Vorbilder für das ganze Land:
Frauen aus dem Nord-Irak
Von Golnaz Esfandiari
Radio Free Europe/Radio Liberty
Seitdem der Nordirak 1991 von Saddam Husseins
Regierung befreit wurde, spielen Frauen dort eine wachsend aktive
Rolle in der Gesellschaft und dem Prozess der Demokratisierung.
Beobachtern zufolge wurden im nördlichen Irak während der letzten
Jahre viele Frauengruppen und NGOs gegründet, die diese Region als
Vorbild für Frauen in anderen Teilen des Landes erscheinen lassen.
Prag, 2. April 2004 (RFE/RL) - Vor über zehn Jahren wurde der
Nordirak von den Pressionen des Ba'ath-Regimes erlöst. Seitdem hat
es für die Frauen aus dieser Region viele Fortschritte gegeben.
Überall im Nordirak entstanden Organisationen und NGOs, die sich für
die Anliegen von Frauen stark machen. Zufluchtsorte für Frauen in
Not wurden errichtet. Und viele Vorträge und Seminare über die
Rechte von Frauen haben stattgefunden. In irakisch-Kurdistan
besetzen Frauen wichtige Verwaltungsposten. Und einige Frauen wurden
sogar zu Richterinnen ernannt.
Einige Beispiele für die Arbeit solcher Frauen:
Nesreen Berwari, das einzige weibliche Mitglied des irakischen
Governing Council (sie entging am vergangenen Wochenende nur knapp
einem "Ehrenmord"-Versuch), stammt aus irakisch-Kurdistan, wo sie
Ministerin für Wiederaufbau und Entwicklung in der Regionalregierung
ist. Nesreen Ibrahim ist
Projektleiterin des "Women's Media and Education Center" der
nordirakischen Stadt Suleymanieh. Das Center gibt die
zweiwöchentliche Frauenzeitschrift "Rewan" ("Anleitung") heraus, die
auf kurdisch und arabisch erscheint. Ibrahim sagt, dass die
Ereignisse von 1991 viele Türen für Frauen im Nordirak geöffnet
haben, sich jetzt ihrer Rechte bewusst zu werden und ihre Stimmen zu
erheben. "Wir haben bis zu einem bestimmten Grad politische Freiheit
erreicht und Frauen haben die Chance zu einem Kampf bekommen, um die
Ketten abzustreifen, mit denen sie viele Jahre lang und durch die
ganze Geschichte hindurch gefesselt waren. Das ist das erste Mal,
dass kurdische Frauen überhaupt eine Stimme haben. Wir können jetzt
auch unsere Stimmen gegen all die Diskriminierungen oder die
gewohnte Gewalt gegen Frauen wie den Analphabetismus und andere
erheben", sagt Ibrahim. Chalura
Hadi ist Direktorin des "Khatuza Centers für soziale Aktion" in
Arbil, das ist eine lokale NGO, die kostenlose Computer- und
Internetkurse und außerdem Nähkurse für Frauen anbietet. Das Center
baut derzeit den ersten irakischen Frauen-Radiosender auf. Hadi
sagt, dass die Gesellschaft sich der Rechte von Frauen immer weiter
bewusst werde. "Wir haben immer noch eine Menge Herausforderungen
und Probleme anzugehen, aber die Hauptsache ist, dass es möglich
ist, daran zu arbeiten und dass sich die Gesellschaft öffnet und
mehr über die Rechte und Angelegenheiten von Frauen lernt", sagt
Hadi. Eine der wichtigsten
Errungenschaften der Frauen im Nordirak ist die Änderung des
irakischen Strafgesetzbuchs. 1990 waren im Artikel 111 des
Strafgesetzbuchs Männer, die ihre weiblichen Verwandten in
sogenannten "Ehrenmorden" getötet hatten, von Verfolgung und
Bestrafung ausgenommen worden. Aktivistinnen sagen, dass seit
Inkrafttreten dieses Gesetzes mehrere hundert Frauen durch deren
Ehemänner, Brüder, Väter oder durch andere männliche Verwandte
getötet wurden, bloß weil sie verdächtigt worden waren,
außereheliche Beziehungen zu haben. Unter dem Druck von
Frauenrechts-Aktivistinnen änderte das Parlament von
irakisch-Kurdistan 2002 dieses Gesetz - ein bedeutender Schritt zur
Ausrottung von tiefverwurzelter, akzeptierter Gewalt gegen Frauen.
Suaad Abdulrahman ist Projektleiterin von WADI, einer deutsche NGO,
die im Nordirak seit 1993 arbeitet. WADI stellt Zufluchtsorte für
Frauen zur Verfügung und engagiert sich im Kampf gegen alle Arten
von Gewalt gegen Frauen. Abdulrahman sagt, dass ihre Organisation
dabei ist, zwei neue Anlaufstellen für Frauen in Hauraman zu öffnen.
Das ist eine Region, in der bis vor einem Jahr von den Hardlinern
der Ansar-al-Islam-Splittergruppe die Befolgung strikter islamischer
Gesetze erzwungen wurde. "Ich
bin darüber sehr glücklich, weil, wie Sie wissen, seit ungefähr zehn
Jahren die Frauen von Hauraman unter der Kontrolle von Ansar
al-Islam leben mussten. Jetzt werden sie Anlaufstellen bekommen,
eine Basis, wo sie sich treffen können. Sie können sich dort über
ihre Probleme austauschen und beraten, wie sie ihre Fähigkeiten
verbessern und dazulernen", sagt Abdulrahman. Sie fügt hinzu, dass
die Verbesserung der Situation von Frauen ein zentraler Punkt für
die Demokratisierung der Gesellschaft sei und dass Frauen in anderen
Teilen des Iraks die Erfahrung der Frauen aus dem Nordirak als
Vorbild benutzen können. Einige Tagungen während der letzten Monate
haben es Frauen aus anderen Regionen des Iraks ermöglicht, mit
Frauen aus irakisch-Kurdistan über die Verbesserung ihrer
Lebensbedingungen zu sprechen. "Sie geben viele Ideen aus ihren
zwölf Jahren Erfahrung mit Frauenrechten weiter", sagt Abdulrahman.
Die Expertinnen sagen, dass trotz anderer Unterschiede zwischen
Kurdistan und dem Rest des Iraks die Frauen aus dem Norden darauf
bedacht sind, anderen Frauen im ganzen Land zu helfen. Allerdings
sagt Hadi aus Arbil, dass noch mehr Zeit benötigt wird, bis eine
Zusammenarbeit wirklich verwurzelt sein wird. "Wir haben schon eine
Menge erreicht und sie sollten dort versuchen, von uns zu lernen.
Ich glaube, es wird etwas Zeit brauchen, bis die beiden Nationen
zusammenkommen und einander zuhören werden. Im Moment ist es noch
so, dass Frauen, die in den Süden zu Versammlungen oder Seminaren
gereist sind, sehr unglücklich zurückkamen und sagten: Die Frauen
aus dem Südirak wollen uns nicht nur nicht zuhören, sondern wollen
auch nicht glauben, dass wir schon weiter sind als sie. Und dass das
ein Problem war. So glaube ich, dass wir mehr Dialog brauchen und
uns mehr aneinander gewöhnen müssen. Aber sicher sollten unsere
Erfahrungen angenommen werden, weil es sich um das beste Modell der
Region handelt", sagt Hadi.
Übersetzung: Robert Cohn
Wadi hilft bei Initialzündung:
Frauenkonferenz in Bagdad
Über 180 Frauen aus allen Teilen des Irak
treffen sich in Bagdad, um gleiche Rechte zu fordern. Gastgeber ist
die deutsch-österreichische Hilfsorganisation WADI...
hagalil.com
11-04-2004 |