Anscheinend 50 jugendliche Gefangene in belagerter Geburtskirche
Nachrichtenartikel von Ori Nir, Amos Harel und Gavin Rabinowitz,
Ha'aretz, 22.04.2002
Die bewaffneten Palästinenser, die sich in der Geburtskirche in Bethlehem
verschanzt haben, halten etwa 50 Kinder und junge Männer als Gefangene im Keller
der Kirche fest, sagte gestern ein 20jähriger, von dort geflüchteter
Palästinenser.
Die Jugendlichen dürfen nur für kurze Zeit und einzeln hinausgehen. Sie leiden
sowohl unter Hunger und Durst wie unter Angst und Langeweile, sagte Taher
Manasra. "Unser Essen besteht aus einer Brezel (am Tag)", sagte er. "Einmal
gaben sie uns auch eine warme Reismahlzeit."
Manasra sagte, er sei gestern durch eine Öffnung in der Kirchenwand hinaus
geschlüpft, um genießbare Pflanzen zum Essen zu sammeln. Er wurde umgehend
beschossen und ins Bein getroffen. Er nimmt an, es war ein israelischer Schütze.
Infolge der Verhandlungen, die durch Vermittler des Roten Kreuzes geführt worden
waren, wurde er zur Behandlung ins Hadassah-Universitätskrankenhaus nach
Jerusalem gebracht.
Fünf weitere jugendliche Palästinenser verließen gestern nachmittag ebenfalls
unter Hilfe der Rot-Kreuz-Vermittler die Kirche, nachdem IDF-Soldaten sie mit
einer weißen Flagge im Eingang der Kirche entdeckt hatten. Sie sagten, die
Priester in der Kirche hätten ihnen geholfen zu fliehen.
Die fünf, die nicht auf der Suchliste der IDF aufgeführt sind, erzählten den
Vernehmungsbeamten, dass sich viele der gesuchten Männer in der Kirche ebenfalls
gern ergeben würden, dass sie jedoch unter Druck von den Führern der Gruppe und
von ranghohen Beamten der PA stehen würden.
Manasra, ein arbeitsloser Bewohner des nahegelegenen
Deheisheh-Flüchtlingslagers, erzählte, dass er vor etwa 15 Tagen auf dem Markt
von Bethlehem Lebensmittel gekauft hätte, als er plötzlich eine Serie von
Explosionen gehört hatte und Menschen in die Kirche hatte flüchten sehen. Er
hatte es ihnen nachgemacht. Er sagte weiterhin, dass Mitglieder der
palästinensischen Sicherheitsdienste alle jüngeren Menschen im Inneren der
Kirche in den Keller geschickt hätten.
"Sie behandelten uns streng. Wir mussten sogar um Erlaubnis fragen, wenn wir ins
Bad gehen wollten", sagte er. "Im Bad wurden uns nur fünf Minuten zugestanden."
Er sagte, ein Mitglied der Force 17, Arafats Sicherheitsgarde, bewachte die
Jüngeren mit einem Gewehr in der Hand und stellte sicher, dass diese den ganzen
Tag auf ihren Plätzen blieben. Er sagte, dass die Leute im Keller die meiste
Zeit mit Schlafen verbringen.
Manasra sagte, er wüsste nicht, warum man sie im Keller gefangen halten würde,
aber er vermutete, dass es zu ihrem eigenen Schutz sei und um sie davon
abzuhalten, den Kämpfern in den Weg zu laufen. Er schätzte, dass sich zusätzlich
zu den 50 Jugendlichen etwa 200 bewaffnete Männer in der Kirche befinden. Er
bestätigte, dass die Moral sogar unter den Kämpfern niedrig sei. Und er sagte,
er glaube, dass auch sie wenig zu essen hätten, obwohl er und seine Kameraden
den Geruch von gekochtem Essen aus den Räumen, die von den bewaffneten Männern
in Beschlag genommen worden seien, wahrgenommen hätten.
Trotz der wachsenden Spannungen zwischen den Bewaffneten und den Zivilisten und
unter den gesuchten Männern selbst, sagte IDF-Stabschef Shaul Mofaz gestern,
dass die Situation noch weitere zwei Wochen andauern könnte. Mittlerweile haben
gestern mehrere hundert israelische Araber, angeführt von den Leitern der
christlichen Kirchen in Israel, an der militärischen Straßensperre nördlich von
Bethlehem gegen die IDF-Belagerung der Geburtskirche demonstriert. Der
Demonstrationszug ging ruhig an der Sperre vorüber und löste sich nach etwa
einer Stunde auf.
Eine Katastrophe für die Christenheit
"Mit zwei toten Moslems innerhalb der Geburtskirche könnte die Christenheit
einem absoluten Desaster in Bethlehem entgegengehen", sagte Cannon Andrew White,
der Sonderbeauftragte des Erzbischofs von Canterbury im Nahen Osten. "Es wäre
katastrophal, wenn zwei moslemische Märtyrer in der Kirche begraben werden
würden. Es könnte zu einer Situation wie der in Nazareth kommen", sagte er.
White sagte, das Wegbringen der beiden Leichen aus der Kirche war eines der
Hauptanliegen der Repräsentanten aller drei Religionen, die in diese
Pattsituation um die Kirche verwickelt sind. Nach intensiven
Verhandlungsbemühungen wurden Pläne, die beiden vorübergehend in der Kirche zu
beerdigen, aufgegeben. Es wurde jedoch kein Fortschritt bei der Formulierung
eines Planes erzielt, wie man die beiden Leichen aus der Kirche bringen könnte.
"Wir sind über zwei vordringliche Angelegenheiten besorgt", sagte White. "Die
erste ist die Entehrung der heiligen Stätten. Die zweite ist die humanitäre
Hilfe, selbst für diejenigen, die die heiligen Plätze der Christenheit bereits
entehrt haben, indem sie Waffen in die Kirche gebracht haben", sagte er.
"Heilige Orte dienten immer als Orte der Zuflucht, aber nicht für diejenigen,
die Waffen mit einführen."
haGalil onLine 22-04-2002 |