"Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens,
Wie viele von euch haben einen Krieg erlebt, wie viele von
euch sind im Krieg geboren und gewachsen, wie viele haben Kinder und
Erwachsenen in den Augen geschaut während sie sich vom Leben auf
grausamste Art und Weise verabschieden müssten, wer von euch war auf
der Flucht, ein ganzes Leben auf der Flucht, in der Hoffnung die
Heimat wiederzusehen, wer hat auf der Flucht die liebsten Menschen
aus eigener Familien sterben sehen und selbst mit dem Leben davon
gekommen ist? Ich habe das erlebt! Und nicht nur ich, sondern auch
viele Irakis Der Krieg im Irak ist allgegenwärtig!
Von Henri Barbusse gibt es einen eindrucksvollen Satz. Er lautet:
"Zwei Armeen, die gegeneinander kämpfen, sind eine große Armee, die
sich selbst umbringt." Bei allem Respekt vor denen, die wie Henri
Barbusse vom aktiven Kriegsteilnehmer zum noch engagierteren
Kriegsgegner wurden - was der französische Autor zum Ausdruck
bringt, ist nur eine Hälfte der Wahrheit. Denn wo gekämpft wird,
werden immer auch Zivilisten getötet. Das ist die andere Hälfte der
brutalen und blutigen Wahrheit. Gestern vor 15 Jahren geschah in
meiner Heimat Kurdistan, in der Provinz Suleymania, in der Stadt
Halabja, ein Mord, nur ein Mord an 5.000 Zivilisten. Kinder, Frauen,
Männer, ließen in der Stadt Halabja qualvoll ihr Leben in einer
Giftwolke aus Senfgas oder Sarin. Alte, Kranke, Schwangere, Babys
Behinderte erstickten. Zehntausende wurden krank und starben später
an den Folgen des Gasangriffs.
Heute leben dort viele Jungen und Mädchen im Alter unserer
Kinder, die damals - ungeboren - im Mutterleib geschädigt wurden,
mit schlimmen Missbildungen. Wer am 16. März vor den heranfliegenden
Bombern am frühen Morgen noch fliehen konnte, fand später von seinem
Haus nur noch Trümmer vor, die irakischen Truppen walzten fast alles
mit dem Bulldozer nieder. Halabdja ist am 16. März 1988 zu einem
Sinnbild für die Tyrannei im Irak geworden. Wir wollen heute Abend
an die Opfer erinnern. Aber auch an die Täter. Das Massaker war Teil
eines noch größeren Wahnsinns: Bei insgesamt acht der Al-Anfal-
Aktionen vernichtete das Regime Saddam Husseins 180.000 Kurdinnen
und Kurden, 4000 Dörfer und Städte wurden dem Erdboden
gleichgemacht.
Die systematische Vernichtungsaktion der Baathpartei gegen Kurden
lief vom Frühjahr 1987 bis zum Herbst 1988. Am Ende waren 80 Prozent
der kurdischen Dörfer zerstört. Die ländliche Bevölkerung wurde
zusammengetrieben, Jungen und Männer zwischen 15 und 50 Jahren
wurden auf Lastwagen abtransportiert. Sie sind nicht mehr
aufgetaucht. Erinnert Sie vielleicht dieses Bild an Bilder aus
eigener Geschichte? Das Drama in Nordirak erregte in Europa kaum die
Gemüter. Allenfalls die schrecklichen Bilder der Leichen von
Halabdja ließen die Medien und die Öffentlichkeit eine Zeitlang
aufhorchen. Diskussionen über deutsche Lieferungen für die
Giftgasproduktion verebbten aber schnell. Das Thema Halabdja gehört
heute Abend hierher. Das darf nicht im Hintergrund rücken!!
Im gesamten Irak hat das Regime Saddam Husseins unzählige
Verbrechen an der eigenen Bevölkerung verübt. Die Menschen des
Südiraks wurden nach der Niederschlagung der Volksaufstände grausam
dafür bestraft, dass sie sich gegen ihre Unterdrücker erhoben.
40.000 Menschen wurden ermordet, zehnmal so viele aus ihren Dörfern
vertrieben oder deportiert. Die südirakischen Marschen, ein
natürliches Sumpfgebiet in der Größe des Bundeslandes Hessen, wurden
trockengelegt, den Bewohnern die Existenzgrundlage entzogen, ihre
Siedlungen mit Napalm bombardiert. Tausende Menschen werden überall
im Land unter furchtbaren Bedingungen in Haft gehalten. Kurden und
Araber, Assyrer, Yeziden & Turkmenen, Suniten, Schiiten und
Christen. In den Gefängnissen wird gefoltert und willkürlich
getötet.
16.000 Namen hat Amnesty International gesammelt von Menschen,
die einfach "verschwanden". All dies ist noch nicht Vergangenheit,
all dies ist im Bewusstsein aller Iraker jeden Tag präsent. 23
Millionen Irakis sterben seit 30 Jahren jeden Tag mehrmals.
Hunderttausende Irakis wurden ermordet, 4 Millionen sind
Flüchtlinge und 1, 5 Millionen sind innerhalb des Irak zwangsweise
umgesiedelt worden. Das ist der alltägliche Krieg, den wir seit über
dreißig Jahren erleben.
Am 15. Jahrestag des Verbrechens hoffen wir darauf, dass Sie ein
zweites Halabja nicht zulassen werden Für Kurden ist Saddam Hussein
trotz Flugverbotszone ein unkalkulierbares Risiko, von dem der Irak
befreit werden muss.
Wir haben Frieden und Freiheit verdient.
Wer über Krieg und Alternativen redet, muss auch die Perspektive
dieser Menschen einnehmen können. Das ist eine Botschaft von
Halabja. Saddam Hussein verdient weder Schonung noch Rücksichtnahme,
Zu einer konsequenten Friedenspolitik gehört auch, dass Giftgastäter
vors Kriegsverbrechertribunal gestellt werden Das irakische Volk
will Frieden, und der ist nur durch einen Regimewechsel und durch
Entbaathifizierung zu erreichen. Hätten Europäer und Amerikaner in
ihrer Irakpolitik ein gemeinsames Ziel, hätten sie auch einen
gemeinsamen Weg gewählt. Aber ihn wird es nun nicht geben, da zu
unterschiedliche Interessen im Spiel sind.
Aber es geht auch um die Interessen des irakischen Volkes.
In unserem Land herrscht seit 30 Jahren Krieg gegen die eigene
Bevölkerung. Hundertausende sind ihm zum Opfer gefallen; Saddam an
der Macht zu lassen, hieße auch, sich für die Fortsetzung dieses
Krieges zu entscheiden.
Halabja, hat für uns heute schließlich eine dritte Botschaft:
Bitte treibt jetzt die Hilfsmaßnahmen für die Bevölkerung voran, die
seit Wochen wieder auf der Flucht sind- nicht nur in Kurdistan. Wer
aus taktischen Gründen noch zögert, macht sich schuldig an der
drohenden humanitären Katastrophe.
Aras Marouf
Vor 15 Jahren:
Giftgasangriff auf Halabja
Am 16. März 1988 flog eine Formation irakischer
Kampfflugzeuge die kurdische Stadt Halabja an. Geladen hatten sie
Kampfgas aus deutscher Produktion...
Wadi e. V.
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