Neue Koordinaten:
Nach dem Irak-Krieg knüpfen Ankara und Damaskus engere
Beziehungen
Von Gerd Höhler (Frankfurter
Rundschau, Diyarbakir)
Schnurgerade zieht sich die
Staatsstraße 400 vom südosttürkischen Kiziltepe nach Nusaybin. Nur wenige Meter
neben der Fahrbahn verläuft ein Todesstreifen. Stacheldrahtzäune, Minenfelder
und Wachtürme markieren die Grenze zu Syrien. Die martialischen Grenzanlagen
erinnern daran, wie spannungsreich die Beziehungen zwischen den beiden
Nachbarländern in der Vergangenheit waren. Noch vor fünf Jahren, im Herbst 1998,
standen die Türkei und Syrien am Rand eines Krieges.
Wie sich die Zeiten geändert haben,
zeigte sich, als kürzlich erstmals seit 17 Jahren ein syrischer Regierungschef
nach Ankara kam. Ministerpräsident Mohammed Mustafa Miro unterstrich seinen
Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit beider Länder. Bei Miros türkischen
Gesprächspartnern traf das auf offene Ohren. In Washington dagegen beobachtet
man die Annäherung der bislang verfeindeten Nachbarn mit Argwohn.
Der türkische Außenminister Abdullah Gül hat keineswegs die Statur eines
Artisten. Aber was der kräftig gebaute Chefdiplomat jetzt versucht, kommt einem
politischen Hochseilakt gleich. Während Gül zielstrebig an einer Verbesserung
der Beziehungen zu Syrien arbeitet, darf er die in den vergangenen Jahren immer
enger geknüpften politischen und militärischen Bindungen zu Israel nicht
gefährden. Vor allem aber muss Gül das US-amerikanische Misstrauen zerstreuen.
Ohnehin sind die Beziehungen zu den USA strapaziert, seit das türkische
Parlament Anfang März überraschend die Stationierung von 62 000 US-Soldaten in
der Südosttürkei verweigerte und damit die Pläne des Pentagon für eine Nordfront
gegen Irak vereitelte. Washington kommt die türkisch-syrische Annäherung
ungelegen, weil man das Regime in Damaskus so weit wie möglich isolieren möchte.
Schließlich wird Syrien verdächtigt, Mitglieder der aus Bagdad vertriebenen
irakischen Baath-Partei zu beherbergen. Dass die türkische Regierung seit
einigen Monaten auch begonnen hat, Fühler nach Teheran auszustrecken, also zur
"Achse des Bösen", macht Güls Balanceakt noch gewagter.
Ohnehin dürfte es schwierig genug werden, die Beziehungen mit Damaskus
nachhaltig zu entspannen. Denn da gilt es einige Altlasten zu bewältigen. Für
Reibungen sorgten seit Jahrzehnten die syrischen Ansprüche auf die Provinz
Hatay, die 1939 nach dem Auslaufen des französischen Mandats über Syrien der
Türkei zugeschlagen wurde. Die strategische Bedeutung Hatays zeigte sich jetzt.
Das hier gelegene Iskenderun, früher Alexandrette, ist einer der besten
natürlichen Häfen des östlichen Mittelmeeres. Hier landeten die USA im Frühjahr
schweres Kriegsgerät für die geplante Nordfront gegen Irak an, deren Eröffnung
aber an der Weigerung des türkischen Parlaments scheiterte. Für ständige
Spannungen zwischen Ankara und Damaskus sorgte in den zurückliegenden
Jahrzehnten auch der Streit um das Euphratwasser. Der Strom, dessen Fluten
Kraftwerke antreiben und Felder bewässern, ist eine wichtige Lebensader für die
ganze Region. Der Konflikt geht bis in die 60er Jahre zurück. Damals machten die
drei Euphrat-Anrainer Türkei, Syrien und Irak erstmals den Versuch, Quoten für
die Wasserentnahme festzulegen. Die Türkei meldete einen jährlichen Bedarf von
14 Milliarden Kubikmetern an, Syrien forderte 13 und Irak 18 Milliarden
Kubikmeter. Die Rechnung konnte nicht aufgehen. Während die drei Länder
insgesamt 41 Milliarden Kubikmeter beanspruchten, fließen im jährlichen Mittel
nur etwa 32 Milliarden Kubikmeter Wasser den Fluss hinunter. 1974 gerieten
Syrien und Irak wegen des Baus eines syrischen Staudamms an den Rand eines
Kriegs. In den 80er Jahren dann sorgte das Güney Dogu Anadolu Projesi, das
Südostanatolien-Projekt, ein riesiger Komplex von Staudämmen, Kraftwerken und
Bewässerungsnetzen, für Spannungen zwischen Ankara und Damaskus.
Von 1984 an überdeckte allmählich die Kurdenfrage den türkisch-syrischen
Wasser-Konflikt. Syrien gewährte dem PKK-Chef Abdullah Öcalan, der in jenem Jahr
den bewaffneten Kampf für einen eigenen Kurdenstaat ausgerufen hatte, Asyl und
richtete für die kurdischen Rebellen Ausbildungslager ein. Damit wurde die PKK
zur gefährlichsten Waffe Syriens im Euphrat-Streit mit der Türkei. Im Herbst
1998 eskalierte die Auseinandersetzung. Der türkische Ministerpräsident Mesut
Yilmaz ließ Truppenverbände an der syrischen Grenze aufmarschieren. Der
türkische Staatspräsident Süleyman Demirel übermittelte Damaskus ein Ultimatum.
Die Drohgebärden wirkten. Syrien verwies den PKK-Chef des Landes.
Jetzt ist es ausgerechnet das Kurdenproblem, das die Türkei und Syrien einander
näher bringt. Der Sturz des Saddam-Regimes in Bagdad und die militärische
Präsenz der USA in Irak, die wohl auf Dauer angelegt ist, haben die
Kräfteverhältnisse im Nahen Osten bereits nachhaltig verschoben. Die
Irak-Anrainer Türkei und Syrien, aber auch Iran, müssen daher darauf bedacht
sein, ihre Interessen zu wahren und ihre Einfluss-Sphären abzustecken. Es sei
"nur natürlich", dass sich die Türkei mit ihren nahöstlichen Nachbarn
verständige, meinte Außenminister Gül. In Ankara fürchtet man vor allem, dass
sich in Nordirak ein Kurdenstaat herausbilden und neue Autonomiebestrebungen
türkischer Kurden wecken könnte. Auch Syrien und Iran, die eigene unruhige
kurdische Minderheiten haben, wollen eine solche Entwicklung abblocken. Die
Befürchtungen Washingtons, hier entstehe eine neue Allianz, suchte der syrische
Regierungschef Miro bei seinem Türkei-Besuch zu zerstreuen: "Die
syrisch-türkischen Beziehungen zielen nicht darauf, die Vereinigten Staaten
herauszufordern", versicherte er.
hagalil.com
29-08-2003 |