"Einer meiner besten Freunde ist Jude...":
Kritik der EU-Studie
Von Clemens Heni, Jörg Rensmann, Martin Ulmer,
Susanne Wein
Es ist ein Skandal, dass die Studie "Manifestations
of Antisemitism in the European Union", die das Zentrum für
Antisemitismusforschung (ZfA) an der Technischen Universität Berlin
im Auftrag des European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia
(EUMC) erstellt hat, offenbar gerade wegen des deutlichen Anstiegs
des Antisemitismus in der Europäischen Union seit Beginn der II.
Intifada im Herbst 2000 und noch verschärft seit dem
antisemitisch-antiamerikanischen Massaker im World Trade Center, der
Ermordung von 3000 Menschen durch islamistische Djihadisten am 11.
September 2001, vom EUMC lange unter Verschluß gehalten wurde.
Das EUMC wird seinem kritischen Beobachterauftrag
innerhalb der EU nicht gerecht und an seiner unsachlichen Kritik an
der Studie wird die politisch durchsichtige Position dieser
Organisation deutlich, die nicht willens ist, die gefährlich
eskalierenden Zusammenhänge von Antizionismus, Antiamerikanismus und
Antisemitismus öffentlich darzustellen. Ist die EUMC ein
Propagandaorgan oder eine wissenschaftliche Clearingstelle?
Allerdings ist die Studie selbst zu kritisieren. Denn
wenn man sich in die Länderberichte der unterdrückten EUMC-Studie
vertieft, sind die sozialwissenschaftlichen Defizite und die
verharmlosenden Schlussfolgerungen eklatant, z. B. im
Deutschland-Bericht. Das EUMC beauftragte eine völlig
unbekannte Forschungseinrichtung, das Europäische Forum für
Migration an der Uni Bamberg, die noch nie durch
Antisemitismus-Forschung in Erscheinung getreten ist, mit der
Datensammlung. Verantwortlich für die Zusammenstellung der Fakten
und die inhaltliche Ausrichtung und Analyse ist nach eigenen Angaben
jedoch das ZfA.
Wieso die Studie im Teil zu Deutschland damit
einsetzt, dass die jüdische Gemeinde die Zahl ihrer Mitglieder in
den letzten Jahren verdoppelt habe, bleibt völlig zusammenhangslos.
Es wird damit jedoch fatalerweise suggeriert, es bestehe ein
Zusammenhang zwischen der Zahl der Juden und Antisemitismus.
Bekanntlich muß ein Antisemit nie einem Juden begegnet sein, das ist
gerade Zeichen seiner verhärteten, ich-schwachen Persönlichkeit, die
ein rationales Argumentieren verunmöglicht. Doch solche Erkenntnisse
der internationalen Antisemitismusforschung - Psychoanalyse,
politische Kultur, deutsche Spezifik als projektive Schuld- und
Erinnerungsabwehr aus sekundärem Antisemitismus nach der deutschen
Tat - solche eminent wichtigen Forschungsresultate der letzten Jahre
und Jahrzehnte übergeht dieses renommierte Institut. Auch dessen
newsletter Nr. 26 Dez. 2003 wird hierzu nicht wirklich klarer oder
analytisch deutlicher.
Die Studie versteckt sich sodann z. B. hinter
Alexander Brenner, der völlig zutreffend die ‚Israel-Kritik‘ als
getarnten Antisemitismus, als antizionistischen Antisemitismus
interpretiert. Selbst wird die Studie an keiner Stelle deutlich und
analysiert die immanente Verbindung von Antizionismus
('Israel-Kritik') und Antisemitismus nicht! Jean Améry hatte den
Antizionismus schon 1969 erkannt: "Fest steht: der Antisemitismus,
enthalten im Anti-Israelismus oder Anti-Zionismus wie das Gewitter
in der Wolke, ist wiederum ehrbar." Und zwar durch die politische
Linke, die auch heute einen wichtigen Faktor im Anwachsen des
weltweiten Antisemitismus darstellt.
Seitenlang werden in der Studie Informationen wahllos
aneinandergereiht statt aufeinander bezogen (additiver
Positivismus). Der entscheidende Zusammenhang von Martin Walsers
Tabubruch im Kontext von Jürgen W. Möllemanns antisemitischen
Attacken auf Israel und Michel Friedman wird z. B. nicht analysiert,
sondern auseinandergerissen und der antisemitische Charakter von
Walsers Roman somit verharmlost. Die Verschiebungen vom latenten zum
manifesten Antisemitismus im Sinne, "man darf doch noch sagen
dürfen...." werden in der Studie nicht herausgearbeitet, obwohl die
Umfrageergebnisse genau diese neue Dimension des Antisemitismus in
Deutschland belegen (vgl.
Ulmer). Proteste kleiner Gruppen gegen den Antisemitismus,
von denen abgesehen von der Studie hierzulande noch niemand Notiz
genommen hat, und folgenlose Bundestagsresolutionen gegen
Antisemitismus werden zu starken Gegenkräften hochstilisiert, obwohl
dies im Frühsommer 2002 in der deutschen Debatte keine Rolle
spielte. "Die Resolutionen spielten überhaupt keine Rolle. Es
interessierte ja auch niemanden. Es hat auch kaum jemand zur
Kenntnis genommen." (Julius
Schoeps im Interview mit der "taz")
Hinzu kommt die falsche Interpretation der
Medienanalyse. Zu 'Medien Tenor' heißt es: "compassed a broader
spectrum of neutral presentation of events." Medien Tenor jedoch
kommt zu völlig anderen Resultaten (Zitat
aus Heni): "Medien Tenor says that the characteriziation of
Israel in German Media is bad. Already before the WTC murdering by
islamic jhads, the image was rather negative, in detail: 25%
negative reports, 72% neutral reports and only some 3% positive
representations. After WTC the reception of Israel has enormiously
deteriorated: more than 45% of the news have a clear negative pitch,
49% are neutral and just a few more than before, mere 5,5% report in
a positive manner about Israel. In contrast the negative Image of
the PA has even decreased after 9 11 2001, from 45 to some 25 %,
while Israel is considered more negative in comparison with the PA
(Palestinian Authority) after WTC (negative Image of Israel is 40 %
after WTC). It appears very significant to me, that the antisemitic
impact of suicide bombing as well as islamic antisemitism are being
denied by significant parts of German society. Along with this
phenomenon comes a partial tolerance or even support of these
islamic groups."
Im Zusammenhang mit Möllemanns antisemitischen
Tabubrüchen werden Ereignisse falsch dargestellt, als ob Politiker
von allen demokratischen Parteien sich von dessen Attacken deutlich
distanziert hätten. Der Bericht verschweigt, dass es über Wochen
keine prominenten Politiker waren, sondern, substantiell, nur
Politiker aus der zweiten Reihe. Erst als das Ansehens Deutschlands
durch Möllemanns antisemitische Manifestationen ernsthaft gefährdet
war, meldete sich z.B. Bundeskanzler Schröder am Ende der Debatte zu
Wort. Denn Schröder hatte sich auf einer prominenten
Parteiveranstaltung mit Walser gerade am 8. Mai 2002 getroffen. Auch
Bundespräsident Raus Verharmlosung des FDP Politikers in der
Betonung, die Kritik an Israel sei kein Antisemitismus, stellt die
Studie als Leistung für Juden heraus.
Karsli "launched a public debate about criticiczing
Israels Policy and anti-Semitism" ist sprachlich unklar: Von "Kritik
an der israelischen Tagespolitik" ( es wird im antizionistischen
Ressentiment eben nicht die "policy" Israels angegriffen, sondern
seine Existenz als jüdischer Staat) zu sprechen, ist semantische
Verharmlosung: Karsli ist ein Antisemit mit einem geschlossenen
antisemitischen Weltbild incl. der Imago einer 'jüdischen
Weltverschwörung'. Ein solcher Politiker regt also keine "Debatte
an", sondern lässt seinem Ressentiment freien Lauf. Dieser
Unterschied wurde schon im Fall Walser 1 (Oktober 1998ff.) deutlich.
Die große Zustimmung für Möllemann dokumentieren
nicht nur 15.000 Leserzuschriften, sondern im Medienecho wurde
Möllemann nicht selten als derjenige gefeiert, der sich traut zu
sagen, was viele denken, was sich zusätzlich auch im überwiegend
neutralen bis positiven Medienecho abzeichnete. Die angesehene
Frankfurter Allgemeine Zeitung lobte am 23. Mai 2002 im Leitartikel
die heroische Tat Möllemanns und der FDP als erste Partei in
Deutschlands, die die Historisierung des Nationalsozialismus
betreibe und die die Kritik an Israel vom Antisemitismus-Verdacht
befreie, was "ein Fortschritt sei".
Bezeichnend für das antisemitische Klima in der
politischen Kultur Deutschlands war die weitgehende Isolierung des
Zentralrats der Juden im Kampf gegen die antijüdischen Angriffe von
Möllemann. Die FDP-Führung unter Guido Westerwelle ließ ungeachtet
des moralischen Drucks einiger Altliberaler den Wahlstrategen
Möllemann bewusst gewähren, stiegen doch im Mai 2002 die
Umfrageergebnisse für die FDP um einige Prozente an. Erst als das
internationale Ansehen der Bundesrepublik durch den eskalierenden
Antisemitismusstreit gefährdet schien, verurteilte die politische
Klasse die Ausfälle Möllemanns. Die Medien von ARD bis RTL und n-tv
sprachen sodann, wenn es um Möllemanns antijüdisches Hetzflugblatt
ging, unisono vom "israelkritischen Flugblatt". Bei einem Flugblatt,
das den israelischen Ministerpräsidenten als panzerfahrenden
Kindermörder in antisemitischer Diktion diffamiert, wird von
"Kritik" gesprochen.
Daran schließt sich die Erwähnung einer Ausstellung
über antisemitische Briefe an den bekannten jüdischen Journalisten
Henryk M. Broder, die unter dem Titel "Ich bin kein Antisemit" im
Jüdischen Museum Berlin zu sehen war, an. So wie kontextualisiert
wird, müssen Leser in Neuseeland oder Mexiko denken: immerhin
schreiben Leute Briefe und fangen an, sich klar gegen Antisemitismus
zu positionieren. In der Ausstellung geht es ums glatte Gegenteil,
um antisemitische Hetzbriefe und Drohungen übelster Art!
Nun wollen wir noch auf zumindest zwei Leerstellen im
Deutschland-Bericht hinweisen:
1) Als Ausweg aus dem Antisemitismus wird der
interreligiöse Dialog gelobt. Gerade Bremen sei ein gutes Beispiel.
Bremens Ministerpräsident Hennig Scherf jedoch, der Beziehungen zu
islamistischen Gruppen wie Milli Görüs und deren Moscheen pflegt, in
deren Räumen offen gegen Juden gehetzt wird und Bücher von
Auschwitzleugnern wie Roger Garaudy ausliegen, hat sich als Gegner
des Antisemitismus somit nicht exponiert. Dass die Printmedien solch
einen multikultureller Dialog als 'Aktion für Juden' anpreisen, ist
absurd. Geht es beim Antisemitismus denn gegen Moslems oder gegen
Juden?
2) Eine weitere Leerstelle des Berichts: Der ver.di
Vorsitzende Bsirske hatte vermögende Unternehmer namentlich genannt
(was gefährlich ist und links-deutschem Verständnis von Kapitalismus
und 'Ausbeutung' Vorschub leistet), was aber noch viel dramatischer
den hessischen Ministerpräsidenten und die CDU -Zukunftshoffnung
Roland Koch zu folgendem veranlasste: Bsirskes Namensnennung sehr
vermögender Menschen sei "eine neue Form von Stern an der Brust".
Diese Äußerung tätigte er im hessischen Landtag.
Diese gravierenden wissenschaftlichen und politisch
motivierten Mängel des Deutschlands-Berichts wären vermeidbar
gewesen. Der Durchbruch des manifesten Antisemitismus in Deutschland
2002 hätte klar herausgearbeitet werden können und hat durch die
jüngsten Entwicklung (Hohmann, Günzel, Attack, EU-Studie, in der 65%
der Deutschen Israel als größte Bedrohung für den Weltfrieden sehen
und einer Bielefelder Studie nach der 70%
nichts mehr vom Holocaust hören wollen) seine volle
Bestätigung gefunden. Warum werden diese massiven Tendenzen vom
Zentrum für Antisemitismusforschung nicht zur Kenntnis genommen?
Die umstrittene EU-Studie:
Manifestations of Antisemitism in the European Union
105 Seiten, pdf-format, vorerst nur
englisch...
Europa und der Antisemitismus:
Warum wurde das Dokument eingezogen?
Prof. Werner Bergmann, Leiter der
Antisemitismus-Forschung an der Berliner TU: "Die EU hat die Studie
begraben, aus Angst vor einem Bürgerkrieg"...
Die Deutschen haben es satt:
"Vom Holocaust nichts mehr hören"
M'ariw und haArez zitieren die Studie nach der
die Mehrheit der Deutschen nichts so sehr hasst wie "Vorwürfe"...
From Latent to Manifest Antisemitism:
Current Trends in Germany
In autumn 2002 residents of a street in
Berlin shouted: "Jews out", when the chairman of the Jewish
community held his speech at a public renaming of a street. The
Jüdenstraße was to receive its original name again, which was
changed to Kinkelstaße in 1930 by the national socialists...
German Political Culture:
The Relationship to Anti-Zionism and Jihad before and after 11
September 2001
Analyzing political culture is one
possible way to approach German society and at the same time single
out German specifics of antisemitic impact...
hagalil.com
17-12-2003 |