Westbank:
Israels Bau-Wut
Trotz scharfer Proteste entstehen immer
neue Siedlungen
Lisa Nachmanis Traum war ein eigenes
Haus für die Familie mit den fünf Kindern. Doch das schien unbezahlbar.
Mindestens 300000 Dollar hätten die Nachmanis für in Jerusalem
hinblättern müssen. So weitete das junge Ehepaar die Suche auch auf das
Westjordanland aus und stellte verblüfft fest: Häuser sind dort
bezahlbar. Überhaupt kostet das Leben in einer der 150 jüdischen
Siedlungen auf dem von Israel im Sechs-Tage- Krieg von 1967 eroberten
Gebiet einen Bruchteil dessen, was ein Wohnsitz in Tel Aviv oder
Jerusalem verschlingt.
Seit einem halben Jahr leben die Nachmanis
nun in Maale Adumim, der größten Siedlung in Westjordanland. Es ist eine
nach amerikanischem Vorbild errichtete Satellitenstadt an der
Stadtgrenze von Jerusalem, die an der Ausfallstraße zum Toten Meer
liegt. Die Familie ist glücklich: Wer in einer Siedlung lebt, muss
sieben Prozent weniger Einkommensteuer zahlen, und das Schul- und
Gesundheitswesen sind umfassender alimentiert. Selbst für das 150000
Dollar teure Haus bekamen die Nachmanis einen zinsgünstigen Kredit vom
Staat.
Ungeachtet aller Bemühungen zur Beilegung
der Nahost-Krise baut Israel ungebremst neue Wohneinheiten in
bestehenden Siedlungen – in Maale Adumim etwa entstehen derzeit mehr als
500 Wohnungen. Und in Ariel, der 18000- Einwohner-Siedlung im nördlichen
Westjordanland, werden 4000 neue Wohnungen errichtet. „Wir wollen auf
60000 Einwohner kommen“, sagt Bürgermeister Ron Nachman.
Aber es werden auch neue Siedlungen im
Westjordanland errichtet, mit dem Segen der Regierung. Seit Beginn der
Amtszeit von Ariel Scharon sind nach Recherchen israelischer
Menschenrechtsgruppen etwa 40 neue Siedlungen errichtet worden – stets
nach dem selben Schema. Zunächst besetzen jüdische Siedler verwaiste
Hügel im kargen Westjordanland mit Containern, palästinensische Dörfer
und Städte im Visier. Nach mehreren Tagen erreicht die
Interessenvertretung der Siedler, dass die Container Wassertanks und
Stromgeneratoren erhalten – so werden vom Staat geduldete und geförderte
Siedlungen geboren.
Der Finanzausschuss des Parlaments
bewilligte vergangene Woche vier Millionen Euro für den Bau von zwei
Dutzend Wohneinheiten. Damit sind meist ganze Häuser gemeint. Zwar
erklärt Regierungssprecher Raanan Gissin, es handle sich um den
natürlichen Ausbau bereits bestehender Siedlungen, in denen die
Einwohnerzahl zunehme. Doch mit diesem Argument suchen seit 30 Jahren
alle israelischen Regierungen die Siedlungsaktivitäten im Westjordanland
und Gaza- Streifen zu rechtfertigen. Linke Regierungen verhielten sich
da nicht anders. Unter Ehud Barak wurden nach Medienberichten 4000
Häuser im Westjordanland gebaut, die meisten seit Beginn des
Friedensvertrags von Oslo 1993, der unter anderem eine Evakuierung der
international nicht anerkannten Siedlungen vorsah.
In Israel ist seit einigen Monaten ein
Stimmungsumschwung zu beobachten: Immer mehr Menschen sind für eine
Aufgabe der kostspieligen und rund um die Uhr von Soldaten bewachten
Siedlungen, besonders angesichts der Wirtschaftskrise. Auf
Demonstrationen und in Anzeigen heißt es: „Die Besatzung bringt uns um!“
Die Rufe verhallen von der Regierung
ungehört, vielmehr hält Scharon an entlegensten Siedlungen fest. Für ihn
haben die Orte und ihre nur Siedlern vorbehaltenen Straßen den Charakter
militärischer Außenposten, die Angriffe auf israelisches Kernland
verhinderten. Mit ihnen allerdings, das kritisieren inzwischen auch die
USA, rückt ein Ausgleich mit den Palästinensern in weite Ferne.
Thorsten
Schmitz / SZ vom 03.06.2002 / Ressort:
Nachrichten
haGalil onLine 17-06-2002 |