arte MONTAG,
9. September 2002, 20.40h
Ein Manifest gegen den Fundamentalismus:
Das Schicksal
Youssef Chahines Hommage an den großen
Aristoteles-Vermittler Ibn Ruschd ist ein Manifest gegen den
Fundamentalismus von brennender Aktualität.
Soundfiles:
Am Hof des Kalifen im andalusischen Cordoba des
12.Jahrhunderts blühen Kunst und Lebensfreude. Doch eine fanatische
Sekte greift nach der Macht und stiftet den Kalifen dazu an, die
aufklärerischen Schriften seines Freundes Averroes - Ibn Ruschd zu
verbrennen.
Am Anfang ein Scheiterhaufen im christlichen Languedoc des
ausgehenden 12. Jahrhunderts: Ein Mann wird verbrannt, weil er den
arabischen Philosophen Ibn Ruschd übersetzte, den großen Averroes.
Sein Sohn Josef flieht ins andalusische Cordoba, wo Ibn Ruschd als
Oberrichter wirkt. Das Goldene Zeitalter des Islams geht dem Ende
entgegen. Noch fördert Kalif al-Mansur, der Herrscher des
Almohadenreichs, Kunst und Wissenschaft und nicht zuletzt sein
Freund und Hofarzt Ibn Ruschd. Doch der spanische Feind steht vor
der Tür, und im Inneren greift eine fanatische Sekte nach der Macht,
der insbesondere Ibn Ruschds aufklärerische Schriften ein Dorn im
Auge sind.
Ihr
erstes Opfer wird der lebenslustige Kronprinz Abdallah, der zum
Verdruss des Vaters Tänzer werden will und bei den Zigeunern Manuela
und Marwan ein- und ausgeht - weil sich das kinderlose Paar wie
Vater und Mutter um ihn kümmert. Und weil er Manuelas jüngere
Schwester liebt, die schöne Sarah. Burhan, ein Bote des
geheimnisvollen Emirs, verführt den im Ehrgeiz gekränkten Abdallah
zum Eintritt in die Sekte. Das Training in der Wüste macht ihn zum
Eiferer, der sich in blindem Hass von seinen früheren Freunden als
Feinden Gottes abwendet. Zu denen gehört von nun an auch Marwan, der
Dichter und Sänger, der in seinen Liedern die Fanatiker kritisiert.
Eines Tages wird er von drei jungen Sektenanhängern auf offener
Strasse niedergestochen; eine Anspielung auf den ägyptischen
Literatur-Nobelpreisträger Nguib Machfuz, der 1994 vor der Tür von
einem radikalen Islamisten überfallen wurde.
Nasir,
der Bruder Abdallahs, ein großer Verehrer Ibn Ruschds - und seiner
Tochter Salma! - rettet Marwans Leben. Bei der Gerichtsverhandlung
gegen die Attentäter entpuppt sich Scheich Riyad aus dem Thronrat
als der wahre Gegenspieler Ibn Ruschds. Er bedient sich der Sekte,
um die Macht im Staat zu übernehmen, und ist dem auf Beschwichtigung
bedachten Kalifen durch sein Doppelspiel voraus. Ibn Ruschds
barmherziges Urteil entfremdet ihn dem Kalifen und spornt seine
Gegner zu neuen Gewalttaten an: Sie verüben einen Brandanschlag auf
Ibn Ruschds Bücher und ermorden Marwan, der den verschwundenen
Abdallah im letzten Augenblick todesmutig aus der Festung der Emirs
entführen konnte.
Le Destin, Youssef Chahine envoyé par
Abal_hassan
Danach überstürzen sich die Ereignisse: Die Freunde des
Philosophen schreiben seine Werke ab, um sie außer Land zu schaffen.
Josef nach Frankreich, Nasir nach Ägypten. Der Kalif gibt der von
Scheich Riyad betriebenen Fatwa statt, die Ibn Ruschds Bücher dem
Scheiterhaufen überantwortet und ihn verbannt; das historische
Ereignis erinnert nicht von ungefähr an heutige Fatwas. Scheich
Riyad gibt den Spaniern, mit denen er im Bund steht, das Zeichen zum
Angriff. Im Augenblick der Gefahr versöhnen sich die Brüder und ihr
Vater und überlisten Scheich Riyad. Nasir bringt frohe Kunde aus
Kairo: Die Bücher sind gerettet! Ibn Ruschd verabschiedet sich mit
großer Geste, bedankt sich bei den Gaffern und wirft ein Buch ins
Feuer: "Gedanken haben Flügel, niemand hält sie auf!"
"Das Schicksal" ist alles in einem: historisches Fresko,
musikalische Komödie, arabische Märchen und universales Epos.
Beherzte Männer, leidenschaftliche Jünglinge und starke Frauen
kämpfen für die Freiheit des Denkens und die zeitlose Botschaft des
Averroes: dass Offenbarung und Vernunft sich nicht widersprechen,
sondern ergänzen. Musik und Tanz durchwirken das dramatische
Geschehen, in dem es Schlag auf Schlag geht: "An einem einzigen Tag
weine ich, lache, tanze und singe. Manchmal bin ich im Gefängnis.
Ein Film muss all das erhalten" (Youssef Chahine).
Schauspielerische Neuentdeckungen in den romantischen Rollen
ergänzen sich mit den gefeierten Stars Nour er-Cherif und Laila
Eoui. Die sehnsüchtigen Lieder Kamal et-Tawils, vorgetragen von dem
berühmten Schlagersänger Mohamed Mounir, begleiten das Spiel des
Ensembles.
Die Hommage an den großen Aristoteles-Vermittler Ibn Ruschd
(1126-1198) zum 800.Todestag ist ein Manifest gegen den
buchstabengläubigen Fundamentalismus von brennender Aktualität!
Youssef Chahine, der Fellini Ägyptens, wurde am 25. Januar 1926 in
Alexandria geboren. Das kosmopolitische Oeuvre des bekennenden
Individualisten umfasst heute 33 Filme. Sie brillieren - seit 1978
nach eigenem Buch - in vielen Genres vom Musical über Melodram bis
zum Western. Zu seinen Meisterwerken zwischen Hollywood und Nil
zählen die realistischen Milieustudien "Kairo Hauptbahnhof" (1975)
und "Die Erde" (1968), die historischen Dramen "Saladin" (1963) und
"Adieu Bonaparte" (1985), und seine autobiographische Trilogie
"Alexandria... warum?" (1982, Silberner Bär der Berlinale), "Eine
ägyptische Erzählung" (1982) und "Für immer Alexandria" (1990).
Nach Retrosperspektiven in Locarno und der Cinémathèque Française
erhielt Youssef Chahine 1997 für sein Lebenswerk den Jubiläumspreis
des 50. Festivals von Cannes und erreichte mit "Das Schicksal" in
Frankreich sensationelle 600.000 Zuschauer. Sein voriger Film "Der
Emigrant" (1994) wurden in Ägypten verboten. Mit "Das Schicksal" kam
der größte Regisseur der arabischen Welt erstmals in die deutschen
Kinos.
Spielfilm, Frankreich / Ägypten 1997, ARTE F,
Erstausstrahlung Regie: Youssef Chahine; Buch: Youssef Chahine,
Khaled Youssef; Kostüme: Nahed Nasrallah; Kamera: Mohsen Nasr;
Musik: Kamel el Tawil, Yehya el Mougui; Produktion: Humbert Balsan,
Gabriel Khoury, Ognon Pictures, Misr International Films, France 2
Cinéma Mit: Nour el Charif - (Averroès/Ibn Rushd, Oberrichter von
Córdoba), Laila Elwi - (Manuela, die Zigeunerin), Mohamed Mounir -
(Marwan, der Sänger, ihr Mann), Ingy Abaza - (Sarah, Manuelas
Schwester), Mahmoud Hemida - (Kalif el-Mansur), Seif Abderrahman -
(Abu Yaha, sein Bruder, Statthalter von Córdoba), Hani Salama -
(Prinz Abdallah), Khaled el Nabawi - (Prinz El Nasser), Safeya el
Emari - (Zainab, ibn Rushds Frau), Régina - (Salma, ihre Tochter),
Ahmed Fouad Selim - (Scheich Riyad), Ahmed Moukhtar - (Badr, sein
Handlanger), Magdi Idris - (Emir der Sekte), Abdallah Mahmoud -
(Burhan, sein Bote), Chérifa Maher - (Mutter Manuelas), Fayek Azzab
- (der Philosoph ar-Razi), Hassan el-Adl - (Gaafar), Mohamed Malass
- (Josef)
Quelle: arte-tv.de
Axel Schock schreibt in
www.cinema.de: Chahine erzählt zwar eine Episode aus
der Vergangenheit, zielt aber eindeutig auf die Gegenwart. Denn die
historisch korrekte Darstellung eines religiösen Konflikts, der 800
Jahre zurückliegt, dient ihm als zeitgemäße Warnung vor
fundamentalistischer Intoleranz. Daß der Film nicht
trocken-aufklärerisch langweilt, verdankt er seinem Ja zum
Unterhaltungskino. " Das
Schicksal" ist ein Kinospektakel mit
allem, was dazugehört: süffiger Love-Story, heftigen Actionsequenzen
und man höre und staune waschechten Musical-Einlagen.
Youssef Chahine ist tot:
Seine Botschaft gegen den
Fanatismus bleibt
Als es in Israel nur ein Fernsehprogramm gab, strahlte dieses jeden
Freitag einen arabischen Spielfilm aus, natürlich mit hebräischen
Untertiteln. Die besten Filme kamen aus Ägypten und am beliebtesten
waren die des Regisseurs Youssef Chahine. Mitte des Monats fiel
Chahine in ein Koma aus dem er nicht mehr erwachte. Er starb am 27.
Juli 2008...
Der ägyptische Regisseur Youssuf Chahine:
"Wenn Du
nur was knabbern willst, dann geh' nicht in meine Filme"
Ein Interview mit Youssuf Chahine, in dem er über
seine Arbeiten spricht...
hagalil.com
29-08-02 |