Gesicht, um nicht erkannt zu werden. Ein junger
Ex-Soldat erzählt, an einem Tag habe einer seiner Kollegen einen
15-jährigen Palästinenser gezwungen, sich im höllenheißen Hochsommer
auf eine asphaltierte Straße zu legen, das Gesicht am Boden. Der
Soldat habe den Jungen verdächtigt, ein japanisches Taschenmesser
bei sich zu führen und habe einen anderen Palästinenser gezwungen,
den am Boden Liegenden zu durchsuchen. Der habe gezittert, geweint,
vor Angst in die Hosen gemacht. Am Ende der Demütigung ließ der
Soldat die beiden Jungs gehen - das Messer blieb Einbildung.
Ein anderer erzählt, seine Einheit habe
festgenommene Palästinenser gezwungen, patriotische israelische
Soldatenlieder zu singen. Manchmal, berichtet ein weiterer, hätten
die Soldaten Schockgranaten auf palästinensische Kinder geworfen,
"einfach so, um sich die Langeweile zu vertreiben". Ein Kommandant,
erfährt man in einem anderen Interview, ließ einmal eine Hochzeit
platzen, als er den Wagen des Brautpaars anhielt und die
Autoschlüssel konfiszierte. Die Braut habe geweint und gebettelt,
man möge ihre Hochzeit nicht zerstören, doch der Kommandant habe die
Schlüssel behalten. So musste das fein herausgeputzte Brautpaar zu
Fuß zurück nach Hause laufen.
Auf zwei Holzbrettern haben die Ex-Soldaten 60
Autoschlüssel aufgehängt - griffbereit, aber am falschen Platz. Es
sind Autoschlüssel von Palästinensern, konfisziert von israelischen
Soldaten und nie wieder zurückgegeben. Eine "übliche Art der
Bestrafung", erfährt der Ausstellungsbesucher. Jehuda Schaul, 21,
der die Ausstellung initiierte, sagt: "Erst jetzt realisieren wir,
dass wir unredliche Dinge angestellt haben." Die Ausstellung sei
auch ein Versuch, mit sich selbst wieder ins Reine zu kommen.
Bruch eines Tabus
Die Bilder und die Video-Aussagen haben bereits
heftige Reaktionen von Israelis ausgelöst, die in Fernsehen und in
Zeitungen den Ex-Soldaten Nestbeschmutzung vorwerfen. Kritik an der
Armee in Israel, obwohl in jüngster Zeit selbst von hoch angesehenen
Luftwaffenpiloten geäußert, kommt noch immer einem Tabubruch gleich.
Ob die Ausstellung tatsächlich bis zum 25. Juni geöffnet bleibt, ist
nicht sicher. Aufgeschreckt durch die Misshandlungen in Irak und die
weltweite Empörung hat Generalstabschef Mosche Jaalon Ermittlungen
wegen der Aussagen einiger Ex-Soldaten angeordnet.
IDF untersucht
Zeugenaussagen:
Fotodokumentation "Bruch des Schweigens"
"Soldaten erzählen": Eine Fotoausstellung, die seit
1. Juni in der Galerie des Seminars für Geografische Fotografie in
Tel Aviv zu sehen ist, hat eine breite Berichterstattung in den
israelischen Medien ausgelöst und für einen Schock in der
israelischen Armee (IDF) gesorgt...
Photos: hagalil.com, dg
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hagalil.com
09-06-04 |