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Israel auf dem Weg nach Den Haag?
Sechs Stimmen aus Israel
Zu Kriegsverbrechen und Israels Sicherheit

Gush Shalom forum discussion
January 9, 2002, at the Tzavta Hall, Tel-Aviv

Beiträge von
Dr. Yigal Shohat
,
   Oberst a.D., ehem. Kampfpilot, jetzt Arzt
Dr. Eyal Gross,
   Universität Tel Aviv, Juristische Fakultät
Prof. Adi Ophir,
   Universität Tel Aviv, Sektion Philosophie
Dov Tamari
  
Brigadegeneral (a.D.)
Michael Tarazi
, legal adviser to the
   juristischer Berater der Abt. für
   Verhandlungen der PLO, Ramallah
Shulamit Aloni,
   frühere Erziehungsministerin und
   Vorsitzende der Meretz-Partei
Moderator:
Haim Hanegbi

Hebräische und englische Fassung:
www.gush-shalom.org

 

 

Haim Hanegbi: Ich habe nicht die Absicht, mit den Rednern zu konkurrieren und selbst einen langen Vortrag zu halten. Ich möchte jedoch diesen Abend mit dem Vortrag einiger Zeilen von Yehuda Amihai beginnen:

Of the three or four in the room
Always one is near the window

Has to see
The wrongdoing between the thorns
And the fires on the hill

And how people who left whole in the morning
Are brought home as a few small coins.

* * *
Dr. Yigal Schochat: Rote Linien und schwarze Flaggen

Ich bin heute hier, weil ich im Juli einen Leserbrief geschrieben habe. In diesem Brief habe ich noch nicht von einer bewussten umfassenden Militärdienstverweigerung gesprochen. Ich hatte einfach meine Haltung zur völligen Verweigerung des Diensts in den IDF ["Israelische Verteidigungsstreitkräfte"] noch nicht völlig geklärt. Ich bin für den Staat Israel, für die Erhaltung seiner Sicherheit, für die Verteidigung seiner Grenzen, und ich bin auch für die Bekämpfung des Terrorismus, vor Ort wie international, der Israel bedroht. Dazu bedarf es einer Armee. Doch andrerseits kann ich die Selbstverständlichkeit nicht mehr ertragen, mit der die Besatzung fortgeführt wird. Die Tatsache, dass Generationen von Soldaten dieser Besatzung dienen und so den wechselnden Regierungen die Macht geben, an den Gebieten [in Israel ist stets nur von "Gebieten" die Rede, wenn die besetzten Gebiete gemeint sind - Anm. d. Übers.] und den Siedlungen festzuhalten und die palästinensische Bevölkerung zu unterdrücken. Deshalb stehe ich vor einem großen Dilemma. Ich habe es für mich wenigstens zeitweilig dadurch gelöst, dass ich zwar jeden Dienst in den besetzten Gebieten verweigere, aber nicht generell verweigere. Ich weiß, dass in dieser Haltung ein Stück Heuchelei steckt. Ein Soldat, der im Hauptquartier arbeitet, dort Verwaltungsarbeit leistet, kann unter Umständen mehr Schaden anrichten als der Soldat an einer Straßensperre.

Trotzdem denke ich, dass die Weigerung, in den Gebieten zu dienen, eine klarere politische und moralische Botschaft vermittelt. Sie besagt, dass du bereit bist, dein Land zu verteidigen und für es zu kämpfen, dass du aber nicht bereit bist, ein anderes Volk unbegrenzt zu unterdrücken - zumal dies der Sicherheit Israels schadet. Ja, Tatsache ist, dass der Militärdienst in den Gebieten die Sicherheit Israels untergräbt und nur der Sicherheit der Siedler dient. Ich denke, wir sind uns in diesem Punkt einig.

Flieger freilich, Kampfflieger, Hubschrauberpiloten, alle Flieger können nicht einfach den Dienst jenseits der Grünen Linie [der Grenze von vor 1967] verweigern. Flieger tun ihren Dienst nicht dort, wo sie stationiert sind. Sie müssen sich tatsächlich täglich neu entscheiden, manchmal stündlich, welcher Einsatz moralisch und rechtlich zulässig ist und welcher nicht. Ich bin nicht naiv. Mir ist sehr klar, dass jeder Flieger, der sich ein- oder zweimal weigert, Nablus oder Ramallah zu bombardieren, seine Karriere beendet hat - und es geht tatsächlich um eine Karriere. Die Fliegerei ist eine Lebensart und eine Berufung. Sie ist nie nur ein Job, den du eben machst, als Wehrpflichtiger oder Reservist, um ihn hinter dich zu bringen und wieder sicher nach Hause zu kommen. Wenn es also um die Flieger geht, bin ich dafür, das Konzept der "Schwarzen Flagge" weiter zu fassen. Meiner Meinung nach müssen Piloten die erhaltenen Befehle gründlich prüfen, müssen eine Menge Fragen über den Einsatzzweck stellen und jeden Befehl verweigern, der ihnen illegal erscheint. Ich fürchte, dass sie in der Praxis solche Fragen überhaupt nicht beschäftigen und dass sie eher miteinander um den nächsten Auftrag wetteifern, jemand mitten auf der Hauptstraße von Nablus zu töten oder eine Bombe auf ein Gebäude in Ramallah zu werfen. Sie kehren wahrscheinlich zufrieden damit zu ihrem Geschwader zurück, ins Schwarze getroffen zu haben, wenn auch mit einem gewissen Bedauern, falls Zivilisten getötet wurden.

Ich erinnere mich an solche eigenen Gefühle. Die Leute wollen in ihrem Job glänzen und wollen "Action". Vor allem deshalb sind sie Flieger geworden.

Ich meine, dass F-16-Piloten sich weigern sollten, palästinensische Städte zu bombardieren. Sie sollten darüber nachdenken, wie so ein Angriff ihre eigene Stadt treffen würde. Wenn z. B. Arafat ein Kampfflugzeug losschicken würde, um die Polizeistation in der Dizengoff-Straße [in Tel Aviv] zu zerstören. Angenommen Arafat hätte ein solches Kampfflugzeug und wäre der Auffassung, auf diese Weise Ministerpräsident Scharon davon überzeugen zu können, sich aus den Gebieten zurückzuziehen. Würden wir solche Bombardements unserer Städte für legitime Mittel der Kriegführung halten? Wohl kaum, wurde doch sogar der Angriff auf einen IDF-Außenposten im Gazastreifen heute früh in Israel als ein "Terroranschlag" betrachtet.

Ich kann mir vorstellen, wie es in Ramallah war, als eine F-16-Maschine dort die Polizeistation bombardierte. Ich rede nicht mal von den Zivilisten, die darin umkamen - Köche aus Gaza, keine Kämpfer. Ich rede vom Bombardieren einer dicht bevölkerten Stadt. Ich rede davon, dass mitten auf der Hauptstraße drei Passanten von einem Helikopter aus getötet wurden. Das kann nicht als "Kollateralschaden" bezeichnet werden; da darf nicht behauptet werden, wir hätten keine Zivilisten töten wollen. Denn wenn ein Flugzeug eine dicht bevölkerte Stadt bombardiert, nimmt man von vornherein in Kauf, dass auch Zivilisten getötet werden. Selbst bei einem gezielten Bomben. Also sehe ich darin ein absichtliches Töten von Zivilisten. Ein Kriegsverbrechen.

Wir haben in den letzten Monaten gesehen, was "intelligente Bomben" anrichten können, hier und in Afghanistan. Ich denke, dass der Einsatzzweck diesen Preis nicht wert ist, zumal wir es nicht mit einer Armee, sondern eher mit Zivilisten zu tun haben. Und besonders dann, wenn wir im Unrecht sind. Sehr im Unrecht. In meinen Augen ist weder das eigentliche Ziel dieses Kampfes legitim - weil die Besatzung nicht legitim ist -, noch das unmittelbare Ziel, die Zerstörung einer Polizeistation, um Arafat zu zwingen, den Terror zu stoppen. Ich habe damals (1986) auch nicht die Legitimität der Operation "Früchte des Zorns" akzeptiert, deren Zweck es war, libanesische Dörfler mit Bomben zur Flucht zu treiben und dadurch die libanesische Regierung zu zwingen, gegen die Hisbollah vorzugehen.

Aber nicht nur Flieger sind in Kriegsverbrechen verstrickt. Sie sind wahrscheinlich sogar weniger daran beteiligt als andere. Glaube ich. Jeder Fahrer eines Armee-Bulldozers sollte den Befehl verweigern, Häuser zu zerstören, damit die IDF ein "freies Schussfeld" bekommt. Ich las diese Woche, was der Chef der Zivilverwaltung der Militärregierung, Brigadegeneral Dov Zadka, im Interview [mit Ha'aretz] über seine Genehmigung sagte, Plantagen und Obstgärten zu zerstören; und seine Klage darüber, dass die Kommandeure vor Ort dann überaktiv vorgehen und doppelt so viele Bäume ausreißen, wie er bewilligt hat.

Aber mit welchem Recht genehmigt er überhaupt so etwas, egal in welcher Größenordnung? Ich bin immer wieder sprachlos, wie diese Leute jeden Morgen aufstehen können, um einen derartigen Job zu tun. Wir sprechen ja nicht von Kindern, die gerade den Einberufungsbefehl erhalten haben - es handelt sich hier um einen General mit langjähriger Erfahrung und Ausbildung. Was sagt er am Ende des Tages zu sich selbst? "Heute gab ich den Befehl, 50 acres Erdbeerfelder zu zerstören." Warum eigentlich? Ging es hier um die Sicherheit des Landes? Ich sehe, dass General Zadka sich nun Gedanken macht, ob er womöglich vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal landen wird, und das mit Recht. Er weiß also genau, was er tut, und was das bedeutet. Aber wie kann man sich dessen bewusst sein, und dennoch mit solchen Taten fortfahren?

Ich denke, dass das Zerstören von Wohnhäusern, nur weil sie Scharfschützen das Blickfeld nehmen, per se unmoralisch ist. Ich bin kein Rechtsexperte und weiß nicht, was legal ist und was nicht, aber ich vermute, dass es auch illegal ist. Ich weiß, dass die Frage, wann eine "schwarze Flagge" über einem bestimmten Befehl flattert, ganz persönlich entschieden werden muss. Man kann unmöglich darauf warten, bis ein Gericht einen Einsatz als illegal bezeichnet. Man darf auch nicht warten, weil die Aktion dann schon stattgefunden hat, wie im Falle von Ehud Yatom [israelischer Geheimdienstler, der 1984 auf Befehl zwei gefangene Palästinenser ermordete]. Es gibt Leute, die nie eine "schwarze Flagge" sehen, auch dann nicht, wenn es um den Mord an einem gefesselten Araber geht. Es gibt Leute, die nur dann eine "schwarze Flagge" sehen, wenn sie alt geworden sind, so wie ich; denn als ich ein junger Pilot war, fragte ich nicht lange. Ich tat, was mir befohlen war.

Ich bin für einen weiter gefassten Gebrauch der Idee der "schwarze Flagge", die bedeutet, einem offenkundig illegalen Befehl nicht zu gehorchen. Aber ich weiß, dass weder Wehrpflichtige noch Berufssoldaten davon oft Gebrauch machen. Wenn man mitten drin steht, sieht man die Dinge anders. Ich glaube, dass sogar der, der in den besetzten Gebieten an einer Straßensperre steht und dort selektiert, wer ins Krankenhaus darf und wer nicht, welche Frau in eine Entbindungsstation gebären darf und welche aufgehalten wird und direkt am Checkpoint gebären muss, einen offensichtlich illegalen Job ausübt. Deshalb meine ich, dass jeder Soldat, der seinen Dienst an einer Straßensperre ableisten soll, den Befehl verweigern und lieber ins Gefängnis gehen sollte. Es wäre gut, wenn die Zulässigkeit des Selektionsverfahrens an den Straßensperren einmal gerichtlich geprüft würde. Diejenigen, die den Dienst in den "Gebieten" verweigern, sollten sich meines Erachtens nicht damit zufrieden geben, ins Gefängnis zu gehen, sie sollten versuchen, die zivilen Gerichte anzurufen, damit diese Dinge neu durchdacht und öffentlich gemacht werden. Lasst sie alle mit ihrer Militärdienstverweigerung zum Obersten Gerichtshof gehen. Denn jene, die still ins Gefängnis gehen, üben keinen Einfluss auf andere aus. Der Armee darf nicht erlaubt werden, an jeder Ecke eine Straßensperre aufzubauen, die die Leute daran hindert, ihr Leben zu leben, zur Arbeit zu gehen, oder zum Arzt. Wir dürfen dies nicht wie ein göttliches Gebot hinnehmen. Das ist eine Kollektivstrafe für Zivilisten - und demnach illegal nach der Genfer Konvention.

Es ist eine Schande, dass sich so wenige weigern, Dienst zu tun in den Gebieten - aber ich darf wirklich nicht verurteilen; denn ich tat es auch nicht, als ich es hätte tun sollen. Als ich vor fast 20 Jahren, 1983, Professor YeSchayahu Leibowitz besuchte, fragte er mich, warum sich nicht 500 Offiziere finden ließen, die den Dienst in den besetzten Gebieten verweigern. Wenn es 500 solche Offiziere gäbe, glaubte er, dann würde die Besatzung sofort aufhören. Mir scheint, er hatte recht. Bald werden wir nicht mehr von "Besatzung" reden können, weil unsere Präsenz in den Gebieten nach so vielen Jahren eine neue Situation geschaffen hat. Leute, die in den Gebieten ihrer Wehrpflicht genügt haben, kehren als Reservisten zurück, und ihre Kinder werden an den selben Orten stationiert. Die neue Generation kennt wegen der langen Absperrungen die Palästinenser gar nicht mehr, und so ähneln die Gebiete allmählich dem Libanon. Eine Apartheid-Haltung gegenüber den Palästinensern wird von Generation zu Generation weitergegeben. Und das gilt nicht nur für die Siedler, es gilt für uns alle. Gäbe es keine Gewaltakte, hätten wir glatt vergessen, dass es Palästinenser gibt.

Ich weiß nicht, ob jeder Einsatz, an dem ich als aktiver Kampfflieger teilnahm, legal oder moralisch war. Wahrscheinlich nicht. Heute beklagen sich Freunde von damals, die mit mir gemeinsam Ziele bombardierten, ich hätte meine moralische Empfindsamkeit zu spät entdeckt; es gehöre nicht viel Mut dazu, jetzt von Kriegsdienstverweigerung zu sprechen, wo ich nicht mehr betroffen bin und nicht mehr ins Gefängnis muss. Sie sagen, solange meine Karriere in der Armee auf dem Spiel stand, hätte ich geschwiegen, aber jetzt, wo ich nichts zu verlieren habe, würde ich plötzlich ein Held. Das stimmt tatsächlich alles. Ich erwarb die politische und moralische Reife erst sehr spät. Aber ich kann auch sagen, dass ich in der Regel militärische Ziele bombardiert habe. Und wenn ich Angriffe auf zivile Stadtteile flog, dann geschah dies während eines regelrechten Krieges, wo Flugzeuge und Panzer und Soldaten auf beiden Seiten in Kämpfe verwickelt waren und es keineswegs sicher war, wer gewinnen würde. In den Kriegen, an denen ich teilnahm, hatten wir im allgemeinen das Gefühl, Israel sei in schwächerer Position und dass wir buchstäblich für unser Leben und um unsere Heimat kämpften. Was aber die Gebiete betrifft und diesen militärische Kampf gegen die Palästinenser, sehe ich keine Armeen, die sich da gegenüberstehen. Und was den jetzigen Krieg angeht, weiß ich nicht einmal, auf welcher Seite ich stehe - weil ich ganz gewiss nicht auf Seiten der Siedler bin. Was ich sehe, ist eine Bevölkerung mit ein paar hundert Gewehren und Mörsergranaten unter Besatzung, die versucht, uns zum Abzug zu zwingen, während wir uns weigern zu gehen, weil wir ein paar Cents in unnötige Siedlungen investiert haben.

Ich kenne die Argumente gegen Militärdienstverweigerung. Als erstes heißt es, in einer Demokratie habe die gewählte Regierung zu entscheiden, welche Ziele legitim sind und welche nicht. Ich weise das zurück; denn gerade in einer Demokratie ist es das Recht und die Pflicht eines jeden Bürgers, gegen eine ungesetzliche Kriegsführung zu protestieren. In totalitären Regimes werden Leute, die den Militärdienst verweigern, erschossen, während sie hier nur kurz ins Gefängnis müssen. In der Demokratie steht jedem die Möglichkeit offen, der Herde nicht zu folgen.

Das zweite Argument ist, um den Palästinensern das Leben zu erleichtern, brauche es mehr human gesonnene Leute an den Straßensperren; sie sollten nicht der Gnade und Ungnade rechter Fanatiker ausgeliefert werden. Ich bestreite die Bedeutung, die man einzelnen Soldaten an den Straßensperren zuschreibt, weil im Laufe der Zeit alle gefühllos gegenüber dem täglichen Leiden werden. Ich denke, dass der einzelne Soldat am meisten bewirkt, wenn er verweigert. Das dritte Argument ist, wenn jeder selbst entscheide, welchen Befehlen er zu gehorchen habe, würden die Siedler und ihre Anhänger, ist die Zeit dazu gekommen, sich weigern, die Siedlungen zu verlassen. Dazu sage ich: das ist mir recht. Meinetwegen sollen sich Soldaten, die selbst Siedler sind, sich weigern, die Siedlungen zu evakuieren - dann werden wir es statt ihnen tun. Ich zum Beispiel hätte mich geweigert, das Haus einer palästinensischen Familie mit einem Bulldozer zu zerstören, Siedlersoldaten würden sich weigern, Siedlerfamilien zu evakuieren. Das soll mir recht sein. Wichtig ist, dass die IDF-Soldaten ihre Menschlichkeit bewahren und dass ihnen klar wird, dass sie vor einem Dilemma stehen.

Meiner Meinung nach nähern sich alle IDF-Einsätze in den Gebieten der Grenze zur "schwarzen Flagge". Ich kann nicht im Einzelnen beurteilen, was legal und was ein Kriegsverbrechen ist. In einer Zeit, in der die Amerikaner 7.000 Menschen töten, um eine Person zu fangen, ist es schwierig, über Moral während eines Krieges zu reden. Seit der Schaffung der Palästinensischen Behörde nach dem Oslo-Abkommen haben wir begonnen, sie als Staat zu behandeln, obwohl sie kein Staat ist. Das macht es leichter für uns, sie mit Waffen wie Flugzeugen und Panzern anzugreifen, die eigentlich nur zur Anwendung gegenüber einer Armee im Krieg gedacht sind. Mir scheint, wir haben bereits eine Art Rubikon überschritten, und ich fürchte, dass der Tag nicht mehr fern ist, an dem wir auch die arabischen Bürger Israels bombardieren werden; haben wir doch gegen sie schon bei den Demonstrationen im Oktober 2000 das Feuer eröffnet. Der Tag wird kommen, an dem die israelische Luftwaffe Umm-el-Fahm bombardieren wird, so wie Saddam Hussein seine kurdischen Bürger. Ich weiß nicht, ob die Piloten einen solchen Befehl verweigern werden. Irgend jemanden wird es schon geben, der ihnen klar macht, dass das nur logisch und unbedingt nötig sei, dass die Bomben "intelligent" und die einzigen Ziele das Rathaus, die Islamische Bewegung seien. Und nicht unschuldige Menschen. Ich sehe keinen großen Unterschied zwischen dem und der Bombardierung von Ramallah.

* * *
Haim Hanegbi: Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich an den Fall eines konkreten Kriegsverbrechens erinnern, den Befehl für eine israelische Militäreinheit, die im Oktober 1953 einen grenzüberschreitenden Einsatz unternahm. Er kam erst 44 Jahre später ans Licht. Am 9. September 1994 veröffentlichte Ha'aretz das Foto des Originaldokuments in der Handschrift des Kommandeurs: "Aufgabe: das Dorf Kibiya angreifen, es besetzen und maximale Zerstörung von Leben und Eigentum anrichten."

Der Befehl ist unterschrieben von Major Ariel Scharon, Kommandeur der Spezialeinheit 101.

* * *
Dr. Eyal Gross: Weniger Chancen für Kriegsverbrecher

Zuerst möchte ich Yigal Schohat gratulieren zu den wichtigen und bewegenden Dingen, die er hier gesagt hat. Wenn es nach mir ginge, würden diese Worte auf den Titelseiten aller Zeitungen erscheinen. In letzter Zeit wurde ich zu vielen verschiedenen Foren eingeladen, um über das Thema Kriegsverbrechen zu sprechen: vom Rat zur Erinnerung an den Holocaust, vom Rat für Frieden und Sicherheit ["Tauben" aus der Reihe ehemaliger Generäle und höherer Offiziere], von der Anwaltskammer. Das Interesse an diesem Thema erklärt sich aus dem raschen Umschwung der internationalen Haltung dazu.

Ich will erklären, was gegenwärtig an den Internationalen Gerichtshöfen geschieht und was gemeint ist, wenn Menschen das magische Wort "Den Haag" äußern. In den letzten Jahren hat sich eine Tendenz enorm verstärkt, die eigentlich alles andere als neu ist: die Definition von globalen Straftaten (universal offences), deretwegen eine Person vor Gericht gestellt werden kann, gleichgültig, wo sie begangen wurden. Im allgemeinen ist das Gesetz auf ein Territorium beschränkt. Wenn ich in Israel stehle, kann ich dafür nur vor ein israelisches Gericht gestellt werden - es sei denn, ich hätte dem Bürger eines anderen Staates etwas gestohlen. Aber es gab schon immer Ausnahmen. Piraterie ist ein bekanntes Globalverbrechen, das seit Jahrhunderten als solches anerkannt wird. Da es keinen Weltgerichtshof gibt, kann ein Pirat von den Gerichten eines jeden Landes verurteilt werden, selbst von einem Land, dessen Schiffe er nicht beraubt hat.

Heutzutage gibt es zwei Tendenzen: die Ermächtigung für Gerichte der einzelnen Staaten, Recht über diejenigen zu sprechen, die wegen Globalverbrechen angeklagt sind, und die Schaffung spezieller internationaler Gerichtshöfe. Ein prominenter Fall war die Pinochetaffäre.

Spanien bat Großbritannien, Pinochet auszuliefern, damit er in Spanien wegen Folterverbrechen angeklagt werden könne, die nicht auf spanischem Boden begangen worden waren. Das Oberhaus beschloss, dass er ausgeliefert werden könne. Am Ende entging Pinochet der Auslieferung, weil die Britische Regierung entschied, dass sein Gesundheitszustand zu schwach war. (Nach der Rückkehr des Ex-Diktators in seine Heimat scheint die chilenische Luft Wunder gewirkt zu haben. Seine Gesundheit verbesserte sich von einem Tag auf den anderen...) Trotzdem, das Oberhaus hat einen wichtigen Präzedenzfall geschaffen: eine Person kann für Globalverbrechen ausgeliefert werden, und die Tatsache, dass diese Person zum Zeitpunkt der Straftat ein Staatsoberhaupt war, verleiht ihr keine Immunität.

Das belgische Gesetz ermöglicht es, Verletzungen der Vierten Genfer Konvention strafrechtlich zu verfolgen. Diese Konvention beschäftigt sich mit dem Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten, insbesondere mit der unter einer Besatzung lebenden Zivilbevölkerung. Die ersten, die nach diesem Gesetz verurteilt wurden, waren ruandische Bürger. Das sorgte für einiges Missbehagen, weil Ruanda eine ehemalige Kolonie Belgiens ist. (Das gleiche kann von Spanien und Chile gesagt werden, obwohl es sich dabei um eine ältere Geschichte handelt; man kann nur hoffen, dass die Rechtssprechung bei Globalverbrechen sich nicht in die Richtung entwickelt, dass ehemalige Kolonialmächte die Rechtssprechung über Bürger der Ex-Kolonien beanspruchen).

Dass die aktuelle Klage gegen Scharon in Brüssel stattfindet, stimmt mit dem belgischen Recht überein. Dieses Recht ist eindeutig, was Immunität angeht; das heißt ihre Nicht-Anerkennung, obwohl Scharon Premierminister ist. Auch in Belgien wird die Frage heiß diskutiert, ob Straftaten, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begangen wurden, rückwirkend verurteilt werden können.

Es sollte erwähnt werden, dass der erste internationale Präzedenzfall zu dieser Frage in Israel geschaffen wurde: nämlich durch den Eichmannprozess. Dieser erste Fall rückwirkender Rechtssprechung trat ein, als israelische Gerichte das Recht beanspruchten, Handlungen zu verurteilen, die lange vor der Annahme des israelischen "Gesetzes über die Aburteilung von Nazis und ihren Kollaborateuren" begangen wurden, sogar vor der Gründung Israels. Die Belgier (und viele andere) stützen sich auf die israelischen Urteile im Eichmannprozess, besonders auf das des Obersten Gerichtshofes. (Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Gerichten, denen sich Eichmann gegenübersah: das Bezirksgericht Jerusalem, das ihn zuerst verurteilte, betonte den jüdischen Aspekt, d.h. dass Eichmanns Opfer vor allem Juden waren und deshalb Israel als Staat das Recht habe, ihn zu verurteilen. Der Oberste Gerichtshof betonte dagegen bei der Ablehnung des Berufungsantrags Eichmanns jedoch den universellen Aspekt: das Recht und die Pflicht eines jeden Staates, die Verantwortlichen für Völkermord zu bestrafen, egal ob der Staat selbst in einer direkten Verbindung mit dem Fall steht.)

Sie mögen sagen: wie können Sie einen solchen Vergleich vornehmen? Nun, ich vergleiche nicht Eichmann mit Scharon, aber trotzdem bleibt aus juristischer Sicht der Eichmannprozess der wichtigste und relevanteste internationale Präzendensfall, und er wurde von Israel geschaffen. Israel nahm auch aktiv an der Schaffung einer universellen Rechtssprechung teil, indem es das "Gesetz über das Verbrechen des Völkermords" verabschiedete, nach dem jeder Verantwortliche für Völkermord - z.B. aus Ruanda - vor ein israelisches Gericht gestellt werden kann, ohne dass Israel eine direkte Verbindung zu dem Fall haben muss.

Nun zu dem anderen Weg - besondere internationale Kriegsverbrechertribunale. Der erste bekannte Fall waren die Nürnberger Prozesse. Es handelte sich dabei jedoch um ein sehr spezifisches Gericht, das einberufen wurde, um Recht über die Mitglieder eines spezifischen Regimes in einem spezifischen Land zu sprechen. Es war von Natur aus ziemlich kontrovers. Nachdem es seine ihm zugewiesenen Aufgaben erledigt hatte, wurde es aufgelöst, und jahrzehntelang gab es kein anderes Gericht dieser Art, bis der UNO-Sicherheitsrat in den 1990ern spezielle Gerichte mit Sitz in Den Haag für die in Ruanda und Jugoslawien begangenen Kriegsverbrechen schuf.

Dem folgte die Konferenz von Rom, die in der Entscheidung gipfelte, einen permanenten Internationalen Gerichtshof für Kriegsverbrechen mit Sitz in Den Haag zu schaffen. Dieses Gericht, das es bisher noch nicht gibt, muss klar unterschieden werden von dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, der sich schon seit fast einem Jahrhundert dort befindet. Vor dem älteren Gericht können nur Staaten gegeneinander klagen, nicht Individuen, und seine Rechtssprechung gilt nur für die Staaten, die die Autorität des Gerichtshofes anerkannt haben. Der ständige Internationale Gerichtshof für Kriegsverbrechen soll in Den Haag eingerichtet werden, wenn mindestens sechzig Staaten den Vertrag von Rom über die Gründung dieses Gerichts unterzeichnet und ratifiziert haben. Diese Zahl ist bald erreicht. Israel und die USA haben den Vertrag zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Die USA machten ihren Einwand deutlich: sie würden nicht ratifizieren, solange nicht sichergestellt werde, dass kein Bürger der USA jemals von diesem Gericht strafrechtlich verfolgt werden wird.

Der Vertrag von Rom nennt die Straftaten, für die der Gerichtshof zuständig ist: Völkermordverbrechen; Verbrechen gegen die Menschheit, eingeschlossen ist die weitreichende oder systematische Schädigung der Zivilbevölkerung durch Mord, Ausrottung, Folter, Vertreibung, Vergewaltigung oder Apartheid; und Kriegsverbrechen, die grobe Verletzungen der 4. Genfer Konvention einschließen, darunter das Töten von Zivilisten und die Zerstörung von Eigentum, die nicht unmittelbar militärischen Zwecken dient. Dazu gehört auch die Ansiedlung von Menschen aus dem eigenen Territorium der Besatzungsmacht in dem besetzten Gebiet, also die Errichtung von Siedlungen. Wegen dieses Artikels hat Israel den Vertrag nicht ratifiziert.

Eine weitere Straftat, über die der Gerichtshof Recht sprechen darf, ist Aggression, aber solange keine einheitliche Definition für diesen Begriff gefunden ist - eine komplizierte juristische Frage -, wird dieser Artikel nicht in Kraft treten. Anders als in den vorher erwähnten Fällen wurde für diesen Internationalen Gerichtshof für Kriegsverbrechen festgelegt, dass es keine rückwirkende Rechtssprechung geben wird, das heißt, dass der Gerichtshof nur bei Straftaten wirksam wird, die nach seiner Gründung begangen wurden.

Die Hauptfrage ist, wie der Gerichtshof nach seiner Gründung arbeiten soll und gegen wen er vorgehen darf. Es gibt drei Kategorien. Erstens kann er gegen Bürger der Staaten vorgehen, die den Vertrag ratifiziert haben. Zweitens kann er gegen diejenigen vorgehen, die wegen Straftaten auf dem Gebiet der Mitgliedsstaaten angeklagt werden, auch wenn ihr eigener Staat den Vertrag nicht ratifiziert hat. So könnten Israelis z.B. für Straftaten auf libanesischem Boden zur Verantwortung gezogen werden, wenn der Libanon den Vertrag ratifiziert hat. (Die Gebiete der palästinensischen Autonomiebehörde, die keinen Staat bilden, stellen ein wesentlich komplizierteres Problem dar.)

Eine dritte Möglichkeit ist, dass der UN-Sicherheitsrat ermächtigt wird, über die Strafverfolgung einer einzelnen Person wegen besonderer Verbrechen zu entscheiden. Das ist natürlich den normalen Regularien des Sicherheitsrates und dem Veto seiner Ständigen Mitglieder unterworfen.

Eine weitere Einschränkung des Internationalen Gerichtshofes besteht darin, dass er nicht eingreifen kann, wenn ein Staat entscheidet, selbst eine gewissenhafte Untersuchung der Anschuldigungen gegenüber einem seiner Bürger einzuleiten, selbst wenn der Staat am Ende dieser gewissenhaften Untersuchung entscheiden sollte, den Bürger nicht vor die eigenen Gerichte zu stellen. Solange der Gerichtshof nicht in Den Haag gebildet ist, werden diejenigen, die wegen Kriegsverbrechen angeklagt sind, weiterhin von gewöhnlichen Gerichten einzelner Staaten strafrechtlich verfolgt. Beispiele sind die laufenden Klage gegen Scharon in Belgien und dem gescheiterten Versuch, Karmi Gilon in Dänemark vor Gericht zu stellen. Beide Fälle sind im Prinzip gleich problematisch wegen der Immunitätsfrage - im ersten Fall der Immunität eines amtierenden Staatsoberhauptes, im zweiten der diplomatischen Immunität. Ein wesentlich einfacherer Fall wäre es z.B., wenn jemand nicht gegen Karmi Gilon, sondern gegen einen ehemaligen Chef des Israelischen Geheimdienstes rechtlich vorgehen würde, der sich aus privaten Gründen in Dänemark befindet und keine diplomatische Immunität besitzt. Wenn es irgend etwas gibt, dass diesen Leute wirklich Angst macht, dann ist es die Aussicht, dass ihnen eine Auslandsreise unmöglich gemacht werden könnte.

Aber jetzt sollten wir uns trotz aller dieser Fragen des Internationalen Rechts an die wichtige Definition eines Offensichtlich Illegalen Befehls, "über dem die schwarze Flagge der Illegalität weht", erinnern, die von unserem eigenen israelischen Gericht gegeben wurde. Befehle wie die, Gefangene zu foltern, Häuser von Zivilisten zu zerstören u.a. sind in meinen Augen solche Offensichtlich Illegalen Befehle. Deshalb ist die Aufforderung, diese Befehle zu verweigern, eine Aufforderung zur Verteidigung des Gesetzes gegen jene, die es brechen wollen. Ein Soldat, der in seinem Bulldozer sitzt und den Befehl verweigert, ein Haus zu zerstören, verdient die volle Unterstützung der Bürger- und Menschenrechtsorganisationen. Als Vorsitzender des Juristischen Komitees der ACRI (Vereinigung für die Bürgerrechte in Israel) würde ich bestimmt vorschlagen, dass die ACRI die juristische und öffentliche Verteidigung eines solchen Befehlsverweigerers übernimmt.

* * *
Prof. Adi Ophir: Kriegsverbrechen anprangern!

Die Israelische Armee ist in Kriegsverbrechen verwickelt - ich denke, was das betrifft, sind wir alle einer Meinung. Die Frage ist, vor welchen Gerichten es möglich ist, die Täter zu verurteilen. Einige Gerichte existieren bereits, andere werden vielleicht in der Zukunft geschaffen. Es gibt auch die Möglichkeit, simulierte Gerichte zu schaffen, die einige der Täter wenigstens vor das Gericht der öffentlichen Meinung bringen können. Und es gibt NGOs, deren Aufgabe es ist, zu dokumentieren, Beweise zu sammeln, die Schuldigen zu benennen. Auf der Grundlage des Gesagten sollten wir uns nicht die abstrakte Frage stellen, ob Israel auf dem Weg nach Den Haag ist, sondern eine viel konkretere: Warum tun wir nicht mehr dafür, dass konkrete Personen dorthin kommen, Personen, deren Namen und Adressen, und deren Untaten im Einzelnen nur allzu bekannt sind? Zum Beispiel ein Dossier über [den Verteidigungsminister und Führer der Arbeitspartei] Ben Eliezer? Wir alle wissen, was er getan hat, wofür er verantwortlich ist. Und mehr Dossiers, so viele wie möglich, zu jedem, der mit einer bestimmten Tat in Verbindung gebracht und dafür zur Verantwortung gezogen werden kann. Von Generälen über Brigade- und Bataillonskommandeure bis runter zu brutalen Feldwebeln oder Unteroffizieren an den Straßensperren. Warum kann z.B. [die Menschenrechtsorganisation] B´Tzelem nicht anfangen, solche Dossiers zusammenzustellen?

Dies würde sofort als Störfaktor wirken. Offiziere würden zögern, ins Ausland zu gehen, sie würden um Rechtsberatung bitten. Außerdem würde diese Forderung den Konflikt weiter internationalisieren - ein lebensnotwendiger Prozess, da die israelische Gesellschaft anscheinend unfähig ist, sich aus eigener Kraft vor dem Abgrund zu retten.

Natürlich hat dieser Schritt auch seinen Preis. Erstens, das Reden über Kriegsverbrechen könnte den Effekt haben, dass die Diskussion sich entpolitisiert, da der Fokus auf spezifische Personen und spezifische Befehle gelegt und der eher allgemeine Hintergrund der fortlaufenden Besatzung ignoriert wird. Zweitens, wenn eine Gruppe beginnen würde, Dossiers über bestimmte Personen zu sammeln, um sie in der Welt, über das Internet, an diplomatische Missionen etc. zu verteilen, würde dies zu einer Radikalisierung führen, zu einer Radikalisierung, die diese Gruppe noch mehr marginalisieren kann. Als ob wir nicht schon genügend marginalisiert und abgelehnt würden.

Trotzdem muss es getan werden. Wir müssen den allgemeinen Kontext im Auge behalten. Seit dem Ausbruch der Intifada, eigentlich seit dem Scheitern von Camp David, hat sich eine neue Situation entwickelt. Die Besatzung ist in eine neue Phase übergegangen, vor allem seit der Wahl Scharons. Der Bruch zwischen de facto und de jure, den es seit Oslo gab, ist verschwunden. Zwischen 1993 und 2000 ging de facto, vor Ort, im Reich des palästinensischen Alltags, die Besatzung weiter; aber de jure, in den Übereinkünften und im politischen Prozess, herrschte die Annahme vor, dass es sich um eine nur zeitweilige Besatzung handele - eine Situation, die Hoffnung gab, ein Fenster, das auf eine bessere Zukunft schaute. Im Februar 2001 wurde dieses Fenster geschlossen. In der gegenwärtigen Lage gibt es keine politische Dimension mehr, keine Pläne mit Bedeutung für irgendeine Art des politischen Prozesses. Reine Besatzung, Punkt - trotz der gelegentlichen Auftritte und Shows von Peres. De facto Besatzung und de jure Besatzung, keine Lücke.

Ein sehr wichtiger Aspekt von Oslo blieb jedoch: Zeitweiligkeit. Niemand denkt, dass die Situation für immer so bleiben kann. Alles ist zeitweilig: die Abriegelung ist zeitweilig, die Belagerung ist zeitweilig, die Ausstellung von Dokumenten ist zeitweilig. Alles ist zeitweilig, Zeitweiligkeit ist das Gesetz. Und das ist schrecklich. Unter dem Deckmantel der Zeitweiligkeit kann der Besatzer alles tun, weil es sich um einen Notfall handelt. Unter dem Deckmantel der Zeitweiligkeit gibt es noch viel mehr Kriegsverbrechen. Unter dem Deckmantel der Zeitweiligkeit kann die Gesellschaft dazu gebracht werden, ihre Augen zu schließen und alles zu ignorieren.

Wegen dieser Dynamik hat die palästinensische Seite keine andere Wahl, als Widerstand zu leisten - einen Widerstand, der nach dem üblichen zionistischen Verständnis legitim ist. Wenn man die aktuelle Lage der Palästinenser nach den üblichen Begriffen des zionistischen Diskurses beurteilt und fragt "Was würdest du in solch einer Situation tun?" würden alle Besatzer sagen: "In solch einer Situation würde ich Widerstand leisten." Wie Barak einmal sagte: "Wäre ich als Palästinenser geboren worden, wäre ich zum Terroristen geworden."

Aber diese Gleichsetzung wird natürlich normalerweise nicht getroffen, es war selbst in Baraks Fall eine Ausnahme. Normalerweise herrscht eine vollständige oder fast vollständige Blindheit gegenüber der Lage der anderen Seite vor, eine fehlende Bereitschaft, sich auch nur für einen Moment in ihre Lage zu versetzen.

Dies ist die Situation, die das neue Besatzungssystem schafft, es macht die israelische Gesellschaft nationalistischer und führt gleichzeitig zu einem Apartheidsystem innerhalb Israels. Es sind jetzt nicht mehr nur die traditionellen Formen der Diskriminierung der palästinensischen Bürger Israels: in Hinblick auf den Erwerb von Land, auf den Militärdienst und auf davon abhängige Rechte usw. Und dieser Prozess eskaliert.

Ich las gerade, dass der Innenminister die israelische Staatsbürgerschaft nicht an die Ehepartner arabischer Bürger verleihen will und dass er einen Ministererlass vorbereitet, der dieses Vorhaben juristisch ermöglicht. Und es gibt den Versuch, die Araber von der Knesset auszuschließen. Das juristische Vorgehen gegen das Knessetmitglied Azmi Bischara ist dafür ein konkretes Beispiel. Yigal Schohat hatte Recht, als er sagte, dass die Luftwaffe irgendwann einmal Umm El Fahm bombardieren könnte. Wenn wir in Richtung eines Apartheidregimes geführt werden, sollte unsere Reaktion viel weiter gehen, als die Weigerung, in den Gebieten Wehrdienst zu leisten. Einem solchen Regime gegenüber darf man nicht loyal sein. Es gibt keine Loyalität zu einem Apartheidregime! (Applaus)

Wer einmal begriffen hat, dass Besatzung und Entwicklung hin zu Apartheid eng zusammenhängen, kann kein "Insider" bleiben. Er muss sich nach "draußen" wenden. Deshalb ist das Argument, von Den Haag und Völkerrecht zu sprechen könnte uns isolieren, irrelevant. Wir sollten in diese Richtung gehen und dabei nicht nur Den Haag als eine Losung vor uns her tragen, sondern beginnen, die Akten für die bevorstehenden Kriegsverbrechertribunale zusammenzutragen, egal, ob sie je stattfinden werden.

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Dov Tamari: Der Unterschied zwischen "alten" und "neuen" Kriegen

Was ich sagen möchte steht nicht unbedingt im Widerspruch zu dem, was die Redner vor mir gesagt haben, aber ich würde gern eine andere Sicht auf die Dinge geben: den Unterschied zwischen den alten und den neuen Kriegen.

Die alten Kriege, die Kriege des 19. Jh. und ein großer Teil der Kriege des 20. Jh., wie die beiden Weltkriege und viele andere Kriege, waren Kriege eines Staates gegen einen anderen Staat, einer Armee gegen eine andere Armee. Kriege, deren Ziel es war, auf beiden Seiten, den eigenen Staat zu verteidigen, den Staatsapparat zu benutzen, um die Interessen des Staates so gut wie möglich zu wahren. Aber in den letzten Jahrzehnten gab es eine entscheidende Veränderung, eine beträchtliche Verringerung der Anzahl von Kriegen dieser Art und eine entsprechende Zunahme von Kriegen anderer Art - der "kleinen Kriege", also dessen, was "Guerilla" ursprünglich meinte, obwohl sich unter diesem Terminus eine Menge anderer Bedeutungen und Konnotationen angehäuft hat. Das ist die kleine, an den Rand gedrängte "Schwester" des herkömmlichen "großen Krieges". Theoretiker wie Clausewitz haben diese andere Art des Krieges ignoriert, vielleicht weil er nicht in die übersichtlichen Kategorien ihres deutschen Idealismus passte. Eine symmetrische theoretische Struktur wurde aufgebaut, um Krieg zu beschreiben und zu analysieren. Sie ist nicht unbedingt symmetrisch, was die Stärke der beiden Seiten betrifft - Kriege sind möglich zwischen zwei Armeen, die sich extrem in Zahl und Stärke unterscheiden. Aber selbst in diesem Fall folgen beide Staaten und beide Armeen der gleichen grundlegenden Logik. Diejenigen, die auf der Basis dieser Logik denken und handeln, sind unfähig zu verstehen, was in einem asymmetrischen Konflikt vor sich geht, einem Konflikt zwischen einem Staat und einer nicht-staatlichen Entität - einem kaum fassbaren Staat ohne sichtbare Präsenz gegenüber der sichtbaren Präsenz einer konventionellen Armee; einer dezentralisierten Entität, die um das Überleben einer Ethnie kämpft oder um das Überleben einer Religion und Kultur, wie im Fall Bin Laden.

Der sehr aktuelle Begriff "terroristische Infrastruktur" hat keine klare Bedeutung. 1982 schloss er Schulen und Wohlfahrtsorganisationen in den Flüchtlingslagern ein. Später wurden auch Moscheen dazugezählt. Tatsache ist, dass die "terroristische Infrastruktur" aus Menschen besteht, vielen Menschen. Wenn man diese "Infrastruktur" zerstören will, muss man beginnen, Menschen massenhaft zu töten, und wenn man das nicht tun will, muss man diese Idee einfach aufgeben.

Die geltenden Gesetze des Krieges passen nicht auf die Situation eines asymmetrischen Krieges. Es ist auch zweifelhaft, ob sie ihr angepasst werden könnten. Es gibt eine Kluft zwischen der westlichen Wahrnehmung des Krieges und der Wahrnehmung dieses anderen, schwer fassbaren und nomadischen Krieges. Was nicht in die Logik des "Großen Krieges" passt, wird einfach kriminalisiert und unter dem Etikett "Terrorismus" zusammengefasst, das aber vollkommen unzureichend ist.

In unserer Nähe gibt es die palästinensische Entität - und ich sage absichtlich "Entität" und nicht "Autorität". Wenn man genau hinschaut, sieht man eine formale Autorität, die sich wie ein Staat gibt, der ein Kabinett, ein Parlament und eine Armee hat. Aber daneben gibt es eine schwer fassbare Entität, ob man diese nun Hamas, Dschihad oder Tanzim nennt. Eine wandelbare Entität, ohne festgeschriebene Gesetze, entschlossen zum Töten als einem Hauptziel - die aber auch die Möglichkeit hat, das Töten zu bestimmten Anlässen zu stoppen, und mit einer hohen Lernfähigkeit.

Alle zusammen bilden eine Entität. Das ist nicht etwa eine Verschwörung - dass Arafat sich mit den Hamasleuten heimlich trifft, wie es manchmal dargestellt wird, um alles zu planen. Es ist einfach so, dass das palästinensische Konzept des Kampfes sich von unserem unterscheidet, dass es eine andere Kampfkultur ist, die wir unbedingt mit unseren Begriffen interpretieren wollen - mit dem Ergebnis, dass wir ständig falsche Schlussfolgerungen ziehen. Darum ist Scharons berühmtes Konzept von den "sieben Tagen Ruhe" vollkommen falsch. Das gleiche gilt für die Vorstellung, es gebe eine "palästinensische Stufentheorie". Träfe sie zu, dann hätten die Palästinenser einen Staat auf der Grundlage von Baraks Angebot gegründet und diesen als ein Sprungbrett für die nächst "Stufe" genutzt.

Seit 1967 stehen wir diesem Problem wieder und wieder gegenüber. Unsere Denkweise ist binär, sie verlangt entweder ein klares "Ja" oder "Nein", die es aber nie für uns gibt. "Um Krieg zu beenden, bedarf es eines Abkommens." "Angriff schafft Abschreckung." "Solange geschossen wird, kann man nicht miteinander reden, es gibt keine Verhandlungen unter Feuer." "Wenn wir in einem Punkt nachgeben, hat das einen Dominoeffekt." Unsere Politik ist völlig reaktiv. Es gibt Lernprozesse. Wir wollen morgen eine Lösung sehen. Die Zeit ist gekommen, um darüber nachzudenken, wie man in einer Lage ohne Lösung leben kann. Ich möchte nicht von Optimismus oder Pessimismus sprechen. Es ist nur so, dass ich keine Aussicht auf eine Lösung oder eine Übereinkunft sehe, außer dass man lernt, viele weitere Jahre mit dieser Situation zu leben.

Meine Wahrnehmung der Situation begann in einer besonderen Nacht, der Nacht vom 7. auf den 8. August 1970, als der Waffenstillstand zwischen uns und den Ägyptern in Kraft trat [und den dreijährige "Zermürbungskrieg" am Suezkanal beendete]. Seit 1967 hat Israel alle Chancen verpasst. Gleich nachdem wir die Gebiete in unsere Hand bekamen, hätten wir einen palästinensischen Staat gründen können, wir hätten seine Gründung sogar befehlen können. Dann wurde in Camp David - Begins und Sadats Camp David - der Vorschlag einer Palästinensischen Autonomie bewusst verwässert und führte zu nichts. Dann wurde die Umsetzung des Osloabkommens von zahlreichen Maßnahmen der Vertrauensbildung abhängig gemacht, und in der Praxis wurde Vertrauen zerstört statt aufgebaut.

Die Beseitigung der Grünen Linie drängte die Palästinenser weiter nach Westen statt nach Osten. Die Siedlungen sollten die Palästinenser in Richtung Osten vertreiben, das ist die ganze Logik ihrer Gründung. In Wirklichkeit trieb die Besatzung die Palästinenser jedoch weiter nach Westen, um Billigjobs jenseits der Grünen Linie anzunehmen und auch um dort Angriffe durchzuführen.

Tatsächlich kehren wir in die Zeit zurück, als die Kibbuz-Bewegung der [linken] Mapam von einem binationalen Staat sprach. Wenn man das nicht will, braucht man eine Grenze. Eine Grenze ist das einzige Mittel, Staaten zu kennzeichnen. Man kann keine Situation haben, in der auf der einen Seite ein Staat ist und auf der anderen Seite keiner.

Wir haben im Libanon keinen Frieden mit der Hisbollah geschlossen, aber es gibt eine klare Grenze zwischen uns und dem Libanon, die Bezugnahme darauf, "wo die Grenze ist". Israel hat die Tendenz in Begriffen von Linien, nicht von Grenzen zu denken. Waffenstillstandslinien, Linien der Feuerpause. Wir haben das Konzept der Grenze ignoriert bis zu der Schaffung einer Grenze mit Ägypten und Jordanien, aber wir haben dieses Konzept bisher nicht auf andere Gebiete angewendet.

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Michael Tarazi: Die Palästinenser und das internationale Recht

Ich bin juristischer Berater der Abteilung Verhandlungen in Ramallah. Als Anwalt möchte ich über das Problem der Palästinenser mit dem Völkerrecht sprechen - nicht mit seinem Text, sondern mit seiner Umsetzung. Die meisten Artikel des Völkerrechts, die besetzte Gebiete betreffen, sollten zugunsten der Palästinenser wirken, aber praktisch ist die Besatzung wirksam.

Während der Verhandlungen mit den Israelis, vor Camp David [2000], versuchte ein Mitglied der palästinensischen Verhandlungsgruppe, die anhaltende Ausdehnung der Siedlungen auf die Tagesordnung zu setzen, die dem Vertrauen der palästinensischen Bevölkerung in den Verhandlungsprozess außerordentlichen Schaden zufügte und nach internationalem Recht illegal ist. Der israelische Unterhändler ignorierte diese unangenehme Frage einfach. Wir fragten nun, ob Grundlage für die Verhandlungen das Völkerrecht oder die Machtverhältnisse vor Ort seien. Zuerst ignorierte unser israelischer Gesprächspartner weiterhin dieses Thema. Als wir auf einer Antwort beharrten, brauste er plötzlich auf: "Wir werden die Genfer Konvention nur dann umsetzen, wenn wir dazu gezwungen werden." Wir wussten natürlich schon vorher, dass dies die israelische Politik war. Aber es war doch ein Schock, dies mit solch brutaler Offenheit gesagt zu hören. Wir verstanden, dass die obere Ebene der Barak-Regierung beabsichtigte, bei den Verhandlungen nicht vom Völkerrecht, sondern von den Machtverhältnissen auszugehen.

Als wir einen Blick zurück warfen, wurde uns bewusst, dass dies die Politik schon seit Beginn der Verhandlungen 1993 gewesen ist. Das widerspiegelte sich auch in der Terminologie, die weltweit verbreitet wurde. Da war nicht mehr die Rede von "Besetzten Gebieten", sondern nur von "Strittigen Gebieten" - d.h. Gebieten, auf welche niemand einen natürlichen Anspruch hat und deren Schicksal auf der Basis der Machtverhältnisse entschieden wird. Sie unterschieden nicht zwischen Ost- und West-Jerusalem, es gab nur das eine "Jerusalem". Gilo wird nicht als Siedlung definiert, sondern als Vorort. Die Menschen, die dort leben, wissen überhaupt nicht, dass das jenseits der Grünen Linie ist. Wie können die Menschen in aller Welt verstehen, worin der Konflikt hier besteht, wenn schon die Bezeichnungen verdreht und vorsätzlich irreführend sind?

Der Mann am Verhandlungstisch uns gegenüber sagte, dass sich Israel nur dann entsprechend der Genfer Konvention verhalten wird, wenn man es dazu zwingt. Wie aber können wir Palästinenser den Staat Israel zwingen? Das ist mit dem verbunden, was Herr Tamari hier sagte, eine Sache von Staat gegen Staat. Wir sind aber kein Staat. Wir waren gezwungen, jemanden zu suchen, der der Genfer Konvention Geltung verschafft. Dies ist nicht die erste Besatzung in der Geschichte. Es wurden Regeln definiert, was unter Bedingungen der Besatzung erlaubt und was nicht erlaubt ist. Die Genfer Konvention sollte der Kontrolle dieser Regeln dienen.

Einige Palästinenser sind mir böse, wenn ich sage, dass die Besatzung an sich nach dem Völkerrecht nicht illegal ist. Aber die Zerstörung von Häusern ist ganz bestimmt illegal, und ebenso sind es Ausweisungen, ist es die Behinderung der Bewegungsfreiheit und die Folter. Alles das ist definitiv verboten. Ebenso sind Siedlungen verboten. Die Genfer Konvention verbietet ausdrücklich die Umsiedlung der Bevölkerung der Besatzungsmacht in das besetzte Territorium. Wie der Text der Konvention besonders hervorhebt, ist das notwendig, um dem Besatzer jede Möglichkeit zu nehmen, "die Existenz der örtlichen Einwohnerschaft als Volk/Ethnie zu bedrohen". Der Staat Israel trat der Konvention bei - das war eine Bedingung für die Aufnahme Israels als Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen 1949. Aber Israel kümmert sich nicht um diese Unterschrift, zieht aus ihr keinerlei praktischen Schlussfolgerungen.

Das Völkerrecht verbietet die gewaltsame Ausdehnung der Grenzen. Die legalen Grenzen sind die Grenzen von 1967. Da gibt es keine Unterschiede zwischen verschiedenen Teilen des Besetzten Gebietes. Die Besatzung beginnt nicht jenseits von Ma'aleh Adumim. Ma'aleh Adumim ist eine Siedlung, und ebenso sind dies Gilo und der Französische Berg, welche oft als "Vorort von Jerusalem" beschrieben werden.

Also, wie kann das Völkerrecht durchgesetzt werden? Wir wendeten uns an die Vereinten Nationen. Wir bekamen Hunderte, Tausende UN-Resolutionen. Was sind sie wert? Wir wandten uns an die Unterzeichnerstaaten der Vierten Genfer Konvention. Wir baten sie, die Konvention durchzusetzen, die sie unterschrieben hatten. Sie stimmen zu, sie lächeln uns an, sie tätscheln uns. Aber sie kaufen weiterhin die Produkte aus den Siedlungen, sie ziehen keinerlei Sanktionen in Erwägung. Sanktionen sind Maßnahmen, die man ausschließlich gegen arabische und muslimische Staaten anwendet.

Das ist, als fordere man das Opfer einer Vergewaltigung auf, selbst Sorge dafür zu tragen, dass das Gesetz gegen den Vergewaltiger angewendet wird. Wenn es diese Macht hätte, wäre es wahrscheinlich gar nicht vergewaltigt worden.

Im vergangenen Jahrzehnt gab es jedoch einige neue Entwicklungen auf dem Gebiet des humanitären Völkerrechts. Insbesondere, von unserem Standpunkt aus, wer wen gerichtlich belangen kann. Das neue belgische Gesetz macht es möglich, jemanden anzuklagen, der das Kriegsrecht gebrochen hat, unabhängig davon, wer der Täter und wer das Opfer ist. Das Recht der Anklage vor internationalen Gerichten ist nicht länger auf Staaten beschränkt. Jetzt können auch Individuen dort ihr Recht suchen.

Einer der Kläger im Fall gegen Scharon in Brüssel ist Suad Sarur, eine Frau, die während des Massakers von Sabra und Schatila 1982 vergewaltigt wurde. Sie sah, wie ihre Eltern und ihre fünf Brüder ermordet wurden. Dann, drei Tage später, versuchte sie das Lager zu verlassen, aber sie wurde von den Soldaten erkannt, die sie vergewaltigt hatten, und wurde wieder vergewaltigt. Die Leute, die das taten, gehörten zu den Milizen der libanesischen Falange, Scharons Verbündeten, welche unter dem Schutz des israelischen Militärs in das Lager eingedrungen waren. Wir, die Palästinensische Behörde, sollen als Staat handeln, sollen alle Verpflichtungen eines Staates erfüllen, obwohl wir nur 18 Prozent des Gebiets in 13 getrennten Enklaven kontrollieren. Wenn wir versucht hätten, Scharon in Belgien für das anzuklagen, was dieser Frau und vielen anderen angetan wurde, hätte man uns einer Provokation beschuldigt und uns vorgeworfen, der Sache des Friedens zu schaden, und die Amerikaner hätten Scharon dabei unterstützt. Aber jetzt kann die Frau selbst vor das belgische Gericht gehen, zusammen mit 23 anderen Palästinensern aus dem Libanon, Überlebenden des Massakers.

Und hier in den Besetzten Gebieten untenehmen palästinensische NGOs Aktionen, um dem Völkerrecht Geltung zu verschaffen. Sie sammeln Beweismaterial, nicht nur gegen Scharon und die Köpfe der IDF, nicht nur gegen die Soldaten an den Straßensperren, sondern auch gegen die Siedler, gegen jene, die Eigentum in der West Bank zerstören, gegen Baufirmen, die Siedlungen errichten und gegen Immobilienfirmen, die Geld damit machen. Alles wird dokumentiert und aufgeschrieben. Das wird uns mehr helfen als die meiner Ansicht sehr destruktiven terroristischen Anschläge.

* * *
Schulamit Aloni: Die Anschuldigung des Antisemitismus schützt Scharon vor internationaler Kritik

Ich möchte an dem Punkt fortsetzen, wo mein Vorredner aufhörte.

Der Bruch des Völkerrechts hält an, Tag für Tag - ungestraft. Wir können die Grenzen der Macht schon nicht mehr erkennen. Den Nicht-Juden erklären wir, dass die Gesetze für uns nicht gälten, und wenn sie das nicht kapieren wollen, dann heißt das, dass sie Antisemiten sind.

Nach dem Eichmann-Prozess [Todesurteil 1961] erklärte Golda Meir [1956-65 Außenministerin, 1969-1974 Ministerpräsidentin], wir hätten das Recht, alles zu tun. Während des Libanon-Krieges [1982] sagte Begin [1977-83 Ministerpräsident], niemand habe das Recht uns zu sagen, was zu tun sei, besonders jene nicht, die Dresden bombardiert hatten. Er griff auch den deutschen Kanzler Schmidt rüde an, obwohl er genau wusste, dass Schmidts Großvater Jude war und dass diese Familie sich in der Zeit des Holocaust nicht schuldig gemacht hatte. Einen Tag nach dieser Erklärung Begins gab es den schlimmsten Bombenangriff auf Beirut. Denn wenn alles erlaubt ist, dann ist tatsächlich alles erlaubt.

Unsere Diplomaten versuchen, den VN die Version zu verkaufen, dass die Gebiete gar nicht besetzt seien, ungeachtet der Tatsache, dass wir sie niemals angliederten, sondern sie unter Militärverwaltung stellten - das Kennzeichen einer Okkupation. Aber Prof. Yehudah Blum, dessen legalistische Sophismen herangezogen werden, wenn immer unsere Diplomaten in den VN auftreten, erfand die glänzende Idee, dass wir die Gebiete von einem Besatzer erobert hätten, und dass sie deswegen unsere seien. Tatsache ist, dass die Westbank 1949 mit dem Waffenstillstandsabkommen unter jordanische Herrschaft kam, mit dem vollständigen Einverständnis aller Parteien und unter Aufsicht der Vereinten Nationen. Im Unterschied zu uns verhielten sich die Jordanier dort nicht wie Besatzer. Sie gaben den Palästinensern die Staatsbürgerschaft und öffneten ihnen den Zugang zum jordanischen Parlament und zur Armee. Früher schon hatten die Balfour-Deklaration [1917] und das Mandat des Völkerbundes über Palästina - Dokumente, die von uns oft zitiert werden - die Schaffung einer jüdischen nationalen Heimstätte in diesem Land versprochen. Aber dies wurde abhängig gemacht von der Wahrung der Rechte der vorhandenen Bevölkerung - einem Vorbehalt, der heute praktisch vergessen wird.

Der neue israelische UN-Botschafter saß mit mir zwei Stunden lang zusammen und versuchte mir zu erklären, dass es keine Besatzung gibt und das gesamte Gebiet uns gehört. Ich sagte ihm, wenn er die Karte des Waffenstillstands von 1949 nicht anerkenne, welcher bis Juni 1967 hielt, sei die logische Schlussfolgerung nicht, dass uns alles gehöre. Die logische Schlussfolgerung wäre vielmehr, auf den Teilungsplan von 1947 zurück zu gehen, der uns sehr viel weniger gefallen würde.

Wir haben kein einziges Menschenrechtsabkommen unterzeichnet. Es gibt kein Regionalabkommen in unserer eigenen Region, und wir sind der europäischen Konvention nicht beigetreten. Wir wollen unbedingt Europäer sein, wir fordern lautstark das Recht, allen möglichen europäischen Institutionen beizutreten - aber wenn es um die Menschenrechte geht: No, Sir! Wir sind auch dem Vertrag von Rom nicht beigetreten, wir haben nicht den Wunsch, dass er auf uns angewendet wird.

Seit 1995 haben wir aufgehört, ein demokratischer Staat zu sein. Es wurde das Gesetz erlassen, nachdem Mitglied der Knesset nur werden darf, wer Israel als "Staat des jüdischen Volkes" anerkennt. Das ist der Sieg von Kahane! [Rabbi Meir K., Gründer der terroristischen Jewish Defense League und der extrem rassistischen israelischen Kach-Partei. Apologetische Biografie: freepages.history .rootsweb.com/ ~mbabq/biok.htm] Die Siedlungen sind illegal. Jeder weiß das. Der Vorwand für die ersten Siedlungen waren militärische und Sicherheitsgründe, und der Oberste Gerichtshof arbeitete mit diesem Vorwand. Als die Siedlung Schilo gegründet wurde, erklärte man zuerst, sie diene archäologischen Grabungen... Von Siedlung zu neuer Siedlung wächst ihre Gier, das Verbrechen nimmt zu, es ist Landraub im hellen Tageslicht.

Angesichts dessen, was sich heute in den Gebieten abspielt, müsste es dort internationale Beobachter geben, um dieser Gier ein Ende zu machen. Aber die Beobachter werden nicht kommen - wegen der Taktik, die Schuldgefühle der westlichen christlichen Welt zu missbrauchen. Wie reagierte Scharon, als gegen ihn in Belgien Anklage erhoben wurde? "Das geht nicht gegen mich. Das geht gegen Israel, gegen das jüdische Volk, gegen alle Generationen des jüdischen Volkes." Scharon ist also Israel. Er ist das jüdische Volk. Er ist die Verkörperung aller Generationen des jüdischen Volkes. Er ist sakrosankt. Und wenn die Belgier ihn weiter gerichtlich belangen, dann bedeutet dies, dass die Belgier Antisemiten sind...

Wie viel Überheblichkeit, wie viele Techniken, alle Gesetze zu umgehen! Was für diese brutalen Grundbesitzer, die Siedler des Gaza-Streifens ausgegeben wurde, die das Land mit der Arbeit importierter Wanderarbeiter kultivieren, hätte leicht gereicht, die Probleme der Behinderten und Invaliden zu lösen, die nur eine geringe Erhöhung ihrer Beihilfen fordern. Der Botschafter der USA in Israel, ein Jude, sagte genau das. Und was meinte der Siedler-Knessetabgeordnete, unser König der Berge, dazu? Der Siedler sagte, dass der Botschafter "ein kleiner Judenbengel" sei.

Die Regierung hat keine Pläne für den Neubeginn oder das Voranbringen des Friedensprozesses. Nichts steht ihren Absichten ferner. Die USA geben ihr Rückhalt, weil es in den USA Juden gibt und weil es dort politische und Wahlrücksichten gibt. Darum wird es wahrscheinlich weder Beobachter in den Gebieten noch Anklagen gegen Israelis vor dem Gerichtshof für Kriegsverbrechen geben.

Unsere Öffentlichkeit ist zum Kollaborateur geworden. Das Volk plappert nach, was die Regierung sagt. Neulich hörte ich im Radio eine Nachricht, von der ich wusste, dass sie falsch war. Ich rief den Nachrichtenredakteur an und er sagte mir: "Ich weiß das, aber meine Bosse erwarten das von mir." Die Regierung verschärft die Situation unablässig, und Schimon Peres ist mit dabei und hat seinen Anteil an der kollektiven Verantwortung für das, was geschieht. Weiß die Arbeitspartei nicht, was es bedeutet, in der Opposition zu sein? Peres sagt, wenn er in der Opposition wäre, müsste er die Journalisten um zwei Zeilen "unter ferner liefen" anbetteln. Uri Avnery war in der Knesset und war in der Opposition - manchmal war er ganz allein die Opposition. Wenn Peres draußen geblieben wäre, wäre unsere Situation viel einfacher, einfacher für die vielen Menschen, die ihre Menschlichkeit bewahren und nicht zu Kollaborateuren werden wollen.

Ich setze, wegen dieser Manipulation und der Anschuldigungen des Antisemitismus, keine großen Hoffnungen in den Internationalen Gerichtshof. Die Deutschen zum Beispiel, mit all ihrer Macht in Europa, werden keinerlei Konfrontation mit der israelischen Regierung wagen. Kanzler Kohl war Israels wichtigster Vertreter bei den Treffen der Europäische Union. Alles wegen dieses Schuld- und Verantwortungsgefühls, das systematisch und zynisch manipuliert wird. Das kann sich ändern, wenn wir, die Israelis, die an Frieden und Gerechtigkeit glauben, den Europäern erklären, dass das, was jetzt geschieht, schlimmer als Antisemitismus ist.

Jedes palästinensische Dorf und jede palästinensische Stadt wurde praktisch zu einem Gefangenenlager. Sie können nicht reisen, die Straßen sind für sie gesperrt. Die Gier wächst immerfort. Sie sprechen von Demografie, von einer "demografischen Bedrohung", um den Boden für einen "Großen Plan" der Eroberung und Vertreibung vorzubereiten, wie das, was Scharon im Libanon ausführen wollte. Benni Elon und Avigdor Liebermann, die rechtsextremen Minister, sprechen offen darüber.

Scharon lobt sie und spricht von "unserem Anrecht" auf beide Ufer des Jordans, und über die Möglichkeit, er könne "Großzügigkeit " zeigen, indem er das Ostufer "aufgibt".

Wir haben noch nicht wirklich verstanden, was es bedeutet, ein Rechtsstaat zu sein, an Recht und Gesetz festzuhalten. Vor 1946 dachten unsere Führer, es wäre ehrenwert, die Briten zu bestehlen, und solche Haltungen haben es an sich, tief verinnerlicht zu werden.

Wir Bürgerinnen und Bürger müssen uns zum Protest organisieren und unsere Stimme erheben. Oder wir werden als die Parias der Welt enden, und das verdientermaßen. Wir hier sind ein großer Teil der Öffentlichkeit. Wir können unsere Stimme zum Protest erheben, wir können demonstrieren. Die Medien werden uns nicht auf Dauer ignorieren können. Wir können uns nicht auf die internationale Gemeinschaft oder die internationalen Gerichte verlassen. Es sei denn, wir selbst rufen sie auf, zu kommen und die emotionale Erpressung zu ignorieren, Antisemiten genannt zu werden. Wir müssen die Dinge beim Namen nennen: Unsere Regierung begeht Kriegsverbrechen. Wir müssen das stets und ständig wiederholen, wie Cato der Ältere seine Warnung wiederholte. Ohne mit der Wimper zu zucken. Die Zeit ist gekommen, die Kriegsverbrechen-Dossiers anzulegen!

[Note: In several of the following speeches, the term "Black Flag" occurs. It is taken from the verdict Israeli Supreme Court which found guilty the perpetrators of the 1956 Qafr Qasem massacre, rejecting their plea of following orders and ruling that a soldier has the right and duty of refusing "A manifestly illegal order, on which the black flag of illegality flies". There is, however, no autoritative definition as to what may constitute such an order.]

Israel on the way to the Hague?
War Crimes and Israel's security

Schwarze Fahne, finsteres Licht

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haGalil onLine 29-01-2002

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