Stromversorgung:
Elektrizität außerhalb des Konfliktes
Von Danny Rubinstein, Ha'aretz, 04.04.2004
Übersetzung Daniela Marcus
Selbst während der schlimmsten Zeit des
Blutvergießens zwischen Israel und den Palästinensern funktionierte
die Stromversorgung in den palästinensischen Gebieten völlig normal.
Nach wie vor versorgt die israelische Stromgesellschaft die Westbank
und den Gazastreifen mit Strom, das Stromnetz wurde nicht sabotiert
und zwischen beiden Seiten gibt es eine normale Zusammenarbeit was
die Erkennung und die Reparaturen von Störungen betrifft.
Während der gesamten Intifada fuhr man mit der
Erschließung weiterer Stromversorgung fort. So stellte man z. B.
eine Hochspannungsverteilungsanlage bei Ma'aleh Adumim fertig. Von
dort führen die Leitungen über Ma'aleh Adumim zu den jüdischen
Siedlungen im Jordantal und nach Jericho.
Die Stromversorgung in den palästinensischen
Gebieten ist unter gemeinsamer israelischer und palästinensischer
Verwaltung. Sie kann nicht aufgeteilt werden (es sei denn, man
investiert enorme Kosten). Elektrische
Hochspannungsverteilungsanlagen an den Grenzen zu den
palästinensischen Gebieten und innerhalb von diesen, schicken Strom
an Juden und Araber, an Israelis und Palästinenser, ohne
Unterschied. Vor etwa zwei Wochen fanden in West- und Ostjerusalem
Dreiertreffen von Arbeitsgruppen statt. Israelis, Palästinenser und
Europäer waren an diesen Treffen beteiligt. Yosef Paritzky, Israels
Minister für nationale Infrastruktur, Azam Shawa, palästinensisches
Kabinettmitglied, und die französische Ministerin für Industrie,
Nicole Fontaine, nahmen auch daran teil. Während der Treffen
vereinbarte man, Verhandlungen hinsichtlich der Unterzeichnung von
Handelsabkommen zwischen den Parteien zu beschleunigen. Diese
Handelsabkommen sollen auf der Basis vorheriger Abkommen gegründet
sein, nach denen die Stromversorgung den Konflikt nicht betreffen
soll.
Auf Seiten der israelischen Stromgesellschaft
werden die Verhandlungen von Yigal Ben Arye geführt. Er ist Direktor
des Jerusalemer Distrikts und Mitglied des Aufsichtsrates der
Gesellschaft. Er definiert das Thema der Stromversorgung als Insel
der Vernunft inmitten eines Meeres von Schrecken und gewalttätigen
Auseinandersetzungen.
Warum aber ist die Stromversorgung nicht vom
Konflikt berührt? Vielleicht wegen der simplen Tatsache, dass die
Palästinenser davon profitieren, Strom von Israel zu kaufen. Sie
wollen sich also nicht selbst schaden. In diesem Zusammenhang gab es
–selten- israelische Vorschläge, die Palästinenser zu bestrafen bzw.
unter Druck zu setzen, indem man ihnen den Strom abstellt.
Es stellte sich jedoch heraus, dass die Dinge
nicht so einfach sind wie sie scheinen. Wenn die Stromversorgung im
Konflikt außen vor bleibt, profitiert auch Israel nicht weniger
davon als die Palästinenser. Die palästinensische Wirtschaft und
Gesellschaft würde es eine Zeitlang ohne Strom aushalten. An vielen
Orten der Westbank und des Gazastreifens gibt es andere, häusliche,
Energiequellen. So können z. B. Stein- oder Kerosinöfen zum Kochen
benutzt werden. Wenn die Sabotage der Stromzufuhr beginnen würde,
würde es wegen der komplexen und miteinander verbundenen Stromnetze
auch Israel treffen. Und die Wirtschaft und Gesellschaft in Israel
wäre nicht länger als ein paar Stunden fähig, ohne normale
Stromzufuhr auszukommen. Es ist klar: je moderner Wirtschaft und
Gesellschaft sind, desto größer ist die Abhängigkeit vom Strom.
Um zu verstehen, wie die
israelisch-palästinensische Stromversorgung in der Westbank und im
Gazastreifen funktioniert, muss man kurz in die Zeit von 1967
zurückkehren. Damals hat Israel im Sechs-Tage-Krieg die Territorien
besetzt (Anmerkung des Übersetzers: gemeint sind hier der
Gazastreifen, der damals zu Ägypten gehörte, und die Westbank inkl.
Ostjerusalem, die damals zu Jordanien gehörte) und fand riesige
kommunale Stromverteilungsanlagen vor, die mit Dieselgeneratoren
arbeiteten und Strom in die jeweiligen Kommunen leiteten. Zu dieser
Zeit wurde hauptsächlich Strom für den häuslichen Gebrauch und für
den Gebrauch kleiner Werkstätten benötigt. Es gab in den Territorien
nur wenig Industrie. In einigen Städten und größeren Dörfern gab es
auch kleine Generatoren. Dutzende von Ortschaften hatten gar keinen
Strom.
Eine Ausnahme bildete Ostjerusalem und seine
Umgebung. Hier gab es eine relativ große Stromgesellschaft, die Erbe
einer britischen Firma aus den Zeiten des britischen Mandats war.
Ihr erster Besitzer war Euripides Mavromatis, der im Januar 1914 vom
ottomanischen Reich die erste Konzession für die Produktion von
elektrischem Strom in Jerusalem erhalten hatte. Er ging Pinchas
Ruttenberg voraus, der die Konzession für die Stromversorgung im
Land Israel erst nach dem Ersten Weltkrieg von den Briten erhielt.
Ruttenberg gelang es nicht, auch die Konzession
für die Stromversorgung in Jerusalem von Mavromatis zu bekommen.
Deshalb operierte während der Zeit des britischen Mandats und auch
eine kurze Zeit nach der Staatsgründung Israels weiterhin eine
britische Stromgesellschaft in Jerusalem, getrennt von der
nationalen Stromversorgung.
Auf der jordanischen Seite Jerusalems gab es auch
eine Jerusalemer Stromgesellschaft. Sie gehörte arabischen
Geschäftsleuten und der Stadtverwaltung Jerusalems in Kooperation
mit nahe gelegenen Kommunen in der Gegend von Ramallah und
Bethlehem. Die Ostjerusalemer Gesellschaft hatte ein
Elektrizitätskraftwerk in Shuafat. Sie versorgte auch die ersten
jüdischen Dörfer mit Strom, die innerhalb des zur Konzession
gehörenden Gebietes in der Nähe des Ostteils der Stadt gebaut
wurden. Diese Dörfer waren Ramat Eshkol, French Hill, Gilo, Ramot
und Armon Hatziv.
Der arabischen Stromgesellschaft in Ostjerusalem
war es nicht möglich, allen Forderungen nach Strom nachzukommen,
weshalb sie begann, Strom von der israelischen Gesellschaft zu
kaufen. Innerhalb kurzer Zeit schloss sie schließlich das
Elektrizitätskraftwerk in Shuafat. Ende 1987 endete die Konzession
der arabischen Stromgesellschaft. Israel übertrug die Konzession an
die nationale Stromgesellschaft, um die jüdischen Viertel mit Strom
versorgen zu können. Heute kauft die arabische Stromgesellschaft in
Ostjerusalem Strom von Israel und versorgt nur arabische Kunden in
Jerusalem und Umgebung.
In den 1970er Jahren stoppten die
Stromverteilungsanlagen im Gazastreifen und in der Westbank ihre
eigene Stromproduktion und schlossen sich an das israelische Netz
an. Die israelische Stromgesellschaft produziert Strom und verkauft
diesen en gros an die Palästinenser. Sie verkauft also nicht an
Einzelhaushalte wie in Israel, sondern schickt den Strom eher an
Knotenpunkte palästinensischer Firmen. Diese leiten den Strom dann
durch ihr eigenes Netz und verkaufen ihn an Haushalte und Firmen.
Somit hat die israelische Stromgesellschaft zwei
besonders große palästinensische Kunden: die Gaza-Gesellschaft, die
letzten Endes der palästinensischen Autonomiebehörde gehört, und die
Ostjerusalemer Stromgesellschaft, die Kunden im gesamten Gebiet
zwischen den Dörfern bei Gush Etzion im Süden und Shiloh im Norden,
und zwischen Jericho im Osten und der Gegend um Latrun im Westen
beliefert. Weitere große palästinensische Kunden, die Strom von
Israel kaufen, sind die Kommunen in der Westbank wie z. B. Hebron,
Nablus, Tul Karm und weitere etwa 170 Städte und Dörfer. Sie kaufen
den Strom relativ günstig ein, verkaufen ihn an ihre Kunden jedoch
zu Preisen, die nicht einheitlich sind. Der Verkauf geschieht in
Übereinstimmung mit der Politik der Gemeinderäte. Dadurch ist der
durchschnittliche Strompreis, den Bürger in den palästinensischen
Gebieten bezahlen, höher als der Strompreis, den israelische Bürger
bezahlen.
Yigal Ben Arye erklärt, dass das heutige
Stromversorgungssystem in Israel unfähig ist, allen Forderungen nach
Strom in den palästinensischen Gebieten nachzukommen. Zukünftig wird
die Situation sogar noch schlechter werden. Im Gazastreifen gibt es
z. B. eine Forderung nach 170 Megawatt. Israel kann jedoch nur 115
Megawatt liefern. Kürzlich wurde ein neues lokales
Elektrizitätskraftwerk in Betrieb genommen, das Teilen der
Anforderungen nachkommen kann. Und im südlichen Gazastreifen gibt es
manchmal Stromausfälle, die die Anforderungen regeln. Ein weiteres
Beispiel ist Hebron, wo die Stadtverwaltung sagt, dass der
Stromverbrauch innerhalb der nächsten fünf Jahre um das Doppelte
steigen wird. Diesen ansteigenden Forderungen kann auf Grund der
momentan existierenden Infrastruktur nicht nachgekommen werden.
Für die israelische Stromgesellschaft wäre es kein
Problem, den Strom, der in der Westbank und im Gazastreifen benötigt
wird, zu produzieren. Allerdings wären hohe Investitionen nötig, um
den Strom an die Orte zu bringen, an denen er in das
palästinensische Stromnetz eingespeist werden kann. Solange jedoch
die politische Zukunft unklar ist, müsste die israelische
Stromgesellschaft ein enorm hohes Risiko auf sich nehmen, wenn sie
darin investieren würde, den Strom in die Westbank und in den
Gazastreifen zu liefern. Um es milde auszudrücken: die Palästinenser
sind nicht besonders erpicht darauf, Strom von Israel zu kaufen. Und
in Zukunft könnte es möglich sein, dass sie Alternativen haben
werden. So könnten sie z. B. selbst Strom erzeugen oder ihn von
Ägypten bzw. Jordanien kaufen.
Somit sind die Investitionen der israelischen
Stromgesellschaft bezüglich des Zieles, Strom an die Westbank und
den Gazastreifen zu verkaufen, relativ gering, obwohl sie vielleicht
größer sein sollten, denn die Stromversorgung in entlegene
palästinensische Gebiete hat bereits ihre Grenzen erreicht.
Für die Zukunft der Stromversorgung gibt es
mehrere Möglichkeiten. Erstens kann mit dem bestehenden System, das
inzwischen seine Grenzen erreicht hat, fort gefahren werden.
Angeblich wäre es auch möglich, sich mit den Palästinensern auf die
Gründung einer eigenen großen nationalen Gesellschaft –der
palästinensischen Stromgesellschaft- zu einigen, der dann die
Verantwortung übertragen werden könnte. Diese beiden Möglichkeiten
sind jedoch nicht realistisch. Yigal Ben Arye und seine israelischen
Kollegen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, sind zu dem
Schluss gekommen, dass die beste Lösung diejenige sei, die 170
palästinensischen Kunden, die Strom von Israel kaufen, in vier
regionale Verteilerfirmen aufzuteilen: eine Firma für den
Gazastreifen (die bereits existiert), eine Firma für das Gebiet um
Hebron (in zwei Subunternehmer aufgeteilt), eine Firma für
Ostjerusalem (die auch schon existiert) und eine Firma für die
nördliche Westbank.
Die Palästinenser haben einen ähnlichen Plan
vorbereitet, der in der Zukunft nicht die Gründung einer nationalen
palästinensischen Stromgesellschaft verhindert und auch nicht die
Optionen einer Eigenproduktion oder des Stromerwerbs von anderen
Quellen. Die großen regionalen Firmen befinden sich bereits im
Prozess der Organisation und des Aufbaus. Und die Geberländer haben
schon damit begonnen, eine Reihe von lokalen Projekten zu
unterstützen. So hilft zum Beispiel die Tschechische Republik, ein
Verteilernetz in Tubas zu bauen. Frankreich und Deutschland helfen
im Gebiet von Dschenin, und Italien trägt seinen Teil in Hebron bei.
Es scheint also, dass der Bau des Trennungszauns
und der so genannte "Disengagement-Plan" diesen Bereich nicht
beeinflussen und dass die Stromversorgung außerhalb des Konfliktes
bleibt.
hagalil.com
05-04-2004 |