Von Tsafrir Cohen
Die Realität des Krieges steht ihnen vor Augen, und
so ist diese ach so naive Scheu vor Krieg reeller als manche
Aussagen von selbst ernannten Realpolitikern. Diese Zurückhaltung
ist ein integraler Bestandteil der bundesrepublikanischen
politischen Kultur, und mit ihr sind Deutschlands Nachbarn, der Rest
der Welt und auch Deutschland bislang mehr als gut gefahren.
Dass Deutschland ein klares Nein zum Krieg ausspricht
und hier Demonstrationen stattfinden, mag manchem Befürworter des
Krieges sauer aufstoßen. Haben die Deutschen nicht etwa
Verantwortung für Israel, eine Verpflichtung gegenüber den USA?
Sollten sie nicht Sonderwege scheuen und stattdessen eine Tyrannei
beenden helfen?
Ja, Deutschland trägt mehr Verantwortung als andere
Länder. Doch Verantwortung heißt nicht, durch einen Schuldkomplex
fremdbestimmt zu sein, sondern aufgrund seiner Geschichte
verantwortlich mit der Gegenwart umzugehen. Mit Hilfe der Amerikaner
ist Deutschland ein zutiefst demokratisches Land geworden. Das heißt
zweierlei: Erstens sollte man aufgrund der nationalen Geschichte in
Kriegs- und Friedensfragen verantwortungsvoller als andere sein,
möglichst präzise und frei von sachfremden Motivationen erörtern,
und nicht etwas sagen, was man für falsch hält, nur weil man
Deutscher ist und Amerika oder Israel eine Meinung vorgeben.
Zweitens heißt es, dass man am demokratischen Prozess, dessen eine
Facette die Demonstration ist, teilnimmt und sich nicht dem Lauf der
Dinge beugt.
Die lobenswerte Scheu vor Krieg hat die Deutschen nicht
davon abgehalten, an einigen mehr oder minder gerechten Kriegen in
den letzten Jahren teilzunehmen. Ihre Scheu im jetzigen Fall
entspringt der Tatsache, dass die vielfältigen Begründungen für den
kommenden Krieg keinesfalls ausreichen für dieses letzte Mittel der
Politik.
Drei Gründe werden für diesen Krieg angeführt. Die
ersten zwei, nämlich die Terrorverbindungen und die Gefahr von
Massenvernichtungswaffen, sind mehr oder minder aus den Fingern
gesogen.
Der dritte, die Errichtung eines demokratischen Irak,
ist zu Recht von der New York Times als die einzige
triftige moralische und strategische Begründung für einen Krieg
beschrieben worden. Tatsächlich wäre nicht nur im Irak, sondern im
gesamten Gebiet eine neue Ordnung erforderlich. Die viel gerühmte
Stabilität der Region ist eine Schimäre, die Situation in fast allen
Ländern dieser Region ist unhaltbar und explosiv.
Es gibt jedoch begründeten Zweifel, ob eine Ordnung,
die durch einen "imperialen" Krieg, bei dem auch Öl eine Nebenrolle
spielt, die in einem ehemals kolonisierten Gebiet hergestellt werden
soll, auch von der Bevölkerung so angenommen wird wie dereinst in
Japan oder in Deutschland. Weiterhin ist es kaum glaubhaft, dass
gerade die Bush-Regierung Interesse und Fähigkeit hat, dieses
langfristige Projekt durchzuführen.
Es geht hier nicht um den frommen Wunsch, der grausame
Diktator Saddam Hussein werde das schwedische Modell einführen, wenn
wir ihn nur höflich darum bitten. Bei Krieg als letztem Mittel der
Politik stellt sich die Frage, ob alle friedlichen Möglichkeiten
ausgeschöpft worden sind, das Ziel, in diesem Fall einen neuen Nahen
Osten aufzubauen, in dem minimale Menschenrechte gewahrt werden, zu
erreichen. Das ist nicht im Geringsten der Fall. Der neue Irak soll
eine Vorreiterrolle spielen bei der Einführung von Demokratie und
Menschenrechten auch in der arabischen Welt. Doch die Lösung des
Palästinakonflikts oder eine "samtene Revolution" mittels Drucks auf
die vom Westen abhängigen Ländern, etwa Ägypten, würden keinen Krieg
voraussetzen und für den Nahen Osten ein viel einleuchtenderes
Vorbild abgeben.
Amerika hat den Deutschen die Möglichkeit gegeben, zu
demonstrieren - macht davon Gebrauch!
TSAFRIR COHEN, 36, wurde
als Sohn eines irakischen Juden in Tel Aviv geboren und wuchs in
Israel und Kanada auf. Seit 1986 lebt er als Publizist in Berlin
Nein!
Auf zur Demo!
Die deutsche Friedensbewegung ist blind für den politischen Terror
im arabischen Nahen Osten. Sie kämpft gegen die USA - und blendet
völlig aus, dass der Irak sich jeder Demokratisierung verweigert...