Beide tragen Verantwortung:
Die Siedler in «Grossisrael»
Von Sigi Feigel
Fast hätte die Unterzeile
gelautet: «Die Siedler - politische Selbstmordattentäter für Israel».
Dies aber hätte mit Sicherheit den falschen Eindruck erweckt, man wolle
Unvergleichliches vergleichbar machen. Dies ist aber keinesfalls die
Absicht. Die Jugend mit dem Hass gegen die Ungläubigen im Allgemeinen
und gegen die Juden im Besonderen großzuziehen und diesen Hass in
Selbstmordattentate umzumünzen, ist - in diesem Umfang - eine
nahöstliche Erfindung. Sie ist nicht nur gefährlich für die Menschen in
Israel, sondern für die ganze westliche Welt.
Bibel als Geografiebuch?
Die Selbstmordattentate
müssten verstanden werden als das einzige Mittel, das den Palästinensern
für ihren Kampf um den eigenen Staat zur Verfügung stehe, wird oft
behauptet. Das ist eine der vielen Unwahrheiten, die das Bild
verfälschen. Terror gab es schon, als es noch keine Siedlungspolitik gab
und Jerusalem in der Hand Jordaniens war. Massaker gab es schon 1927,
als die jüdische Urbevölkerung von Hebron niedergemetzelt wurde. Und die
«Aksifada» begann, nachdem Yasir Arafat das Friedensangebot von
Ministerpräsident Barak abgelehnt hatte, der sich bereit erklärte, 97
Prozent der palästinensischen Forderungen zu erfüllen. Wäre es nicht ein
Imperativ gewesen, dieses Angebot anzunehmen, Palästina zu gründen und
mit der Aufbauarbeit zu beginnen? Die Frage stellen heisst, sie auch zu
beantworten. Es genügte ein von palästinensischer Seite bewilligter
Spaziergang als Vorwand zur Auslösung dieses grauenhaften Geschehens.
Man will denkenden Menschen doch nicht weismachen, dass dies der Grund
gewesen sei. Natürlich zeugt es von bedenkenloser
Verantwortungslosigkeit von Ariel Sharon, diesen Spaziergang zu
unternehmen, kannte er doch dessen politische Sprengkraft. Aber Sharon
ist eben Sharon, der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Platz.
Er will ja auch an der Siedlungspolitik festhalten, dieser verfehlten
Politik sozusagen aller israelischen Regierungen. Aber - eine
berechtigte Frage - was ist denn so übel, wenn man unter Andersgläubigen
siedelt und wohnt - in unserer Welt, in der man doch so viel von
Multikulturalität und von der Bereicherung durch sie spricht? Eigentlich
nichts, ist man versucht zu sagen. Wenn sich aber mit dieser
Siedlungspolitik ein politischer Anspruch von Menschen verbindet, welche
die Bibel mit einem Geografiebuch verwechseln, dann sieht natürlich
alles anders aus. So verdammenswert der palästinensische Terror ist, so
verständlich ist es, dass den Palästinensern diese Siedlungspolitik ein
Dorn im Auge ist, ein entscheidender Schlag gegen ihren Willen zur
Eigenstaatlichkeit. Und wenn die Siedler kein Einsehen haben, an ihrem
Recht auf Siedlung in diesen Gebieten festhalten, dann werden sie zu
politischen «Selbstmordattentätern» am Staate Israel. Diese
Verantwortung tragen sie, und niemand wird sie ihnen abnehmen, weder die
Mehrheit des israelischen Volkes noch die Weltöffentlichkeit und schon
gar nicht der «liebe Gott».
Zweifache Opfer
Ich habe immer
festgehalten, dass die Palästinenser unglückliche Opfer sind. Einerseits
ihrer eigenen Führungsgremien, die sie mit dem falschen, uneinlösbaren
Versprechen eines Rückkehrrechtes in Elendslagern festhalten, um sie als
politische Munition zu missbrauchen. Der Teil der Welt, der
diesbezüglich immer zustimmend nickt, scheint vergessen zu haben, dass
der um die Zeit der Staatsgründung Israels insbesondere in Ägypten,
Irak, Iran, Jemen und Libyen aufbrandende Judenhass weit über 450 000
Juden, die grossteils zur Urbevölkerung gehörten, zur Flucht zwang, um
ihr Leben zu retten. Das kleine Israel hatte Platz für sie und sicherte
ihnen ein menschenwürdiges Dasein. Niemand spricht von ihrem
Rückkehrrecht. Der vergleichsweise unendlich grosse arabische Raum, das
Meer der arabischen Brüder rings um Israel war zur Aufnahme der Brüder,
die man ja selbst zur Flucht aufgefordert hatte, weder fähig noch
willens. Andrerseits sind die Palästinenser natürlich auch unglückliche
Opfer der israelischen Besetzung, Folge von vier unnötigen und
unprovozierten Kriegen, verschuldet einzig und allein durch die
Regierungen der arabischen Länder, verbunden immer mit dem erklärten
Ziel, die Juden Israels ins Meer zu werfen, Israel zu zerstören. Folge
auch von 50 Jahren Verweigerung jeglicher Verhandlungen durch die
arabischen Länder nach dem Motto: Mit Israel keine Verhandlungen, keine
Anerkennung, keinen Frieden. Arafat missbraucht heute einmal mehr das
Elend der palästinensischen Menschen für sein persönliches Machtspiel,
die Erhaltung der Macht. Sharon auf der anderen Seite missbraucht den
legitimen Zorn und die berechtigte Angst von Israels Bevölkerung vor
Terror ebenfalls für ein politisches Machtspiel, den Kampf um die
Stimmen der Siedlerbewegung. Darum sind beide fehl am Platz und müssen
ersetzt werden, soll es je Frieden geben.
Parlament soll intervenieren
Die Parlamente beider
Länder sind daher aufzurufen, und zwar unüblicherweise durch das
Parlament unseres Landes, aktiv zu werden. Es ist auf die Verantwortung
des israelischen und des palästinensischen Parlaments sowohl für das
gegenwärtige Geschehen als auch für das zukünftige Zusammenleben der
beiden Völker hinzuweisen. Am palästinensischen Parlament ist es, den
Terror ein für allemal als ein Mittel welcher Politik auch immer zu
verdammen. Dem israelischen Parlament ist klar zu machen, dass die
Siedlungspolitik Israels in gewissen Gebieten zu überdenken, ja
rückgängig zu machen ist, so schwer das auch fallen mag. Gelingt es
nicht, durch parlamentarische Interventionen einen Frieden
herbeizuführen, bedeutet dies die Fortsetzung eines immer gnadenloser
werdenden Krieges und damit die Zerstörung eines der beiden Länder. Was
dies bedeutet, kann jeder sich selbst ausmalen.
Sigi
Feigel ist Ehrenpräsident der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich und
Anwalt.
haGalil onLine 24-05-2002 |