Eine Analyse von Miriam Magall:
Allahs Sonne über dem Abendland?
Über die Möglichkeiten
eines friedlichen Nebeneinanders von Orient und Okzident...
Der Aufbruch des Abendlands
- 4.1 Europas Griff nach dem Orient
Damit (s.Teil 3) geht
die Zeit der großen Eroberungen und die Versuche einer Einnahme des
Abendlands durch muslimische Heere zu Ende. Das Kalifat von Bagdad
ist zerschlagen, die muslimische Welt von Marokko über Syrien und
Persien bis zum Herzen des Osmanischen Reiches, Istanbul, ist mit
sich selbst und ihren internen Intrigen und Machtkämpfen
beschäftigt.
Das ist die Stunde des Abendlands. Es wirft die
Beschränkungen des dumpfen Mittelalters ab und bricht auf zu neuen
Ufern. Die Entdeckungen, mit Christoph Kolumbus' (1451--1506)
Aufbruch nach Amerika zögerlich begonnen, überschlagen sich schon
bald: 1492 entdeckt Kolumbus Amerika, 1500 wird Brasilien, 1513 der
amerikanische Nordkontinent entdeckt, 1519--1521 umsegelt Fernão de
Magalhães zum ersten Mal die ganze Erde. In der gleichen Zeit
erobern die Spanier das Aztekenreich im heutigen Mexiko, ein paar
Jahre später, 1531--1534, ein weiterer Spanier, Francisco Pizarro,
das Inka-Reich. Damit verliert der Orient für Europa seine
Bedeutung.
Gleichzeitig beginnt die Europäisierung der Erde.
Engländer und Franzosen lösen Spanier und Portugiesen schon bald als
Großmächte ab und liefern sich einen Wettlauf um die Aufteilung
Afrikas und des Nahen und Fernen Ostens. England besetzt Afrika von
Ägypten (1882) aus in den Süden bis zum heutigen Südafrika.
Frankreich übernimmt das Protektorat über Tunesien (1881), bis 1914
hat es auch die Macht in Marokko und Algerien an sich gebracht.
4.1 Europas Griff nach dem Orient
Wie schon in Afrika teilen Frankreich und England,
nicht immer friedlich, die ehemals türkischen Gebiete unter sich
auf. Mesopotamien (1919), Palästina (1920) und Jordanien gehen an
Großbritannien, Syrien fällt an Frankreich.
Der Scherif Hussein von Mekka und König des Hedschas
(1896--1924), der dank der Unterstützung von Lawrence of Arabia das
osmanische Joch abwirft, ist Hüter der heiligen muslimischen
Stätten. Allerdings kann er sich dort nicht behaupten. Denn er wird
1924 von dem Wahhabiten aus Nedschd, Abd el-Asis Ibn Sa'ud
(1880--1969), aus dem Amt verjagt. Die Engländer arrangieren sich
mit den neuen Machthabern. 1932 werden der Hedschas und Nedschd zum
Königreich Saudi-Arabien vereinigt.
Bis zum 1. Weltkrieg bleibt der Irak türkische
Provinz. Mit deutscher Unterstützung verteidigen die Türken
1915--1917 das Land gegen die Briten, die nach dem Zusammenbruch des
Osmanischen Reiches 1918 eine eigene Herrschaft aufrichten. Als sich
die Iraker 1920 gegen die Briten erheben, werfen britische Truppen
sie nieder. Im Frieden von Sèvres wird der Irak 1921 britisches
Mandatsgebiet. Noch im gleichen Jahr wird Emir Feisal, ein Sohn des
Scherifs von Mekka, zum König des Irak ausgerufen. Aber diese Linie
der Haschemiten behauptet sich nicht lange auf dem irakischen Thron.
1958 schaffen nationalistische Offiziere unter der Führung von Abd
el-Karim Kassem nach einem Aufstand die Monarchie ab. Zusammen mit
seiner gesamten Familie wird König Feisal II. brutal ermordet, ihre
Leichen werden durch die Straßen von Bagdad geschleift.
Länger als Vater und Bruder in Mekka bzw. im Irak
behauptet sich dagegen der jordanische Zweig der Haschemiten auf dem
Thron. Im Jahr 1921 wird Abdallah ibn Hussein (1882--1951, ermordet)
Emir von Transjordanien. Sein Enkel, Abdallah II., ist bis heute
König von Jordanien.
Damit aber nicht genug: 1920 errichten die Engländer
ihr Mandat über Palästina, 1926 wird ein neuer Staaat, der Libanon,
im Norden davon gebildet.
Ein weiterer Emir mit dem Namen Feisal wird zum König
von Syrien proklamiert, aber nach blutigen Aufständen vertrieben,
nachdem Frankreich das Mandat über Syrien (1919) zugeteilt wird.
Auch in Ägypten bleiben die Engländer nicht tatenlos.
Seit einem Aufstand 1881/82 besetzen sie das Land und greifen immer
wieder in seine Geschicke ein. 1914 setzen sie den rechtmäßigen
Herrscher Abbas II. Hilmi ab und machen Ägypten zu einem
Protektorat, das sie jedoch schon 1922 wieder aufgeben. Allerdings
bleiben ihre Truppen im Land. 1936 verlassen die britischen Truppen
dann die Kanalzone und 1937 verzichten sie endlich auf ihre
Vorrechte.
Natürlich übernehmen die Menschen in den von
Engländern und Franzosen besetzten Gebieten auch die europäischen
Ideen von Nation, Freiheit und Selbstbestimmungsrecht. Diese stärken
den arabischen Nationalismus und das Streben nach nationaler
Selbständigkeit. Gleichzeitig entwickelt sich aber auch eine
Rückbesinnung auf ihre Glanzzeiten unter den Kalifen in der
Anfangszeit des Islam. Damit einher geht das Gefühl der Demütigung
durch die Europäer, die den Menschen im Nahen Osten ihre Kultur und
ihr Denken aufzwingen wollen. Eine gefährliche Mischung, wie sich im
Anschluss herausstellen soll.
hagalil.com
18-08-2005 |