
Gutachten des Internationalen Gerichtshofes:
"Illegaler Mauerbau"
Analyse von Ze'ev Segal, Ha'aretz, 11.07.2004
Übersetzung Daniela Marcus
Das beratende Gutachten, das vom
Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag auf die Türschwelle
der UNO gelegt wurde und das die "rechtlichen Folgen des Baus einer
Mauer im besetzten palästinensischen Gebiet" behandelt, ist keine
reale gesetzliche Analyse der Argumente beider Parteien. Während das
Gutachten die Argumente Israels, die dem Gerichtshof und den
Institutionen der UNO vorgelegt wurden, zwar erwähnt, scheint die
Empfehlung des IGH schon im Voraus entschieden gewesen zu sein.
Der Bau des Zauns, der vom IGH –infolge des
Terminus, der von der UN-Generalversammlung festgelegt wurde-
"Mauer" genannt wird, ist illegal, sagt der Gerichtshof, da er einen
politischen Präzedenzfall für zukünftige Grenzen zwischen Israel und
dem zukünftigen Staat Palästina schaffe. Der Bau der Mauer
verursache ein "Fait accompli" und stelle eine "De-facto-Annexion"
dar. Der Gerichtshof verwarf Israels Behauptung, der Zaun sei
vorübergehend, und Israels Hinweis auf das Recht der
Selbstverteidigung, das in der UN-Charta verankert ist.
Nach Meinung des IGH kann Israel dieses Recht
nicht anführen, wenn es außerhalb des Territoriums seines Staates
eine Mauer baut. Der Gerichtshof, der in seinem Gutachten jeden
direkten Bezug zu palästinensischem Terror vermied, akzeptierte
nicht das Argument, dass der Bau der Mauer eine
Sicherheitsnotwendigkeit ist, die durch Internationales Recht
anerkannt ist. Nach Meinung der Richter geschieht der Bau der Mauer
im Allgemeinen, und entlang der Linie, auf der sie gebaut wird, im
Besonderen, nicht aus Gründen der Notwendigkeit. Der Gerichtshof
sagt nur vage, dass Israel seine Bürger vor feindlichen Akten mit
tödlichem Ausgang schützen sollte bzw. verpflichtet ist zu schützen,
und er negiert den eigentlichen Bau der Mauer, weil er gegen
Internationales Recht verstoße.
Im Unterschied zum Obersten Gerichtshof in
Jerusalem unterscheidet der IGH nicht klar zwischen dem Problem der
Befugnis, den Trennungszaun zu bauen, und dem Problem seines
gewählten Verlaufs. Was den Verlauf angeht, so hebt der IGH hervor,
dass dieser zahlreiche Rechte der Palästinenser in den Territorien
missachte: Bewegungsfreiheit, das Recht auf freien Zugang zum
Arbeitsplatz, das Recht zu arbeiten, das Recht auf Gesundheit und
Bildung und das Recht auf die Nutzung von Wasserquellen. Der IGH
betont, dass die Frage, die die UN-Generalversammlung an ihn
übergeben hat, eine rechtmäßige sei und dass ihr politischer
Blickwinkel diese Frage nicht beeinflusse.
Die Empfehlung selbst nimmt jedoch keinen Abstand
zu einem Gutachten bezüglich des Status der Territorien, das
eigentlich kein rein juristisches Gutachten ist. Komplexe
juristische Fragen, die in diesem Zusammenhang gestellt werden
sollten –z. B. die Frage nach Jordaniens Souveränität im Gebiet der
Westbank vor 1967- werden in der Empfehlung nicht angesprochen. Ihr
Wortlaut in Passagen, die sich auf Schritte Israels beziehen, ist
politisch und nicht rein juristisch. Der IGH ruft Israel auf, die
Mauer abzureißen, den Bau in der Region zu stoppen, das Land, das es
für den Bau der Mauer konfisziert hat, zurückzugeben und all denen,
die durch den Bau geschädigt wurden, Kompensation zu zahlen.
Das Gutachten des IGH ist angesichts seiner
Gesamtheit bemerkenswert. Es drängt darauf, den gesamten Zaun
niederzureißen, und versucht nicht einmal, mit der Möglichkeit
umzugehen, dass wenigstens einige Teile für die Sicherheit nötig
sein könnten. Darin unterscheidet sich die Empfehlung des IGH
vollkommen vom Urteil des Obersten Gerichtshofes in Jerusalem am 30.
Juni. Der Urteilsspruch des Obersten Gerichtshofes, der sich auch
auf Internationales Recht bezog, sagte im Prinzip, dass der
militärische Befehlshaber die legale Befugnis habe, aus
militärischen Gründen eine Trennanlage zu bauen und dass diese
Gründe tatsächlich existieren. Selbst vor dem Urteil des Obersten
Gerichtshofes war es unmöglich einen Zaun aus politischen Gründen zu
bauen, mit der Absicht, Staatsgrenzen festzusetzen und Gebiet zu
"annektieren".
Das Urteil des IGH steht im Prinzip im Einklang
mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofes was den speziellen Verlauf
des Zauns angeht, jedoch nicht bezüglich der aktuellen Befugnis,
einen Zaun zu bauen. Das Gutachten des IGH bezieht sich nicht auf
eine spezielle Route, sondern behandelt den gesamten Zaun. Der
Oberste Gerichtshof bezog sich hingegen auf eine spezielle Route und
urteilte, dass ein Teil derselben auf Grund der nicht im Verhältnis
stehenden Schädigung von Anwohnern neu überprüft werden müsse. Der
Oberste Gerichtshof intervenierte in einer spezifischen
Angelegenheit, nachdem er festgestellt hatte, dass die Schädigung
der Anwohner einer bestimmten Route ernst und akut war und kein
wirklicher Versuch gemacht worden sei, den Geschädigten alternatives
Land anzubieten. Solch ein ernsthafter Schlag gegen das Recht von
Eigentum, freiem Zugang zum Arbeitsplatz und Bewegungsfreiheit bewog
den Obersten Gerichtshof zu intervenieren. Er untersuchte besondere
Umstände unter der Voraussetzung, dass der Sicherheitszaun im
Verhältnis stehen müsse, damit das Leben der Anwohner nicht
übermäßig belastet ist. Der IGH schloss hingegen den Bau eines
Zaunes auf Gebiet, das nach Internationalem Recht als besetzt gilt,
aus. Sein Gutachten ignoriert vollkommen die Pflicht eines
militärischen Befehlshabers, zusätzlich zur erforderlichen Sorge für
die Anwohner, für die Sicherheit der Bürger seines Staates zu
sorgen.
Israel, das sich verpflichtet fühlt, gemäß dem
Urteilsspruch des Obersten Gerichtshofes zu handeln, kann sagen,
dass es bezüglich der Verhütung von Rechtsverletzungen gegenüber den
Anwohnern in jeder Hinsicht gemäß dem Gesetz des IGH handeln wird.
Die Empfehlung des IGH, die von 14 aus 15 Richtern
gegeben wurde, nimmt keinen Bezug auf das Zaun-Urteil des Obersten
Gerichthofes. Der IGH erwähnt nur das Urteil des Obersten
Gerichtshofes vom 30. Mai, das die Pflicht eines militärischen
Befehlshabers behandelt, während der Aktivitäten der israelischen
Verteidigungsarmee (IDF) in Rafah Menschenrechte zu befolgen und
sich um die vor Ort lebende Bevölkerung zu kümmern. Der IGH erwähnt
dieses Urteil des Obersten Gerichtshofes, um zu zeigen, dass Israel
selbst die Verpflichtung akzeptiert, nach den humanitären Regeln zu
handeln, die in der Haager Konvention von 1907 und der Vierten
Genfer Konvention von 1949 festgehalten wurden.
Das Gutachten des IGH deutet an, dass die Mehrheit
der Richter in den Hauptpunkten nicht mit dem amerikanischen Richter
Thomas Buergenthal übereinstimmte. Seiner Meinung nach hätte der IGH
trotz der Tatsache, dass der Bau des Trennungszauns Fragen bezüglich
des Internationalen Rechts aufwerfe, keine Empfehlung zu diesem
Thema abgeben sollen. Der Richter war der Meinung, es obliege ihm,
gegen die Haltung des IGH zu stimmen, weil der IGH nicht genügend
Beweismaterial für seine einschneidenden Schlussfolgerungen habe. Er
sagte, der Mangel an vollständigen Informationen beeinträchtige die
Ergebnisse des Gerichtes. Er hob hervor, dass die Abwesenheit von
Sachinformationen über die Sicherheitsverpflichtung, den Zaun zu
bauen, und über Terrorangriffe auf Israel, es nicht möglich machten,
ein angemessenes Gutachten zu formulieren. Buergenthal ist der
Meinung, dass das Gutachten des IGH deshalb nicht das Vertrauen der
Öffentlichkeit gewinnen wird. Er zeigte auf, dass der IGH Israels
Standpunkt und seine Informationen, die es den Institutionen der UNO
gegeben hatte, nicht korrekt behandelt habe.
Auf jeden Fall ist das Gutachten des IGH nicht
bindend. Sondern es soll die Institutionen der UNO mit einer
rechtlichen Basis für ihre zukünftigen Handlungen beliefern und ihre
Diskussionen zu diesem Thema leiten. Nur der Sicherheitsrat ist
autorisiert, Israel Sanktionen aufzuerlegen, falls er das Gutachten
akzeptiert. Es kann angenommen werden, dass in diesem Fall die USA
ihr Vetorecht im Sicherheitsrat anwenden wird. Es ist klar, dass die
Position des amerikanischen Richters nicht von seinem Staat
vorgegeben wurde. Doch es kann angenommen werden, dass sein
Standpunkt die Formulierung der US-amerikanischen Meinung
beeinflussen wird, sollte der Versuch gemacht werden, Israel
Sanktionen aufzuerlegen.
hagalil.com
11-07-2004 |