Anhörung in Den Haag:
Mit Hochglanzbroschüren über den Terror im Gepäck
Der Internationale Gerichtshof und
das Gutachten über den Trennungszaun zwischen Israel und den
Palästinensergebieten
Von Andrea Livnat
Erschienen in: Telepolis,
24.02.2004 Gal Luft,
Direktor des "Institute for the Analysis of Global Security" und
ehemaliger Offizier der IDF, verglich kürzlich die
"Geschichte zweier Zäune". In
beiden Fällen gäbe es unüberbrückbare Streitpunkte, Anschläge gegen
Zivilisten, gescheiterte Friedensverhandlungen und schließlich einen
Zaun als Sicherheitsabsperrung. Während der Zaun, der Israel und die
Palästinensergebiete trennt, in den Medien täglich präsent ist, ist
der zweite Fall, ein Trennungszaun zwischen Indien und Pakistan im
umstrittenen Kaschmir kaum bekannt. Wie kommt diese Diskrepanz
zustande? Der israelische
Zaun hat es nun sogar bis vor den Internationalen Gerichtshof in Den
Haag gebracht. Auf Antrag der UN-Vollversammlung soll dort ein
Gutachten über die völkerrechtlichen Konsequenzen des Trennungszaun
erstellt werden. Zuvor hatte die UN-Vollversammlung den Bau des
Zauns verurteilt und Israel in einer Resolution dazu aufgerufen, den
Bau zu stoppen und die bereits errichteten Teile wieder
abzumontieren. Das Gutachten aus Den Haag wird kein bindendes Urteil
sein, es ist Aufgabe der UN daraus Konsequenzen zu ziehen, dennoch
könnte es entscheidend zur allgemeinen Meinungsbildung beitragen.
Neben der palästinensischen Delegation, die gestern früh als erstes
gehört wurde, werden insgesamt 12 Staaten vorsprechen, Israel, die
USA und die Europäische Union haben ihre Stellungnahmen bereits
schriftlich eingereicht. Erstmals finden auch die "Arabische Liga"
und die "Islamische Konferenz" Gehör.
Israel spricht den Richtern grundsätzlich die
Zuständigkeit ab, in diesem Falle ein Gutachten zu erstellen, es
handele sich um eine rein innen- und sicherheitspolitische
Entscheidung. Die palästinensische Seite argumentiert dagegen, dass
der Zaun dazu diene, den Grenzverlauf noch vor den Verhandlungen
über die Gründung eines Staates Palästina zugunsten Israels zu
verändern. Auch die Europäische Union ließ verlauten, dass sie den
Verlauf des Zauns zwar nicht billige, der Konflikt ließe sich jedoch
nur politisch lösen. Aus Washington hieß es sogar, dass die
richterliche Begutachtung kontraproduktiv sein und die
Friedensbemühungen behindern könnte.
Beständige Diskussionen in Israel
Die Anhörung behandelt die "Rechtlichen Konsequenzen
des Baus einer Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten".
Im Zentrum des Gutachtens wird dabei vermutlich der Verlauf des
Zauns stehen, denn die Legitimität eines Grenzschutzes kann nicht in
Zweifel stehen. Israel hat den Zaun jedoch nicht auf der so
genannten "Grünen Linie", also auf dem Grenzverlauf vor 1967,
errichtet, sondern größtenteils auf palästinensischem Gebiet,
wodurch an mehreren Stellen Enklaven entstehen, die ihren Bewohnern
den Zugang aus allen Richtungen verwehren.
Die Kritik am Zaun ist daher durchaus gerechtfertigt
und damit konsequenterweise auch die Anhörung in Den Haag. Wie
immer, wenn es um israelische Belange geht, stehen jedoch in der
öffentlichen Meinung nicht die Fakten zur Diskussion, die Fakten
werden vielmehr als Anlass zu einer breiten antiisraelischen und
antijüdischen Propagandafront genutzt. Der Vergleich von den zwei
Zäunen, in Israel und Indien, ist verlockend, aber er lässt genau
jenen entscheidenden Faktor außer Acht, den Antisemitismus.
Antisemitismus ist es auch, was die meisten Israelis hinter der
Anhörung und den Unterstützern dieses Gutachtens vermuten.
Selbstverständlich, das sei in aller Deutlichkeit
gesagt, sollen weder den Richtern in Den Haag noch den Vereinten
Nationen antisemitische Absichten unterstellt werden. Sie haben
nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, Israel von neutralem
Standpunkt aus gerecht und den Fakten nach zu beurteilen. Kritik an
der Politik Israels ist nicht per se antisemitisch. Es gibt keine
"Antisemitismus"-Keule, die geschwungen wird, sobald jemand es wagt,
etwas Negatives gegen Ariel Scharon zu sagen.
Es geht vielmehr darum, was in den Medien, in der Öffentlichkeit, in
den Köpfen der Fernsehzuschauer und der Zeitungsleser daraus gemacht
wird. Israel wird zum Besatzungsmonster, Israel kann endgültig der
Opferstatus abgesprochen werden: Wie können die Juden anderen das
antun, was man ihnen angetan hat? An dieser Stelle soll jedoch der
Frage des Antisemitismus/Antizionismus nicht weiter nachgegangen
werden, denn dies ist ein Regale füllendes Thema für sich. Anstatt
also Israel als ganz "normalen" Staat mit ganz "normalen" Argumenten
zu beurteilen, wird mit historisch abstrusen Vergleichen um sich
geworfen, Rassentrennung und Holocaust sind die Schlagwörter, die
bemüht werden, die Palästinenser leben im "Ghetto" und der Zaun ist
eine "Apartheids-Mauer". Immer
wieder frappierend ist die Tatsache, dass Israel in den Medien als
scheinbar homogene Einheit dargestellt wird. Selbstverständlich gibt
es auch in Israel Gegner des Trennungszauns bzw. seines Verlaufes.
Seit dem Baubeginn gibt es beständige Diskussionen über den Zaun,
die Abendnachrichten berichteten immer wieder von besonders
umstrittenen Stellen, die den Palästinensern den Alltag unmöglich
machen, so beispielsweise auch vom Tod eines Kleinkindes, das durch
den Umweg, den der Zaun erzwingt, schwerkrank erst nach 45 Minuten
beim Arzt ankam. Die verschiedenen Friedensinitiativen (vgl. Die
Mauer des Schweigens überwinden) demonstrieren seit Monaten immer
wieder, wie beispielsweise in
Abu Dis. Die oppositionelle Arbeitspartei, die den Zaun
grundsätzlich befürwortet und für legitim erklärt, betont immer
wieder, dass der Verlauf des Zaunes auf der Linie von 1967 liegen
müsse. Davon abgesehen, gibt es
ja tatsächlich auch Argumente, die für den Zaun sprechen, gesetzt
den Fall, dass er auf israelischem und nicht besetztem Gebiet
verläuft. Ob er helfen kann, weitere Selbstmordanschläge zu
verhindern, wird immer wieder angezweifelt, dass die Anschläge
weniger geworden sind, ist jedoch auch Tatsache. Nach dem gestrigen
Attentat auf einen Bus in Jerusalem, bei dem 8 Menschen starben und
über 60 zum Teil schwer verletzt wurden, betonte Justizminister
Josef Lapid, der Anschlag hätte nicht ausgeführt werden können, wäre
die Barriere schon fertig gebaut. Es gibt kein besser überwachtes
Land als Israel, überall muss man die Taschen öffnen, wird gescannt,
befragt, an jeder Ecke stehen Polizei und Militär, die Busse werden
von speziellen Sicherheitskräften überwacht. Der Anschlag gestern
konnte trotzdem nicht verhindert werden, der Sicherheitsmann war
gerade ausgestiegen, als der Attentäter seine Bombe zündete. Die
einseitige Abschottung erscheint für viele die einzige Antwort, denn
auch ein palästinensischer Staat wird den Hass der
Selbstmordattentäter nicht mindern.
Hasbarah
Damit ist ein weiteres Problem Israels angesprochen, die Hasbarah.
Hasbarah ist das hebräische Wort für Propaganda im Sinne von
Aufklärung. Trotz des urisraelischen Wortes, ist Israel relativ
schlecht in der eigenen Umsetzung. Ungeschickte Aktionen der
Politik, unklare Aussagen der Armee, in der Zeit seit der zweiten
Intifada gibt es zahlreiche Beispiele, man denke nur an Jenin, wo
die Hasbarah gründlich gescheitert ist. Im Falle des
palästinensischen Terrors sollte die Sache einfacher darzustellen
sein, deswegen hat sich die israelische Regierung auch dazu
entschlossen, keine offizielle Abordnung nach Den Haag zu schicken,
sondern stattdessen eine Gruppe von 18 Terroropfern. Sie zeigten bei
einer stillen Kundgebung gestern Morgen die Bilder von 926
israelischen Opfern des palästinensischen Terrors und standen
bereits gestern den Medienvertretern aus aller Welt Rede und
Antwort. Zusätzlich wurde ein Autobus, der vor zwei Wochen im
Zentrum Jerusalems explodierte und für neun Menschen den Tod
bedeutete, von der Organisation Zaka
nach Den Haag gebracht. Doch
wie weit darf die öffentliche Darstellung der Opfer zu
Hasbarah-Zwecken gehen? Beim letzten Anschlag Ende Januar stellte
das Außenministerium im Hinblick auf die Anhörung in Den Haag auf
seinen Internetseiten ein Video zum Download zur Verfügung (vgl. Die
Macht der (grausamen) Bilder), das den Bus unmittelbar nach dem
Anschlag zeigte. Grauenvolle Bilder von zerfetzten Menschen waren da
zu sehen, Innereien auf den Sitzbänken, Körperteile auf der Strasse.
Die Maßnahme wurde in Israel stark kritisiert, zum einen weil die
Bilder derart grauenvoll waren, zum anderen da das Andenken der
Opfer gewahrt werden sollte. Die Hasbarah-Abordnung in Den Haag ist
also "nur" mit Hochglanzbroschüren ausgestattet, die den Terror und
das Leid seiner Opfer verdeutlichen sollen. Mit den Bildern von
Opfern lässt sich nur begrenzt ein "Hasbarah-Feldzug" organisieren,
das wird in Den Haag klar, zumal es doch der anderen Seite darum
geht, Israel genau diesen Opferstatus abzusprechen.
Dass der internationale Druck trotz allem durchaus
nötig ist, um den Verlauf des Trennungszauns zu ändern, hat der
gestrige Tag bereits bewiesen. Kurz vor der Anhörung hat Israel
damit begonnen, eine acht Kilometer lange Strecke abzureißen, um sie
fünf Kilometer weiter nach Westen, direkt auf die "Grüne Linie", zu
verlegen. Das Teilstück wurde seit langem diskutiert, da es das
Gebiet von einigen palästinensischen Dörfern durchschnitt. Die
Bewohner zeigten sich gestern zufrieden, da der Verkehr zwischen den
Orten nun wieder fließen kann, doch war man sich auf
palästinensischer Seite sicher, dass der Abriss als taktischer
Schachzug Israels vor der Anhörung zu werten sei. Tatsächlich ist
der Zeitpunkt reichlich ungeschickt gewählt, wenn es denn so ist,
dass die Entscheidung schon seit längerem gefallen war, wie
beispielsweise Minister Usi Landau gestern betonte. Damit wären wir
wieder beim Thema Hasbarah, denn auch die schönste
Aufklärungskampagne nutzt nicht, wenn die Regierung hinterher durch
ungeschicktes Taktieren die Wirkung zunichte macht.
Letztendlich wird dies alles jedoch keine
Einwirkungen auf die 15 Richter in Den Haag haben. Dieser Meinung
kann man zumindest sein, wenn man den Internationalen Gerichtshof
ernst nimmt. Das Gericht wird ein Gutachten erstellen, das Israel
zwar ignorieren kann, nicht jedoch seine Auswirkung auf die
öffentliche Meinung, egal welcher Art sie sein wird. Doch auch in
Israel sollte man das Gericht ernst nehmen und in Zukunft auf
Stellungnahmen solcher Persönlichkeiten wie Alan Dershkowitz
verzichten. Der bekannte Harvard-Professor sagte den Reportern des
ersten israelischen Fernsehens, die Richter in Den Haag seien
lediglich Puppen und am ehesten mit den drei Affen zu vergleichen,
nur leider wäre es nur so, dass sie nicht sehen und hören, wohl aber
sprechen.
hagalil.com
25-02-2004 |