Über die Sicht der Dinge:
Die Geschichte von zwei Zäunen
Von Gal Luft
Die I's und die P's bekämpfen sich seit mehr als
einem halben Jahrhundert. Während der letzten paar Jahre war das
Misstrauen, die Feindschaft und die Paranoia zwischen den beiden
präzedenzlos stark. I (....) war das Ziel von Terrorkampagnen
islamischer Terroristen, die auf sein Territorium eingedrungen sind
und schreckliche Attentate gegen Soldaten und unschuldige Zivilisten
begangen haben. I beschuldigt P, es bilde diese Militanten aus und
tue nichts um sie zu stoppen.
Nach einer langen Serie von gescheiterten Versuchen
ein Friedensabkommen oder sogar eine provisorische Feuerpause zu
erreichen, beschließt die Regierung von I, sie müsse einen Zaun als
Sicherheitsabsperrung errichten, der es von P separiert.
Das I Projekt eines Zaunes macht die P's wütend. Ihr
uniformierter Führer verlangt von der Regierung von I sofort den Bau
einzustellen. Doch trotz starkem internationalem Druck scheint I
sich nicht zu beugen und sein weißhaariger Ministerpräsident rief
sogar dazu auf, das Projekt zu beschleunigen und den Zaun bis Ende
2004 zu vollenden. Wenn Sie
jetzt dachten, die obigen 156 Wörter beschreiben den kontroversen
Zaun, der zur Zeit auf der Westbank zwischen Israel und den
Palästinensern errichtet wird, dann sind Sie in guter Gesellschaft.
Doch Sie haben sich geirrt, I ist nicht Israel und P ist nicht
Palästina. Die obige Geschichte
beschreibt einen anderen Zaun, der sich drei Zeitzonen entfernt vom
Nahen Osten im umstrittenen Gebiet von Kaschmir zwischen Indien und
Pakistan befindet. Tatsächlich seit dem pakistanische Militante im
Dezember 2001 versucht haben, das indische Parlament zu erstürmen,
hat Indien mit diesem ambitionierten Projekt begonnen, dessen Ziel
es ist die Grenze zum Feind zu sperren.
Dieser Zaun ist nur Teil eines mehrere Reihen
umfassenden Systems, das Minen, Sensoren, Gräben und in einigen
Teilen eine hohe Mauer umfasst.
Nun, fragen Sie sich selbst, weshalb Sie die obige
Geschichte mit dem Nahen Osten assoziiert haben und nicht mit
Südasien. Weshalb gewinnt die Aktion einer Nation von sechs
Millionen in ihrem Bewusstsein mehr Gewicht als die von ungefähr
einer Milliarde von Menschen?
Letzten Endes dauert der Indien-Pakistan Konflikt genauso lang und
er ist genau so heftig. Der indische Zaun ist zweimal so lang wie
der israelische und er schafft einseitig Fakten, er bringt ebenfalls
Beschlagnahmung von Land und die Separierung von unschuldigen Bauern
von ihrem Boden mit sich. Ganz
anders als der israelische Zaun, entgeht der indische Zaun der
Medienaufmerksamkeit. Suchen sie schnell im Internet "Israel
Palästina Zaun" und dann "Indien Pakistan Zaun" und sie werden den
Unterschied merken. Während der
erste Zaun von allen westlichen Medien von der "New York Times" [bis
zum Wiener "Der Standard" K.P.] bis zum geht nicht mehr behandelt
wurde, wird über den indischen Zaun fast zur Gänze nur in den
Südasiatischen Medien berichtet. Unsere Medien widmen diesem keine
Leitartikel, die Nachrichtenagenturen bringen keine Sondermeldungen
und auch im Fernsehen ist eine Dokumentation über den israelischen
Zaun mehr sexy als eine über den indischen. Zu keiner Zeit haben
europäische Medien den indischen Zaun als "Apartheid-Mauer" oder
"Berliner Mauer" bezeichnet.
Wahr ist, der indische Zaun ist kein Thema aus dem gleichen Grund,
wie ein israelisches Eindringen in den Gazastreifen und Töten von
drei Militanten an jedem gegebenen Tag mehr Aufmerksamkeit der
Medien erregt als das Massakrieren von 400 Menschen im Kongo. Der
Grund dafür liegt zum Teil daran, dass im Verlauf der letzten Jahre
das Interesse der westlichen Medien am arabisch-israelischen
Konflikt bereits ein Niveau der Besessenheit erreicht hat.
Jerusalem ist für Journalisten ein bequemer
Zufluchtsort. Es ist eine Kriegszone ohne einen wirklichen Krieg,
der einzige Ort im Nahen Osten, wo sie ihre Geschichte senden
können, während sie Sushi essen. Deswegen werden israelische
Angelegenheiten in einem unverhältnismäßigen Ausmaß behandelt. Die
nicht beabsichtigte Konsequenz ist, dass die öffentliche Meinung und
die Fähigkeit sich genügend Ressourcen anderer, nicht weniger
herausfordernden Teilen der Welt zu widmen, beeinträchtigt ist.
Diese übertriebene Belichtung Israels hat auch
politische Folgen. Es ist kein Zufall, dass der indische Zaun
international nicht verurteilt wird, wie das im Falle Israels
geschieht; dass die Vereinten Nationen eine besonders dringende
Sitzung der Generalversammlung einberufen hat, um den Beschluss
zufassen, den Bau zu stoppen, während sie zu Indien stumm bleibt;
dass Menschenrechtsaktivisten zusammenströmen, um sich unter
israelische Bulldozer zu legen. All das liefert großartiges Material
für sogar noch mehr Geschichten.
Die Medien sind das Periskop mit dem wir die Welt
betrachten und unsere Meinung über die Welt formen. Als
Medienkonsumenten brauchen die Amerikaner und die Europäer weniger
Israel und mehr Welt, anderenfalls werden auch wir von einem Zaun
umgeben, der unsere Sicht der Angelegenheiten der wirklichen Welt
blockiert. Gal Luft ist
Executive Director des Institute
for the Analysis of Global Security (IAGS) in den USA.
Aus dem Englischen übersetzt von Karl Pfeifer
hagalil.com
22-02-2004 |