Europa und der Antisemitismus:
Warum wurde das Dokument eingezogen?
Scharon Sadeh in haArez
Prof. Werner Bergmann, Leiter der
Antisemitismus-Forschung an der Berliner TU: "Die EU hat die Studie
begraben, aus Angst vor einem Bürgerkrieg"
Die Leiter der "Zentrum
für Antisemitismusforschung" an der Technischen Universität
Berlin (ZFA) machen keinen Hehl daraus, dass sie beleidigt sind. Nach
Monaten schwieriger Anstrengung, stellte sich heraus, dass die
"Europäische Zentrale für Kontrolle über Rassismus und Fremdenhass"
(EUMC), die sich in Wien befindet, beschlossen hat, den umfangreichen
Bericht, den ersten in seiner Art, über die Ursachen des Antisemitismus
in Europa, einzuziehen – und ihn nicht zu veröffentlichen. Die
offizielle Begründung, die dafür gegeben wurde: das Dokument, das im
deutschen Zentrum verfasst wurde, ist von einer anti-moslemischen
Tendenz geprägt; die Datenbank, die benützt wurde war mangelhaft; die
Definitionen, die den Verfassern dienten waren "zu kompliziert" und
nicht annehmbar.
Die zwei Verfasser des Berichts, Prof. Wolfgang Benz
und Prof. Werner Bergmann – leitende Forscher im Zentrum für
Antisemitismusforschung – konnten nicht glauben, was sie zu hören
bekamen. "Die Behauptung ist absolut lächerlich und von unserer Warte
aus handelt es sich gewissermaßen um Verleumdung", sagte Bergmann in
einem Telefoninterview mit haArez aus Berlin: "Wir sind mehr als 20
Jahre tätig und gelten als das führende Institut Europas in der
Antisemitismusforschung. Es ist nicht akzeptabel, dass man eine seriöse
Forschung in höhnischer Weise beiseite schiebt".
Bergmann, Professor der Soziologie, bietet eine andere
Erklärung dafür an, dass der Bericht zurückgezogen wurde: "Ich glaube,
dass die EU den Bericht aus Angst vor einem Bürgerkrieg und übermäßiger
politischer Korrektheit begraben hat."
Der Beschluss eine Forschung über den Antisemitismus
in Europa zu veranlassen, wurde von der EUMC, einem Organ der EU,
gefasst, nachdem im Jahr 2002 eine deutliche Zunahme von antisemitischen
Angriffen verzeichnet wurde. Nach drei Forschungen über Fremdenhass und
den Gründen der "Islamophobie" – die von der EUMC seit den Anschlägen
des 11. September veröffentlicht wurden – baten die Leiter darum, das
Bild, das sie in Händen hielten, zu vervollständigen. Sich an das
Zentrum in Berlin zu wenden war ganz natürlich, da es seit seiner
Gründung im Jahr 1982 über internationales Prestige verfügt.
Doch sofort nachdem sie die ersten Ergebnisse
erhielten, wurde den Verfassern des Berichts klar, dass sie auf einem
Pulverfass sitzen. Zum ersten Mal wurde eine wissenschaftlich begründete
Bestätigung für die Annahme gegeben, dass hinter den antisemitischen
Angriffen vor allem extremistische moslemische Aktivisten und Organe
stehen – deren Herkunftsländer vor allem Marokko und Algerien sind – die
im Herzen der moslemischen Gemeinden leben und werken. Zu ihnen
gesellten sich, so stellte es sich den Forschern heraus, Aktivisten, die
den radikalen Linksgruppen angehören, die gegen alles sind, was mit den
USA, dem Kapitalismus und der Globalisierung identifiziert wird (als
Beispiel für die Aktivitäten dieser Kreise gegen Israel, kann man die
Stürmung der israelischen Botschaft in London vor ungefähr einem Jahr,
durch Linksaktivisten in Großbritannien, nennen). "Sie hatten große
Schwierigkeiten, die Schlüsse zu akzeptieren", sagt Bergmann. "Sie baten
uns immer wieder, die Entwürfe umzuschreiben, die Schlüsse zu mildern,
die Behauptungen auszugleichen".
Die Verfasser des Berichts, die die Forschung anfangs
als eine relativ leichte Aufgabe angesehen hatten (Informationssammlung
aus den 15 EU Staaten und dessen Analyse) und sogar als nebensächliche
Angelegenheit in der laufenden Tätigkeit des Zentrums, fanden schnell
heraus, dass sich diese Forschung zu einem vordringlichen, komplexen
Projekt wandelte.
Die Verfassung der Forschung verwickelte sich, als das
Zentrum in Wien forderte, klare Kriterien zur Unterscheidung von
legitimer Kritik an Israel und antisemitischen Argumenten, zu schaffen.
Die Forscher entwickelten 4 solche Kriterien:
- der Vergleich zwischen Israel und Nazi-Deutschland;
- kollektive Beschuldigung der Juden für die
Verantwortung an der israelischen Politik;
- Verwendung von Doppelmoral gegen Israel (z.B.: es
so darzustellen, dass Israel sich nicht an internationale
Konventionen hält, während man es ignoriert, dass andere Länder das
Gleiche tun)
- Wiederverwertung antisemitischer Stereotypen (wie
z.B. Karikaturen, in denen IDF Soldaten als Jesus Mörder dargestellt
werden).
Doch auch diese Kriterien wurden von der Leitung des
Zentrums zurückgewiesen, die der Meinung war, dass ein Teil davon sich
im Bereich der rechtmäßigen politischen Behauptung befindet. Überhaupt,
meint Bergmann, war ein bestimmter Wille des EUMC erkennbar, eine hohe
Schwelle anzusetzen, die so wenig Taten als möglich unter die Definition
des Antisemitismus fallen lässt.
Das zweite Problem, sagt Bergmann, war, dass die
Direktion des Zentrums in Wien nicht bereit war, die Möglichkeit
anzuerkennen, dass Minderheiten – die selbst Opfer von Diskriminierung
sind – selbst durch rassistische Neigung beeinflusst sein können.
"Ich habe Schwierigkeiten, ihre Einstellung zu
verstehen", sagt Bergmann, "wir waren mit ihrer Forderung einverstanden,
dass die Kritik an der Existenz des Staates Israel nicht als
antisemitische Aussage gewertet werden soll, da das ihrer Meinung nach
eine politische Aussage ist. Wir haben jedem Satz einen Beweis beigefügt
und die Schlüsse ausgeglichen, in dem wir bestimmt behauptet haben, dass
die repräsentativen Organe der moslemischen Gemeinden sich von den
antisemitischen Angriffen distanziert haben".
Seinen Aussagen nach, keimte zu irgend einem Zeitpunkt
in ihm der Verdacht, dass das Zentrum in Wien beschlossen hätte, die
Arbeit abzulehnen, da sie der Annahme waren, dass die Forscher
Pro-jüdisch oder Pro-israelisch eingestellt seien.
Kürzlich wurde eine Ausschreibung für die Verfassung
eines neuen Berichtes veröffentlicht. Die Direktorin des EUMC, Dr. Beate
Winkler, lehnte es ab, haArez zu antworten. In einer
Stellungnahme (pdf), die sie letzte Woche an die europäische
Presse gab, nachdem die Financial Times aufgedeckt hatte, dass der
Bericht eingezogen wurde, sagte Winkler, der Bericht sei wegen Problemen
mit den Zeitparametern und wegen der "komplizierten" Auslegung des
Begriffs Antisemitismus zurückgezogen worden.
Die umstrittene EU-Studie:
Manifestations of Antisemitism in the European Union
105 Seiten, pdf-format, vorerst nur
englisch...
Pro-Palästinensische Entscheidung?
Der Bericht, den Europa versteckt
Siehe auch:
The primary task of the
European Monitoring Centre
on Racism and Xenophobia (EUMC) is to provide the Community
and its Member States with objective, reliable and comparable
information and data on racism, xenophobia, islamophobia and
anti-Semitism at the European level in order to help the EU and its
Member States to establish measures or formulate courses actions against
racism and xenophobia.
hagalil.com
02-12-2003 |