Die ägyptische Wochenzeitung al-Ahram al-Arabi veröffentlichte
kürzlich ein Interview mit dem international bekannten ägyptischen
Kinoregisseur Youssuf Chahine, in dem er über seine aktuellen Arbeiten
berichtet. Das Interview erfolgte während eines Besuches Chahines in
Frankreich, wo ihm von der Universität Marseille die Ehrendoktorwürde
verliehen wurde. In Deutschland ist Chahine jüngst durch seinen Kurzfilm
zum 11. September bekannt geworden, der in den letzten Monaten auch in
Deutschland gezeigt wurde. Chahine gilt als einer der führenden
Filmregisseure der arabischen Welt, der sich in seinem Filmen immer
wieder auch mit kontroversen sozialen und politischen Themen
auseinandersetzte. Das Interview erschien am 11. Januar 2003:
"Zur zufälligen Begegnung in Paris kam es während eines Kurzbesuches,
der keine 48 Stunden dauerte. Für sein herausragendes filmerisches Werk
und seine führende Rolle in der Kinoproduktion in den letzten 60 Jahren
sowie für seine insgesamt 33 Arbeiten, die mit ,Baba Amin' aus dem Jahr
1957 ihren Anfang nahm, verlieh ihm die Universität Marseille die
Ehrendoktorwürde. Die Rede ist von Youssuf Chahine, den ich fast vier
Stunden interviewte und der mir am Schluss erklärte, er hätte sich mit
mir unterhalten wie er es mit keinem anderem Journalisten in den letzten
fünf Jahren getan habe. Seine Meinungen waren pointiert und entschieden.
Redlicherweise musste ich ihm sagen, dass ich vieles von dem, was er mir
sagte, nicht schreiben und veröffentlichen können würde. Ich muss mich
auf einige Punkte beschränken. Chahine erzählte, dass er ein
ausgefülltes Leben verbracht habe, dass er sein Leben so wie es sei und
trotz seiner Wut liebe. Angesichts der wiederholten französischen
Ehrerbietung gegenüber ihm und seiner Kunst machte er einen glücklichen
Eindruck.
Ich befragte ihn zu seinem letzten Film.
Chahine: 'Zorn' ist ein Film motiviert von der starken Wut über
Amerika, über die amerikanische Politik, von der Absage der Finanzierung
des Staudammes in der Zeit Abd al-Nasirs bis zur Parteilichkeit für
Israel und andere. An Orten auf der ganzen Welt erzählt der Film die
Liebesgeschichte einer jungen amerikanischen Frau und einem ägyptischen
jungen Mann, die Geschichte einer 50jährigen Beziehung bis zum Tod.
al-Djundi: Und wann wird die Arbeit an dem Film beginnen?
Chahine: Im kommenden Februar, die Arbeit wird mindestens drei Monate
dauern. Die Verzögerung des Drehens lag an der langen Zeit, die man
benötigt, um Einreisevisa für Amerika für das Filmteam, das aus über 30
Personen besteht, zu bekommen. Ich habe zudem nach Orten gesucht, die
dem Ort Pasadena ähneln. Dabei habe ich tatsächlich Plätze in der Nähe
von Bur Tauwfiq [, einem Ort am Golf von Suez,] und von Maadi [, einem
südlichem Vorort von Kairo,] als Ersatz für Pasadena, wo ich studiert
habe und wo ich die Frau aus der Geschichte des Films kennen gelernt
habe, gefunden.
al-Djundi: Woher kommt die Finanzierung des Filmes?
Chahine: Das ägyptische Fernsehen beteiligt sich neben dem
französischen Fernsehen, das die Kosten für die Gestaltung des Filmes
übernimmt, an der Finanzierung.
al-Djundi: Und wer sind Ihre Helden?
Chahine: Ein 30jähirger Ballett-Tänzer namens Ahmed Yahy und eine
17jährige Ballett-Tänzerin namens Youssra al-Lauzi. Zu den Stars zählen
Nur al-Sherif, Youssra, Lablaba und Hala Sadqi.
al-Djundi: Warum wählen Sie immer wieder die gleichen Stars, gerade Nur
al-Sherif und Youssra?
Chahine: Nur ist mir kulturell und vom politischen Standpunkt sehr
nahe, obwohl ich mit größerer Dummheit als er Nasserist bin. Was Youssra
angeht, so hat sie einen positiven Bezug zur Handlung, sie ist eine sehr
sensible Künstlerin. Und Lablaba ist tatsächlich eine sehr gute und
engagierte Frau, die keinerlei Komplexe wegen ihres Alters hat.
al-Djundi: Wie hoch sind die Produktionskosten des Filmes 'Zorn'?
Chahine: Der Film wird teuer, so gibt es beispielsweise eine Tänzerin
aus dem Musical Carmen, deren Kosten eine Million ägyptische Pfund
belaufen. Ich kann keine genaue Zahl nennen, und selbst wenn ich wüsste,
wie teuer der Film wird, würde ich es nicht sagen.
al-Djundi: Fürchten Sie nicht den Zorn Amerikas?
Chahine: Schau, es gibt keine Probleme mit dem Szenario des Filmes.
Kein Mensch kann etwas gegen irgendein Stück aus dem Szenario haben.
Gerade nachdem mein Film '11. September' so eine große Kampagne gegen
mich in den USA auslöste, beunruhigt es mich nicht, wenn der Film ein
Problem mit der amerikanischen Seite provoziert.
al-Djundi: Warum präsentieren Sie immer neue junge Männer in Ihren
Filmen, warum arbeiten Sie nicht mit welchen aus aktuellen Filmen?
Chahine: Ich habe mein ganzes Leben lang neue junge Männer präsentiert.
Ich war es, der Shukri Sarahan, Amr al-Sherif und selbst Hani Salama und
Hanan Turk vorstellte. Ich arbeite mit wirklich talentierten jungen
Leuten, deren Können sich nicht aufs Lachen beschränkt.
al-Djundi: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie gegen Komödien sind?
Chahine: Das habe ich nicht gesagt, gerade weil ich zu Beginn meines
Schaffens mit Stars, von denen man das nicht erwartet hatte, angefangen
mit Farid al-Atrash, Komödien produziert habe. Selbst in meinem Film
'Zorn' wird es amüsante Passagen geben. Ich würde Ihnen gerne
verdeutlichen, dass die Komödien, die heute im ägyptischen Fernsehen
gezeigt werden, im fachlichen Sinne keine Komödien sind. Komödien müssen
einen Standpunkt haben, was aber gegenwärtig gezeigt wird sind Witze.
al-Djundi: Was ist Ihre Meinung vom aktuellen ägyptischen Kino?
Chahine: Das ägyptische Kino, Gott habe es selig, ist gestorben!
al-Djundi: Gibt es keine Hoffnung, dass es wieder aufersteht?
Chahine: Damit es wieder aufersteht wäre eine langfristige Planung
erforderlich. Das geschieht aber nicht, denn wie es scheint, bestehen
zwischen der Regierung und dem Kino Feindseligkeiten. Die Regierung mag
das Kino nicht. Der Beleg dafür ist, dass es das Kino, als es dessen
Privatisierung beschloss, an Leute übergab, die nichts mit dem Kino zu
schaffen hatten. 90% derjenigen, die das Kino und die Vorführungssäle
wie eine Ware kauften stammen nicht aus dem Kinowesen
al-Djundi: Aber auch Talaat Harb, der die [ägyptische] Filmproduktion
gründete, kam nicht aus dem Kinobereich?
Chahine: Talaat Pasha Harb liebte das Kino, obwohl er nicht aus diesem
Bereich kam und obwohl er wirtschaftliche Überlegungen dabei hatte.
al-Djundi: Um alle jungen Leute, die Sie präsentierten, wurde es später
sehr ruhig.
Chahine: Das stimmt bis zu einem gewissen Maße. Die Mehrzahl der jungen
Leute, die mit mir arbeiteten, machten zwei und manche drei Filme. Dann,
nach der Produktion mit mir, wurde es ruhig um sie, weil sie nach
Produktionen suchten, die ebenso wertvoll waren und das gleiche Niveau
hatten. Daher blieben viele von ihnen ohne Job.
al-Djundi: Wieso hatten ihre Filme, beispielsweise 'Die Spatzen' oder
'Die Wahl', nur bei Filmkritikern Erfolg?
Chahine: Weil es sich dabei um zu seriöse Filme handelte. Aber
gegenwärtig versucht das Publikum, diese Art meiner Filme zu verstehen.
So war es zuletzt, und das hat mich zufrieden gestellt.
al-Djundi: Sie präsentieren, und das ist meine letzte Frage, Filme von
hohem künstlerischem und technischem Niveau. Denken Sie, daran könnte es
liegen, dass das Publikum beim Verstehen Ihrer Filme hinterherhinkt?
Chahine: Die Technik, die ich verwende, trägt nur dazu bei, das
Verstehen leichter zu machen. Aber ich verlange vom Publikum ein Minimum
an Konzentration, denn die Themen, die ich behandle, sind ernst. Wenn Du
Nüsse knacken willst, dann geh' nicht in meine Filme."
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Youssef
Chahine ist tot:
Seine Botschaft gegen den
Fanatismus bleibt
Als es in Israel nur ein Fernsehprogramm gab, strahlte dieses jeden
Freitag einen arabischen Spielfilm aus, natürlich mit hebräischen
Untertiteln. Die besten Filme kamen aus Ägypten und am beliebtesten
waren die des Regisseurs Youssef Chahine. Mitte des Monats fiel Chahine
in ein Koma aus dem er nicht mehr erwachte. Er starb am 27. Juli 2008...
Ein Manifest gegen den Fundamentalismus:
Das Schicksal
Youssef Chahines Hommage an den großen Aristoteles-Vermittler Ibn Ruschd
ist ein Manifest gegen den Fundamentalismus von brennender Aktualität...